RETTUNGSDIENST 8/11

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RETTUNGSDIENST

ZUM THEMA

Deeskalation im Einsatz: Über den bewussten Umgang mit Konfliktsituationen Abb. 1: Stress im Einsatz: Nicht immer sind Retter willkommen!

1. das Verhalten des Anderen (z.B. des Patienten), 2. das eigene Verhalten, 3. die Wechselwirkung zwischen Patienten- und eigenem Verhalten.

Mit genau diesen drei Aspekten beschäftigt sich das Dialektisch-Deeskalative-Interaktionsmodell©, nachfolgend kurz DDI© (1) genannt. Hierbei handelt es sich um eine Methode zur Deeskalation von Konflikten, die eine handlungsorientierte Mischung aus Erkenntnissen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen in sich vereint. So werden essentielle Kenntnisse über Aggression aus Medizin, Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik, Theologie, Philosophie und Soziologie in diesem Erklärungsansatz zusammengefasst.

Das Verhalten des Anderen

Autor: Dietmar Böhmer LWL-Institut Warstein (med. Rehabilitation psych. kranker Menschen), Lehrtrainer zur Verhaltensmodifikation, Coach und Personalentwickler, Esus GbR, Jakobistr. 47, 59494 Soest, boehmer@esus.de

Im Rettungsdienst Tätige kennen die Situation: Im Einsatz haben wir es auch mit aggressiven Angehörigen, betrunkenen Patienten oder aufgeregten Opfern zu tun. Nichts geht schnell genug, nichts ist gut genug, wir geraten immer stärker unter Druck, die Situation droht zu eskalieren, Deeskalation ist geboten! Was aber ist Deeskalation eigentlich? Bei Wikipedia heißt es dazu: „Deeskalation bedeutet das Verhindern von Konflikten und sich aufschaukelnden Prozessen, also Rückkopplungen, bzw. Teufelskreise und ist die schwierigste Aufgabe im Konfliktmanagement.“ Wie bleibt man handlungsfähig in solchen Situationen? Gibt es ein Rezept zum Umgang mit Gewalt? Was kann ich tun, um zu deeskalieren? Auf diese und ähnliche Fragen versucht der nachfolgende Artikel Antworten zu geben.

E

s gibt ein schier unerschöpfliches Angebot an so genannten Deeskalationsprogrammen. Die meisten dieser Programme beinhalten die Vermittlung von Kenntnissen zur Aggressionstheorie und schlagen dann in der Folge ein Handlungsmuster vor: „Geraten Sie in Situation X, verhalten Sie sich Y!“ oder vermitteln gar Abwehrtechniken, um sich zu wehren. Allen gängigen Kommunikationstheorien zur Folge gibt es in jeder Situation zumindest drei Aspekte, die auch oder gerade in der Deeskalation Berücksichtigung finden sollten: I 22 I

Platon legte in der Antike drei Regeln fest, die auch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Die erste der drei Regeln scheint in Bezug auf Deeskalation die wichtigste zu sein: „Sei alterozentriert!“ (2) Alterozentriertes Denken beschreibt die Methode, sich in den Anderen hineinversetzen zu können, verstehen zu wollen, wie der Andere denkt, fühlt und handelt. Viele Menschen benutzen hier den Begriff der Empathie, doch alterozentriertes Denken ist viel mehr. Es beinhaltet die Fähigkeit, beim Anderen nicht nur dessen Gefühle und Motive zu erkennen oder zu akzeptieren, sondern auch die sich hieraus ergebenden Handlungen abzuschätzen und sich selbst dann so zu verhalten, dass der Konflikt sich nicht weiter aufschaukelt. So müssen wir in der konkreten Situation eine Annahme entwickeln, worin sich das Verhalten des anderen gründet. Wie ein Verhalten aussieht, ist nicht wichtig, der Schlüssel zur Deeskalation (und damit auch Eigensicherung) besteht nur in der Motivation hinter der Aggression. Sind Sie z.B. mit dem aufgeregten Vater eines verunfallten Kindes konfrontiert, müssen Sie immer auch die Sorge um das Kind auf Seiten des Vaters auffangen oder bedienen können. Sind Sie mit aggressivem Patientenverhalten konfrontiert, wissen Sie darum, dass ein Mensch sich in solch einer Situation möglicherweise fremdbestimmt fühlt und an Ihnen konflikthaft reibt, um sich wieder handlungsfähig zu fühlen. Wie auch immer Ihre Annahme in Bezug auf aggressives Verhalten aussieht, Sie sollten stets versuchen, die Not hinter der Aggression zu bedienen, denn sie ist immer Ausdruck einer fehlenden Alternative. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Andere sich bewusst oder unbewusst aggressiv verhält. Nur wenn wir in der konkreten Situation uns u.U. auch für den aggressiven Anderen auf die Suche nach alternativen 8 · 2011 I 34. Jahrgang I Rettungsdienst I 722


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