Liebe Genossinnen und Genossen! Liebe Mitglieder des SPÖ Parteipräsidiums! Die Sozialdemokratie steht vor ihrem historisch schlechtesten Ergebnis und muss sich selbst ernsthaft in Frage stellen. Jetzt ist nicht die Zeit für unüberlegte Schnellschüsse, sondern für eine grundlegende inhaltliche, organisatorische und personelle Erneuerung. Von dieser inhaltliche Reform bis hin zur Neuaufstellung der Löwelstraße und der strukturellen Öffnung der SPÖ, darf es keine Denkverbote oder Tabus in der Diskussion geben. All diese Themen müssen Teil einer neuen Gesamtstrategie sein. Wir wissen, dass Einzelmaßnahmen und auch die Zuspitzung der Probleme anhand von Personen zu kurz greifen. Es braucht den Mut die Sozialdemokratie offen und ehrlich zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Die folgenden Forderungen richten sich an die Klausur des SPÖ Präsidiums kommenden Freitag. Die Punkte in diesem Papier sollen einen ersten Beitrag leisten, stellen aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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Wenn die Miete schneller steigt als das Gehalt Wir müssen erkennen, dass wir in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nicht nur die Glaubwürdigkeit sondern auch die Deutungshoheit über Themen verloren haben: Welche Rolle hat Arbeit in unserem Leben? Wer sind die Fleißigen in unserem Land? Wer gestaltet unsere Gesellschaft? Was ist Gerechtigkeit?
Gerade in solchen Zeiten müssen wir uns an die Daseinsberechtigung der SPÖ erinnern. Diese lautet seit über 130 Jahren die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen zu verbessern. Da gibt es viel zu tun, wie selbst die einfachste Rechnung zeigt: Mieten steigen exorbitant, während die Löhne nicht im selben Ausmaß steigen. Mittlerweile müssen wir 40% unseres Einkommens für unsere Mieten aufwenden. Allein diese Feststellung zeigt warum es die SPÖ braucht. Anstelle von guten und wichtigen Einzelmaßnahmen des letzten Wahlkampfes, braucht es eine Erzählung voll greifbarer Beispiele, die all unsere Forderungen miteinander verbindet: Politik für die arbeitenden Menschen im Land und für jene, die es sich nicht aus eigener Kraft richten können. Diese Forderungen müssen mutig bis zu Ende gedacht werden. Das bedeutet, dass wir die richtigen Worte finden müssen, die Ungerechtigkeiten unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems zu benennen. Wir dürfen nicht zuschauen, wie aufgrund von Profitgier Mensch und Umwelt ausgebeutet werden. Wir wollen, dass die Menschen und nicht das große Geld die Politik bestimmen. Wir müssen die Handlungsfähigkeit zurück gewinnen, um unsere Zukunft nicht länger in die Hand des “freien Marktes” zu legen. Wir fordern eine inhaltliche Neuaufstellung der SPÖ. Schluss mit fehlender Klarheit. Die Sozialdemokratie darf nicht Teil des Systems, sondern muss die Alternative sein. Eine inhaltliche und ideologische Neuaufstellung darf natürlich nicht nur am Papier stattfinden, sondern muss gelebt werden. Wie bereits Bruno Kreisky sagte: „Nichts ist für eine erfolgreiche Praxis so nützlich, wie eine gute Theorie.“ Das bedeutet, dass durch unsere tagtägliche politische Arbeit erkennbar sein muss, wohin die Reise langfristig gehen soll. Vor allem in Zeiten von Koalitionsgesprächen gilt dies besonders.