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Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken –––––– ––––––––––––– ––––––––– ––– ––– –––––––– –––––––––– Von Rieke Harmsen »Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken«, hackte der Philosoph und Schriftsteller Friedrich Nietzsche im Jahr 1882 auf seiner neu erworbenen »Malling Hansen«-Schreibmaschine. An einem unheilbaren Augenleiden erkrankt und fast blind erhof fte sich Nietzsche von dem Gerät Hilfe und Unterstützung. 400 Mark hatte ihn das Gerät gekostet – fast das Doppelte seiner Professorenpension – und als die Maschine nach drei Jahren endlich in Genua ankam, klagte Nietzsche darüber, sie sei »delicat wie ein kleiner Hund und macht viel Noth«. Das Gerät, erfunden von dem Pastor Rasmus Hans Malling Johan Hansen aus Kopenhagen, seines Zeichens Direktor einer Taubstummenschule, sollte den Benutzern erlauben, »mit den Fingern zu sprechen«. Die Maschine hatte eine gewölbte, schädelartige Tastatur, die einzelnen Buchstaben wurden auf eine Schreibhalbkugel mit viel Kraft übertragen. Der Blick auf das Geschriebene war somit verborgen. Als Nietzsche begann, das drei Kilogramm schwere Gerät in seiner Wohnung in Genua zu benutzen, veränderte er nicht nur seinen Schreibstil, sondern begann auch damit, Gedichte zu verfassen, bei denen Schriftbild und Interpunktion eine wichtige Rolle spielten. Nietzsches erste Typoscript ist ein Brief an seinen Sekretär Heinrich Köselitz in Venedig vom 17. Februar 1882: »GLATTES EIS EIN PARADEIS FÜR DEN DER GUT ZU TANZEN WEISS WILLST DU NICHT AUG UND SINN ERMATTEN LAUF AUCH DEM LICHTE NACH IM SCHATTEN NICHT ZU FREIGEBIG NUR HUNDE SCHEISSEN ZU JEDER STUNDE: LIEBER AUS GANZEM HOLZ EINE FEINDSCHAFT ALS EINE GELEIMTE FREUNDSCHAFT: NOTHDURFT IST BILLIG: GLÜCK IST OHNE PREIS DRUM SITZ ICH STATT AUF GOLD AUF MEINEM STEISS WIE KOMM ICH AM BESTEN DEN BERG HINAN STEIG NUR HINAUF UND DENK NICHT DRAN. AUCH ROST THUT NOTH: SCHARF SEIN IST NICHT GENUG SONST SAGT MAN STETS VON DIR ER IST ZU JUNG.« Sein Sekretär bedankte sich für die »Schriftprobe« und stellte fest: »Sowohl von der Deutlichkeit der Lettern, noch mehr aber von der Kernigkeit der Sprüche war ich sehr überrascht. (...) Vielleicht gewöhnen Sie sich mit diesem Instrument gar eine neue Ausdrucksweise an.« Tatsächlich veränderte Nietzsche in den folgenden Monaten seinen Schreibstil: Er begann, Gedichte zu verfassen, bei denen Schriftbild und Interpunktion eine wichtige Rolle spielten.