Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung

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Harald Karutz Verena Blank-Gorki

Herausgeber Harald Karutz Verena Blank-Gorki

besondere den Auswirkungen des soge-

der

Notfallversorgung,

nannten Konsensusprozesses. Sie berichten

zum anderen eine Würdigung der zentra-

über Forschungsprojekte und -ergebnisse,

len Wegbereiterin der PSNV in Deutsch-

die Angebote, Strukturen und Maßnah-

land – der langjährigen Leiterin des Refe-

men der PSNV maßgeblich beeinflussen.

rats „Psychosoziales Krisenmanagement“

Zugleich schildern sie als Kolleginnen und

im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und

Kollegen Erfahrungen, Verbindendes, Nach-

Katastrophenhilfe Dr. Jutta Helmerichs.

denkliches, Bewegendes und ganz persön-

Psychosozialen

Expertinnen und Experten aus der

liche Begegnungen und bringen Dank und

deutschsprachigen PSNV-Szene widmen

Anerkennung zum Ausdruck für eine weg-

sich in den Fachbeiträgen strukturellen und

weisende Initiatorin der PSNV.

Wege zur PSNV

konzeptionellen Fragestellungen und ins-

Bestandsaufnahme zum Gesamtsys­t em

Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen

Dieses Buch ist zum einen Rückblick und

Harald Karutz · Verena Blank-Gorki (Hrsg.)

Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung

Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen

ISBN 978-3-96461-027-0

Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen www.skverlag.de



Harald Karutz und Verena Blank-Gorki (Hrsg.)

Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen Festschrift für Jutta Helmerichs

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2020


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© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2020 Satz: Bürger Verlag GmbH & Co. KG, Edewecht Umschlagbild: Jean-Philippe Delberghe (Unsplash) Druck: mediaprint solutions GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-96461-027-0


Inhalt Vorwort der Herausgeber Harald Karutz und Verena Blank-Gorki

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Geleitwort Christoph Unger

Nachdenkliches und Persönliches

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Ein Bild statt tausend Worte – das Wirken von Dr. Jutta Helmerichs Mitarbeitende des Referats Psychosoziales K ­ risenmanagement im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

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Die PSNV und ihre Entwicklung – Eindrücke eines Neulings Sebastian Hoppe

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Die „Erfindung“ der Psychosozialen Notfallversorgung – eine persönliche Erinnerung Hanjo von Wietersheim

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Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) der Bundesregierung: Ein Rückblick auf gemeinsam Erreichtes Ralph Tiesler

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Von der NOAH-Verstärkungskraft zur Abteilungsleiterin Miriam Haritz

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Anders als ich dachte – Lerngeschenke in der Notfallseelsorge Erneli Martens

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Szenen wie aus einem Horrorfilm Frank Waterstraat

55

Wir alle sollten uns gut überlegen, worin wir unsere kostbare, endliche Lebenszeit investieren … Peter Zehentner

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Konzepte und Strukturen

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Die Psychosoziale Notfallversorgung – tief verankert und verwurzelt Marion Menzel

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Zehn Jahre Konsensuskonferenz: Eine (selbst-)kritische Betrachtung des Erreichten Michael Steil

70

„Ich möchte gern in der PSNV mitmachen“ – vom ersten Gedanken bis zur aktiven Mitarbeit Sören Petry, Clivia Langer und Reiner Fleischmann

80

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Qualifizierung Ehrenamtlicher für den Einsatz in Kriseninterventionsteams des DRK Sandra Bergmann

85

Notfallseelsorge – ein Angebot der Kirchen Ralf Radix, Uwe Rieske und Kurt Grützner

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Wie viel Religion steckt in der PSNV, wie viel Religionssensibilität braucht die PSNV? Thomas Zippert

96

Von der Psychosozialen Notfallversorgung zur Katastrophennachsorge – wie mittel- und langfristige Nachsorge gelingen können Joachim Müller-Lange

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Katastrophen-Nachsorge in einer Schicksalsgemeinschaft Sybille Jatzko

118

Vom Einzelnen und den Knotenpunkten: Netzwerke als Grundlage einer guten psychosozialen Versorgung Justus Münster

125

Die Frage nach bundesweit einheitlicher Kennzeichnung für PSNV-Einsatzkräfte: Ein Fall für die Länderübergreifende Facharbeitsgruppe PSNV Heiko Fischer

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Psychosoziale Notfallversorgung in Österreich: Rückblick und Ausblick Barbara Juen, Dietmar Kratzer und Monika Stickler

6

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Forschung

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Der Einzug gesundheitswissenschaftlicher Perspektiven in der PSNV Irmtraud Beerlage, Dagmar Arndt, Thomas Hering und Silke Springer

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Prävention von tätigkeitsbedingten Traumafolgestörungen – Rückblick und Ausblick Marion Koll-Krüsmann und Andreas Müller-Cyran

170

Das diverse Ganze sehen – interkulturelle Aspekte im Bevölkerungsschutz Silke Schmidt und Christian Hannig

183

Aus der Praxis – mit der Wissenschaft – für die Praxis: Ausbildung von Führungskräften PSNV evaluieren Gesine Hofinger, Mareike Mähler, Laura Künzer und Robert Zinke

190

Psychosoziale Notfallversorgung für Kinder und Jugendliche: Vom einfachen Regelwerk zu einem multiprofessionell-systemischen ­Hilfeleistungskonzept Harald Karutz

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Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz – ein Thema für die Forschung?! Olaf Neumann und Vincenz Leuschner

Nachwort und Ausblick

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Harald Karutz

Publikationen Jutta Helmerichs

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Vorwort der Herausgeber

Harald Karutz und Verena Blank-Gorki Prof. Dr. phil. Harald Karutz hat Erziehungswissenschaft, Germanistik, Psychologie und evangelische Theologie studiert und ist Diplom-Pädagoge, Notfallsanitäter, Notfallseelsorger sowie Feuerwehrmann. Von 2008 bis 2010 war Harald Karutz im Referat „Psychosoziales Krisenmanagement“ des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe tätig, bevor er als Professor für Notfall- und Rettungsmanagement berufen worden ist. Aktuell ist er u. a. Studiengangsleiter, Fakultätsrat und Vertrauensdozent an der MSH Medical School Hamburg. Außerdem ist Harald Karutz Autor zahlreicher Fachpublikationen, Lehrbeauftragter der Universität Bonn und Dozent an der Deutschen Psychologen Akademie in Berlin.

Dipl.-Sozialwissenschaftlerin Verena Blank-Gorki war von 2007 bis 2015 im Referat „Psychosoziales Krisenmanagement“ des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe tätig. Bis 2015 war sie dort vor allem für verschiedene Bereiche der Qualitätssicherung und Forschung zur Psychosozialen Notfallversorgung zuständig. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bonn forschte Frau Blank-Gorki anschließend zu Fragen des „Wissensmanagements im Bevölkerungsschutz“. Zudem leitete sie die Akademie für Krisenintervention beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in München. Von 2016 bis 2020 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Kind und Katastrophe“ an der MSH Medical School Hamburg. Aktuell ist Verena Blank-Gorki wissenschaftliche Mitarbeiterin der AETAS- Kinderstiftung in München. Darüber hinaus ist sie Lehrbeauftragte der Universität Bonn.

Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich und etwas Besonderes. Es enthält sehr verschiedene Beiträge, in denen auf die Genese der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) zurückgeblickt und eine kritische Bestandsaufnahme vorgenommen wird. Zugleich sind die Ausführungen einer Person gewidmet, ohne die es das Gesamtsystem der PSNV in Deutschland sicherlich nicht in der heutigen Form geben würde. Einerseits stellt das Buch somit eine Würdigung des nationalen PSNV-Konsensusprozesses

dar, der vor genau zehn Jahren abgeschlossen worden ist. Andererseits werden mit diesem Buch Dank, Respekt und Anerkennung für die besonderen Verdienste von Frau Dr. Jutta Helmerichs zum Ausdruck gebracht. Dr. Jutta Helmerichs ist für die vielfältigen Entwicklungen im weiten Feld der PSNV sicherlich nicht allein verantwortlich. Praktiker aus dem Einsatzwesen, Wissenschaftler, Angehörige zahlreicher Fachgesellschaften sowie nicht zuletzt auch berufsständische Vertreterinnen und Ver-

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treter haben in den letzten Jahren allesamt mit enormem Engagement dazu beigetragen, dass den von Unglücken, Krisen und Katastrophen direkt oder indirekt betroffenen Menschen Psychische Erste Hilfe und Psychosoziale Akuthilfe geleistet werden kann – und dass darüber hinaus weiterführende Versorgungsangebote zur Verfügung stehen, die mittel- und langfristige Unterstützung bieten. Dr. Jutta Helmerichs ist aber zweifellos eine der zentralen Wegbereiterinnen für die PSNV in Deutschland: Mit ihrer langjährigen, von unermüdlichem Tatendrang geprägten Leitung des Referats „Psychosoziales Krisenmanagement“ im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass ein völlig neues Handlungsfeld nicht einfach beliebig bereitet wurde, sondern auch Strukturen geschaffen und auf einem hohen fachlichen Niveau Prozesse der Qualitätssicherung etabliert worden sind. In wenigen Monaten wird Frau Dr. Helmerichs in den verdienten Ruhestand verabschiedet. Aus diesem Anlass haben sich Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen sowie langjährige Weggefährtinnen und Weggefährten nun zusammengefunden, um diese Festschrift vorzulegen. Die Beiträge in diesem Buch sind auf einen Aufruf der Herausgeber hin geschrieben worden, der – von formellen Regelungen für die Manuskriptgestaltung einmal abgesehen – nahezu keine Vorgaben enthielt. Nur auf zwei Kriterien haben wir Wert gelegt: Zum einen sollten selbstverständlich fachliche Aspekte der PSNV thematisiert werden. Zum anderen haben wir uns gewünscht, dass aus diesem besonderen Anlass gern auch über Persönliches berichtet werden möge: über Erfahrungen, Verbindendes, Nachdenkliches, Bewegendes, Kritisches und ganz individuelle Betrachtungen, die durchaus auch für einen größeren Leserkreis interessant sein können. Die zahlreichen Autoren – ein Großteil der PSNV-Szene im deutschsprachigen Raum ist in diesem Band vertreten – sind diesem Aufruf in unterschiedlicher Weise gefolgt. So enthalten die folgenden Seiten Beiträge in drei Kategorien: Dem ersten Abschnitt haben wir besonders persönliche Ausführungen zugeordnet: Kolleginnen und Kollegen erinnern sich an Begegnungen, Wahrneh-

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mungen und Entwicklungen aus ihrer Sicht, und sie zeichnen auf diese Weise in ungewöhnlicher, aber überaus spannender Weise nach, wie sich die PSNV in Deutschland – und mit ihr ein komplexes Beziehungsgeflecht – entwickelt hat. Im zweiten Abschnitt finden sich Beiträge, in denen strukturellen und konzeptionellen Fragestellungen nachgegangen wird. Insbesondere geht es dabei um die Auswirkungen des Konsensusprozesses zur PSNV, der in den Jahren von 2007 bis 2010 vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe moderiert worden ist. Aber auch die Ausbildung von PSNV-Kräften, die Gestaltung langfristiger Nachsorgeangebote, internationale Bezüge sowie die Bedeutung von Netzwerken werden in diesen Kapiteln thematisiert. Im dritten Abschnitt dieses Bandes berichten Wissenschaftler schließlich über Forschung im Kontext der PSNV, d. h. über abgeschlossene und laufende Projekte, deren Ergebnisse in den letzten Jahren ebenfalls sehr wesentlich dazu beigetragen haben, Maßnahmen, Angebote, Strukturen und Akteure so zu etablieren, wie es eben geschehen ist. In fast allen Beiträgen finden sich sehr persönliche Hinweise und Stellungnahmen. Die individuellen Stile und Darstellungsformen der einzelnen Autoren haben wir daher auch ganz bewusst nicht „geglättet“ oder vereinheitlicht: Sie verdeutlichen, bei allen berechtigten und erforderlichen Standardisierungsbestrebungen, letztlich die Vielfalt der PSNV sowie den Facettenreichtum dieser noch immer in einem dynamischen Entwicklungsprozess befindlichen Domain. Manche Redundanzen haben sich auf diese Weise auch nicht gänzlich vermeiden lassen – aber so steht letztlich jeder Beitrag für sich und kann auch als solcher gelesen werden. Ohnehin soll darauf hingewiesen werden, dass jeder Beitrag ausschließlich von den jeweiligen Autoren verantwortet wird. Gleichwohl ergibt sich – durch die Zusammenfügung in diesem Sammelband – sehr wohl auch ein orientierender Gesamtüberblick über den Status quo der PSNV in Deutschland. Allen Leserinnen und Lesern dieses Buches ­wünschen wir eine anregende und bereichernde Lektüre! Harald Karutz und Verena Blank-Gorki


Geleitwort

Christoph Unger Christoph Unger, Jahrgang 1958, hat nach einer Offiziersausbildung bei der Bundeswehr und einigen Jahren als Soldat auf Zeit an der Freien Universität zu Berlin und an der Universität Hannover Jura studiert. Im Anschluss an eine Tätigkeit am Verwaltungsgericht Braunschweig wurde er 1987 parlamentarischer Referent im Niedersächsischen Landtag, 1994 Referent im Niedersächsischen Innenministerium und 1998 Leiter des Ministerbüros und Referatsgruppenleiter für Sport, Haushalt, Kabinett und Glücksspiel im Niedersächsischen Innenministerium. 2003 übernahm er die Leitung des Referats Katastrophenschutz im Niedersächsischen Innenministerium und war von 2004 bis 2020 Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Der Name „Jutta Helmerichs“ begegnete mir zum ersten Mal bereits im Jahr 1998: Bei Eschede war ein ICE entgleist, es gab viele Tote und Verletzte. Die Einsatzkräfte mussten eine schwierige und belastende Lage bewältigen. Im Innenministerium in Hannover, in dem ich damals tätig war, machten bald Berichte die Runde, wonach vor Ort eine Frau mit ihren neuen Ideen über Betreuung und Nachsorge der Einsatzkräfte für viel Wirbel sorgen würde. Und natürlich ging es auch um personelle und finanzielle Ressourcen – aber ich vermochte das Thema in seiner ganzen Bedeutung damals nicht einzuordnen. Gut sechs Jahre später wurde ich dann Präsident des BBK und begegnete Jutta Helmerichs leibhaftig, zum einen der Person, dann aber am 26. Dezember 2004 mit der gesamten Wucht und Bedeutung des sie antreibenden Themas: Der Tsunami hatte in Südostasien Tausende das Leben gekostet, darunter auch viele deutsche Urlauberinnen und Urlauber. Innerhalb weniger Tage, ja schon fast Stunden, wurden in der noch jungen Behörde, in der nun auch die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) ihren Platz gefunden hatte, eine besondere Aufbauorganisation gebildet, personelle Verstärkungen – fast 90 interne und externe

Verstärkungskräfte – organisiert und zusätzliche Ausstattung – vom Rechner bis zur Verpflegung – beschafft. In den folgenden Wochen und Monaten hat NOAH dann unter Leitung von Jutta Helmerichs sehr vielen Betroffenen geholfen. Ich habe in der Zeit einen großen Fehler gemacht: Ich bin in der Akutphase selbst an ein Telefon gegangen und habe den Anruf eines verzweifelten Angehörigen entgegengenommen. Seit diesem Tag habe ich die größte Hochachtung vor den Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Aufgabe immer wieder stellen – und das sind im BBK allein jährlich Dutzende von Einsätzen. Neben diesen Einsätzen und unter Berücksichtigung der gewonnenen Erfahrungen hat das von Jutta Helmerichs geleitete Referat die Psycho­ soziale Notfallversorgung in Deutschland optimiert, Qualitätsstandards entwickelt, darüber einen Konsens herbeigeführt und letztlich die Opfer- und Angehörigenhilfe sowie die Einsatznachsorge zu dem gemacht, was diese heute sind: anerkannt und unverzichtbar im Bevölkerungsschutz. Bei der Durchsetzung ihrer fachlichen Vorstellungen ist Jutta Helmerichs immer konsequent und eindeutig – und sie lässt dabei keine Ruhe. Wahrscheinlich fühlt sich der eine oder andere Ministeriale wieder so unter Druck

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gesetzt, wie wir das damals im Innenministerium in Hannover waren. Aber die lange Liste der mehrere Hundert umfassende Ereignisse, bei denen NOAH, das Referat und letztlich das BBK erfolgreich Menschen geholfen haben – die Abstürze der Maschinen von Germanwings oder Air France, die Anschläge von Paris, Istanbul, Barcelona, der Untergang der Costa Concordia und viele andere – zeigt, wie wichtig diese Aufgabe ist und dass man an der Qualität ihrer Erfüllung keine Abstriche machen darf. Jutta Helmerichs stand und steht für diese hohen Ansprüche. Als Präsident des BBK war ich stets stolz und dankbar, dass wir als Gesamt­ behörde diese Aufgabe wahrnehmen konnten. Möglich gemacht hat dies Jutta Helmerichs.

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Ein Bild statt tausend Worte – das Wirken von Dr. Jutta Helmerichs Mitarbeitende des Referats Psychosoziales ­Krisenmanagement im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Das Referat Psychosoziales Krisenmanagement (PsychKM) entstand im Jahr 2002 als Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) in der Vorgängerbehörde des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Bei Errichtung des BBK im Jahr 2004 wurde die Koordinierungsstelle NOAH in das neue Referat Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) eingegliedert. Im Oktober 2014 erfolgte die Umbenennung des Referats in Psychosoziales Krisenmanagement (PsychKM). Im Referat PsychKM arbeiten unter der Leitung von Dr. Jutta Helmerichs derzeit neun Kolleginnen und Kollegen aus den Disziplinen Psychologie, Pädagogik, Sozialwissenschaften/ Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Theologie, Rettungsingenieurwesen, Trauerbegleitung, Katastrophenvorsorge und -management sowie Verwaltung.

Illustration: M. Klar

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Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, dass in der vorliegenden Festschrift ausgerechnet der Beitrag des Referats Psychosoziales Krisenmanagement des BBK, dessen Mitarbeitende nicht müde werden, die Wichtigkeit des gesprochenen, aber auch des geschriebenen Wortes zu betonen, nicht durch einen Fließtext, sondern durch eine Zeichnung gestaltet ist. Manchmal sagt ein Bild aber eben doch mehr als tausend Worte. Und so entstand die Idee, das Wirken unserer Referatsleiterin im BBK in einer Zeichnung darzustellen. Aber auch wenn die Kompetenzen innerhalb des Referates – bedingt durch die Personalauswahl der Chefin – bewusst sehr vielfältig sind, haben wir uns für diese Aufgabe mit Mike Klar einen Profi mit an Bord geholt. Mike Klar hat schon verschiedene Veranstaltungen des BBK als Livezeichner begleitet. Er hat Kommunikationsdesign an der Bauhaus-Universität Weimar sowie Kunsttherapie in Berlin-Weißensee studiert und arbeitet in einer psychiatrischen Klinik mit Erwachsenen und freiberuflich als Illustrator und Livezeichner. In einer gemeinsamen Sitzung aller Mitarbeitenden des Referats PsychKM mit dem Livezeichner im Mai 2019 wurde von allen Anwesenden frei zum Themenfeld „Dr. Helmerichs“ assoziiert. Viele Stichworte und Gedanken schwirrten dabei durch den Raum: PSNV, Konsensusprozess, der Tsunami von 2004, Interkulturelle Kompetenz, Humor … Das Ergebnis ist eine zeichnerische Hommage an die Arbeit von Dr. Jutta Helmerichs im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – im Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Praxis und mit einem wehmütigen Blick aus dem „provinziellen“ Bonn in die Hauptstadt Berlin.

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Die PSNV und ihre Entwicklung – Eindrücke eines Neulings

Sebastian Hoppe Sebastian Hoppe hat in Berlin Psychologie studiert und dort im Institut für Traumatherapie Oliver Schubbe gearbeitet. Seine Master-Arbeit zum Thema PSNV brachte ihm das Themengebiet ebenso näher wie ein Praktikum im Referat „Psychosoziales Krisenmanagement“ des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Seit 2019 schreibt Sebastian Hoppe seine Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu Fragen der Wirksamkeit der Psychosozialen Notfallversorgung für Betroffene (PSNV-B).

Eine Annäherung an die PSNV Herbst 2015. Ich sah im Fernsehen eine Dokumentation über einen Hamburger Kriseninterventionshelfer (Papenbroock, 2014). Er stehe Menschen bei, so wurde erklärt, denen unmittelbar zuvor etwas Schlimmes zugestoßen sei. Mir war das neu: Nie zuvor war ich diesem Thema über den Weg gelaufen, auch nicht in meinem Psychologiestudium. Den Begriff Krisenintervention hatte ich bisher nur aus psychotherapeutischen Kontexten gekannt. Was ich in dieser Dokumentation sah und hörte, sprach mich aber sofort an: Es leuchtete mir ein, Menschen nach sehr belastenden Ereignissen zur Seite zu stehen und sie, so gut wie eben möglich, ein klein wenig zu unterstützen. Und so fing ich an zu recherchieren. Ich war zu dem Zeitpunkt auf der Suche nach Inspiration für die Planung meiner Master-Arbeit – das Thema dafür, so merkte ich immer mehr, hatte ich gerade gefunden. Doch worum ging es hierbei eigentlich genau? Ich lernte, dass Kriseninterventionsteams, wie ich in der Fernsehdokumentation eines kennengelernt hatte, nur ein Teil eines viel größeren Ganzen waren. Da waren auch sogenannte Notfallseelsorgeteams, die sehr ähnlich und doch nicht identisch arbeiteten. Und da war der Begriff PSNV, Psychosoziale Notfallversorgung – B und E, für Betroffene und für Einsatzkräfte.

Von der Arbeitsweise der Kriseninterventionsund Notfallseelsorgeteams hatte ich – zumindest vordergründig – relativ zügig eine erste Vorstellung. Meiner Recherche nach ließen sich mehrere Merkmale des Arbeitsfeldes benennen: Auf struktureller Ebene kennzeichnend sind zunächst die zeitliche Nähe des PSNV-Einsatzes zu dem die Belastung auslösenden Ereignis, die sogenannte Geh-Struktur (das PSNV-Team „geht“ zum Ort des Geschehens bzw. zum aktuellen Aufenthaltsort der zu betreuenden Personen und nicht umgekehrt, wie es etwa in psychotherapeutischen Kontexten der Fall ist) und der Umstand, dass es sich um ein einmaliges Betreuungsangebot handelt, das abgelehnt werden kann und darf. Inhaltlich schien mir das Arbeitsfeld besonders dadurch charakterisiert, dass eine menschliche Begegnung ermöglicht werden soll: Auch wenn eine fachliche Ausbildung als Grundgerüst für den Einsatz eminent wichtig ist, führen Teams der Krisenintervention und Notfallseelsorge keine Psychotherapie durch. Es steht „einfach“ das zwischenmenschliche Da-Sein für die betroffene Person im Mittelpunkt. Denn während die Kräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst andere Einsatzschwerpunkte haben und bald wieder abrücken (müssen), bringt das PSNV-Team Zeit mit und ist ausschließlich für die im Sinne der PSNV betroffenen Personen da. Von außen betrachtet mag in zahlreichen PSNV-Ein-

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sätzen nicht sonderlich viel geschehen, doch der Wert der PSNV definiert sich nicht in erster Linie über seine äußere Sichtbarkeit. Deutlich länger dauerte es, bis ich ein Verständnis für das Gesamtkonstrukt entwickelt hatte, das unter dem Begriff PSNV subsumiert wird. PSNV-B auf der einen Seite, mit Psychischer Erster Hilfe durch Einsatzkräfte, Psychosozialer Akuthilfe durch Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams, und dann aber auch längerfristigen Psychosozialen Hilfen, je nach Form, Ausprägung und Verlauf der Belastung. Gehörte also etwa eine Psychotherapie auch noch zur PSNV, fragte ich mich. Weshalb war mir dieses Thema dann nicht in meinem Studium begegnet? Gleichzeitig schien mir der Begriff der PSNV oftmals synonym für den (Teil-)Bereich der Psychosozialen Akuthilfe verwendet zu werden. PSNV also doch eher als Begriff für die Akutphase? Bei PSNV-E stand ich lange „auf dem Schlauch“. Es dauerte bis zu meinem ersten Experteninterview im Rahmen meiner Master-Arbeit, bis ich verstand, dass PSNV-E etwas anderes ist als Supervision für Mitarbeiter von Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams und dass PSNV-E und PSNV-B sich schon konzeptionell unterscheiden und genau genommen kein Notfallseelsorge- und Kriseninterventionsteam für den Bereich E zuständig bzw. überhaupt qualifiziert ist (ich sollte später erfahren, dass diese Grenzen in der Praxis teils auch zu verschwimmen drohen). Der Umstand, dass „Prävention“ auch nach dem belastenden Ereignis bzw. Einsatz noch stattfinden kann, erschien mir erst paradox – bis ich verstand, dass der Bezugspunkt für den Präventionsbegriff nicht das Ereignis bzw. der Einsatz ist, sondern die mögliche Traumafolgestörung, die per Definition erst Wochen später diagnostiziert werden kann (Dilling et al., 2011). Schon bald lag mein Fokus wieder auf dem Bereich PSNV-B. Nachdem ich nun eine erste Vorstellung von Aufgabenfeld und Arbeitsweise hatte, recherchierte ich, wie Kriseninterventionsund Notfallseelsorgeteams überhaupt entstanden waren. Ich stieß auf unterschiedliche Narrative dazu, wo, durch welchen Anlass und durch wen sich erste Teams formiert hatten. Es galt, so schien mir, zu unterscheiden zwischen Unterstützungsangeboten bei einzelnen (Groß-)Schadenslagen auf der einen Seite (wie beispielsweise dem Gruben-

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unglück von Borken im Juni 1988 oder wenig später dem Flugschau-Unglück von Ramstein), und der Gründung und dem strukturierten Aufbau einzelner Teams auf der anderen Seite. Für den Bereich Krisenintervention ließ sich schnell eine Art Ursprung recherchieren: 1994 in München, nach mehrjährigem Darauf-Hinarbeiten und ausgelöst durch eine Defiziterfahrung während eines Rettungsdiensteinsatzes, bei dem die körperlich unverletzten Betroffenen strukturell durch das Raster gefallen waren. In Bezug auf das Feld der Notfallseelsorge schien dieser Ursprung weniger eindeutig zu sein. Ging die Notfallseelsorge doch sukzessive aus der allgemeineren Seelsorge hervor und wuchsen hier nach und nach erst gänzlich improvisierte, später zunehmend strukturierte Unterstützungsangebote für Menschen in akuter seelischer Not. Während ich mehr und mehr über die Entstehung und Entwicklung der PSNV erfuhr, drängte sich eine Feststellung ganz von selbst auf und zog sich wie ein roter Faden durch die Recherche: Die PSNV wurde maßgeblich geprägt durch einzelne Persönlichkeiten – und durch Katastrophen. Persönlichkeiten, die mit viel Engagement und unter großem persönlichem Einsatz Pionierarbeit leisteten, nicht ohne dabei gegen mehr oder weniger ausgeprägte Widerstände kämpfen zu müssen, und Katastrophen, die Versorgungsdefizite offenlegten und zugleich Auslöser dafür waren, dass mancherorts gewissermaßen aus dem Stand Strukturen aufgebaut wurden, die es zuvor noch niemals so gegeben hatte. Dies mag für ein Fachgebiet innerhalb der Notfallversorgung unausweichlich sein, schließlich lassen sich Versorgungskonzepte für Einsätze nach katastrophalen Schadensereignissen wie dem ICE-Unglück von Eschede 1998 kaum komplett am Reißbrett entwerfen – hatte ein Unglück dieser Dimension damals ohnehin kaum jemand für möglich gehalten: „Es liegt im Wesen einer Katastrophe, dass sie in Entstehung, Verlauf, Dynamik und Ausdehnung nicht nur nicht planbar, sondern auch nicht ‚denkbar‘ ist. Bevor nicht ein ICE westlich von Eschede mit einem Brückenkopf kollidierte, waren die real eingetretenen Folgen dieses Unfalls im Vorhinein nicht ausdenkbar“ (Müller-Cyran, 2010, S. 28, Anführungszeichen im Original). Doch auch in anderer Weise offenbaren sich größere Schadenslagen als Entwicklungsmöglich-


keit für die PSNV – so zynisch das auch klingen mag. Ein Satz, den ich (und sicher auch eine Vielzahl der Leserinnen und Leser) in der Zeitspanne der Auseinandersetzung mit PSNV schon mehrfach gehört und selbst gedacht habe, lautet: In vielen Fällen muss erst etwas passieren, damit sich wirklich etwas tut. Dieser Zusammenhang mag logisch sein, doch die Erkenntnis ist bitter. Es scheinen nach großen Schadenslagen beinahe automatisch „günstige Zeitfenster“ zu entstehen, um Themen in Politik und Gesellschaft zu platzieren. Das galt sicher schon damals, Ende der 80er wie auch während der 90er Jahre, und es gilt bis heute. Großschadenslagen verschieben den Fokus der Öffentlichkeit und damit auch den Handlungsdruck politischer Akteure für begrenzte Zeit auf Fachgebiete wie das der PSNV, bevor die Allgemeinheit wieder zur Tagesordnung übergeht und andere Themen wichtiger erscheinen. Und doch, so lernte ich bei meiner Recherche weiter, fand der vielleicht umfassendste Entwicklungsprozess für die PSNV nicht etwa im Rahmen oder in unmittelbarer Folge einer Schadenslage statt. Der vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ausgerichtete und moderierte Konsensus-Prozess (2007 – 2010) brachte die Institutionen und Organisationen der PSNV nicht nur im übertragenen Sinne an einen Tisch. Es wurden Leitlinien entwickelt und formuliert, die PSNV definieren und Qualitätsstandards benennen. Wenige Monate, nachdem ich erstmals vom Konsensus-Prozess gelesen hatte, saß ich im Rahmen eines Interviews für meine Master-Arbeit Jutta Helmerichs im BBK gegenüber und legte ihr einen Zettel vor, auf dem ich die Struktur der PSNV grafisch abgebildet hatte. Es war eine unübersichtliche Ansammlung von Begriffen wie Koordinierungsstelle PSNV, Landeszentralstelle PSNV, Leiter PSNV und Multiplikatoren, Arbeitsgemeinschaft PSNV und Netzwerktreffen PSNV. Ich hatte versucht abzubilden, welche Strukturen, Gremien und Positionen auf welcher Ebene (z. B. auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene) anzusiedeln sind. Es stellte sich heraus, dass nicht alles falsch war, was ich aufgemalt hatte – immerhin. Vor allem aber begriff ich mehr als vorher, wie viel Struktur und Tiefe sich hinter diesem Begriff der Psychosozialen Notfallversorgung verbirgt – und auch, dass sich viel von dem, was u. a.

im Rahmen des Konsensus-Prozesses schon vor einigen Jahren auf dem Papier formuliert worden war (BBK, 2011), in der Praxis erst nach und nach abbildete. Dies mag zum Teil daran liegen, dass einzelne Akteure im eigenen PSNV-Umfeld keinen Bedarf zur Veränderung sehen wollen: Hier klappe es schließlich auch so (ohne neu gedachte Strukturen) und manches habe man doch schon immer auf eine bestimmte Weise getan (eine in Bezug auf ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal drei Jahrzehnte altes Fachgebiet interessante Aussage). Zum anderen lag und liegt die mancherorts offenbare Diskrepanz zwischen theoretischen Konzepten und ihrer praktischen Umsetzung auch in der Natur eines überwiegend im Bereich des Ehrenamts angesiedelten Gebietes. Zweifellos bedarf es einer beeindruckenden Portion Engagements, Standfestigkeit und Ausdauer, um in der persönlichen Freizeit Teams und Strukturen zu formen und weiterzuentwickeln – so manchen Widerständen vielfältigster Weise zum Trotz. Und tatsächlich mögen sich klug erdachte Konzepte vereinzelt nur schwer in die lokalen Gegebenheiten integrieren lassen. Insofern lässt sich von außen leicht kritisieren, was in der Praxis meist schwieriger ist, als es offen ersichtlich wäre, und was nur mit großem persönlichem Aufwand zu leisten ist. Zudem stehen annähernd alle Teams der Notfallseelsorge und Krisenintervention unter der Trägerschaft einer Hilfsorganisation oder Kirche. Der Umstand, dass Prozesse in derart großen und zumeist feingliedrigen Institutionen eine Vielzahl an Gremien durchlaufen, macht sie bisweilen träge. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der natürlich für viele institutionelle und gesellschaftliche Entwicklungen gilt: Selbst das fortschrittlichste Konzept wird seine Wirkung nicht entfalten können, wenn die beteiligten Akteure nicht dahinterstehen und seinen Nutzen (an)erkennen. Hier ist in vielen Fällen ein hohes Maß an Überzeugungsarbeit notwendig – und an Geduld sinnvoll: Die Akteure sollten Gelegenheit bekommen, mit dem (innerlichen oder äußerlichen) Progress Schritt zu halten. Echte Entwicklung kann eben auch träge sein und braucht daher Zeit. Es gilt also in mehrerlei Hinsicht: Die Akteure der PSNV sind keine Einzelkämpfer, sondern sollten und müssen vielfach Teamplayer sein, um nachhaltige Entwicklungen zu ermöglichen.

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Die „Erfindung“ der Psychosozialen Notfallversorgung – eine persönliche Erinnerung Hanjo von Wietersheim Kirchenrat Hanjo von Wietersheim war in seinen ersten Berufen Polizeibeamter und Rettungsassistent. Er studierte evangelische Theologie und ist ehrenamtlich in der Feuerwehr und der PSNV tätig. Hanjo von Wietersheim ist Mitbegründer der Notfallseelsorge und der „Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“ (SbE). Seit 1993 ist Hanjo von Wietersheim Beauftragter der Evang.Luth. Kirche in Bayern für Notfallseelsorge und Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst. Er ist Fachreferent für die PSNV sowie für Krisen- und Notfallmanagement in sozialen und diakonischen Einrichtungen.

Heutzutage gehört die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) ganz selbstverständlich zum Alltag der Rettungsorganisationen. In etlichen Gesetzen oder Verordnungen ist geregelt, wie die psychosoziale Betreuung der Betroffenen geschehen soll und wie Einsatzkräfte zu begleiten sind. Präventionsabende, psychosoziale Betreuung der Notfallpatienten und der stets wachsame Blick auf das psychische Wohlergehen der Mitarbeitenden sind Alltag geworden. Die Zeiten, als für viele Einsatzkräfte das Schweigen und das Trinken die einzigen Mittel der Stressbearbeitung waren, sind glücklicherweise vorbei. Für viele jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rettungsorganisationen und der PSNV ist es kaum vorstellbar, dass es auch Zeiten ohne diese Angebote gegeben hat. Dabei liegen die Anfänge der PSNV gerade einmal 35 Jahre zurück, und es gibt immer noch Zeitzeugen aus den Tagen der Anfänge. Dr. Jutta Helmerichs ist so eine Zeitzeugin, und sie hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Erfindung der PSNV. Wesentliche Anfänge geschahen fast gleichzeitig in den Jahren um 1990: Frank Waterstraat machte ein Berufspraktikum bei der Feuerwehr Hannover und vertiefte durch seine Examensarbeit die Arbeit der Feuerwehrseelsorge – ein Gebiet, das es ansatzweise schon vorher gab, aber nie wirklich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen war.

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In Bayern machten sich die beiden evangelischen Pfarrer Eckhard Mattke und Hanjo von Wietersheim Gedanken darüber, wie die seelsorgliche Betreuung von Menschen in Krisensituationen verbessert werden könnte, insbesondere wie Seelsorgerinnen und Seelsorger im Notfall schnell an Einsatzstellen alarmiert werden können. Eckhard Mattke war Mitglied des Bayerischen Roten Kreuzes, Hanjo von Wietersheim war früher Polizeibeamter und Rettungsassistent gewesen, jetzt arbeitete er ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Durch ihr Engagement hatten die Rettungsorganisationen in den Landkreisen Kronach und Erlangen erstmalig die Möglichkeit, per Funkmeldeempfänger Seelsorgerinnen und Seelsorger an Einsatzstellen zu alarmieren. Um ihre Arbeit besser beschreiben zu können, suchten Eckhard Mattke und Hanjo von Wietersheim einen eingängigen Begriff und sie erfanden 1990 die Bezeichnung „Notfallseelsorge“ (NFS). Schon in den ersten Jahren kamen dann das noch heute gültige Logo der NFS hinzu und auch die gelbe Farbe der Einsatzjacken, die heute noch in vielen Bereichen der PSNV getragen werden. Zeitgleich machte sich in München der damalige Rettungsassistent Andreas Müller-Cyran Gedanken über seine Arbeit. Es wurde ihm immer wichtiger, dass Mitarbeitende der Hilfsorganisationen nicht nur „Vitalfunktionsmechaniker“ sind,


sondern sich auch um die Psyche der Betroffenen kümmern, insbesondere deshalb, um späteren stressbedingten psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Aus diesen Überlegungen entwickelte er das „KIT München“, das erste Kriseninterventionsteam in Deutschland. Alle, die in jenen Jahren diese neuen Überlegungen im Bereich der Rettungsorganisationen teilten, mussten zum Teil heftige Gegenwehr ertragen. Vielen – vor allem männlichen – Einsatzkräften waren diese „Psycho-Spielchen“ vollkommen fremd. Etliche lebten in der Welt der „harten Kerle“, die derartige Befindlichkeiten nicht kannten. Auch in den Kirchen waren die „Blaulicht-Freaks“ absolute Sonderlinge. Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger empfanden die Zusammenarbeit mit den Rettungsorganisationen ebenso wie die Alarmierbarkeit per Funkmeldeempfänger als absolut befremdlich und unangemessen. Natürlich kamen KIT und NFS auch nicht sofort zueinander. Beide Organisationen konnten ja mit Recht behaupten, dass das neue Aufgabengebiet in ihren Bereich gehört: Die NFS wies darauf hin, dass natürlich auch die Betreuung von Menschen in Krisensituationen zur kirchlichen Arbeit gehört. Und das KIT hatte auch Recht, wenn es sagte, dass der Rettungsdienst natürlich auch für die Psyche der Patienten zuständig ist. So gab es zum Teil heftige Reibereien und gelegentlich auch leidenschaftlich betriebene Parallel- und Konkurrenzstrukturen. Dennoch kannte man sich und arbeitete punktuell auch sehr gut zusammen. So zum Beispiel, als Andreas Müller-Cyran und Hanjo von Wietersheim 1995 in Neuendettelsau die erste CISM-Ausbildung in Bayern organisierten. Beiden war bewusst, dass parallel zur Betreuung der Betroffenen auch die Begleitung der Einsatzkräfte aufgebaut werden muss, und sie fanden im amerikanischen „Critical Incident Stress Management“ ein geeignetes Instrument. Dieser erste Kurs wurde auf Englisch gehalten, denn es gab keine deutschsprachigen CISM-Trainerinnen bzw. Trainer. Der Ausbilder war seinerzeit Dr. Thomas Appel-Schumacher, der damals bei der US Army in Deutschland arbeitete. Klar war, dass eine Ausbildung auf Englisch auf Dauer nicht sinnvoll sein konnte. Deshalb wurde für die neu zu schaffende Begleitung der Einsatz-

kräfte nach einem deutschen Begriff gesucht. Noch während dieses ersten Ausbildungswochenendes wurde die Abkürzung SbE (damals: Stressbearbeitung für Einsatzkräfte, jetzt: Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen) erfunden. Die 1996 gegründete Bundesvereinigung SbE e.V. hat diese Idee in hervorragender Weise weitergetragen und entwickelt. Damals wurde auch die AGS gegründet (Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst). Sie war die erste bundesweite Plattform im Bereich der PSNV – speziell aus dem kirchlichen Bereich – und aus den AGS-Jahrestreffen sind später die Bundeskongresse Notfallseelsorge und Krisenintervention geworden. Durch die heutigen bundesweiten Vereinigungen der KEN (Konferenz Evangelische Notfallseelsorge) und die Konferenz der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge hat die AGS im Lauf der Zeit ihre Bedeutung verloren. Die Vielzahl der Abkürzungen macht deutlich, wie neu das Anliegen und wie heterogen die damalige Landschaft war. Entsprechend tief waren natürlich auch die Risse zwischen den einzelnen Anbietern. 1999 kam Dr. Jutta Helmerichs ins Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und wurde dort Referatsleiterin für psychosoziale Aspekte. Jutta Helmerichs ist nach der ICE-Katastrophe am 3. Juni 1998 in Eschede in der Szene bekannt geworden: Sie leitete die vom Land Hannover eingerichtete „Koordinierungsstelle Einsatznachsorge“ und organisierte dort die Nachsorge der Einsatzkräfte, die bei dem Einsatz tätig waren. Bei diesem Einsatz wurden erstmalig SbE-Teams aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogen, um für die Einsatzkräfte zu sorgen. Die Eschede-Einsatznachsorge konnte innerhalb kürzester Zeit vor Ort „aus dem Nichts“ aufgebaut werden. Die wesentlichen Gründe für das Gelingen liegen in der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten unter Zurückstellung persönlicher Interessen und der Bereitschaft, organisationsübergreifend zu denken und zu handeln. Ich kann mir vorstellen, dass diese Erfahrung, nämlich dass es gelingen kann, alle Akteure zusammenzubringen, ein wesentlicher Schritt für die weitere Entwicklung war. Dr. Jutta Helmerichs war durch diese Arbeit allen Akteuren in der Szene gut bekannt, und sie gewann durch ihre zuge-

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Zehn Jahre Konsensuskonferenz:

Eine (selbst-)kritische Betrachtung des Erreichten Michael Steil Michael Steil ist Diplom-Theologe, Rettungssanitäter und Feuerwehrmann. Von 2008 bis 2014 war er Bundeskoordinator PSNV im Auftrag des Deutschen Roten Kreuzes. 2009 gründete er das Netzwerk Psychosoziale Notfallversorgung e.V., das vor allem Menschen aus Professionen im Einsatzwesen und in der Klinik begleitet und unterstützt, die im beruflichen Alltag mit Grenzsituationen des Lebens konfrontiert werden und sich dadurch überfordert und belastet fühlen. Seit 15 Jahren ist er Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Human Resources in Freiburg und berät mit seinem Team bundesweit Institutionen und Organisationen aus dem Einsatz-, Gesundheits- und Sozialwesen zu Fragestellung der Organisations-, Team- und Personalentwicklung.

Einführung In den Jahren 2007 bis 2010 wurden im Rahmen des vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe moderierten Konsensus-Prozesses Qualitätsstandards und Leitlinien zur Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) in Deutschland erarbeitet. Eine Vielzahl an Delegierten aus Bundesministerien und -behörden, Innenministerien und Senaten der Länder, Feuerwehren, Berufsverbänden, Fachgesellschaften, Fachverbänden und Kammern, Wissenschaftler unterschiedlicher Hochschulen sowie Delegierte der Hilfsorganisationen und Kirchen als Hauptakteure der psychosozialen Akuthilfen waren daran beteiligt. Schon damals war die „PSNV für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene und/oder Vermissende sowie für Einsatzkräfte … ein selbstverständlicher und breit akzeptierter Bestandteil der Versorgung nach Unglücksfällen sowie Katastrophen und ergänzt die medizinische und technische Hilfeleistung.“ (BBK, 2011, S. 7). Zwischenzeitlich scheint das Thema PSNV noch breiter akzeptiert und durch die mediale Berichterstattung sowie die Social-Media-Präsenz und eine entsprechende Presse-Arbeit der PSNV-Akteure noch mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit angekommen. Doch inwieweit sind wir damit auch den originären Zielen der PSNV nähergekommen? Wie

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ist es um die Prävention und Früherkennung von psychosozialen Belastungsfolgen bestellt? Stellen wir ausreichend adäquate Unterstützung und Hilfe für von Unglücksfällen Betroffene (Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/ oder Vermissende) und psychisch belastete Einsatzkräfte bereit? Inwieweit haben die Beschlüsse tatsächlich zu einer Steigerung der Qualität in der PSNV vor Ort geführt? Welche Relevanz haben die Ergebnisse der Konsensus-Konferenz für den Einsatzalltag außerhalb komplexer Gefahren- und Schadenslagen? Wie hat sich die PSNV-Basis­ arbeit abseits des „Rampenlichts“ in Deutschland weiter­entwickelt? Wo gibt es möglicherweise Nachholbedarf? Und mit welchen neuen Herausforderungen sieht sich die PSNV in Deutschland im Einsatzalltag heute konfrontiert? Eine (selbst-)kritische Betrachtung des ­Erreichten Die abschließende Konsensus-Konferenz im November 2010 ist mir noch gut in Erinnerung geblieben. Nach drei Jahren intensiver Gespräche mit allen beteiligten Partnern lag nun ein Abschlusspapier vor, das ich seinerzeit in meiner damaligen Eigenschaft als Bundeskoordinator PSNV des Deutschen Roten Kreuzes mit großer Überzeugung unterzeichnete. Nicht nur ich


war stolz auf das Erreichte und dankbar für die Moderation und Leitung des Prozesses, die gewissenhafte Dokumentation sowie die gelungene Verfassung des Abschlusspapiers durch Dr. Jutta Helmerichs, Verena Blank-Gorki und das BBK-Team. Mehr noch: Nach weiteren 10 Jahren beruflicher Erfahrung in Sachen Organisationsentwicklung und Prozessbegleitung bin ich heute umso mehr voller Bewunderung für Jutta, Verena und den Rest des Teams, da ich doch weiß, wie schwer es sein kann, Menschen unterschiedlicher Profession, berufsständischer Denke und Motivation so zu begleiten, dass sie zu gemeinsamen Ergebnissen finden. So wurde Jutta Helmerichs auch in Sachen Moderation und Prozessbegleitung zum Vorbild für mich: konstruktiv, vermittelnd und wertschätzend im Umgang, ernsthaft und zielstrebig in der Sache sowie authentisch und gelassen in der Haltung. Dafür nochmals ein herzliches Dankeschön! Und welche Impulse gingen von den Ergebnissen der Konsensus-Konferenz aus? Was ist seitdem geschehen? Ein schneller Blick zeigt, dass sich viel bewegt hat: Die Angebote und Anbieter der PSNV sind weitestgehend bundeseinheitlich erfasst, PSNV-Einsätze werden dokumentiert, jedes Bundesland verfügt zwischenzeitlich über eine Landeszentralstelle PSNV, PSNV ist vielfach in die Führungs- und Organisationsstrukturen der Gefahrenabwehr eingebunden, es gibt Qualifizierungen für Leiter und Fachberater PSNV. Ein großer Fortschritt also – so weit, so gut. Doch wie weit die PSNV in Deutschland generell ist, wie gut oder schlecht wir im Bereich PSNV für komplexere Schadenslagen aufgestellt sind und ob die Zusammenarbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst mit den PSNV-Akteuren im konkreten Einsatzfall tatsächlich flächendeckend funktioniert oder inwieweit sich die Versorgungsqualität für die Betroffenen und Einsatzkräfte wirklich verbessert hat, kann und will ich nicht umfassend beurteilen. Vielmehr geht es mir auf Basis meiner subjektiven Wahrnehmung um eine kritische und durchaus auch selbstkritische Betrachtung des Erreichten mit Blick auf das, was die PSNV-Akteure im Rahmen der Konsensus-Konferenz als Auftrag erhielten. So gab es in der PSNV-B ein klares Bekenntnis zu gemeinsamen Standards für den Einsatzalltag und für die Aus- und Fortbildung. Die inhaltliche Klärung und Ausgestaltung wurde

jedoch den PSNV-Akteuren und deren Mandatsträgern übertragen. Was ist daraus geworden? Oder was wurde in der PSNV-E aus dem Auftrag, dass die Arbeitgeber von Einsatzkräften im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht Maßnahmen für die psychosoziale Prävention und Nachsorge ihres Personals auszuarbeiten hätten? Und inwieweit ist es uns aus meiner Sicht bis heute gelungen, damit auch den originären Zielen der PSNV – der Prävention und Früherkennung von psychosozialen Belastungsfolgen sowie der Bereitstellung adäquater Unterstützung und Hilfe für Betroffene und Einsatzkräfte – gerecht zu werden, wie sie auch in den Qualitätsstandards und Leitlinien (BBK, 2011, S. 20) ausformuliert sind? In meiner (selbst-)kritischen Betrachtung dessen, inwieweit wir die Aufträge der Konsensus-Konferenz umgesetzt und den Zielen der PSNV nähergekommen sind, werde ich mich dabei ausschließlich auf die PSNV-Maßnahmen außerhalb der heilkundlichen Interventionen fokussieren. Psychische Erste Hilfe Ursprünglich wurde die Psychische Erste Hilfe als eine psychosoziale Basiskompetenz definiert, die den Einsatzkräften der polizeilichen und nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr sowie den PSNV-Kräften in der Ausbildung vermittelt werden soll (BBK, 2011, S. 21). Dieser Aufgabe haben sich v.  a. die Hilfsorganisationen gestellt. Bundesweit sind dort zwischenzeitlich nahezu alle hauptund ehrenamtlichen Einsatzkräfte in Psychischer bzw. Psychosozialer Erster Hilfe oder den Grundlagen Psychosozialer Notfallversorgung geschult. Zielsetzung dieser Schulungen ist die Sensibilisierung und die Erweiterung der Handlungskompetenz in diesem Bereich. Doch reicht das aus? Letztlich kann jeder Mensch von einem Unglücksfall oder einer krisenhaften Situation betroffen sein. Will man also dem Ziel der Prävention von psychosozialen Belastungsfolgen für alle näherkommen und nimmt darüber hinaus die Grundannahme der PSNV ernst, dass zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse personale und soziale Ressourcen der Betroffenen aktiviert werden und es in krisenhaften Situationen förderlich ist, die Selbstwirksamkeit von Betroffenen zu fördern, wäre es nur konsequent, die gesamte Bevölkerung zu sensibi-

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Wie viel Religion steckt in der PSNV, wie viel Religionssensibilität braucht die PSNV? Thomas Zippert Pfr. Dr. Thomas Zippert hat evangelische Theologie studiert und als Gemeindepfarrer, Studienleiter, Fachschulleiter und Professor für Diakoniewissenschaft gearbeitet. Aktuell ist er der landeskirchliche Koordinator für das Thema sexualisierte Gewalt in der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Seit 26 Jahren ist er auch freiwilliger Feuerwehrmann in unterschiedlichen Feuerwehren. Fast genauso lange arbeitet er in der Notfallseelsorge und ist Mitgründer des SbE-Teams Nordhessen. Er hat veröffentlicht zur Notfallseelsorge, Diakonischen Ethik, zum Diakonenamt und zu Fragen des Sozialraums und der Sozialraumorientierung.

Einführung: Zum Verständnis von Religion Vieles, was in der Notfallseelsorge geschieht, sieht – abgesehen von explizit von außen als religiös erkennbaren Vollzügen – genauso aus wie das, was auch Kriseninterventionsteams tun: Man überbringt Todesnachrichten, man erspürt und fragt nach, ob bzw. wann es gewünscht oder hilfreich ist, sich von einem plötzlich verstorbenen Menschen zu verabschieden (und wie). Man hält die Situation des ersten Schocks, der ersten Angst oder der ersten Halt- und Hilflosigkeit so lange mit aus, bis erkennbar ist bzw. man sich überzeugt, dass Betroffene oder Hinterbliebene oder deren soziales Netz selbst wieder (halbwegs) handlungsfähig sind. Wie viel Religion in der psychosozialen Notfallversorgung steckt, lässt sich vorweg bzw. absolut nicht sagen, denn die Antwort ist abhängig von dem mehr oder weniger bewusst gewählten Religionsverständnis. Neigt man dazu, Religion auf äußere Vollzüge, Rituale, Blaulichtgottesdienste oder den Bibelgebrauch im Seelsorgegespräch zu reduzieren, dann wird man sagen müssen: Es ist nicht so viel, es sei denn, es kommt zu Aussegnungen, Totenwachen, expliziten Seelsorge- oder sogar Beichtgesprächen, z. B. mit Unfallverursachern. Freilich wird ein Religionsbegriff, der nur diese beobachtbaren Phänomene in den Blick nimmt, in der Theologie fast gar nicht

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mehr genutzt, auch wenn dies insbesondere die mediale Öffentlichkeit – in gewisser Unkenntnis der jahrhundertealten Diskussionslage – dennoch tut. Ich möchte diese Diskussion hier nicht aufrollen (vgl. dazu aus dem Kontext spirituellen Missbrauchs Wagner, 2019), sondern auf ein Religions­verständnis zurückgreifen, das nicht nur in innerorganisationalen (theologie- oder kircheninternen) Kontexten genutzt wird und sich dort als brauchbar erweist, sondern für Kontexte, die über den Binnenraum der Kirche hinausreichen. Exemplarisch greife ich auf ein Verständnis von Religion aus dem Kontext der Jugendhilfe zurück, die zwar etwa zur Hälfte noch in diakonischer bzw. caritativer Trägerschaft ist, aber sehr stark staatlich kontrolliert und gesteuert wird. In den Jahren der großen Flüchtlingszahlen, in denen auch sehr viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus anderen Kulturen und mit anderen religiösen Hinter- oder Vordergründen nach Deutschland gelangten, hat sich dieses Verständnis bewährt und dazu geführt, dass man dort deutlich kultur- und religionssensibler als früher gearbeitet hat. Dort unterscheidet man: • den „Konfessions- oder Gemeinschaftsglauben“ der Religionen in ihren historisch gewachsenen Sozialformen (mit unterschiedlichen Gottesdienstformen, Seelsorge, Bildungssettings) und Organisationsformen,


• den „Transzendenz- oder Gottesglauben“, der eine andere, „transzendente“ Wirklichkeit annimmt und explizit über Religion in verschiedenen Gestalten nachdenkt und davon ausgeht, dass rein immanente Zugänge zur Wirklichkeit nicht ausreichen – in welcher Gestalt immer man sich dann auch diese Transzendenz vorstellt, und • den „Existenz- oder Lebensglauben“, dem es um die eigene Existenz, die Identität, den Sinn des Lebens geht – gerade angesichts sinnlos erscheinender, existenz- und identitätsbedrohender Erfahrungen. Religion in diesem Sinn ist dann das, „was uns unbedingt angeht“ (so mit Verweis auf den Theologen Paul Tillich, von dem diese Formel stammt) (Lechner et al., 2014, 37f; vgl. Albrecht et al., 2018). Wichtig ist, dass die im Existenz- und Lebensglauben auftretenden Fragen „nach dem Sinn von Ungerechtigkeit, Leid und Tod, nach dem glücklichen oder unglücklichen Zufall, nach Schuld und Vergebung, nach Halt im Leben und dem Gefühl des unbedingten Angenommen-Seins“ (ebd., S. 33) auch in den anderen beiden Formen auftauchen – ob sie dort so klar beantwortet werden, wie oft unterstellt wird, ist zu bezweifeln, denn die spezifisch kirchlichen oder konfessionell-theologischen Traditionen und Deutungen sind bei weitem nicht so eindeutig, wie sie von außen gerne unterstellt werden. Das Christentum zeichnet sich – auch schon in seinem Grunddokument – durch eine Vielfalt an Deutungsoptionen aus (Zippert, 2018). Überträgt man diesen dreifachen Religionsbegriff auf die Notfallseelsorge, dann könnte er sich in etwa so konkretisieren: Geht man vom „Konfessions- oder Gemeinschaftsglauben“ aus, ist Notfallseelsorge ein kirchlich verantworteter Dienst ordinierter oder geweihter Geistlicher, ähnlich wie in der Polizei- oder Militärseelsorge, freilich nicht nur an die Einsatzkräfte adressiert, sondern auch an die Betroffenen. Er umfasst tatsächlich das Angebot der oben angedeuteten Rituale und die Seelsorge bzw. die Beichte, wenn es um Täter geht. Historisch begründet ist sie aus dem Versehgang (für die Letzte Ölung), für die seit dem Mittelalter ein Priester fast jede andere Tätigkeit zu unterbrechen hatte. Heute begründet sich dieser

Dienst der Sache nach aus dem Seelsorgeauftrag der Kirchen und dem Gebot der Nächstenliebe, der in der zu diesem Gebot gehörenden Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter selbst ein Notfall zugrunde liegt (Lk 10) (Gemeinsame Qualitätsstandards, 2013f, S. 2 und 13). Dem Sachgehalt nach geht es um die Bezeugung des auferstandenen Gottessohnes gerade im Angesicht von Sterben und Tod, ggf. auch der Vergebung bei schuldhaftem Verhalten oder der Hilfe, weil der Gott der Christen und Juden einer ist, der Menschen in ihrer Not nah sein will und Hoffnung weckt, wo auf den ersten Blick keine Zukunft zu sehen ist, dass es (auch ein irdisches) Leben nach der Katastrophe gibt bzw. jedenfalls Trauerriten da sind, um die eigenen Gefühle ausdrücken und in Gemeinschaft mit anderen begehen zu können. Da die theologischen Versatzstücke in sich bzw. untereinander widersprüchlich sind oder in ihrem auf ein bestimmtes Leben oder eine bestimmte Lebenserfahrung bezogenen existenzialen Gehalt nicht mehr direkt verständlich sind, ist es Aufgabe von Theologie und Verkündigung, hier immer wieder zu dolmetschen, zu aktualisieren und neu zu interpretieren. Als klassisch dafür kann die existenziale Interpretation des Neuen Testaments durch Rudolf Bultmann gelten. Dass dieser Dienst möglich ist, ist eine Entscheidung der Gemeinschaft der Glaubenden, die mit ihrer Kirchensteuer diesen Dienst finanzieren und organisieren und im besten Fall durch Weiterbildungsangebote, Supervision u. a. unterstützen und absichern. Schon beim „Transzendenz- oder Gottesglauben“ fehlt eine solche Gemeinschaft bzw. Organisation, die diesen Dienst organisieren oder finanzieren könnte, gleichwohl wird ein solcher nicht mehr allein christlich geprägter Transzendenz- oder Gottesglauben bei diesem oder jenem im Einsatz vorkommen. Ein sich auf eine nicht mehr rein biblisch oder christlich geformte Trans­ zendenz ausrichtender Glaube ist in Deutschland spätestens seit der Aufklärungszeit breit bezeugt, bis hin in die Dichtung (Goethe, Novalis, Hölderlin, Rilke u. v. a. m.). Diese Glaubensform mag in Sprach- und Bildschöpfung zum Gottesbild durchaus kreativ sein, verfügt aber nicht über eigene Rituale oder andere Sozialformen (außer der Dichterlesung oder der Grußkarte mit weisheitlichem Merkspruch: „Wenn du denkst, es geht

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nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“). In Trauergottesdiensten nach größeren Katastrophen in den letzten Jahren zeigten sich m. E. erste Formen: Kerzen anzuzünden und Blumen abzulegen, Abschiedsbriefe auf oder in den Sarg zu legen, sind auch jenseits der kirchlichen Binnenräume authentische Ausdrucksformen, die aber nur sinnvoll sind, wenn man eine transzendente Instanz als wirkend oder Gegenüber voraussetzt. Als weiteres Beispiel dafür mag das im Kontext von Krisenerfahrungen oft zu hörende Gelassenheitsgebet gelten: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Es stammt übrigens wohl vom US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, so das aktuelle Evangelische Gesangbuch (EG Kurhessen-Waldeck 822) und der Wikipedia-Artikel zum Gelassenheitsgebet. Der Sachgehalt ist auch transzendenzfrei plausibel, hat aber dennoch die Form eines Gebets behalten. Dass sich auch unter Kirchenmitgliedern Gottesbilder finden, die nicht mehr ausschließlich auf die Bibel zurückgehen, wird seit Jahren beobachtet, aber eher als Bereicherung denn als Schaden angesehen. Denn auch die Kirche denkt Gott so „groß“, dass er in ihren dogmatischen oder biblischen Worten nicht vollständig einzufangen ist. „Existenz- oder Lebensglauben“ versteht sich selbst unabhängig von tradierten Glaubensformen, bleibt aber in seinen Sprachformen indirekt oft abhängig davon. Mir zeigte sich das in einem Einsatz einmal so: Ein – wie sich später herausstellte – ehemaliger NVA-Elitesoldat verlor bei einem Verkehrsunfall Frau und Kind und fragte mich als betreuenden Notfallseelsorger immer wieder „Warum …?“ – ohne Adressat und Gegenstand der Frage, also abgekoppelt von den Theodizeefragen, die an sehr komplexen Denkvoraussetzungen von Theologie und Philosophie hängen. Hier blieb das Warum als Restfrage übrig und war m. E. eher Ausdruck der Klage und Not als dafür, dass hier ein spezifisches Weltbild zerbrach und dass er förmlich nach Deutung und

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Sinngebung für dieses sinnlose Geschehen, das ihn freilich „unbedingt anging“ (s. o.), schrie, aber zu eigenen Antwort(versuch)en nicht in der Lage war. Mit dem Fehlen „religiöser Musikalität“ (Habermas) und Sprachfähigkeit müssen wir in Zukunft wohl vermehrt rechnen. Und nicht jede selbst konstruierte Weltanschauung oder Lebensdeutung ist durch existenzielle Tiefen gegangen wie die der Bibel oder hat sich über Hunderte von Generationen bewähren und vertiefen und mit neuen Erfahrungen anreichern können. Hier vorschnell tradierte Antworten zu geben, verbietet sich von selbst. Was in Notfallseelsorgesituationen möglich ist, ist solche Deutungen als nicht endgültig zu irritieren oder als vorläufig zu qualifizieren, besonders dann, wenn sie Schuldgefühle provozieren oder keine Freiheits- und Zukunftsperspektiven enthalten. So umrissen, kann man mit guten Gründen unterstellen, dass Religion als Vorgang der Lebensdeutung von Grenzerfahrungen bzw. dessen, „was uns unbedingt angeht“, in jedem Leben vorkommt. Folglich ist auch jeder Mensch ein religiöses Subjekt und nimmt höchst eigenständig, aber gleichwohl beeinflusst von Traditionen und den Deutungen der eigenen Lebensgeschichte, am System Religion (z. B. im Sinne Luhmanns) teil – wenn auch nicht unbedingt in dessen kirchlich organisierten Formen, jedenfalls so lange man sich mit dem eigenen Leben irgendwie auseinandersetzt bzw. sich deutend zum eigenen Leben und Erleben ins Verhältnis setzt, was sich insbesondere in Grenzsituationen auswirkt. Die Fremddeutung solcher individuellen Sinngebungen als religiös ist übrigens ebensowenig ein Übergriff, wie es die der Medizin ist, wenn sie Menschen, die sich gesund fühlen, eine medizinische Diagnose stellt. Solche Deutungen sind übrigens nicht beliebig oder leicht austauschbar, sie erscheinen einem zuerst einmal alternativlos und plausibel. Sie sind auch kein Add-On, das man auch unterlassen könnte. Denn Deutungen stecken schon in den ersten Formulierungs- und Kommunikationsversuchen über solche existenziellen Erfahrungen. Als Deutungen der Lebenswirklichkeit erzeugen sie aus sich heraus bestimmte Handlungsoptionen und andere nicht (s. u. am Beispiel „Opfer“). In ihnen zeigen sich oft wie nebenbei letzte Überzeugungen, Werte, Welt- und Menschenbilder, also das, was man von sich, den Mitmenschen


Vom Einzelnen und den Knotenpunkten:

Netzwerke als Grundlage einer guten psychosozialen Versorgung Justus Münster Justus Münster ist evangelischer Pfarrer in Berlin und seit 2005 mit der Leitung der evangelischen Notfallseelsorge im Land Berlin beauftragt. Daneben nimmt er als Sprecher des Arbeitskreises PSNV in Berlin im Netzwerk die Aufgaben einer Landeszentralstelle PSNV für Berlin wahr und ist Vorsitzender der Konferenz Evangelische Notfallseelsorge der EKD. Justus Münster ist ausgebildeter Seelsorger, Mediator und Trauerbegleiter. Als Fachberater PSNV war er in verschiedenen Einsätzen tätig. Er ist Autor von Artikeln in Fachzeitschriften und Büchern und hat einen Sammelband mit herausgegeben.

Einführung „Der Begriff Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) beinhaltet die Gesamtstruktur und die Maßnahmen der Prävention sowie der kurz-, mittel- und langfristigen Versorgung im Kontext von belastenden Notfällen bzw. Einsatzsituationen“ (BBK, 2012, S. 20). „Wird der PSNV-Begriff verwendet, ist immer auch Versorgungs- und Netzwerkwissen und Handelskompetenz in unterschiedlichen Versorgungssystemen erforderlich“ (Beerlage et al., 2006, S. 54). In diesem Artikel soll es um die Wirksamkeit der PSNV durch Netzwerke gehen. Ebenso sollen Faktoren zur Sprache kommen, die es braucht, um diese Wirksamkeit zu erzeugen und zu erhalten. Die sozialen Netzwerke spielen eine große Rolle im Leben von Menschen. Jedes Smartphone in der Tasche besitzt einen Anschluss zum Netzwerk/Internet. In der allgemeinen Lebensberatung ist der Netzwerkgedanke als Thema angekommen. Die Netzwerkkompetenz der einzelnen Personen kann gestärkt werden, um hieraus Vorteile im privaten oder beruflichen Leben zu ziehen – oder beides. Auch hier spielt vor allem die Erkenntnis eine wesentliche Rolle, dass Kommunikation und damit sprachliche Verbindung zwischen Personen wesentlich und hilfreich ist. Netzwerke stehen für Verbindungen und Kommunikation zwischen mehreren Punk-

ten und sind im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen. Vom Netzwerkbegriff Das Konzept des Netzwerks ist dabei erst von der Soziologie des 20. Jahrhunderts entwickelt worden, obwohl die Theorie natürlich auch auf Beziehungen zwischen Organisationen und Menschen davor angewendet werden kann und muss (vgl. Behringer, 2009). Das Netzwerkkonzept geht im Allgemeinen davon aus, dass Personen oder Organisationen miteinander in Beziehung interagieren. Dieser Verbund wird als Netzwerk bezeichnet und ist die Sichtbarmachung der Beziehungen der Entitäten untereinander. „Die Metapher des Netzes fasst die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen als Verbindungen zwischen Knoten eines Netzes auf, dem in Stresssituationen, bei belastenden Lebensereignissen und in Lebenskrisen eine das gesundheitliche Wohlbefinden erhaltende Auffangwirkung zukommt“ (Gasser-Steiner und Freidl, 1995). Es ist da, ohne dass es großartig wahrgenommen wird. Es ist eine alltagsweltliche Begebenheit, dass der Mensch wesentlich ein Beziehungswesen ist, wie z. B. Erich Fromm dies begriffen hatte. Netzwerke können community-based sein, familiär, interessengeleitet usw. Diese Verbindungen sind im Alltag selbstverständlich und gewinnen dann große Bedeutung, wenn

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Situationen als nicht mehr alltäglich wahrgenommen werden. Um den Netzwerkbegriff noch ein wenig enger zu fassen, sind (nach Schäffter, 2004, S. 32ff) folgende Abgrenzungen vorzunehmen: • Nicht jedes Beziehungsgeflecht ist ein Netzwerk. Es braucht ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit und Belastbarkeit, das zeichnet ein Netzwerk aus. Auch die Intensität über eine – wenn auch kurze – Zeitspanne wird ein Netzwerk auszeichnen. • Nicht jede Kooperation ist eine vernetzte Struktur. Eine Kooperation ist zumeist zwischen zwei Vertragspartnern gedacht und stark an einen Inhalt und eine Sachebene gebunden. Netzwerke hingegen können diffus sein und schaffen Vertrauen auf Basis von Verschiedenheiten. • Netzwerke leben von Unterschiedlichkeiten. Die Autonomie der an einem Netzwerk beteiligten Partner und die Bereitschaft, sich auf das Netzwerken einzulassen, kennzeichnen eine emergente Struktur, die gänzlich im Werden und Sein bleibt. Netzwerke bieten einen wechselseitigen Nutzen. Alle beteiligten Entitäten ziehen einen spezifischen Nutzen aus einem Netzwerk und bieten dieses auch den anderen im Netzwerk an. Unmittelbare Verpflichtungen oder Abhängigkeiten müssen dabei nicht entstehen. • Soziale und institutionelle Netzwerke. Netzwerke stehen komplementär formalen Organisationsformen gegenüber. Sie bilden einen niedrigen Grad der Organisiertheit ab und sind wesentlich von sozialen Bezügen gekennzeichnet. Diese können jedoch organisationsübergreifende Zweckbündnisse darstellen und damit eine andere, aber nicht weniger wertvolle Qualität besitzen. Von Religiösem und den Ursprüngen der PSNV als Netzwerke in Deutschland Die Ursprünge der Notfallseelsorge in Deutschland liegen nun fast dreißig Jahre zurück. Sie wird heute selbstverständlich als Teil der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) und damit als Teil der Daseinsvorsorge angesehen. Entwürfe zu einem kirchlichen und damit seelsorglichen Handeln nach Unglücken gibt es jedoch schon länger; nach der Sturmflut in Hamburg 1962 wurde eine

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dementsprechende Schrift seitens einer Arbeitsgruppe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verfasst und von der Kirchenkanzlei aufgelegt. Schon dort wurde hinterlegt, in den kirchlichen Bereichen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Seelsorge nach belastenden Situationen zu benennen und diese den Bundesländern in Absprache zur Verfügung zu stellen. Diese Initiative blieb erfolglos, da sie weder auf offene Strukturen innerhalb der Kirche(n) als auch innerhalb der Trägerorganisationen des Rettungsdienstes, der Feuerwehren und des Katastrophenschutzes stieß (vgl. von Wietersheim, 2015). Auch waren Befürchtungen da, dass die Kirche hier eine Grenzüberschreitung ihres angenommenen Auftrags vollzieht. „Die Öffentlichkeit erwartet den Dienst der Kirche, aber es wird auch befürchtet, daß die Kirche sich in die Zuständigkeit anderer einmischt und ihren eigenen Auftrag dabei überschreitet“ (Evangelische Kirche in Deutschland, 1978, S. 1). Offensichtlich gab es Befürchtungen und Vermutungen, sich den Anforderungen des Rettungsdienstes und des Katastrophenschutzes nicht stellen zu können. „Die Kirche wird das ihr Aufgetragene tun ohne Lärm, und ohne falsche Ansprüche, gewissenhaft und möglichst umgehend, nicht in Abhängigkeit, aber mit einem Höchstmaß an Zusammenarbeit“ (ebd.). Die Verfasserinnen und Verfasser der Schrift erkennen, dass nur ein Verbund von Organisationen in einer größeren und komplexen Schadenslage wird bestehen können. Und zugleich formuliert die Broschüre: „Ohne Vorwissen und Vorbereitung wird jedes Handeln in plötzlich auftretenden Notsituationen doppelt schwierig“ (ebd., S. 2). Die jenes Angebot des Beistands in Notsituationen formulierende christliche Gemeinschaft ist schon immer wie ein Netzwerk aufgebaut. Biblische Aussagen belegen das (vgl. dazu das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, Lukas 10; 25-37). Auch Martin Luther bringt diesen Gedanken, dass Kirche wesentlich ein Netzwerk ist, in seinen Thesen zum Ausdruck. Nicht zuletzt hat auch das Netzwerk, das um den Reformator herum entstanden ist, ebenfalls Wirkung gezeigt. Die reformatorischen Ideen und Impulse zogen ihre Kreise von Wittenberg (sowie Zürich und Genf) aus in die ganze Welt und blieben miteinander verbunden. Von den Anfängen der Jüngerinnen und Jünger Jesu als Netzwerk über die ersten Gemein-


Das diverse Ganze sehen – interkulturelle Aspekte im Bevölkerungsschutz

Silke Schmidt und Christian Hannig Frau Prof. Dr. phil. Silke Schmidt ist Professorin für Gesundheitspsychologie und Leiterin des Lehrstuhls Gesundheit und Prävention am Institut für Psychologie der Universität Greifswald. Nach dem Studium der Psychologie in Kiel (Diplom 1996) war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Jena (Promotion 2000), danach im Kontext ihrer Habilitation am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Habilitation 2006), wo sie die Arbeitsgruppe Telemedizin und Versorgungsforschung leitete. Sie war Leiterin des BeSeCu-Projekts (Behaviour Security and Culture) und Koordinatorin im Projekt Rettung, Hilfe und Kultur (ReHiKu) des Bundesministeriums des Innern und im Projekt INKA (Professionelle Integration von freiwilligen Helfern in Krisenmanagement und Katastrophenschutz). Forschungsschwerpunkte sind u. a. menschliches Verhalten in Krisensituationen, Einsatzpersonal (Motivation, Auswirkungen), Risiko- und Krisenkommunikation sowie Notfallwissen und Notfallvorsorge. Prof. Dr. Silke Schmidt war u. a. Mitglied der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern und ist Mitglied vieler internationaler Forschungsnetzwerke und -organisationen. Sie hat mehr als 190 Zeitschriftenartikel und Bücher veröffentlicht.

Christian Hannig stammt aus Hamburg und absolvierte dort Ausbildungen zum Krankenpfleger und Rettungsassistenten sowie eine Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger für Intensivpflege am Universitätsspital in Bern, Schweiz. Wieder in Hamburg studierte er Psychologie und Ethnologie und war von 2010 bis 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Greifswald verantwortlich für die Planung und Durchführung des vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geförderten Forschungsprojektes „Rettung, Hilfe und Kultur – Interkulturelle Kompetenz im Bevölkerungsschutz“. Seit 2016 ist er in der Spezialambulanz für Traumafolgestörungen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf mit den Schwerpunkten Versorgung Akutbetroffener (v. a. nach dem Opferentschädigungsgesetz) und innerbetriebliche Stress- und Traumaprävention tätig. Er ist Mitglied in verschiedenen Fachgremien auf regionaler und nationaler Ebene (z. B. AG Akutpsychotraumatologie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie) und hat verschiedene Artikel und Buchkapitel zu den Themen Bevölkerungsschutz, Interkulturalität und psychische Traumatisierung verfasst.

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Einführung Spätestens ab 2015 machte die verstärkte Zuwanderung geflüchteter Menschen nach Deutschland die soziodemografische und kulturelle Diversität der Bevölkerung Deutschlands zum Gegenstand medialer, politischer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, Diskurse und Auseinandersetzungen. Diese Vielfalt soziokultureller Eigenschaften von Individuen und Gruppen in Deutschland bestand allerdings schon vorher. So lebten laut eines Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes bereits 2005 in Deutschland rund 7,3 Millionen Menschen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Erstmals wurden in dieser Statistik auch eingebürgerte Deutsche, sogenannte Spätaussiedler und deren Kinder erfasst (rund acht Millionen Menschen) sowie der zusammenfassende Begriff „Person mit Migrationshintergrund“ definiert (Statistisches Bundesamt, 2006). Diese Definition wurde in der Folge mehrfach überarbeitet (Statistisches Bundesamt, 2017) und verdeutlicht staatliches Bemühen, die Bevölkerung auch bzgl. soziokultureller Aspekte differenzierter zu betrachten. Die Gruppe der Personen mit einem Migrationshintergrund umfasste 2010 bereits 15,7 Millionen Menschen und stellte mit 19,3 % knapp ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands von 81,7 Millionen Menschen (Statistisches Bundesamt, 2011). Der Mikrozensus 2015 zeigte eine Zunahme dieses Anteils auf 17,1 Millionen Menschen, was 21,0 % der Gesamtbevölkerung und einem Zuwachs von 4,4 % gegenüber dem Vorjahr entsprach. Der Anteil der Zugewanderten stieg im gleichen Zeitraum um 5,5 % (Statistisches Bundesamt, 2017). Neben dem zunehmenden Anteil der Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund wurde vielfach auch auf die Heterogenität ihrer Mitglieder hinsichtlich verschiedener sozioökonomischer (wie Einkommen und Bildungsstatus) und soziokultureller Merkmale (wie religiöser und ethnischer Zugehörigkeit) hingewiesen (Knipper und Bilgin, 2010). Und auch die Diversität der deutschstämmigen Mehrheitsbevölkerung bezüglich soziokultureller Merkmale wie religiöser, politischer oder sexueller Orientierung erhielt ebenfalls vermehrt gesellschaftliche, mediale und politische Aufmerksamkeit (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2008). Diese Situation bildete den gesamtgesellschaftlichen Hintergrund für die

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Zusammenarbeit, von der im Folgenden die Rede ist. Zur Illustration des Beginns der Zusammenarbeit ein persönlicher Aspekt, formuliert als Frage: Wie kam 2006 ein Psychologiestudent ohne Führungsausbildung und -erfahrung im Bevölkerungsschutz dazu, an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) Führungskräfte für diesen Bereich unterrichten zu dürfen? Antwort: Weil Volker Harks, ein Mitarbeiter von Jutta Helmerichs, ihr diesen Studenten und „sein“ Thema – eben die interkulturelle Kompetenz im Bevölkerungsschutz – vorstellte und sie es förderungswürdig sowie seine Ansätze zu dessen Vermittlung hinreichend vertrauenswürdig fand. Ihr „Wagnis“ war für einen von uns (CH) der Beginn einer außerordentlich lehrreichen, angenehmen und vielgestaltigen Zusammenarbeit mit Jutta Helmerichs, dem heute befreundeten Kollegen Volker Harks und weiteren Mitarbeitenden ihres Referates. Es war auch die Grundlage für die Entwicklung einer Forschungsidee und eines Projektes zu diesem Thema („Rettung, Hilfe und Kultur“), das wir Autorinnen und Autoren ab 2010 gemeinsam gefördert durch das BBK durchführten. Vorab sei schon angemerkt, dass besonders auf dem bisherigen Höhepunkt der o. g. Zuwanderung, Ende 2015, Strukturen und Einheiten des Bevölkerungsschutzes stark und teilweise ad hoc in die Versorgung der Geflüchteten eingebunden waren. Dabei leisteten und leisten sie z. T. bis heute Beeindruckendes, aber auch ihre Belastungen und Belastungsgrenzen offenbarten sich. Spätestens an dieser Stelle wurde auch im System Bevölkerungsschutz die Notwendigkeit einer strukturierten Auseinandersetzung und eines konstruktiven Umgangs mit der soziokulturellen Diversität der Bevölkerung Deutschlands offenkundig und breit akzeptiert. Vor diesem Hintergrund erscheint die bereits 2010 gefasste Entscheidung des BBK zur Förderung der nachfolgend beschriebenen gemeinsamen Projekte ebenso weitsichtig wie folgerichtig. Arbeiten und Projekte zum Thema Die Arbeiten im o. g. Projekt „Rettung, Hilfe und Kultur“ waren eingebettet in weitere Arbeiten zur Prävention im Bevölkerungsschutz am Lehrstuhl Gesundheit und Prävention der Universität


Publikationen Jutta Helmerichs in den Jahren 1992 – 2020 Stand: 23. April 2020



Die Beiträge in diesem Sammelband haben aufgezeigt, in welcher Weise Dr. Jutta Helmerichs mit ihrem persönlichen Wirken die Entwicklung der Psychosozialen Notfallversorgung in Deutschland geprägt und beeinflusst hat. Nachfolgend bietet eine Auflistung aller Veröffentlichungen von Dr. Helmerichs einen weiteren Überblick über ihr besonderes Engagement; sie sind Zeugnis eines beeindruckenden Lebenswerks.

2020

Helmerichs, J., Albers, F., Fritsche, A. (in Vorbereitung). Staatliche Ansprechstellen für psychosoziale Versorgung und Opferschutz nach Terroranschlägen und Katastrophen. Anliegen Betroffener – strukturelle Anforderungen – Qualitätssicherung. In: Trauma & Gewalt Helmerichs, J., Fröschke, K., Hahn, T. (2020). Anliegen Betroffener von Terroranschlägen oder Katastrophen gegenüber behördlichen Ansprechstellen für Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe. Kriminalistik, (4), 217-224. Wurmb, T., Franke, A., Schorscher, N. Kowalzik, B., Helm, M., Bohnen, R., Helmerichs, J., Grueneisen, U., Cwojdzinski, D., Jung, G., Weber, M. (2020). Emergency response to terrorist attacks: results of the federal-conducted evaluation process in Germany. Eur J Trauma Emerg Surg. Zugriff am 23.03.2020. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/s00068-020-01347-8.

2019

Richwin, R., Schopp, N., Helmerichs, J. (2019). Der blinde Fleck. Bevölkerungsverhalten in Krisen und Katastrophen. Bevölkerungsschutz, (3), 29-31. Blank-Gorki, V., Helmerichs, J. (2019). Bundeseinheitliche Qualitätsstandards und Leitlinien für die Psychosoziale Notfallversorgung. In: Dietsche, S., Metz, M., Niedermayr, M. (Hrsg.). Implementierung und Weiterentwicklung der Psychosozialen Notfallversorgung – Neue Konzepte und Erfahrungswerte 2019 (S. 80-92). Frankfurt/Main: Verlag für Polizeiwissenschaften. Helmerichs, J. (2019). Geleitwort. In: Dietsche, S., Metz, M., Niedermayr, M. (Hrsg.) Implementierung und Weiterentwicklung der Psychosozialen Notfallversorgung – Neue Konzepte und Erfahrungswerte 2019 (S. 8-9). Frankfurt/Main: Verlag für Polizeiwissenschaften. Helmerichs, J. (2019). Qualifizierung von Führungskräften PSNV: eine Bund-Länder-Kooperation. In: Mähler, M., Hofinger, G., Künzer, L., Zinke, R., Kather, F. (Hrsg.). Führungskräfte PSNV. Anforderungen und Qualifizierungen (S. 25-35). Forschung im Bevölkerungsschutz, Bd. 21, Bonn: Eigenverlag. Helmerichs, J., Blank-Gorki, V. (im Erscheinen). Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). In: Handbuch des Rettungswesens. Bochum: Mendel-Verlag. Helmerichs, J., Overhagen, M., Knoch, T. (2019). Bund-Länder-Kooperation in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV). Bevölkerungsschutz, (1), 36-38.

2018

Groneberg, C., Knoch, T., Heidt, V., Helmerichs, J. (2018). Texting – Liking – Sharing. Mobile und Soziale Medien in Krisen und Katastrophen: Metatrends in der Anwendung von Smartphones und Sozialen Medien. Zugriff am 02.10.2019. Verfügbar unter: https://www.smarter- projekt.de,wp-content,uploads,2018,01,Mobile-und-Soziale-Medien-in-Krisen-und- Katastrophen.pdf.

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Harald Karutz Verena Blank-Gorki

Herausgeber Harald Karutz Verena Blank-Gorki

besondere den Auswirkungen des soge-

der

Notfallversorgung,

nannten Konsensusprozesses. Sie berichten

zum anderen eine Würdigung der zentra-

über Forschungsprojekte und -ergebnisse,

len Wegbereiterin der PSNV in Deutsch-

die Angebote, Strukturen und Maßnah-

land – der langjährigen Leiterin des Refe-

men der PSNV maßgeblich beeinflussen.

rats „Psychosoziales Krisenmanagement“

Zugleich schildern sie als Kolleginnen und

im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und

Kollegen Erfahrungen, Verbindendes, Nach-

Katastrophenhilfe Dr. Jutta Helmerichs.

denkliches, Bewegendes und ganz persön-

Psychosozialen

Expertinnen und Experten aus der

liche Begegnungen und bringen Dank und

deutschsprachigen PSNV-Szene widmen

Anerkennung zum Ausdruck für eine weg-

sich in den Fachbeiträgen strukturellen und

weisende Initiatorin der PSNV.

Wege zur PSNV

konzeptionellen Fragestellungen und ins-

Bestandsaufnahme zum Gesamtsys­t em

Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen

Dieses Buch ist zum einen Rückblick und

Harald Karutz · Verena Blank-Gorki (Hrsg.)

Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung

Wege zur Psychosozialen Notfallversorgung Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen

ISBN 978-3-96461-027-0

Begegnungen – Erfahrungen – Erinnerungen www.skverlag.de


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