Unternehmerdialog mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler für die Bayreuther Dialoge 2011

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Wissen. Gewissen. Nichtwissen. Unternehmerdialog



mit Philipp Rösler Philipp Rösler (38) ist seit Mai 2011 Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Vorher war er anderthalb Jahre lang Bundesminister für Gesundheit. Ebenfalls seit Mai 2011 ist er Vizekanzler der Bundesrepublik und Vorsitzender der FDP. Seit 2008 ist er Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Die Fragen stellte Moritz Mihm.

Herr Minister, Sie müssen tagtäglich Entscheidungen fällen, die viele Menschen betreffen. Sie können aber nicht immer alle Details kennen. „Wissen“ klingt eindeutiger als es meist ist. Welcher „Kompass“ hilft ihnen bei Ihren Entscheidungen? Jeder Mensch hat einen Kompass, an dem er sein Handeln ausrichtet. Entscheidend dafür sind eigene Werte, Prägungen aus dem Elternhaus und weltanschauliche Überzeugungen. Auch gesunder Menschenverstand hilft oftmals weiter. Als Bundeswirtschaftsminister denke ich zunächst daran, was hilft den Menschen, was hilft der Wirtschaft. Der Kompass für diese Entscheidungen ist das eindeutige Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.

Oft kann man die Konsequenzen einer Entscheidung nicht vollständig absehen und muss eine ungewisse Zukunft gestalten. Darf das ein Minister überhaupt laut sagen? Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man auf hochkomplexe Fragen nicht sofort eine einfache Antwort parat hat. In unserer globalisierten, hoch technologisierten Welt sind wir mit vielschichtigen Problemen konfrontiert. Vermeintliche Lösungen, die als Schnellschüsse daherkommen, verpuffen schnell. Ich finde, es zeugt vielmehr von Klugheit und Umsicht, wenn man sich bei Fragen von großer Tragweite zunächst ausreichend Bedenkzeit nimmt, bevor man Antworten oder Lösungen gibt.


Ihr Vorschlag, in der Euro-Krise auch eine geordnete Insolvenz von Staaten wie Griechenland zuzulassen, ist ein schönes Beispiel so eines Zwiespalts. Niemand weiß genau, was eine Insolvenz für die Menschen dort und auch hier bedeuten würde. Oder doch? Treffender als „staatliche Insolvenz“ ist der Begriff der „Resolvenzordnung“. Dabei geht es darum, wie ein Staat mit erheblichen strukturellen Problemen wieder auf die Beine kommt. Ziel des Resolvenzverfahrens ist es, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen. Das klingt erstmal kompliziert. Umso bedeutender ist es, den Vorschlag in der Öffentlichkeit immer wieder zu erläutern.

Ist ihr Vorschlag dann eher eine Gewissensentscheidung, als eine Entscheidung, die auf Wissen um einen genauen Sachverhalt und Ablauf basiert?

Schon heute reden in Deutschland alle über den Fachkräftemangel. Welche Bedeutung hat dieser Fachkräftemangel eigentlich für die deutsche Wirtschaft?

Nein. In der Regel können politische Entscheidungen anhand von Fakten entschieden werden. In Fragen der Wirtschaftspolitik sind häufig Zahlen, Prognosen und Gutachten Grundlage von Entscheidungen im Ministerium. Als Parteivorsitzender befasse ich mich allerdings mit einer Vielzahl von Gewissensentscheidungen. Gerade in den vergangenen Jahren wurden Themen wie Patientenverfügung, PID oder embryonale Stammzellen intensiv diskutiert.

Gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entscheiden über die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und den Wohlstand eines Landes. Dies gilt für den Industriestandort Deutschland in besonderem Maße. Umso gravierender ist es, dass immer mehr Unternehmen über Probleme berichten, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Die Engpässe konzentrieren sich bislang auf bestimmte Regionen, Branchen und Berufe. So fehlen insbesondere in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen bereits jetzt 166.300 Fachkräfte. Die Lage


wird sich mit dem fortschreitenden demografischen Wandel weiter verschärfen. Immer weniger junge Menschen kommen auf den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig gelten immer mehr auch junge Menschen als „nicht vermittelbar“. Was tut das Wirtschaftsministerium, um diese Probleme zu lösen? Die Verbesserung der Ausbildungsreife der Jugendlichen ist ein zentrales Anliegen der gesamten Bundesregierung. Sie setzt sich daher im Rahmen ihrer „Qualifizierungsinitiative“ dafür ein, Kinder und Jugendliche von klein auf zu fördern und ältere Erwerbstätige weiterzuqualifizieren. Besonders wichtig ist es, die Quote von Schulabbrüchen sowie von Ausbildungsabbrüchen zu reduzieren.

Im Oktober 2010 haben wir den überaus erfolgreichen Ausbildungspakt um weitere vier Jahre verlängert. Mit den sogenannten „Bildungsketten“ fördern wir darüber hinaus Schülerinnen und Schüler beim Übergang in eine Ausbildung. Auch die Wirtschaft kann selbst zur Fachkräftesicherung beitragen, indem sie zum Beispiel ausbildet und qualifiziert, familienfreundlich aufgestellt ist und inländische und ausländische Fachkräfte strategisch mit ein bezieht. Die Bundesregierung erleichtert die Bedingungen für ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu kommen. Kommt dieser Vorstoß nicht viel zu spät? Sind wir nicht für ausländische Fachkräfte viel weniger attraktiver als Länder wie Dänemark, die die

Einwanderung ausländischer Fachkräfte zusätzlich fördern? Wir stehen im internationalen Wettbewerb um gut qualifizierte Kräfte. Deshalb müssen wir in der Tat rasch handeln, um Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen. Dazu kann auch das Zuwanderungsrecht einen wichtigen Beitrag leisten. Wir brauchen ein deutliches Signal, dass Fachkräfte hier willkommen sind. Ich habe daher vorgeschlagen, die Gehaltsschwelle für eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis von Hochqualifizierten zu senken. Gerade aus der CSU kommen dagegen aber Vorbehalte. Es sei sinnvoller, zunächst die


deutschen Arbeitslosen besser zu qualifizieren. Was entgegnen Sie? Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Selbstverständlich müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, das FachkräftePotenzial in Deutschland zu aktivieren. Das alleine reicht aber nach Aussage aller Experten nicht aus. Welche Bedeutung hat „Wissen“ für die Wirtschaft in einem ansonsten ressourcenarmen Staat wie Deutschland? Der Vorsprung bei Innovationen ist für viele deutsche Unternehmen im Zeitalter globalisierter Märkte der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Innovationen setzen

Wissen und Know-how voraus. Dieses so genannte „intellektuelle Kapital“ trägt in vielen Unternehmen heute bereits mehr zur Wertschöpfung bei als die klassischen Produktionsfaktoren wie Maschinen, Gebäude oder die Betriebsausstattung. Damit wird Wissen zum entscheidenden Standortfaktor für Deutschland. Ihr Haus unterstützt das Projekt Wissensbilanzen. Was ist das Ziel? Mit dem Projekt „Wissensbilanz – Made in Germany“ haben wir uns das Ziel gesetzt, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen zu animieren, sich ihres intellektuellen Kapitals bewusst zu werden, es als Wettbewerbsvorteil zu erkennen und damit

zu arbeiten. Eine Wissensbilanz ergänzt daher auch die klassischen Geschäftsberichte um bisher oftmals vernachlässigte „weiche Faktoren“. Mittlerweile haben rund 1.000 Unternehmen eine Wissensbilanz erstellt – darauf sind wir stolz. Die „Wissensbilanz - Made in Germany“ ist ein Projekt der Initiative „Fit für den Wissenswettbewerb“. Die Initiative – mit ihren annähernd zwanzig Projekten – überführt erprobte Konzepte und Methoden des Wissensmanagements in die Praxis, um vor allem kleine und mittelständische Unternehmen auf ihrem Weg in die Wissensgesellschaft zu unterstützen. Eine Übersicht über alle Projekte und diverse Hilfsmittel finden Sie auf unserer Internetseite www.wissenmanagen.net.



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