- 61 Jenny besucht Axel Reitel in Charlottenburg. Ich sitze im Auto nach Berlin, dort treffe ich den Schriftsteller Axel Reitel. In ein paar Tagen erscheint sein neues Buch Nachtzensur, in dem er von der DDR und Osteuropa erzählt. Wenn es jemanden gibt, der von den Schrecken der DDR-Diktatur zu berichten weiß, dann er. Erstens hat er die Diktatur selbst erlebt, zweitens kann er schreiben. Mehr bitter als blumig, mehr mysteriöse als heile Welt – das ist seine Vergangenheit im Widerspruch zur DDR. Mit 21 Jahren gelangt er über den ‚Umweg Knast‘ endlich in den Westen. Hier kommt Axel Reitel den Dingen auf die Schliche, trifft die Leute, die ihm damals die Freiheit und anderen Menschen das Leben nahmen. Als ich ihn in seiner Wohnung treffe, begegnet mir ein juveniler, wacher Blick. Seine Mimik verschmilzt mit den vielen Gemälden an den Wänden und den tausenden Büchern im Regal, auf dem Tisch und auch unter dem Sofa ...
DAS HOFFEN AUF FREIHEIT
Du bist in der DDR aufgewachsen,
Mit welchen Konsequenzen?
aber schon mit 17 dem Staat ein
Die Stasi hat uns verhaftet und
Dorn im Auge gewesen. Was war
ich wurde zu sechs Monaten Haft
passiert?
verurteilt!
Wir waren sieben Leute, keine
urteilt worden, da ich eine Plakataktion gemacht habe. Aber du warst dir doch bewusst
feste oppositionelle Gruppe, sondern
Meine Güte, deswegen bist du einge-
einfach nur jung und spontan. Wir
sperrt worden!?
wurden zwar in der DDR sozialisiert,
weiteres Mal zu vier Jahren Haft ver-
Ja. Uns hatte ein ABV (Abschnitts-
über die Folgen! Von meinem Bekannten erfuhr ich, dass politische Häftlinge von der
lebten aber im Widerspruch zu den
bevollmächtigter) der Volkspolizei
Bundesrepublik freigekauft wurden.
politischen Verhältnissen dort. In der
Plauen gesehen und den Vorfall der
Es war der einzige Weg, der für mich
Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1978
Kreisdienststelle der Staatssicherheit
in Frage kam, um rauszukommen. Mit
hat einer von uns eine Rote Arbeiter-
gemeldet. Die hat dann sofort unsere
der Plakataktion wollte ich die Bevölke-
fahne auf dem Rosa-Luxemburg-Platz
Verhaftung angeordnet.
rung zum Nachdenken anregen – und
geschwenkt und mit dem Worten an-
ins Gefängnis, um freizukommen. Ich
gezündet: „Es lebe der 17. Juni!“ Ich
Dennoch konnte dich das nicht ab-
wollte einfach weg und mit einem Pau-
hatte mir eine DDR-Fahne genommen
schrecken …
kenschlag verschwinden! Heute ist das
und damit herumgeulkt.
Richtig, mit zwanzig bin ich ein
alles gar nicht mehr vorstellbar.