Rotkielchen 41/2

Page 36

36

Abteilung für Staatssicherheit

Kur-Telefonate Bis zum heutigen Tage ist es niemandem gelungen, den Heidemörder zu identifizieren. Einzig das Rotkielchen hat es im April 2005 geschafft, den Verräter in den Reihen der SPD-Landtagsfraktion zu interviewen.

Rotkielchen: Doch ...

Von einem Münzfernsprecher in Wester-Ohrstedt meldete sich der Abweichler (aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir auf das geschlechtergerechte AbweichlerIn; die weibliche Form ist stets mitgemeint) bei der Rotkielchen-Redaktion von einer Kur: Unter der Voraussetzung, dass eine Anonymität gewahrt bliebe, sei er bereit, sich jetzt exklusiv zu seinen Motiven zu äußern.

A: Diese Frage ist eine Unverschämtheit, eine Zumutung!

Obwohl der Anrufer mehrfach drohte, heimlich den Hörer aufzulegen, fragten unsere Redakteure knallhart nach. Rotkielchen: Wir bleiben mal beim Genossen-Du und würden gern zunächst über ein paar Gerüchte sprechen, die in der schleswig-holsteinischen SPD die Runde machen. Du heißt Ralf? A: Das meinen Sie doch wohl nicht ernst! Diese Frage werde ich nicht beantworten. Nicht besonders geschmackvoll. Rotkielchen: Na gut, wie Sie wollen. Trifft es dann zu, dass Sie am 16. März von Aliens entführt wurden, die Sie in einen Glasbehälter mit kleinen Luftlöchern steckten, sexuelle Experimente an Ihnen vornahmen und am 17. März einen Plasmaabdruck ihrer Persönlichkeit in den Landtag einschleusten, der im folgenden viermal Heide Simonis die Stimme vorenthielt, obwohl er sich in einer Probeabstimmung der Fraktion ohne zu wabern für sie ausgesprochen hatte?

A: Kein Kommentar. Rotkielchen: Und Sie heißen wirklich nicht Ralf?

Rotkielchen: Haben Sie sich von der Ministerpräsidentin in den letzten Jahren vielleicht übergangen gefühlt? Unterschätzt, zurückgewiesen? Hat es sie gekränkt, dass ein junger EU-Häuptling Wirtschaftsminister werden sollte, und Sie wurden schon wieder nicht einmal Staatssekretär? A: Das interessiert mich überhaupt nicht! Rotkielchen: Na, na, das klingt aber doch sehr nach enttäuschter Liebe ... A: Ich war’s nicht. Rotkielchen: Nicht verliebt? A: Nein. Rotkielchen: Warum sind Sie ausgerechnet jetzt zur Kur gefahren?A: Was für eine Frage, darüber muss man überhaupt nicht reden! Ich finde diese Anruferei unerhört. Rotkielchen: Aber Sie haben uns doch ... A: Nein. Ich habe für Frau Simonis gestimmt. Rotkielchen: Aber warum geben Sie sich dann als Abweichler aus und stehlen uns kostbare Zeit, die wir für investigative Recherchen verwenden könnten?

A: Klares Nein.

A: Ich weiche nie ab.

Rotkielchen: Wirklich nicht, oder ist es Ihnen einfach peinlich, so etwas zuzugeben?

Rotkielchen: Jürgen?

A: Nein, wirklich nicht, nein!

Rotkielchen: Sind Sie für eine große Koalition?

Rotkielchen: Was halten Sie denn von der Theorie, dass es in Wirklichkeit eine Verschwörergruppe von vier Abgeordneten gab, die sich reihum der Stimme enthielten, damit die psychische Belastung für den Einzelnen geringer ausfiele?

A: Nein!

A: Ich bin doch nicht schizophren!

Rotkielchen: Sind Sie dafür, dass Minister Stegner der neue starke Mann in der Nord-SPD wird?

Rotkielchen: Und zum Thema Stasi fällt Ihnen gar nichts ein?

A: Nein.

Rotkielchen: Sind Sie für Neuwahlen? A: Nein.

A: Über dieses Thema spreche ich grundsätzlich nicht mit der Presse.

A: Nein.

Rotkielchen: Aber Sie haben uns doch angerufen!

A: Ich möchte nicht mit Ihnen sprechen.

A: Kein Kommentar.

Rotkielchen: Aber Sie haben sich doch gemeldet.

Rotkielchen: Es gibt Leute, die behaupten, Ihre Kontonummer (ein Konto bei der evangelischen Darlehnsbank) sei mit einem Chanel-Lippenstift auf die zweite Tür der Damentoilette auf dem CDU-Fraktionsflur geschrieben gewesen. In den letzten Monaten habe es dann größere Einzahlungen eines dänischen Spielzeugkonzerns auf dieses Konto gegeben.

A: Das habe ich nicht.

A: Das fragen Sie mich doch nicht im Ernst.

Rotkielchen: Wären Sie selbst gern Ministerpräsident?

Rotkielchen: Nein? A legt wortlos auf. Die Antworten sind wörtlich entnommen der BILD-Zeitung vom 19. März, die alle Abgeordneten von SPD, SSW und Grünen gefragt hatte: „Sind Sie der Abweichler?“


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.