FORTBILDUNG
GLEISANLAGEN
Rettungsdiensteinsätze im Bereich von Bahnanlagen: Selten, aber nicht ungefährlich Autor: Alexander Dimitrow Dozent im Rettungsdienst, Werkfeuerwehr Leipzig/Halle Airport, Privatanschrift: Kastanienweg 8, 04435 Radefeld, alexander. dimitrow@gmx.de
Bei dem Gedanken an Unfälle mit Schienenfahrzeugen hat der Großteil der Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Bilder wie das des ICE-Unglücks von Eschede, das sich am 3. Juni 1998 auf der Bahnstrecke Hannover-Hamburg ereignete und bei dem 101 Menschen gestorben sind, vor Augen. Auch beim Unfall von Hordorf in Sachsen-Anhalt am 29. Januar 2011, bei dem ein Güterzug und ein Regional-Express auf einer eingleisigen Schiene ungebremst zusammenprallten, fanden 10 Menschen auf tragische Art und Weise den Tod, weitere 23 wurden zum Teil schwer verletzt.
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ind solche Großunfälle glücklicherweise eher die Seltenheit, gibt es doch immer wieder Einsatzmeldungen, die ein Tätigwerden des Rettungsdienstes im Bereich von Bahnanlagen erforderlich machen. So wurden im Jahr 2008 laut Statistischen Bundesamt insgesamt 540 Unfälle mit Personenschaden, auf dem deutschen Schienennetz registriert, davon 182 mit Todesfolge (Abb. 2). Gleichzeitig zeigt die Statistik aber, dass nicht zuletzt durch moderne Zugsicherungssysteme die Anzahl der Unfälle mit Personenschäden kontinuierlich zurückgeht. Dennoch gilt es zu beachten, dass ein solches Ereignis die Hilfskräfte neben einer entsprechenden Anzahl von Verletzten vor eine Reihe weiterer Probleme stellt. So sind Einsatzstellen auf freier Strecke zum Teil schlecht erreichbar und Einsätze im Bereich von Bahnanlagen mit einer Reihe nicht alltäglicher Gefahren behaftet. Abb. 1: Rettungsdienstmitarbeiter sind nur selten über die besonderen Gefahren auf Bahnanlagen informiert
Während in den Ausbildungsplänen für Einsatz- und Führungskräfte der Feuerwehren, das Thema „Gefahren im Bereich von Gleisanlagen“ durch ein entsprechendes Lehrgangsangebot, schon seit längerem einen festen Platz gefun-
den hat, wird diesem Thema in der Rettungsdienstausbildung nur sehr kurz oder oft gar keine Beachtung geschenkt (Abb. 3). Aufgrund der vielfältigen Gefahren und Besonderheiten, die im Bereich von Gleisanlagen herrschen, sollte jeder Rettungsdienstmitarbeiter mit dem notwendigen Wissen über Verhaltens- und Vorgehensweisen vertraut sein. Diese haben selbstverständlich nicht nur im Bereich von Gleisanlagen der DB AG, sondern in Gleisbereichen aller Eisenbahninfrastrukturunternehmen ihre Gültigkeit. Grundsätzlich sollte der Gleisbereich nur nach Bestätigung der Einstellung des Fahrbetriebs betreten werden, wenn es zur Aufgabenerfüllung des Rettungsteams unabdingbar ist. Neben der im Bereich der Ausbildung verwendeten Gefahrenmatrix sind bei Einsätzen im Gleisbereich folgende besondere Gefahren zu beachten (Abb. 4).
Gefahren durch den Bahnbetrieb Moderne Schienenfahrzeuge sind in der Lage, sehr hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. So legt ein Zug bei 100 km/h rund 28 m pro Sekunde und bei 160 km/h sogar 45 m pro Sekunde zurück. Diese hohen Geschwindigkeiten wirken sich auch entsprechend negativ auf den Bremsweg aus. So benötigen Züge ca. 1.000 m Bremsweg, Züge auf Schnellfahrstrecken sogar bis zu 3.000 m Bremsweg. Erschwerend kommt hinzu, dass Züge spurgebunden sind, d.h. nicht ausweichen können, und sich moderne Züge mit einem sehr geringen Geräuschpegel annähern. In den Wintermonaten werden die Fahrgeräusche aufgrund von Schnee noch einmal zusätzlich stark abgedämpft und das Verlassen des Gefahrenbereiches zum Teil durch Glätte erschwert. Daher sollten Gleise auch nur an gut einsehbaren Stellen rechtwinklig überquert werden, sodass sich die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen nicht zusätzlich in Gefahr bringen. Das Tragen einer geeigneten Warnkleidung sollte für alle eingesetzten Rettungskräfte selbstverständlich sein. Weitere Gefahren bestehen durch den Fahrbetrieb auf benachbarten Gleisen und durch mehrgleisige Bahnanlagen, wie im Bereich von Bahnhöfen mit vielen Weichen, wodurch sich befahrene Gleise für die eingesetzten Rettungskräfte nur schlecht einschätzen lassen. Auch muss im seitlichen Bereich der Gleise mit einer Gefahr durch Sogwirkung gerechnet werden. Hier ist ein Sicherheitsabstand von mindestens 3 m betrachtet von der Gleismitte zu beiden Seiten einzuhalten. Der Abstand von 3 m berücksichtigt Geschwindigkeiten bis 280 km/h (Abb. 5). Bei Geschwindigkeiten von mehr als 280 km/h beträgt der Sicherheitsabstand 3,30 m.
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8 · 2011 I 34. Jahrgang I Rettungsdienst I 758