Betroffenenbeirat beim Fonds Sexueller Missbrauch Angelika Oetken, Borgmannstraße 4, 12555 Berlin info@ergo-oetken.de 030/6490 4655
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Frau Ministerin Dr. Franziska Giffey Glinkastraße 24 10117 Berlin
Berlin-Köpenick, den 6. April 2020
Offener Brief
Sehr geehrte Frau Ministerin, gerade weil alle Welt jetzt mit der COVID-19-Pandemie beschäftigt ist, wenden wir uns in diesem offenen Brief an Sie persönlich, denn wir durften im persönlichen Kontakt und durch Ihre politische Arbeit den Eindruck gewinnen, dass es Ihnen mit Hilfen für Missbrauchsopfer, wirksamer Prävention und Intervention sehr ernst ist. Als Betroffenenbeirat haben wir das Ergänzende Hilfesystem von Anfang an begleitet, einige unserer Mitglieder waren im Zuge ihrer Mitarbeit beim „Runder Tisch Kindesmissbrauch“ an der Konzeption des Fonds Sexueller Missbrauch beteiligt. Zur Veränderung des Verfahrens haben wir folgende Anregungen: Von außen betrachtet, v.a. im Vergleich mit den Heimkinderfonds und der Stiftung Anerkennung und Hilfe, könnte man auf die Idee kommen, den Fonds Sexueller Missbrauch konzeptionell an diese Systeme anzugleichen und so die Bearbeitung zu vereinfachen. Die Anträge würden dann nach Kriterienkatalogen geprüft, Sachleistungen standardisiert und pauschal genehmigt. Das birgt unserer Einschätzung nach allerdings zwei Risiken: 1. Beim Heimkinderfonds und bei der Stiftung Anerkennung und Hilfe ging man korrekterweise davon aus, die Unterbringung in einer Institution der Fürsorge wie die Kinder- und Jugendhilfe früher hieß, der Psychiatrie oder der Behindertenhilfe habe an sich schon die Lebensperspektive eines Kindes oder Jugendlichen eingeschränkt und schädigende Einflüsse gehabt. In einem Fachartikel ist dieser Umstand als „Eigenstandsschaden“ bezeichnet worden (1). Zwischen den verschiedenen Misshandlungsformen (physisch, psychisch, sexuell und strukturell) wurde in den beiden Hilfesystemen nicht unterschieden. Bei Missbrauchsopfern, v.a. den familiären, sind die Voraussetzungen anders. Selbstverständlich kann, anders als bei der Unterbringung in einem Heim oder einer psychiatrischen Institution, beim Aufwachsen in der Familie nicht per se von schädlichen Wirkungen ausgegangen werden. Missbrauchsopfern wird leider immer noch grundsätzlich so lange unterstellt, sie sagten die Unwahrheit, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das Prinzip der Nullhypothese, die Annahme, es handele sich bei den Berichten von sexuellem Missbrauch um „induzierte Erinnerungen“ wird selbst dann angewandt, wenn es um