RD_kompakt 2 Einsatztaktik

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Rettungsdienst kompakt 2 Einsatztaktik

Band 2

Praxiswissen

P

Achim Hackstein

Einsatztaktik

2., 端berarbeitete Auflage


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© Copyright by Stumpf und Kossendey Verlagsgesellschaft mbH, Edewecht 2011 Umschlagfotos: C. Kemp, M. Leitner Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-938179-96-3 ISBN 978-3-938179-21-5 (Gesamtausgabe)


Band 2

(herausgegeben von Frank Flake und Klaus Runggaldier)

Achim Hackstein

Einsatztaktik 2., Ăźberarbeitete Auflage

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey • Edewecht


Piktogramme

Erl채uterung der Piktogramme

Definition

Tipps

Merke!

Gefahren / Problem

4


Inhalt

Inhaltsverzeichnis 1

Fallstudie 1 1.1 Lagebeschreibung 1.2 Aufgabenstellung

2

3

Führungslehre

9 9 10 11

2.1 Führung – was ist das? 2.2 Führung im Rettungsdienst 2.3 Führungsstile 2.3.1 Kooperativer Führungsstil 2.3.2 Anweisend-straffer Führungsstil 2.3.3 Situatives Führungsverhalten

11 11 14 14 15 16

2.4 Führungssystem 2.4.1 Führungsorganisation 2.42. Führungskräfte im Rettungsdienst 2.4.3 Arbeit in der Örtlichen Einsatzleitung 2.4.4 Führungsmittel 2.4.5 Führungsvorgang 2.4.6 Sichtung

17 18 19 22 25 26 43

Einsatzlehre 3.1 Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte 3.2 Ordnung der Einsatzräume 3.3 Bildung von Einsatzabschnitten

50 50 57 60

5


Inhalt

4

Gefahrenlehre 4.1 4.2 4.3 4.4

5

Gefahren der Einsatzstelle Gefahrenmatrix Verhalten im Einsatz Gefahrgutunfälle im Rettungsdienst 4.4.1 Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Güter 4.4.2 Taktisches Vorgehen

Führungsausbildung 5.1 Einsatzübung 5.2 Planspieltraining

63 63 64 64 76 76 80 84 84 85

6 Checkliste

87

7

89

Fallstudie 2 7.1 Lagebeschreibung 7.2 Aufgabenstellung 7.3 Musterlösung

89 90 91

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Literatur / Abbildungsnachweis

96

Autor / Herausgeber

97

6


Vorwort

Vorwort Mehr als 90% aller rettungs­ dienstlichen Einsätze dienen der Versorgung eines einzel­ nen Notfallpatienten. Sie spielen sich überwiegend im häuslichen Umfeld ab und es stehen dabei internistische Krankheitsbilder im Vorder­ grund. Diese Lage wird im Team »bewältigt«, dafür wurde das Rettungsfachper­ sonal geschult. Aber es sind eben nur 90% der Einsätze. Was ist mit den Restlichen? Hierunter fallen Verkehrs­ unfälle mit Auto und Bahn sowie Einsätze mit der Part­ nerorganisation Feuerwehr in gemeinsamen Lagen. Dafür fehlt uns oft das Rüstzeug, wir haben keine Erfahrungen dazu parat, die uns helfen könnten. Auch die Vorbereitung in den Rettungsdienstschulen ist noch nicht optimal, Einsatz­ taktik findet nur »nebenbei« statt. Doch Medizin hilft uns bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV) wenig, hier sind fundierte taktische Ent­ scheidungen gefragt. Das vorliegende Buch soll interessierten Rettungssani­

tätern, -assistenten oder auch Notärzten nicht nur »Regeln« vermitteln, sondern diese Regeln auch mit Hintergrund­ wissen zu grundsätzlichen Fragestellungen der taktischen Einsatzführung untermauern. Es ersetzt zwar kein Lehr­ buch oder umfangreiche Checklisten – eine solche fin­ den Sie zur eigenen Nutzung auf Seite 87. Dennoch stellt es »Kompakt-Wissen« zur Ver­ fügung und soll Ihnen helfen, scheinbar aussichtslose Situa­ tionen mit Gelassenheit und Kompetenz zu bewältigen. Es soll vor allem die Botschaft transportieren, dass »Medizin ohne Taktik genauso erfolglos ist wie Taktik ohne Medizin«. Claus Kemp, Leiter des Malteser Bildungszentrums in Wetzlar und langjähriger Wegbegleiter hat den Abschnitt zur örtli­ chen Einsatzleitung übernom­ men, dafür auch zur zweiten Auf­lage nochmals vielen Dank. Achim Hackstein Glücksburg, im Juni 2011 7



Lagebeschreibung

1 Fallstudie BAB 1.1 Lagebeschreibung Ein nebeliger Tag im Norden, nahe der dänischen Grenze. In der Kooperativen Regionalleitstelle wird es plötzlich unruhig im Leitraum der Polizei. Gleichzeitig erscheint auf den Monitoren der kommunalen Seite ein Einsatz, der durch die Polizei angenommen wurde. Der Disponent übernimmt den Einsatz und fragt den Notruf, der mitgeschaltet wurde, ab. Leider sind die Informationen nur sehr vage, der Anrufer vor Ort kann aufgrund des Nebels auch nicht viel erkennen. Der Disponent entschließt sich, zunächst nur einen RTW und ein NEF zu alarmieren: »Verkehrsunfall BAB, unklare Anzahl Verletzte, Alarm für RTW und NEF«. Der RTW 50/83-2 ist heute mit Ihnen, einem erfahrenen Rettungsassistenten, und einem »RA in Ausbildung« besetzt. Das Notarzteinsatzfahrzeug fährt ein Rettungsassistent, zwar immer leicht hektisch, aber mit langjähriger Einsatzerfahrung und Qualifikation zum Organisatorischen

Leiter Rettungsdienst, der zugleich auch in die OrgLGruppe des Kreises und in der Freiweilligen Feuerwehr seines Heimatortes eingebunden ist. Als Notärztin ist eine junge engagierte Anästhesis­ tin tätig. Die Fahrzeit zur gemeldeten Unfallstelle beträgt etwa 12 Minuten für beide Fahrzeuge, alle Fahrzeuge fahren über dieselbe Anschlussstelle »Harrislee« der A7 in Fahrtrichtung Flensburg/Hamburg auf die Autobahn. Der Verkehr staut sich bereits bis zur Auffahrt, obwohl bis zur gemeldeten Unfallstelle noch ca. 2,5 km zu fahren sind. Die Sichtweite beträgt etwa 50 bis 60 Meter, leichter Nieselregen hat eingesetzt. RTW und N EF erreichen gleichzeitig den Anfang des Staus, die Unfallstelle beginnt genau unterhalb der »500 m«-Hinweistafel für die nächste Anschlussstelle der Autobahn (A7 Abfahrt Flensburg). Sie sehen vor sich eine nicht überschau9


Aufgabenstellung

bare, in der Dichte des Nebels verschwindende Ansammlung verbeulter und über die gesamte Fahrbahnbreite verteilter Fahrzeuge. Dazwischen stehen Menschen, sie winken und gestikulieren wild, einige knien am Boden, andere schauen in Autos hinein, verletzte Personen sind nicht sofort erkennbar. Der Raum zwischen Stauende und Beginn der Unfallstelle ist sehr eng und eigentlich schon mit den beiden ersten Rettungsmitteln nahezu vollständig ausgefüllt. Noch bevor Sie aussteigen können, kommen Menschen blutüberströmt auf Sie zu und rufen um Hilfe. Im Hintergrund erkennen Sie plötzlich Feuerschein. Den Aussagen der Menschen entnehmen Sie, dass es augenscheinlich auch eingeklemmte Personen und einen brennenden Kleinlaster geben soll. 1.2 Aufgabenstellung Bitte beschreiben Sie die weitere Vorgehensweise und nehmen Sie sich dazu am besten ein Blatt Papier und einen Stift. Machen Sie sich ein Bild von der Lage, vielleicht sogar eine dazu passende 10

Skizze. Übertragen Sie die Lage gedanklich in Ihren persönlichen Einsatzbereich und erarbeiten Sie Ihre individuelle Vorgehensweise. Setzen Sie dazu die Ihnen tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte ein. Diskutieren Sie einmal im Kreise Ihrer Kollegen, wie diese die Lage einschätzen. In den folgenden Kapiteln er fahren Sie erst einmal mehr über die Themen Führungslehre, Einsatztaktik und Gefahrenlehre. Mit diesem Wissen wenden wir uns dann der geschilderten Lage erneut zu.


Führung – was ist das?

2 Führungslehre 2.1 Führung – was ist das? Grundsätzlich wird Führung als richtungweisendes Handeln zum Erreichen eines bestimmten Zieles beschrieben. Sicherlich kann das Militär als Ausgangsbasis verschiedener Führungsphilosophien bezeichnet werden, denn dort wurden von Anfang an große Massen von Menschen mit einem bestimmten Ziel, nämlich eine Schlacht oder den Krieg für sich zu entscheiden, geführt. Zur Führung gehören immer ein Führender und Geführte, wobei in diesem Zusammenhang folgendes Zitat von Antoine de SaintExupéry wichtig erscheint: „Ein Führer, das ist einer, der die anderen unendlich nötig hat.“

Dies sei jedem, der Führung noch immer absolutistisch betrachtet, als Merksatz mitgegeben. Zwar verläuft Führung straff und zielorientiert, jedoch sollte nie vergessen werden, dass es

Menschen sind, die geführt werden. Und diese benötigen, um ihre Tatkraft entfalten zu können, auch bei noch so straffer Führung Entfaltungsfreiräume. Führung bedeutet daher, Ziele vorzugeben, zugleich aber auch zu vertrauen und Verantwortung mit zu delegieren. 2.2 Führung im Rettungsdienst Führung im Rettungsdienst ist – wie Führung in den meis­t en helfenden Berufen – mit einigen Problemen behaftet, wenn sie ohne eindeutig definierte Hierarchie geschieht und nur gelenkt ist vom Willen zu helfen. Wer effizient führen möchte, muss sich diese Probleme bewusst machen. Ansonsten sind Führungs­e rfolge eher unwahrscheinlich und zwischenmenschliche Konflikte vorprogrammiert. Und Konflikte sind für zielgerichtete Führungsabläufe nicht unbedingt förderlich. Führung im Rettungsdienst wird grundsätzlich von zwei Führungs­ situationen geprägt: 11


Führung im Rettungsdienst

1. Bereitschaftssituation, 2. Einsatzsituation. Zwar steht nachfolgend die Führung im Einsatz im Mittelpunkt, jedoch beeinflusst das Miteinander in der Bereitschaftssituation wesentlich die Qualität der Einsatzabwicklung. In der einsatzfreien Zeit an der Rettungswache wird der Grundstein des Vertrauens in die Führungsfähigkeiten des »Einsatzleiters« gelegt. In der Wache ist keine hierarchische Führung notwendig, die vorgegebenen Ziele können als Team erreicht werden. Jeder erfüllt seine Aufgaben möglichst optimal, Führung kann sich in der Regel auf Zielvorgaben, Motivation der Mitarbeiter und Kontrolle beschränken. Steuernd eingreifen muss die Führungskraft nur dann, wenn Abweichungen von den gemeinsam vereinbarten Zielen erkennbar werden. Der Faktor Zeit spielt eine untergeordnete Rolle. Führung im Einsatz findet unter völlig anderen Rahmenbedingungen statt. Der Faktor Zeit spielt oftmals eine wichtige Rolle, das taktische Ziel ist klar abgesteckt, indi12

vidualmedizinisch soll der Patient möglichst optimal stabilisiert und versorgt werden. Anschließend wird er in den meisten Fällen in ein Krankenhaus transportiert. Jeder im Team hat eine definierte Rolle, Führung findet nur im Rahmen kurzer Absprachen statt, ansonsten greifen klar festgelegte Algorithmen. Allerdings ist die beschriebene Form der Führung auf die Behandlung eines einzelnen Patienten ausgerichtet. Kommt es nun zu einer rettungsdienstlichen Großlage, versagen diese angelernten und stark automatisierten Führungsmechanismen in der Regel. Das Ziel besteht jetzt nicht mehr darin, individualmedizinisch vorzugehen, sondern viele einzelne dieser sonst immer autark agierenden Teams zu einem großen Ganzen zusammen­ zuführen. Das taktische Ziel der Rettungsdienstmitarbeiter muss neu definiert werden. Der Mitarbeiter im Rettungsdienst hat meist keine besondere Führungsqualifikation. Da er die meisten Tage des Jahres individualmedizinisch arbeitet, wobei die oben beschriebenen taktischen


Führung im Rettungsdienst

Führung im Rettungsdienst bedeutet: Retter... • sind Individualisten • haben eine hohe medizinische Fachkompetenz • haben eine geringe Führungskompetenz • kennen keine definierten Führungsebenen • verfügen über eine ausgeprägte Diskussionsfreude.

Strategien greifen, ist er übergeordnete Führung nicht gewohnt. Auf Anweisungen »von oben« reagiert er unter Umständen emotional sehr ablehnend, jede Anweisung wird diskutiert. Schnell verzetteln sich der Führende und die Geführten in einer Grundsatzdiskussion über das Pro und Kontra eines Behandlungsraumes oder eines Bereitstellungsraumes für die Rettungsmittel. Und darüber hinaus droht immer die Gefahr, dass Individualmedizin betrieben wird, obwohl andere Handlungsstrategien erforderlich wären. Wenn auch ein Umdenken stattgefunden hat, Rettungsdienstschulen intensivieren z.B. die Planspielausbildung, werden diese Probleme auch zukünftig bestehen bleiben.

Der Führungsverantwortliche muss sich dessen nur bewusst sein, mit Individualentscheidungen rechnen und diesen gezielt und konsequent entgegensteuern. Da aus der geschichtlichen Entwicklung heraus der Rettungsdienst immer ausschließlich für einen Patienten konzipiert war, haben sich Führungsebenen nur zögernd etablieren können. Die Führung im Normaleinsatz hat der höchstqualifizierte Mitarbeiter oder eben der Mitarbeiter, der länger im Rettungsdienst tätig ist. Wird die Lage größer und unübersichtlicher, muss aber eine spezielle Führungsqualifikation greifen, vergleichbar mit einem Gruppenführer, Zugführer oder Führer von Verbänden. Diese Strukturen exis­ tieren z.B. im Katastrophenschutz oder der Feuerwehr, sind aber nur bedingt auf den Rettungsdienst übertragbar. Wesentliche Führungsebenen des Rettungsdienstes sind der Organisatorische Leiter Rettungsdienst (OrgL RD) und der Leitende Notarzt (LNA).

13


Führungsstile

2.3 Führungsstile Gerade im Rettungsdienst erfolgt Führung in ständig wechselnden Situationen, oftmals durch ein und dieselbe Person. Der Wachleiter ist zugleich Rettungsassistent des NEF, gleichzeitig als OrgL RD im Landkreis tätig. Derselbe Mensch muss jetzt in führungstechnisch unterschiedlichen Situationen leiten, wobei auch die Führungsziele völlig unterschiedlich sein können. Diese Tatsache hat zur Folge, dass Führung zu einem schwierigen Unterfangen wird und oftmals die Situationen nicht mehr klar voneinander trennbar sind. Plötzlich wird in der Wache »diktatorisch« angeordnet, man vermutet sich mitten in einem Großschadensfall. Führung in unterschiedlichen Situationen kann nur gelingen, wenn der Führungsstil, die Art und WeiFührungsstile stellen keine Garantie für Führungserfolge dar. Sie beschreiben ein gewisses Führungsverhalten. Wichtig ist aber, dass in diesem Verhalten die Person als Führungskraft auch tatsächlich wiedererkennbar ist. Schauspieler sind schlechte Einsatzführer und Wachleiter, die Maske zerbricht zu leicht. 14

se zu führen, sich der Situation anpassen. Aus der Fülle diskutierter und propagierter Führungsstile werden im Folgenden die zwei Erfolg versprechendsten dargestellt. 2.3.1 Kooperativer Führungsstil Der kooperative Führungsstil wird geprägt durch einen offenen Austausch von Gedanken, Überlegungen, Erfahrungen, Informationen und Meinungen. Diese Form der Führung berücksichtigt in starkem Maße auch • Gefühle, Empfindungen, Wertschätzungen, • Werte, persönliche Überzeugungen, • die Bereitschaft, auf den anderen zu hören, von ihm zu lernen. Die Führungskraft agiert als Vorbild und Prozessgestalter, sie stößt Entwicklungen an und hat eine koordinierende Rolle. Hier sind Menschen mit Charisma und innovativen Gedanken gefragt. Die Mitarbeiter werden zu echten Partnern und dürfen mit-arbeiten. Ziel sollte es sein, dass jeder Mitarbeiter sich in seiner Aufgabe wiederfindet, sich selbst


Führungsstile

entwickeln und seine persönlichen Ziele realisieren kann. Positive persönliche Beziehungen und Vertrauen sind die Basis für eine erfolgreiche Aufgaben­ erledigung.

Die Führungskraft ist kein »Macher«, sondern Vordenker, Motivator und ein Mensch, der sich selbst nicht so wichtig nimmt. Führung erfolgt durch gemeinsame Zielvereinbarungen, und die Informationen fließen ungehindert und vor allem ungefiltert sowohl von oben nach unten als auch umgekehrt. Charakteristisch für diese Form der Führung ist auch, dass Konflikte nicht als störend empfunden werden. In jedem Konflikt liegt die Chance der Veränderung. Er wird daher aufgegriffen und offen angesprochen. Aber: In der Bereitschaftszeit kann der kooperative Führungsstil dazu beitragen, die Motivation der Mitarbeiter zu erhalten. In der Einsatzsitua­ tion ist er nicht anwendbar.

2.3.2 Anweisend-straffer Führungsstil Für die Führungssituation »Einsatz« muss ein Führungsstil gefunden werden, der die besonderen Umstände des Einsatzgeschehens berücksichtigt und trotzdem dem Mitarbeiter eigene Entscheidungsspielräume lässt, in diesem Fall der Einsatzkraft. Wichtig ist auch, dass sich dieses Führungsverhalten auf die Einsatzsituation begrenzt. Im Gegensatz zum kooperativen Führungsstil findet beim anweisend-straffen Führungsstil nur ein begrenzter Gedanken- und Informationsaustausch statt. Es existieren eindeutige Unterstellungsverhältnisse, die einer erkennbaren und zweckdienlichen Hierarchie folgen. Entscheidungen Der anweisend-straffe Führungsstil • ist aufgabenbezogen, • ist auf die Zeit des Notfalleinsatzes beschränkt, • ist nicht Ausdruck persönlicher Machtgelüste, • dient primär dem reibungslosen Einsatzablauf, • schließt die Bemühungen um Ko­operation auch an der Einsatzstelle mit ein. 15


Führungsstile

werden hingenommen und diskussionslos umgesetzt, soweit sie mit sittlichen und ethischen Wertevorstellungen vereinbar sind. Dazu muss die Führungskraft von allen anerkannt sein, sowohl im hierarchischen Unterstellungsverhältnis als auch als Fachmann für die zu bewältigende Einsatzlage. Wichtig ist, dass Aufgaben und die damit verbundenen Ausführungsverantwortungen delegiert werden. Die fachgerechte Durchführung der Aufgabe obliegt der Einsatzkraft selbst. Die klassischen verbalen Kommunikationsmittel zur Durchsetzung von Entscheidungen sind Befehl und Anweisung. Der Gehorsam der Mitarbeiter ist idealerweise nicht erzwungen, sondern Anweisungen werden freiwillig und mit hoher Eigenmotivation umgesetzt. Der anweisend-straffe Führungsstil setzt beim Mitarbeiter Verständnis für die besondere Situation und Vertrauen in die Fähigkeiten der Führungskraft voraus. Dieses Vertrauen lässt sich zu einem großen Teil nur in der Bereitschaftssituation aufbauen. 16

2.3.3 Situatives Führungsverhalten Grundsätzlich bleibt die Tatsache bestehen, dass Führung immer situativ ist und die automatische Anwendung eines erlernten Führungsstils selten zum Erfolg führen wird. Die Führung der Mitarbeiter wird immer dann »richtig« sein, wenn die Aufgabe optimal gelöst wurde und gleichzeitig die Mitarbeiter zufrieden sind. Gerade die Mitarbeiterzufriedenheit ist ein sicherer Gradmesser für optimales und situationsgerechtes Führungsverhalten. Somit werden sich kooperative und anweisend-straffe Führung je nach Führungssitua­ tion abwechseln.

Anweisend-straffer Führungsstil

Entscheidungsspielraum der Führungskraft Entscheidungsspielraum der geführten Gruppe

Kooperativer Führungsstil

Abb. 1: Entscheidungs­spielräume der Führung


Führungssystem

Was sich innerhalb der beiden Führungsstile deutlich verändert, sind die unterschiedlichen Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter und der Führungskraft. Ein Problem wechselnder Führungssitua­ tionen liegt unter Umständen in der Persönlichkeit der Führungskraft. Oftmals gelingt der Wechsel des Führungsstils nicht. So wird z.B. im Rahmen der Bereitschaftsszeit – also in der Rettungswache – genauso hierarchisch und anweisendstraff geführt wie im Einsatz. Oder im Einsatz wird einfach darauf vertraut, dass die Mitarbeiter, die ja jetzt Einsatzkräfte sind, schon wissen, was getan werden muss. Schnell geraten derartige Einsätze außer Kontrolle, schnell stellt sich auf der Rettungswache

ein schlechtes Betriebsklima ein. Wichtig ist es daher zu erkennen, in welcher Führungssituation sich die Führungskraft gerade befindet, und den Führungsstil entsprechend anzupassen. 2.4 Führungssystem Einsatzführung wird von vielen Faktoren beeinflusst. Sie ist keine spontan stattfindende Handlung , Führung muss systematisch und im Rahmen eines immer wieder ablaufenden Prozesses praktiziert werden. Einsatzführung muss organisiert werden, nichts darf dem Zufall überlassen sein – nur so lassen sich Zufälle beherrschen. Denn genau das ist Ziel effizienter Führung: Lageentwicklungen, die aus einer dynamischen Lage

Abb. 2: Führungssystem gemäß DV 100 17


Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte

3 Einsatzlehre Alle bisherigen Führungstheorien werden im Rahmen der Einsatzlehre mit der praktischen Vorgehensweise an der rettungsdienstlichen Einsatzstelle verknüpft, um dem Rettungsfachpersonal so Handlungshinweise mitgeben zu können. Der Einsatz

Einsatzführung ist immer das Führungssystem. 3.1 Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte Unabhängig von der Menge der installier ten Systeme »Organisatorischer Leiter Rettungsdienst« und »Leitender

Abb. 14: Eintreffreihenfolgen

beginnt meist nicht mit dem Eintreffen der Führungskräfte, sondern mit den an diesem Tag auf RTW und NEF Dienst habenden Rettungsdienstmitarbeitern. Darum soll auch die Führungslehre genau hier ansetzen und darauf aufbauend mögliche Führungsstrukturen darstellen. Basis der 50

Notarzt« wird diesen immer anhängig sein, dass sie unter führungstechnischen Gesichtspunkten zu spät an der Einsatzstelle eintreffen und somit nicht frühzeitig aktiv taktisch einwirken können. Ausgehend von einer durchschnittlichen Hilfsfrist von


Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte

15 Minuten werden die ersten Rettungsmittel nach dieser Zeit eintreffen. Handeln die ersten rettungsdienstlichen Einsatzkräfte nach individualmedizinischen Grundsätzen, entsteht bis zum Eintreffen des LNA und des OrgL RD ein führungsfreies Intervall. Zwar sind vereinzelte Patienten optimal versorgt, die Masse der Patienten aber wird unbehandelt, im schlimmsten Fall sogar unerkannt bleiben. Die Entscheidung, von individualmedizinischen Behandlungsgrundsätzen abzuweichen und nach den taktischen Regeln des MANV vorzugehen, muss zügig getroffen werden. Da die wenigsten Kräfte des Rettungsfachpersonals eine fundierte taktische Qualifikation haben, werden nachfolgend fünf grundsätzliche Regeln zur Vorgehensweise in unübersichtlichen rettungsdienstlichen Einsatzlagen basierend auf dem Führungskreis dargestellt: 1. 2. 3. 4. 5.

Noch nicht behandeln, Überblick verschaffen, Rückmeldung geben, Leitung übernehmen, Sichtung/Behandlung.

Regel Nr. 1 Noch nicht behandeln •

keine Individualmedizin

keine vorschnelle Beurteilung

keine Problemverschiebung

taktisch sinnvoll vorgehen

Tab. 8

Keine Individualmedizin zu betreiben, stellt sicher die Basis der weiteren Vorgehensweise dar. Wird diese Entscheidung nicht bewusst getroffen, besteht immer die Gefahr, doch den ersten Patienten zu behandeln, auf den das Team trifft. Da bei einem ersichtlichen MANV keine Behandlung in dieser Phase stattfinden wird, kann das medizinische Equipment im Fahrzeug verbleiben. Die Gefahr in dieser Phase besteht aber dennoch immer darin, durch eine vorschnelle Beurteilung der Lage und bewusste Ausklammerung von Problemen (»Was nicht sein darf, kann auch nicht sein!«) die Lage zu subjektiv 51


Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte

einzuschätzen. Und da jeder Mensch sich unter Stress in seiner Tätigkeit auf das reduziert, was er sicher beherrscht, ist auch weiterhin die Gefahr groß, doch letztlich einzelne Patienten vorschnell behandeln zu wollen. Sie steigt gradlinig mit der Abnahme des Alters der Patienten. Emotionen und der Wunsch, doch helfen zu wollen, werden vielfach übermächtig. Da niemand vollkommen stressfrei in eine solche Lage hineingeht, lohnt es sich, einmal kräftig durchzuatmen und dann aktiv mit der Lagefeststellung zu beginnen. Regel Nr. 2 Überblick verschaffen •

Art und Umfang des Ereignisses

Gibt es sofort erkennbare Gefahren?

Anzahl und Lage der Patienten

Einteilung in schwer und leicht verletzte Patienten

Wo stelle ich die Fahrzeuge auf?

52

Tab. 9

Bei der Lagefeststellung ist besonderer Wert auf die Gefahrenanalyse nach dem Gefahrenschema zu legen. Es werden immer wieder Einsätze bekannt, in denen gerade die ersteintreffenden Rettungsdienstkräfte erkennbare Gefahren einfach übersehen haben. Die emotionale Komponente und die meist mangelnde Er fahrung in derar tigen Lagen führen schnell dazu, nicht alltägliche Gefahren einfach nicht wahrzunehmen. Typisch ist das Übersehen von Warntafeln oder austretenden Subs­ tanzen, das Nichtbeachten beschädigter Fahrdrähte auf Bahnstrecken oder die falsche Einschätzung der Windrichtung bei gemeinsamen Einsätzen mit der Feuerwehr – mit eventueller Beaufschlagung mit Brandrauch, dessen Toxizität wiederum unterschätzt wird. Wie auch im Rahmen der Erkundung im Führungskreis sind die taktischen Parameter zu den Verletzten/Erkrankten zu erkunden, und anschließend oder parallel dazu sollten sich gerade die ersten Rettungsdienstkräfte Gedan-


Regeln für ersteintreffende Rettungsdienstkräfte

ken darüber machen, wo nachfolgende Kräfte aufgestellt werden. Wahrscheinlich ist es zu diesem Zeitpunkt der Lage sinnvoll, einfach in der Lagemeldung einen Bereitstellungsraum zu benennen. Dieser kann ja dann, wenn wirklich erforderlich, in der Fortentwicklung der Lage noch räumlich modifiziert werden. Wichtig ist die Größe des Bereitstellungsraumes. Manchmal eignet sich eine Straße besser als ein Platz, dessen Raum oftmals durch seine Abgrenzungen stark beschränkt ist. Erstrebenswert wäre bereits zu diesem Zeitpunkt, die Trennung der Einsatzräume zwischen Technischer Rettung (THW, Feuerwehr) und Rettungsdienst zu realisieren, wenn dies örtlich und unter Beachtung der Struktur der Einsatzstelle möglich ist. Die Erkundung der Lage (Tab. 8) muss vollständig erfolgen. Es Es kann nur einer entscheiden. Und die Informationen, die der Entscheidungsträger nicht selbst beschafft, gelten als unsichere Informationen.

Regel Nr. 3 Rückmeldung geben •

Was ist passiert?

Welche Gefahren gibt es?

Transportstopp veranlassen

Anzahl, Lage und Art der Patienten

Nachforderungen mit Einsatzstichwort

geplante Raumordnung

Tab. 10

kann überlegt werden, ob die Lageerkundung gemeinsam im Team oder getrennt erfolgt. Hat sich der einsatzführende Rettungsassistent einen Überblick über die Lage verschafft, muss die Leitstelle informiert werden. Wenigstens enthalten sein sollte (sozusagen als minimaler Datensatz), was geschehen ist und welche Gefahren an der Einsatzstelle erkannt wurden. Aus der Anzahl der Verletzten leitet die Leitstelle die notwendigen Nachalarmierungen ab. Wichtig ist auf jeden Fall zu erwähnen, wenn Verletzte nicht zugänglich sind. Sind Personen an meh53


Frank Flake, Klaus Runggaldier (Hrsg.) Band 2

Darauf kommt es beim Massenanfall von Verletzten an: die ersten Minuten nach dem Eintreffen sinnvoll zu gestalten. Kurz und bündig vermittelt dieser Band alles, was Sie über Führungsorganisation und -verhalten, Ordnung der Einsatzräume und Gefahren an der Einsatzstelle wissen müssen – mit Fallstudien.

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Achim Hackstein

Einsatztaktik

2., überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-938179-96-3 · www.skverlag.de


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