Stadtanzeiger Olten Ausgabe 10 (7. März 2019)

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Olten, 7. März 2019 | Nr. 10 | 87. Jahrgang | Auflage 31 786 | Post CH AG

Irène Dietschi «Glänzen wir!»

IRÈNE DIETSCHI, Journalistin. (Bild: Daniela Friedli)

M Daniela Ianni setzt sich beruflich und privat für Frauenthemen ein: «Es muss eine Veränderung in der Gesellschaft passieren und diese beginnt in der Erziehung der Kinder.» (Bild: mim)

«Eine Veränderung ist nur gemeinsam möglich» INTERNATIONALER FRAUENTAG Anlässlich des Internationalen Frauentages vom 8. März haben wir uns mit dem Frauenstreik-Kollektiv-Mitglied Daniela Ianni über Doppelbelastungen, Lohnungleichheiten und die Rolle der Männer unterhalten. MIRJAM MEIER

S

eit fünf Jahren wohnen Daniela Ianni und ihr Ehemann in Olten. Angesprochen auf das Jahr, in dem sie geboren wurde, meint sie lächelnd: «1971 war wichtig, schliesslich wurde in diesem Jahr das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt.» Ianni, die seit fünf Jahren bei der Unia als Gewerkschaftsekretärin arbeitet, ist eine von rund 30 Personen, die sich im Hinblick auf den Frauenstreik vom 14. Juni dem Solothurner Kollektiv angeschlossen hat. «Frauenthemen haben mich schon immer interessiert und durch meine Tätigkeit bei der Unia habe ich einen grösseren Einblick in die Problematik erhalten. Es ist wichtig, dass wir den Kampf unserer Grossmütter und Mütter weiterführen», betont die 48-Jährige. Eine Feministin sei sie aber nicht. «Ich bin eine Frau, welche dieselben Rechte wie ein Mann haben möchte - nicht mehr und nicht weniger. Gemeinsam mit dem Solothurner Kollektiv engagiere ich mich hauptsächlich für die Lohngleichheit, eine anständige Rente für Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gegen sexuelle Belästigung sowie für die Anerkennung der ehrenamtlichen Betreuungsarbeit.» Es sei jedoch keinesfalls ein Kampf gegen die Männer. «Eine

gesellschaftliche Veränderung ist nur gemeinsam möglich. Deshalb freut es uns besonders, dass sich auch einige Männer dem Solothurner Kollektiv angeschlossen haben.»

Veränderung beginnt in der Erziehung

Doppelbelastungen kennt die zweifache Mutter aus eigener Erfahrung. Aufgewachsen ist die 48-Jährige in Waldenburg (BL) als Tochter italienischer Einwanderer. «Meine Mutter, die stets in einem 100%-Pensum in der Fabrik arbeitete, ist mein grosses Vorbild», so Ianni, die einst in der kantonalen Verwaltung in Liestal ihre Ausbildung als kaufmännische Angestellte absolvierte. 1992 wurde ihre erste Tochter geboren. «Ich habe in einem 100%-Pensum weitergearbeitet, auch dann noch als 1995 die zweite Tochter zur Welt kam», erzählt die Oltnerin, deren Kinder von zwei Hebammen im Dorf betreut wurden. «Ich war 24 Jahre jung und wollte arbeiten. Dabei waren wir auch durch unseren Hauskauf auf mein Einkommen angewiesen.» Doch dann wurde die Belastung zu gross. «Körperlich war ich so erschöpft, dass nicht einmal mehr eine Teilzeitarbeit möglich war.» Auch schlechtes Gewissen kannte die zweifache Mutter nur zu gut: «Die Frage am Morgen, wenn ich ins Büro kam, ob ich meine Kinder abgegeben hätte, reichte schon. Eine Frau, die neben ihrer Mutterrolle arbeitet, wird in der Gesellschaft oft als «Rabenmutter» bezeichnet.» Auch in ihrer Ehe habe aufgrund von anerzogenen Rollenbildern ein Umdenken stattfinden müssen. «Ab und zu kocht heute mein Ehemann, wenn ich später nach Hause komme, was ich sehr schätze.» Ianni ist deshalb überzeugt, dass eine Veränderung in der Gesellschaft passieren muss und diese in der Erziehung der Kinder beginnt.

Viel zu langsame Entwicklung

«Es gibt noch immer zu wenig Krip-

penplätze und finanzielle Unterstützung vonseiten des Staates. Zudem ist es oftmals schwierig für Frauen nach einem familienbedingten Unterbruch, der sich zusätzlich negativ auf die Rente auswirkt, wieder in die Arbeitswelt einzusteigen», zeigt die Gewerkschaftssekretärin auf. Zu dieser Problematik hinzukomme, dass Frauen noch immer 20 Prozent weniger verdienen würden und in manchen Branchen weit unterhalb des Mindestlohns arbeiten müssten. Gerade Personen, die im Dienstleistungsbereich, wie Pflege, Logistik, Verkauf oder auch Gastgewerbe tätig seien, würden oftmals sehr schlecht bezahlt. «Es haben auch die Männer etwas davon, wenn ihre Partnerinnen 20 Prozent mehr Einkommen nach Hause bringen», zeigt Ianni auf. Mit der Einführung des Gleichstellungsartikels und der Mutterschaftsversicherung wurde in den vergangenen Jahren einiges erreicht. «Das stimmt, aber die Entwicklung schreitet viel zu langsam voran. Deshalb ist der Internationale Frauentag, der jeweils am 8. März begangen wird, für mich ein Gedenktag und eine Mahnung, dass wir noch nicht am Ziel angekommen sind. Um eine Veränderung in der Gesellschaft zu erreichen, müssen wir dranbleiben, sonst gehen wir wieder einen Schritt zurück», ist die Oltnerin, welche die Frauenquote als hilfreich bezeichnet, überzeugt. «Wir müssen weiterkämpfen, deshalb informiert am 8. März die Unia in Frauen dominierten Betrieben mit Flyern und lädt mit einem Stand auf der Kirchgasse zum Austausch ein.» Es sei wichtig, dass möglichst viele Frauen mit den verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen sich beteiligen. «Wer zudem interessiert ist, am 29. März am dritten Treffen des Solothurner Kollektivs teilzunehmen, ist herzlich eingeladen», so Ianni.

www.frauenstreik19.ch

ein Vater ist in bester Dichterlaune, als er mir die Türe öffnet: «Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust», deklamiert er fröhlich und hält mir die Zeitung hin. Es geht um Oltens berühmtestes Privathaus. Das Haus mit dem Goldenen Dach, das nun – so hat es der Kanton verfügt – weniger glänzen und auf Mass gestutzt werden soll. So zerrissen wie Goethes Faust ist mein Vater diesbezüglich allerdings nicht. Er hält es zwar mit der Ordnung und Bauvorschriften – aber noch viel mehr mit der Schönheit. «Ist das nicht ein wunderbares Aushängeschild der Stadt, wie es da über der Aare thront?» fragt er mich. Grad neulich, fährt er fort, seien er und meine Mutter am Uferweg entlangspaziert, um sich an dem architektonischen Schmuckstück zu erfreuen. Seinen mutigen Proportionen, der schillernden Dachfarbe. «Manchmal muss man halt die Regeln strapazieren und etwas wagen», sinniert er. «Sonst gäbe es keinen Fortschritt.» Ich sage nichts. Denn ich bin nicht ganz so optimistisch. In Olten wollen die Leute keine glänzenden Dächer. Man will ohnehin nicht allzu hoch hinaus beim Bauen schon gar nicht. Vor Jahren wollten ein paar Fantasten in Olten einen Turm bauen. Das Projekt war DAS Fastnachtssujet des Jahres – und wurde schnell vergessen. Der Kleingeist ist geblieben. Aktuell sind schon die 31 Meter des geplanten Turuvani-Gebäudes vielen zu viel. Bei den städtischen Ausgaben ist per Referendum Knausern angesagt. «Mia san mia», hiess es selbstgefällig die letzten Tage. «Weisst du, diese Stadt verbreitet keine Aufbruchstimmung», antworte ich meinem Vater schliesslich. Er aber bleibt dabei: «Wenn’s drauf ankommt, sind die Oltner für den Fortschritt», beharrt er. «Das waren sie schon immer.»


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