SWS Positionspapier Drogen

Page 1

Positionspapier Drogenpolitik

Zürich, März 2015

Substitution löst Probleme nur vordergründig Die gegenwärtige Schweizer Drogenpolitik setzt auf Substitution statt auf Abstinenz. Diese Ausrichtung hat zweifellos dämpfende Auswirkungen auf den Drogenmarkt und den Beschaffungsstress der Süchtigen. Allerdings hat Substitution in Bezug auf die individuellen Entwicklungsperspektiven von Suchtkranken teils verheerende Auswirkungen. Weil der Ausstieg aus Methadon, Buprenorphin und weiteren Substituten noch schwieriger ist als aus Heroin und anderen Drogen, raten viele Ärzte Süchtigen von einer Abstinenz ab. Das ist unseres Erachtens und aufgrund unserer Erfahrungen mit Süchtigen falsch. Vor allem junge Süchtige werden damit ihrer Zukunft beraubt. Die Schweizer Drogenpolitik hat auf die offenen Drogenszenen am Platzspitz und am Letten reagiert. Mit der Viersäulenpolitik (Prävention, Therapie, Schadensminderung sowie Repression und Marktregulierung) können die Hebel auf Marktebene ebenso wie auf der Ebene des Individuums angesetzt werden. Diese Politik, zusammen mit dem Ausbau der niederschwelligen Angebote für suchtkranke Menschen, ist massgeblich dafür verantwortlich, dass die Zahl der Drogentodesfälle sowie die Beschaffungskriminalität seit den Platzspitzzeiten deutlich zurückgegangen sind. Damit einhergehend konnte die offene Drogenszene weitgehend zum Verschwinden gebracht werden. Eine wichtige Rolle in der aktuellen Drogenpolitik und insbesondere in der Therapie spielen Substitute wie Methadon und Buprenorphin, die unter medizinischer Kontrolle abgegeben werden und Suchtkranken einen weitgehend geregelten Tagesablauf, vorläufige gesundheitliche Stabilität und im besten Fall eine teilweise soziale Reintegration ermöglichen. Der Weg des geringsten Widerstands Als Institution mit grosser Erfahrung in der Arbeit mit und für Suchtkranke, kommen wir trotz unbestrittener Vorzüge der Drogensubstitution nicht umhin, gerade diesen Aspekt der Viersäulenpolitik kritisch unter die Lupe zu nehmen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Ärzte Süchtigen immer wieder lieber eine Substitution verschreiben, als sie für einen Drogenentzug zu motivieren. Der Grund ist einfach: Die Verschreibung von Substituten ist unkompliziert und für die Ärzte mit weniger Aufwand verbunden als ein Entzug. Und ein Entzug birgt für Patient und Arzt je nach Fall gewisse Risiken. Methadon ist nicht harmlos Methadon ist ein synthetisch hergestelltes Opioid. Was im Zusammenhang mit Methadon oft verschwiegen wird: Auch Methadon macht abhängig. Und ein Methadonentzug ist noch deutlich schwieriger zu vollziehen als ein Heroinentzug. Dass Methadon-Konsumenten ruhig gestellt werden, ist zudem ein Scheinargument. Denn Methadon lässt die erforderlichen Dosen zur Befriedigung der Sucht und damit die Abhängigkeit ansteigen. Oft wird übersehen, dass ein Methadon-Patient zwar wieder in hohem Masse „funktioniert“, aber nach wie vor suchtkrank ist. Methadon hält Menschen mindestens so stark in Abhängigkeit wie andere, illegale Substanzen. Die durch das Methadon erreichte Stabilität kommt einem Halt auf halbem Weg gleich.


Dass Ärzte Süchtigen diese Aspekte des Methadonkonsums verschweigen, ist nicht nachvollziehbar. Dass Ärzte Süchtigen, die einen Ausstieg wagen wollen, davon gar abraten, ist schlicht unhaltbar. Leider aber immer wieder Realität. Gerade bei jüngeren Drogenkonsumenten muss Abstinenz ein Ziel der Therapie bleiben! Denn junge Menschen haben noch ein ganzes Leben vor sich. Es stellt sich die Frage, welche Art von Leben. Eines in Abhängigkeit oder eines in Selbstbestimmung. Wir sind überzeugt, dass bei jungen Menschen die Erlangung der Selbstbestimmung ein gesellschaftliches Anliegen sein muss. Wer drogenabstinent ist, kann für sich selbst Verantwortung übernehmen und seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Methadonabhängigkeit lässt diese Selbstverantwortung nicht zu. Wir glauben, dass nur, wer Substitute wie Methadon abbaut, in ein selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Leben zurückfindet. Eigenverantwortlich statt abhängig Aus christlicher aber auch humanistischer Perspektive muss Abstinenz Ziel jeder Therapie sein: Dass Menschen wieder bei sich sind und entwickeln können, was in ihnen angelegt ist. Um es mit Dostojewski zu sagen: dass Menschen wieder die werden, die Gott mit ihnen gemeint hat. Aus Erfahrung wissen wir, dass nicht alle Süchtigen – je älter sie sind, desto weniger – den Ausstieg schaffen. Daraus eine grundsätzliche Priorisierung der Substitution abzuleiten, ist allerdings falsch. Und finanziell für die Gesellschaft nicht sinnvoll. Denn es gibt genügend Beispiele für geglückte gesellschaftliche Reintegrationen. Menschen, die ihr Leben wieder drogenfrei bestreiten, fallen der Gesellschaft finanziell nicht mehr zur Last, sondern leisten im Gegenteil ihren Beitrag an die soziale Wohlfahrt. Wir bedauern, dass die politische und gesellschaftliche Lage dazu führt, dass abstinenz- und entwicklungsorientierte Angebote zunehmend unter Druck geraten. Falsches Freiheitsverständnis Die Haltung, dass der Konsum von „bewusstseinserweiternden“ Substanzen ein Menschenrecht sei, können wir nicht vertreten. Angesichts des Leids, der Schmerzen, der Zerstörung und der Abhängigkeit, die Drogen und Ersatzstoffe schaffen und die wir in unserer Arbeit täglich antreffen, muss auch Substitution kritisch hinterfragt werden. Selbstverständlich ist jede und jeder frei zu konsumieren, was sie oder er möchte. Wo die Sucht einen Menschen einmal in der Hand hat, kann von Freiheit oder Rechten allerdings keine Rede mehr sein. Diese freiheitliche Sicht ist idealisierend, verharmlosend und irreführend. Cannabis ist nicht harmlos Immer wieder wird behauptet, Cannabis sei harmlos, weil es körperlich nicht abhängig mache. Diese Aussage ist falsch. Die wichtigsten Wirkstoffe in Cannabis-Produkten sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidol (CBD) und rufen, je nach Mischverhältnis und Gehalt, starke psychische und in geringerem Masse körperliche Folgen hervor. Bei häufigem Konsum von Cannabisprodukten besteht die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit bzw. Beeinträchtigung (Angstzustände, Schlaflosigkeit, Realitätsverlust, Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses und der Motivationsfähigkeit). Setzt der Cannabis bei Jugendlichen früh ein, steigt die Gefahr drastisch. Da Cannabisrauch in der Regel tiefer inhaliert und der Rauch länger in der Lunge gehalten wird, sind Joints ebenso schädlich oder schädlicher als Zigaretten. Eine schrankenlose Legalisierung von Cannabis ist unserer Ansicht nach deshalb mit Blick auf die Gesundheit der Konsumenten und damit auch der Folgen für die Gesellschaft und die Gesundheitskosten kein sinnvoller Ansatz. Anbau, Qualität und Handel von Cannabis sind zwingend staatlicher Kontrolle zu unterstellen, und die Kontrollen sind klar geregelt und möglichst umfassend sicherzustellen. Ohne Prävention keine Liberalisierung! Die Drogenprävention ist auszubauen und zum zentralen Element der nationalen Drogenpolitik zu erheben. Keine generelle Legalisierung von Drogen Die SWS anerkennen den Beitrag, den die Substitution und kontrollierte Drogenabgabe zur Eindämmung des Drogenmarkts und zur Dämpfung des Beschaffungsstress‘ von Süchtigen leistet. Wir befürworten Massnahmen zur Entkriminalisierung von Drogenkranken, wo sie der Heilung der Betroffenen zuträglich sind. Wir befürworten Massnahmen, die dem Schwarzmarkt mit illegalen


Substanzen den Nährboden weitest möglich entziehen. Wir wehren uns aber gegen Formen der Freigabe, die zur Verharmlosung des Drogenkonsums – und damit der Folgen für die Betroffenen – führen. Die Sozialwerke Pfarrer Sieber (SWS) bieten Menschen in Not – wie Suchtkranken, Obdachlosen, psychisch und physisch Leidenden, Mittellosen und Heimatlosen – seelsorgerliche, soziale, medizinische und materielle Hilfe an. Unsere Angebote orientieren sich am Konzept „auffangen – betreuen – weiterhelfen“ und haben zum Ziel, Menschen schrittweise in die Gesellschaft zurückzuführen. Die SWS werden dort aktiv, wo andere Netze fehlen. Sie aktualisieren die biblische Botschaft der Nächstenliebe im Blick auf die gesellschaftliche Not. Gegenwärtig arbeiten 170 Mitarbeitende und rund 150 Freiwillige für die SWS. Gegründet wurde die Stiftung 1988. 150310/arb


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.