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Olten, 22. März 2018 | Nr. 12 | 86. Jahrgang | Auflage 35 001 | Post CH AG
Rhaban Straumann Bescheidener Stolz
RHABAN STRAUMANN, Schauspieler, Satiriker und Autor. (Bild: Remo Buess)
«Ich habe gelernt, meine Lebenszeit zu nutzen», erklärt die Starrkircher Abschiedsgestalterin Murielle Kälin. (Bild: ZVG)
«Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt» MPower Gym & Fitness Oltnerstrasse 95 4663 Aarburg E-Mail: info@mpowergym.ch Web: www.mpowergym.ch Facebook: MPower Gym & Fitness Aarburg
MURIELLE KÄLIN Die Starrkircher Abschiedsgestalterin ist am Sonntag, 25. März in der Sendung von Kurt Aeschbacher zu sehen. Wir haben mit ihr über Abschiedsfeiern und den Tod als wichtigen Ratgeber gesprochen. MIRJAM MEIER
B
raune Locken und trotz rappelvollem Terminkalender ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Murielle Kälin hat viel zu tun. Am Abend zuvor war die Abschiedsgestalterin, Autorin und Theaterschaffende in Zürich in der SRF-Sendung von Kurt Aeschbacher zu Gast. «Ich wurde von einem familiären aber dennoch hochprofessionellen Team empfangen», schwärmt Kälin. Der Besuch beim Fernsehmoderator sei für sie und für alle, die an sie glaubten, seit sie den sicheren Hafen als Bankangestellte verlassen habe, ein Ritterschlag gewesen.
Falsch gewählte Worte
Erstmals in Kontakt mit dem Tod kam Murielle Kälin, als ihr Cousin mit 15 Jahren Suizid beging. Die traditionelle katholische Abdankung schockte die damals 22-jährige Frau. «Ich habe die Welt nicht mehr verstanden und hielt das Ganze für einen schlechten Scherz», erzählt Kälin und fügt an: «Damals habe ich erfahren, was falsch gewählte Worte anrichten können.» Als ein Jahr später der Vater ihres Cousins am selben Ort ebenfalls Suizid beging und sich das Prozedere mit demselben Pfarrer wiederholte, schwor sich die junge Frau, dass es eine solche herz- und trostlose Verabschiedung von Familienmitgliedern nie mehr geben wird und übernahm zukünftig das Verfassen und Vortragen der Lebensläufe.
«Mach das!»
Kälin war lange Zeit als kaufmännische Bankangestellte tätig. Daneben absolvierte sie eine dreijährige Ausbildung im literarischen Schreiben und später eine Theaterausbildung. 2011 gründete sie ihren eigenen Verlag «tausendStrassen» und veröffentlichte in den nachfolgenden Jahren die Bücher «Schmetterlinge töten», «Wir waren Königskinder» und «Lieben lernen». Mit ihrem ersten eigenen Theaterstück «Diesseits» widmete sich Kälin dem Himmel, um mit ihrem zweiten Stück «Hin-über», das im vergangenen Jahr Premiere feierte, dem Tod eine Bühne zu geben. Das Theaterstück erscheint im September 2018 im Verlag «Einfach lesen» als Roman. Als im Jahr 2015 die Eurokrise kam, hängte Kälin ihren Beruf in der Bank an den Nagel. «Selbst geschockt von dem Schritt habe ich damals meinen Vater angerufen.» Er ermutigte sie, sich als Abschiedsgestalterin selbstständig zu machen. «Er sagte zu mir: Das bist du, mach das!», erzählt Kälin dankbar. Der Start im völlig neuen Umfeld sei nicht leicht gewesen, gibt die 40-Jährige zu. Doch glücklicherweise habe es Bestatter gegeben, die überzeugt von ihren Qualitäten waren und sie weiterempfahlen. «Man benötigt bei jedem Neustart Personen, die einem eine Chance geben», weiss Kälin. Bereut habe sie den Schritt nie, auch wenn es Momente gegeben habe, als sie die Befürchtung hegte, dass ihr Telefon defekt sei, erzählt Kälin nachträglich mit einem Augenzwinkern.
Bereuen, etwas nicht getan zu haben
Der Tod sei für sie ein Anfang, kein Ende. Angst vor ihrem eigenen Tod habe sie, abgesehen von körperlichen Schmerzen, keine. «Wie alle Menschen wünsche ich mir, dass ich leicht gehen kann. Deshalb bin ich bereits heute daran, mein Leben aufzuräumen.» Ein Teil davon ist ihr antiker «Totenkoffer» auf dem Dachboden, der neben Erinnerungen für ihre Angehörigen auch eine Patientenverfü-
gung enthält. Auf die Frage, ob ihr Beruf nicht deprimierend sei, meint Kälin: «Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt, wie in dieser Zeit, seit ich vom Tod umgeben bin. Heute habe ich eine viel tiefere Wertschätzung für mein Umfeld. Zudem habe ich gelernt, meine Lebenszeit zu nutzen.» Der Tod sei ausserdem ein wichtiger Ratgeber für sie geworden, der ihr Mut verleihe. «Das Schlimmste ist doch, wenn man an seinem Sterbebett bereuen muss, etwas nicht getan zu haben», betont Kälin.
Mutig, kreativ und unkonventionell
Genauso mutig, kreativ und unkonventionell sind ihre Trauerfeiern. «Lieblingsmusik, -platz, -beschäftigung, all das ist wichtig, um einen Anlass zu organisieren, der passend ist sowohl für die Angehörigen als auch für die verstorbene Person. Deshalb nehme ich mir auch viel Zeit für das Trauergespräch mit den Angehörigen», betont Kälin, die bereits in Gedenken an die Verstorbenen mit Angehörigen eine Toilettentüre beschrieben hat, bei einer Abschiedsfeier Lindor-Kugeln verteilte oder im Sommer einen Weihnachtsbaum errichtete. Ebenso unkonventionell handhabt es Kälin mit den Örtlichkeiten für die Trauerfeiern, die vom Campingplatz über eine Strandbar bis zum Schloss reichen. «Für eine Hochzeit nehmen sich Personen viel Zeit, wieso nicht für eine Beerdigung. Schliesslich ist diese das «I-Tüpfli» auf einem Leben. Deshalb weiche ich auch von der üblichen Drei-Tage-Regel ab. Für Angehörige ist der Tod eines geliebten Menschen ein traumatisches Erlebnis. Sie sollten sich Zeit lassen können, um sich Gedanken zu machen», erklärt Murielle Kälin, deren Trauerreden meist traurig beginnen, aber am Ende die Angehörigen mit einem Schmunzeln oder zumindest einer schönen Erinnerung an die verstorbene Person entlässt.
www.schlusslicht.ch
I
st Bescheidenheit eine alte hiesige Tugend? Das auf jeden Fall wurde den Heimischen in vergangenen Jahrzehnten mit Charme eingetrichtert. Schade. Ein Stück Stolz stünde der Eisenbahnerstadt gut. Muss ja nicht Überheblichkeit sein. Zwischen solothurnischer Selbstverliebtheit und gesundem Stolz liegen Welten. Auch sollte die Politik keinen Anlass dazu liefern (der vertragslose Zustand des Kulturzentrums Schützi beispielsweise ist ein trauriges Kapitel), dass das Bedürfnis danach besteht, lässt sich beobachten. Siehe Eishockey. Mit dem best besuchten Club seiner Liga feiert man sich gerne. Oder das älteste Satirefestival des Landes. Die Kabarett-Tage sind vor dem Kultur-Adventskalender das publikumstärkste Kulturangebot in der Stadt. Auch mit der schreibenden Gilde schmückt man sich gerne. Weniger vergängliche Projektionsobjekte sind städtische Wahrzeichen: Holzbrücke. Illdefons- und Hexenturm. Neu darf auch die Kirchgasse genannt werden. Eine verkehrsfreie Zone, die funktioniert. Weil grosszügig, an idealer Lage, der richtige Mix? Wer weiss. In diesem Zusammenhang wird spannend, ob man dereinst am heftig diskutierten Mobilitätskonzept seine Freude haben darf. Bezüglich Mobilität hätte Olten die Chance anders zu sein. Zentrale Lage, kurze Distanzen, da kompakt. Der Weg ist offen und egal wie die Diskussion verläuft, wahr bleibt, Parkplätze und flüssiger Verkehr machen die Einkaufsmöglichkeiten nicht wett. Vieles ist da, was unter anderem fehlt ist ein grosses Outdoor- und Sportgeschäft. Henusode. Es wird stets Menschen geben, denen die Stadt kaum Anlass zum Stolz liefert und man zelebriert weiterhin Bescheidenheit. Doch auch das geschieht mit Stolz.