120 Jahre Sozialistische Jugend Österreich

Page 1

e r h a J 0 12zialistische Jugend So

www.sjoe.at  sjoe_at  sj_oesterreich


Inhalt 03 Vorwort von Julia Herr 05 Bauvolk der kommenden Welt 06 Schwarze Listen 07 Lehrlingsschutz 08 "Der Jugendliche Arbeiter" 09 Verbandsgründung 10 Die Jugendinternationale - Gegen den Krieg 10 Das Adler - Attentat 12 Die österreichische Revolution 13 Die Schülerräte 14 Internationales Jugendtreffen der Sozialistischen Arbeiterjugend 15 Vordringen des Faschismus 15 Die Revolutionäre Sozialistische Jugend 17 Die Sozialistische Jugend - Internationale (SJI) 18 Einsatz im spanischen Bürgerkrieg 18 Auflösungsprozess der SJI 19 Der Zweite Weltkrieg 20 Der Neubeginn 21 Gegen die Staatsjugend 21 Universaler Anspruch 22 Die Politik der ersten Nachkriegsjahre 22 Abgrenzungspolitik gegen Rechts 23 Gründung der Zeitung "Trotzdem" 24 Demokratische Organisationsstrukturen 24 Priorität der Erziehungs- und Kulturarbeit 26 Diskussion um die Landesverteidigung 27 Neue Sozialistische Jugendinternationale 27 Staatsapparat und SPÖ-Establishment 28 Aktion Kader 28 Gegen das Senile und Fossile 30 Bündnis- und Aktionspolitik 31 Der Verbandstag 1976 32 "Flügelbildung" 33 Mit Vorzug in den Nationalrat 34 Friedensbewegung und SJ 34 Friedenspolitische Position der SJ

02

36 Vorzugsstimmen-Kampagne für Josef Cap 36 Alfred Gusenbauers Amtszeit 37 Die Hainburg - Krise 39 Internationale Orientierung 39 Gegen die Rotstift-Politik der Regierung 40 Modernisierung 40 Krise 41 Kampagnen gegen Rechts 41 Verein für Jugendmarketing 41 Die Krise der SJÖ vertieft sich 42 SJ NÖ initiiert Linkswende 43 Verknüpfung von Traditionalismus und Moderne 43 Kritik an der Verbandsführung wächst 44 SJÖ am Ende 44 Verbandstag 2000: Kurswechsel in Richtung Konsolidierung 45 Bündnisfähigkeit nach Innen 45 Sanierung greift 46 Feministische Politik 47 Bündnis mit neuen sozialen Bewegungen 47 Zivilgesellschaftlich orientiert 48 Links von der SPÖ 49 Für Neutralität und gegen Militarismus 49 Zukunft der SJ: International und gegen Krieg 50 Das neue Grundsatzprogramm 50 Dem Krieg keinen Frieden geben Mit dem Kapitalismus keinen Frieden schließen 51 Große Koalition 53 Verbandstag 2006 53 Verbandstag 2008 54 Verteilungsgerechtigkeit 55 Frauenpolitik 56 Antifaschismus 57 Bündnisarbeit 58 Die SJ zwischen 2009 und 2014 74 Verbandsvorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich nach 1945

IMPRESSUM Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreichs / Alle: Amtshausgasse 4, 1050 Wien / DVR: 0457582, ZVR: 130093029 / Autoren: Manfred Bauer, Marko Miloradovic, Philipp Lindner / Neue Kapitel: Julia Herr, Sebastian Pay / Bilder: Archiv der SJÖ / Powered by BMWFJ, gem. §7 Abs.2 B-JFG


120 Jahre SJ! Nur ein Geburtstag?

Warum überhaupt mit Geschichte be[vorwort] Julia Herr fassen? Es gibt unzählige Verbandsvorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich Gründe, sich mit Geschichte Es ist so weit: Die Sozialistische Jugend ist 120 Jahre alt! Doch was bedeuauseinanderzusetzen: Das tet das für unsere Organisation? Zeit für Nostalgie oder Chance uns wieder Wissen um die Geschichte weiterzuentwickeln und auf unsere Wurzeln zu besinnen? ist unabdingbar für das Verständnis und die Erklärung der derzeitigen Gesellschaft und Gegenwart. Ge- die sich gegen die Ausbeutung durch ihre Lehrherrn schichte zeigt auf, dass sie nicht – wie von bürger- zur Wehr setzen wollten, gründeten den Verein Julicher Seite behauptet – eine schicksalhafte zufälli- gendlicher Arbeiter, die Vorläuferinnenorganisaion ge Abfolge von „Naturgesetzen“ ist, sondern, dass der Sozialistischen Jugend. Im Laufe von mehr als Menschen die Gesellschaft und die Welt bewusst nach einem Jahrhundert wechselte der Name des Vereins ihren Interessen gestalten. Deshalb hat Geschichte von Sozialistischer ArbeiterInnenjugend in der Zwiauch immer die Funktion, Kritik an den bestehenden schenkriegszeit zu Revolutionäre Sozialistische JuVerhältnissen zu üben und dient somit einem konkre- gend während der Zeit des Widerstandes gegen den ten Zweck für die Gegenwart. Ebenso gilt das für un- Faschismus und schließlich zu Sozialistische Jugend sere eigene Organisation: Ohne das Wissen um unsere nach 1945. Vergangenheit, keine Zukunft! Wir müssen uns auch immer wieder unsere eigene Geschichte vor Augen hal- Bewegte Geschichte - klarer Auftrag! Und so vielten und kritisch reflektieren. Was waren historische fältig wie die Bezeichnungen im Wandel der Zeit, so Wendepunkte? Wo sind Fehler passiert? Woraus kann bewegt ist auch die Geschichte der SJ. Es gab viele man lernen? Die Zeit steht nicht still und wir dürfen Hochs und auch einige Tiefs in unserer Geschichte. Für mich als Verbandsvorsitzende und für die Gesames auch niemals tun! torganisation ist es daher wichtig, aus positiven wie Was passierte am 4. November 1894? Die Ge- negativen Punkten in unserer Geschichte zu lernen und schichte der SJ begann am 4. November 1894 im die SJ organisatorisch weiterhin beständig zu profesGasthof Hamberger in Wien-Margareten: Lehrlinge, sionalisieren und gleichzeitig vor allem politisch und inhaltlich weiterzuentwickeln – das betrifft vor allem die Bildungsarbeit, aber auch eine generelle Demokratisierung der Organisation. Denn es waren eben Arbeiterinnen und Arbeiter, die die SJ gegründet haben, um sich eine kämpferische Stimme in der Gesellschaft zu geben und durch Vertretungs- und Bildungsarbeit ihre Lage zu verbessern. Das ist gerade in einer von kapitalistischen Krisen zerfressenen Zeit wie heute wichtiger denn je. Die SJ muss wieder Sprach- und Kampforgan von vielen (!) Jugendlichen werden, vor allem auch wieder von jungen Arbeiterinnen und Arbeitern. Denn den Kampf für eine gerechte Welt können wir nur führen, wenn wir stark und wenn wir viele sind!

03


Wohin mit der SJ? Auch unser marxistisches Standbein in Theorie und Praxis muss wieder noch stärker intensiviert werden. Marxismus, von Gramsci auch richtigerweise als „Philosophie der Praxis" bezeichnet, lebt von seiner aktiven Anwendung, somit ist dessen permanente Vermittlung in unserer Bildungsarbeit unverzichtbar. Wichtig dabei ist, dass eine solidarische Organisationskultur gelebt wird, die das Gemeinsame vor das Trennende stellt. Nur dadurch ist eine innere Bündnisfähigkeit herzustellen, die wieder die Basis für eine möglichst starke Sozialistische Jugend bildet. Es bedarf aber eines ständigen, beharrlichen Weiterentwickelns in Richtung einer radikaleren, feministischeren und marxistischeren Sozialistischen Jugend, weil es eben keine Gesetzmäßigkeit gibt, dass das Pendel nicht auch in die andere Richtung ausschlagen kann. Die Überwindung des Kapitalismus bleibt unser Ziel! Warum eine radikalere und marxistischere SJ wichtig ist? Warum wir uns weiterhin politisch organisieren und gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen müssen? Dazu muss man nur einen Blick auf die aktuellen Weltgeschehnisse werfen. Kriege und Aufrüstung sorgen wieder weltweit für Millionen Tote, während sich die Rüstungsindustrie eine goldene Nase am menschlichen Leid verdient. Abertausende Flüchtlinge ertrinken grausam auf der Flucht vor diesen Kriegen im Mittelmeer, während die EU als menschenverachtende Antwort darauf die Grenzen noch stärker militarisiert und sich mit Hilfe von hochgerüsteten Privatarmeen wie Frontex abschottet. Millionen Menschen in Europa haben ihre Existenzgrundlage in der Krise verloren. Gesundheits- und Sozialsysteme brechen im Süden Europas zusammen. Massenelend, das als längst überwunden galt, breitet sich langsam und schleichend am Kontinent aus. Und gleichzeitig erzählen uns die Herrschenden gebetsmühlenartig immer wieder, dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen. Während die Privatvermögen mitten in der Krise so hoch wie nie zuvor sind und Banken und Superreiche europaweit gerettet wurden, kürzt man den öffentlichen Sektor zusammen und lässt den Großteil der Bevölkerung und vor allem die arbeitende und ler04

nende Jugend blechen und finanziell ausbluten. Wer wenn nicht wir, müssen gegen all das aufstehen und kämpfen? Dass nichts bleibt, wie es war! Es muss uns aber klar sein, dass all das Leid und die Ungerechtigkeiten aktuell nicht ungefähr kommen. Nicht „gierige ManagerInnen“ oder „ungezügelte Finanzmärkte“ sind die Ursache für diese multiplen Krisen der heutigen Zeit. Auch nicht der Neoliberalismus. Nein! Das sind alles nur die Symptome einer viel größeren Krankheit – es ist nämlich das System Kapitalismus selbst, dass den Menschen derzeit und auch schon historisch auf allen Ebenen zu schaffen macht. Und es liegt an uns Sozialistinnen und Sozialisten, unsere ganze Kraft darin zu stecken, dass dieses ausbeuterische, kriegstreiberische und krisenhafte System auf die Müllhalde der Geschichte geworfen wird! Der Marxismus als Theorie und Methode hat also nichts von seiner Aktualität, Wichtigkeit und Analysefähigkeit eingebüßt. Jedoch liegt es an uns Sozialistinnen und Sozialisten uns Wissen und Analysevermögen zu erweitern und dies in unserer Organisation und in der Gesellschaft weiterzugeben. Es liegt an uns aufzustehen gegen Ungerechtigkeiten, gegen Krieg, gegen Imperialismus und gegen Faschismus. Genau darum gibt es die Sozialistische Jugend. Und auch daran muss man sie messen.

Gemeinsam sind wir stark! Denn: Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat!

Freundschaft!


Start Bauvolkeiner Erfolgsstory der kommenden Welt

120 Jahren, im November Vor 110 1894, wurde die Sozialis- [die geschichte der sozialistischen jugend österreich] tische Jugend Österreichs gegründet. Sie ging aus dem "Verein Jugendlicher Arbeiter" hervor, der sich am 4. November 1894 in Wien Margareten im stützung einiger FunktionärInnen aus der ArbeiterGasthaus Hamberger konstituierte. Innenbewegung wurde die organisatorische und inhaltBereits 1893 wird von zwei Jugendgruppen berichtet, liche Arbeit aufgenommen. Am 3. Juni 1894 wurde die in Ottakring und Hernals ihre Tätigkeit entfalteten. bereits zu einer Gründungsversammlung im traditionsDie Hauptbeschäftigungen der Lehrlinge in der reichen Ottakringer Versammlungslokal "Zur Roten Ottakringer Vereinigung "Bücherskorpion" und der Brezen" eingeladen, bei der die Lehrlinge einen AusHernalser Gruppe “Jugendbund" bestanden in gemeinschuss wählten, der den Auftrag erhielt, Satzungen samem Lernen, Lesen, in Rechtschreibübungen und auszuarbeiten und bei der Statthalterei die Genehmigung Vorlesungen aus den Werken revolutionärer Schriftzur Vereinsgründung einzuholen. stellerInnen. Soziale und politische Fragen gelangten Am 4. November 1894 erfolgte schließlich die Vereinsdabei immer häufiger auf die Tagesordnung, weil ihr gründung und die Vorstellung des Vereins in der Öffenteigenes Los die Lehrlinge täglich daran erinnerte. lichkeit. Im Gründungsflugblatt hieß es dazu: Anlässlich einer gemeinsamen Veranstaltung der bei"Jedes Tier hat seinen Beschützer, das sind die Tierden Jugendgruppen wurde die Idee, einen gemeinsamen schutzvereine, die dafür sorgen, dass das Pferd nicht Verein zu gründen, erstmals thematisiert. Mit Unterunnötigerweise vom Kutscher geschlagen wird; die

Zehnjähriges Jubiläum des Vereins Jugendlicher Arbeiter

05


Schwarze Listen Vögel haben ihre Beschützer, die dafür sorgen, dass sie im Winter ihr Futter finden; und existiert für den Lehrling etwa ein Verein, der dafür sorgt, dass er nicht unmenschlich behandelt wird? Nein!" Ab dem 4. November 1894 existierte jedenfalls auch für die jungen Menschen ein Verein zum Schutz und zur Vertretung ihrer Interessen. Dieses Datum markiert auch den Beginn einer Erfolgsstory, die - mit Höhen und Tiefen - bis zum heutigen Tage andauert. Mit der Vereinsgründung wurden auch die Voraussetzungen geschaffen, dass die Probleme und Forderungen der Jugendlichen auch und gerade in der sozialdemokratischen Partei zum Thema gemacht wurden. Die Jugendlichen mussten sich nämlich ihren Platz in der ArbeiterInnenbewegung zuweilen gegen den Widerstand von Teilen der Partei und der Gewerkschaften erkämpfen, die den Wert einer ArbeiterInnenjugendbewegung anfänglich noch nicht in vollem Ausmaß erkannten. Noch 1902, anlässlich des Erscheinens der ersten Nummer der Zeitung der Jugendlichen, "Der Jugendliche Arbeiter", äußerte Ludwig August Bretschneider, ein Exponent der österreichischen Sozialdemokratie, seine Besorgnis über die Tätigkeit des Vereins der jugendlichen Arbeiter. Auf späteren Parteitagen und Gewerkschaftskongressen ist das Recht der Jugend auf eine eigene Organisation oftmals noch hinterfragt worden oder es verbarg sich eine distanzierte Haltung hinter insistenter Kritik. Dieses Misstrauen konnte jedoch überwunden werden. Die sozialistische ArbeiterInnenjugend-Bewegung ist in nur wenigen Jahren zu einem tragenden Element der gesamten österreichischen ArbeiterInnenschaft geworden.

06

Die jungen FunktionärInnen des Vereines hatten vor allem den Protest gegen die unwürdige Behandlung der Lehrlinge an die Spitze ihrer politischen Agenda gesetzt. Die Innungen wehrten sich auf die damals übliche Methode dagegen: Sie verfassten "Schwarze Listen", schlossen die bekanntesten RednerInnen und politisch aktive ExponentInnen aus der Lehre und der Fortbildungsschule aus und setzten durch, dass die "Aufrührer", wie sie genannt wurden, auch in anderen Lehrstellen nicht mehr aufgenommen wurden. Trotzdem wuchs der Verein. Nach zwei Jahren konnte ein Mitgliederstand von 150 Jugendlichen verzeichnet werden und die Bibliothek umfasste bereits 272 Bände. Am 25. April 1897 demonstrierten 500 TeilnehmerInnen gegen die lange Verschleppung der Genehmigung der Vereinsstatuten. Schließlich konnten auch die Behörden das neue Statut nicht länger verhindern und in rascher Folge entstanden Ortsgruppen in den meisten Wiener Bezirken. Zu den ersten zählten die Leopoldstadt, Margareten, Meidling, Favoriten, Ottakring und Brigittenau. Später folgten Gruppen in allen Wiener Bezirken. Es dauerte dann bis 1901, dass in Graz ein zweiter "Verein jugendlicher Arbeiter" gegründet wurde. Bald waren die Jugendlichen bei sämtlichen Veranstaltungen der Partei und der Gewerkschaft vertreten. Wenn es auch in den Erwachsenenorganisationen vereinzelt noch Widerstand und Unverständnis gab, fanden sich auch echte FördererInnen und FreundInnen der Jugendarbeit. Bei allen Kongressen waren JugendvertreterInnen eingeladen und bemühten sich um die Akzeptanz ihrer Tätigkeit durch die Partei. Schon 1896 beschloss ein Gewerkschaftskongress, den Verein jugendlicher Arbeiter zu fördern. Darauf folgte eine längere Jugenddiskussion auf dem Parteitag 1898, auf dem sich Victor Adler explizit für den Verein aussprach. Im Jahr 1903 waren die Widerstände bereits soweit beseitigt, dass in einer Resolution des Parteitages von allen Lokalorganisationen eingefordert wurde, die Jugendlichen tatkräftig zu unterstützen. Der Parteitag 1907 beschloss in der Folge, die Jugendorganisation in das Statut der Partei aufzunehmen. Damit wurde der Status der Jugendbewegung zementiert.


Lehrlingsschutz Immer mehr Augenmerk wendete der Verein daraufhin dem Jugendschutz zu. In Zusammenarbeit mit einigen Gewerkschaftern - die Grenzen zwischen Partei und Gewerkschaft waren damals noch nicht so präzis gezogen - gingen die Vereinsfunktionäre daran, Lehrlingsschutzkomitees zu organisieren. Diese Komitees standen bedrängten Lehrlingen mit Rat und Tat zur Seite; sie intervenierten oftmals bei den Dienstgebern, die als Lehrlingsschinder bekannt waren und erstatteten Anzeige beim Gewerbegericht oder bei der Polizei. Oftmals kam es auch zu Demonstrationen des Vereins vor einer betroffenen Werkstatt, die nicht ohne Wirkung blieb, denn bald zeigte sich eine deutliche Erleichterung für die unter den Repressalien der Dienstgeber laborierenden Lehrlinge. In seiner Biographie über Robert Danneberg "Robert Danneberg - Ein pragmatischer Idealist", schildert Leo Kane die dramatische Situation der Lehrlinge um die Jahrhundertwende

"Es muss seinen Angaben nach um die Jahrhundertwende gewesen sein, als Danneberg von dem Versuch der Gründung einer Zeitschrift für Lehrlinge hörte. Dem Leiden der Lehrlinge konnte sich niemand, der damals eine Zeitung aufschlug, verschließen. Keine Woche verging, in der nicht von Selbstmorden und Selbstmordversuchen oder von dem plötzlichen Verschwinden aus der Lehre entlaufener Lehrlinge berichtet wurde. Selbst die nichtsozialistische Presse brachte zumindest in ihren Gerichtssaalberichten Beschreibungen von Lehrlingsmisshandlungen, wobei nicht übersehen werden konnte, dass die Meister auch bei schweren Körperverletzungen der ihnen zur Ausbildung überlassenen Kinder ungeschoren blieben. Die Lehrlinge waren nicht nur die am brutalsten ausgebeutete Gruppe, sie stellten auch einen nicht unbedeutenden Teil der in Kleinbetrieben beschäftigten Personen dar. In einer Broschüre, die die Erfahrungen von vier Jahren Arbeit in der Lehrlingsbewegung zusammenfasste, gab Danneberg dazu einige Zahlen an. In Österreich, wo das Kleingewerbe noch nicht von den großen Fabriken verdrängt war, entfiel 1902 auf die kleinsten Betriebe nahezu die Hälfte sämtlicher gewerblich tätigen Personen. Von 1.051.836 Betrieben beschäftigten 448.552 nur eine Person, und 460.331 Betriebe beschäftigten zwei bis fünf. Danneberg schätzte die Zahl der im Handwerk beschäftigten Lehrlinge auf 200.000. 07


Der Jugendliche Arbeiter Für die dynamische Ausdehnung des Verbandes

lieferte die Zeitung der Lehrlinge "Der jugendliche Arbeiter" einen weiteren entscheidenden Beitrag. So lange es keine eigene Zeitung gab, organisierten die Vereinsfunktionäre die notwendige Information der Mitglieder mit sehr mühsam hergestellten und manuell reproduzierten Informationsblättern. Es gab viele Vorschläge und Diskussionen zur Lösung dieses Problems, doch scheiterten alle Lösungsversuche zunächst an der Finanzierung. Die Gruppe Margareten gründete auf diesem Hintergrund im Jahr 1901 einen privaten "Preßfonds" und lieferte damit die maßgebliche Initialzündung zur Zeitungsgründung. Noch im selben Jahr beschloss der Wiener Verein offiziell die Schaffung eines Pressefonds. Am 15. Oktober 1902 erschien dann die erste Nummer der Zeitschrift "Der Jugendliche Arbeiter". Nur unterbrochen von den faschistischen Perioden hatte seitdem die Österreichische ArbeiterInnenjugend auch auf medialem Gebiet ein Propaganda- und Informationsinstrument zur Verfügung. Die Zeitung wurde den damals noch selbständigen Vereinen zugesandt und stellte so einen engen Kontakt zwischen den einzelnen FunktionärInnen und Mitgliedern her. Die Lektüre der alten Protokolle und Berichte zeigt, welch geradezu revolutionärer Akt es im Jahre 1902 war, eine Zeitschrift für Lehrlinge herauszugeben. Immer wieder stieß man auf die Frage der Finanzierung. Die Verbands-Gründungskonferenz im Jahr 1903 beschloss, die Zeitschrift zum Verbandsorgan zu machen, womit die Verantwortung aller Zweige der Organisation für die Zeitung festgelegt wurde. Die neue Zeitschrift berichtete vorwiegend über praktische Lehrlingsprobleme, vergaß aber auch nicht auf die wichtige Erziehungs- und Kulturarbeit. Es gelang ihr, prominente ParteiführerInnen, darunter Leopold Winarsky, für die beliebten "Gedenkartikel" oder für Kurzbiographien großer Persönlichkeiten des Sozialismus zu gewinnen.

08


Verbandsgründung Im Jahr 1903 schließlich schien die Zeit reif für einen überregionalen Verband. So kam es am 13. März dieses Jahres zur Gründungskonferenz des Verbandes Jugendlicher Arbeiter Österreichs. Dessen Obmann war von 1903 bis 1918, dem Ende des Ersten Weltkriegs, Anton Jenschik. Die prägenden Persönlichkeiten indes waren Robert Danneberg und Leopold Winarsky, der 1915 verstarb. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte es die Organisation auf mehr als 16.000 Mitglieder gebracht. Der Verbandstag konzipierte folgenden Forderungskatalog, der maßgeblich für die weitere politische Entwicklung des Vereins sein sollte: 01. Die Lehrzeit darf zwei Jahre, eine eventuelle Probezeit mit eingerechnet, nicht übersteigen. 02. Achtstündiger Maximalarbeitstag für alle Personen unter 18 Jahren. 03. 36stündige ununterbrochene vollständige Sonntagsruhe ohne Klauseln für alle Personen unter 18 Jahren.

04. Abschaffung des körperlichen Züchtigungsrechtes. 05. Regelung der Stellenvermittlung. 06. Staatliche Fürsorge für arbeitslose Lehrlinge. 07. Unentgeltlichkeit des Rechtsschutzes. 08. Anstellung von eigenen Lehrlingsinspektoren. 09. Verbot der Lehrlingsverwendung zu häuslichen und überhaupt zu außergewerblichen Arbeiten. 10. Obligatorische Einführung des Tagesunterrichtes an allen gewerblichen Vorbereitungs-, Fortbildungsund Fachschulen sowie strenge Bestrafung derjenigen Meister, die ihre Lehrlinge hindern, diese Schulen zu besuchen. 11. Arrest oder empfindliche Geldstrafen für diejenigen Meister, die einer der angeführten Bestimmungen zuwiderhandeln. Diese Resolution, die mit ähnlichem Inhalt bis zur Gründung der Ersten Republik auf allen Konferenzen beschlossen wurde, bildete die Basis für die weiteren politischen Initiativen und Projekte des Verbandes.

Gründungskonferenz des Verbandes Jugendlicher Arbeiter

09


Die Jugendinternationale - Gegen den Krieg Die Verhältnisse im Lehrlingswesen in den anderen europäischen Staaten waren ein Spiegelbild Österreichs. Um die Jahrhundertwende bildeten sich daher Lehrlingsklubs und Jugendgruppen in Deutschland, in Skandinavien oder in Frankreich. Im Anschluss an einen internationalen Kongress sozialistischer Parteien in Stuttgart im Jahr 1907 traten 22 VertreterInnen verschiedener ArbeiterInnenjugendorganisationen zur ersten internationalen Konferenz der Sozialistischen Jugend zusammen. Karl Liebknecht wurde zum Vorsitzenden gewählt und Robert Danneberg zum Sekretär; Wien war damit Sitz des internationalen Sekretariats geworden. Drei Forderungen verdichteten sich zum gemeinsamen Programm des ersten Versuches der internationalen sozialistischen Zusammenarbeit der Jugendorganisationen: Kampf gegen den Militarismus, gegen die Lehrlingsausbeutung und gegen den Alkoholismus. Die Verhinderung eines künftigen Krieges und die Aufklärung der Jugend über das Wesen des Militarismus wurden als die wichtigsten internationalen sozialistischen Forderungen formuliert. Das Jahr 1912 markiert eine weitere wichtige Entwicklungsetappe in der Geschichte der Sozialistischen Jugend. Ab diesem Jahr konnten nämlich auch Mädchen und junge Frauen Mitglied werden; die offizielle Mitgliedschaft war ihnen bis zu diesem Zeitpunkt verwehrt geblieben. Der Verband jugendlicher Arbeiter stellte den Kampf gegen den Militarismus auch in der österreichischungarischen Monarchie an die Spitze der politischen Agenda. Jedes Jahr im Herbst, wenn die Assentierungen stattfanden, startete "Der jugendliche Arbeiter", das Kampforgan der Jugendorganisation, seine Attacken gegen den k. u. k. Kasernenhof-Ungeist. Den Ausbruch des ersten Weltkrieges konnten die Jugendorganisationen freilich nicht verhindern, zumal viele sozialistische Parteien, an der Spitze die österreichischen und die deutschen SozialdemokratInnen, bei 10

Ausbruch des ersten Weltkriegs in eine nationalistische Hurra-Stimmung ausbrachen. Überall in Europa in Deutschland, in Frankreich, in Österreich - schlugen die patriotischen und chauvinistischen Wogen hoch.

Das Adler - Attentat In Österreich hatte sich allerdings eine Linke innerhalb der Sozialdemokratie formiert, in deren Zentrum Friedrich Adler, Robert Danneberg und Otto Bauer standen, mit denen der Jugendverband sympathisierte. Doch die innerparteiliche Linke geriet innerhalb der Sozialdemokratie vor allem infolge der rigiden Ausgrenzungspolitik der sozialdemokratischen Rechten allmählich in Isolation. Als Demonstration einerseits gegen das Parteiestablishment, das ihm etwa in der Person des austromarxistischen Rechtsauslegers Karl Renner "parteischädigendes" Verhalten vorwarf, und andererseits gegen die reaktionäre k.u.k. - Administration, die er für den Angriffskrieg und die Ausschaltung des Parlamentarismus verantwortlich machte, erschoss Adler am 24. Oktober 1916 den Ministerpräsidenten Karl Graf von Stürgkh. Friedrich Adlers Verteidigungsrede vor dem Ausnahmegericht war eine einzige Anklage gegen den Krieg, gegen den Militarismus - und gegen die eigene Partei. Die Wiener Jugendlichen verlangten stürmisch eine aktive Politik des Verbandes gegen den Parteivorstand, der ihrer Meinung nach den Krieg nicht heftig genug bekämpfte. In einer dramatischen Reichskonferenz Verbandstage konnten während des Krieges nicht abgehalten werden - gelang es den VerbandsfunktionärInnen, die Einheit der Organisation zu wahren; es wurden die erzieherischen Aufgaben der Jugendorganisation betont und klargestellt, dass ein selbständiges politisches Auftreten des Verbandes notwendigerweise zu einer Entzweiung mit der Partei füh-


ren müsse. Wer die Partei kritisieren wolle, müsse dies in der Partei tun, lautete die Schlussfolgerung. Auf diese Weise konnte die Gefahr einer Zersplitterung der Organisation in der Kriegszeit vermieden werden. Demotiviert, durch viele Verluste personell geschwächt und politisch entmutigt, erlebte der Verband schließlich das Ende des Krieges.

Hotel Meissl und Schadn in Wien, Schauplatz des Adler-Attentats 11


Die österreichische Revolution Der Sturz der Monarchie, der Zerfall des großen Reiches und die Ausrufung der Republik entfachte aber eine revolutionäre Stimmung, die die ganze Bevölkerung erfasste. Das alte Regime mit der verhassten k.-u.k. - Administration war gefallen, und es brach die Zeit an, da längst fällige Reformen, die revolutionären Charakter trugen, realisiert werden konnten. Ein Sozialist, Karl Renner, stand an der Spitze der provisorischen Regierung, ein anderer, Karl Seitz, bekleidete das Amt des Wiener Bürgermeisters. Das Wahlrecht wurde erst jetzt ein allgemeines, die Frauen wurden in den Kreis der gleichberechtigten Staatsbürger-

Innen einbezogen, der 8-Stunden-Tag und der ArbeiterInnenurlaub verwirklicht und das Recht der ArbeiterInnen auf Wahl ihrer Räte in den Betrieben durchgesetzt. Auch der Jugend-Verband nahm an dieser revolutionären Umgestaltung teil: Viele Reformen konnten bereits in den Anfangstagen der Ersten Republik durchgesetzt werden, doch bestand etwa immer noch der von den Jugendlichen bekämpfte Fortbildungsschulungsunterricht am Sonntag. In einer konzertierten Aktion brachten die Wiener Lehrlinge dieses Relikt aus der k.u.k. - Zeit schließlich zu Fall. Am 2. März 1919 streikten alle Wiener Lehrlinge und erzwangen so die neuen Gesetze. Bald folgten auch die Schulverwaltungen in den übrigen Ländern.

Lehrlingsdemonstration gegen den Sonntagsunterricht 12


Der 5. Verbandstag brachte die durch den Weltkrieg verhinderte Generationsablöse und leitete den großen Ausbau der Organisation ein. Im Jahr 1919 erhielt die Organisation einen neuen Namen; die "Sozialistische Arbeiter Jugend" entwikkelte sich entlang der politischen und organisatorischen Ausbreitung der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik zu einer echten Massenorganisation der ArbeiterInnenjugend. Bereits 1923 verzeichnete sie einen Mitgliederstand von 38.000 und noch im Jahr 1932, als sie bereits von der Reaktion heftigst bedrängt wurde, gab es immer noch 28.000 Mitglieder in insgesamt 528 Gruppen. Die massive Kraft der SAJ bestand vor allem im hohen Niveau der inhaltlichen Arbeit, der Diskussionen und Schulungen sowie in ihrer organisatorischen Stärke. Damit erlangte sie die führende Rolle bei der Unterstützung des parlamentarischen und außerparlamentarischen Kampfes der ArbeiterInnenjugend für ihre sozialen Rechte. Der innere Diskurs kreiste in diesen Jahren um die Frage, ob im Rahmen einer politischen Jugendbewegung die politisch-kämpferische Linie, die etwa von Manfred Ackermann repräsentiert wurde, oder die sozialistische Kultur- und Erziehungsarbeit, wie sie Felix Kanitz vertrat, stärker im Vordergrund stehen sollte. Aus dem "Richtungsstreit" ging im Jahre 1926 schließlich Felix Kanitz als "Sieger" hervor. Dennoch blieb die Sozialistische Jugend bis zu ihrer Auflösung durch die faschistische Ständediktatur eine massiv durchpolitisierte Organisation. Neue, eher unpolitische Organisations- und Kulturformen wie z.B. Wandern, Tanzen, Lager etc. dienten weiter nur der besseren Erfassung und Eingliederung der Jugend in die Organisation. Dass es nicht zu einer Entpolitisierung der Jugend kam, war ausschließlich den offen zu Tage tretenden Klassenwidersprüchen zwischen den ArbeiterInnen und dem Kapital geschuldet. Mit seinen Attacken auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung traf das Kapital nämlich auch und gerade die ArbeiterInnenjugend. So waren in dieser Zeit von 100 männlichen Mitgliedern der SAJ 55 arbeitslos, von 100 weiblichen 52.

Die Schülerräte Einen überragenden Erfolg erzielte die SAJ mit ihrem Kampf um die Einführung der Schülerräte in Wien, aus denen später die Schulgemeinden an den Fortbildungsschulen hervorgingen. Hunderte junge Menschen, die zu Schülerräten gewählt wurden, schlossen sich dem Verband der Sozialistischen Arbeiter Jugend an; es war dies eine wertvolle Bereicherung jenes Kräftereservoirs, aus dem später führende ExponentInnen der Sozialdemokratie hervorgingen.

13


Internationales Jugendtreffen der Sozialistischen Arbeiterjugend Dieses internationale Jugendtreffen fand im Juli 1929 in Wien statt. Mit dabei waren die wichtigsten Jugendführer Europas, die später zum Teil als sozialdemokratische PolitikerInnen Karriere machen sollten: Etwa der Holländer Koos Vorrink, Rikard Lindström von der schwedischen Arbeiterjugend oder die Dänen Hans Christian Andersen oder Hans Hedtoft Hansen, beide nach dem Zweiten Weltkrieg Ministerpräsidenten ihres Landes. Auf diesem Kongress zeigte sich, wie sehr die SAJ von der Partei emanzipiert war, ohne allerdings die inhaltliche Vernetzung mit den Zielen und Idealen der Sozialdemokratie in Frage zu stellen. Für die Jugendorganisation gab es keinerlei Einschränkungen, auch wenn sie sich in ideologischen Konflikten mehr mit dem linken Flügel um Max Adler und den zentristischen Kräften um Otto Bauer formierte als um den rechten Flügel, der sich um Karl Renner gebildet hatte. All dies trug dazu bei, dass die SAJ nicht nur Massenorganisation der ArbeiterInnenjugend war, sondern ihre

Netzkarte für TeilnehmerInnen des internationalen Jugendtreffens

14

Aufgabe der Nachwuchs- und FunktionärInnenRekrutierung für die Partei erfüllte. Die politische Situation der Nachkriegsjugend hat Otto Bauer in einer vielbeachteten Rede auf diesem Jugendtreffen analysiert: "Der Kapitalismus ist jetzt wieder unendlich stark, wirtschaftlich und an Gewaltmitteln, am stärksten an geistigen Mitteln, durch die er die Völker sich untertan macht und durch die er den Glauben an andere Möglichkeiten bekämpft. Einen Feind von so ungeheurer Macht zu besiegen, dazu genügen die nüchternen Erwägungen des Tages nicht, dazu braucht man großen Glauben, der Berge versetzt, den festen Willen, diese feindliche Welt zu besiegen, den Enthusiasmus, aus dem allein der Sieg wird. Und diese ganz junge Generation mit diesem Bewusstsein zu erfüllen, das ist eure Aufgabe, das ist die Aufgabe, die euch gestellt ist, und nach allem, was ich in den letzten Tagen gesehen habe, bin ich überzeugt, ihr werdet sie erfüllen."


Vordringen des Faschismus Im Zeichen der Machtergreifung Hitlers in Deutschland wurde zum ersten Mal auch innerhalb der SAJ mit den Vorbereitungen für die illegale Tätigkeit begonnen. Charakteristisch dafür, wie reaktionär und gleichzeitig hinterlistig damals schon die bürgerlichen Parteien Österreichs waren,ist die Tatsache, dass die Verfilmung des Buches "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque im "demokratischen Österreich" des Jahres 1931 nicht mehr aufgeführt werden durfte. Die Wiener sozialistischen Jugendlichen mussten in Sonderzügen zu Tausenden nach Preßburg fahren, um den Film dort zu sehen. Die Zeichen des Unterganges der österreichischen Demokratie waren für alle, die sehen wollten, evident geworden. Bereits Monate vor dem 12. Februar 1934, dem Beginn des bewaffneten Konflikts zwischen dem Austrofaschismus von Bundeskanzler Dollfuss, seinen Heimwehren und der österreichischen ArbeiterInnenbewegung, wurden in der SAJ die Formen des Widerstandes und des Kampfes im Untergrund diskutiert. Das Verbot der SDAP und die Zerschlagung ihrer Strukturen inklusive der Jugendorganisationen hatte dann eine völlige Neuorientierung der Organisation zur Folge: Die Massenorganisation der ArbeiterInnenjugend wurde in eine geheim operierende Kaderorganisation umgewandelt. Sie sollte einerseits durch Schulungsund Erziehungsarbeit den sozialistischen Geist in der Jugend gegen den geistigen Terror der Faschisten, sowohl gegen den Terror der Heimwehren als auch gegen den Terror der Nationalsozialisten, verteidigen und andererseits durch illegale Flugblattaktionen gegen die massive Verschlechterung der sozialen Situation der ArbeiterInnenjugend mobilisieren und damit die kapitalistischen Interessen hinter der heimatorientierten Schulterschluss-Rhetorik des Ständestaates aufdecken.

Die Revolutionäre Sozialistische Jugend Aus der verbotenen SDAP gingen die "Revolutionären Sozialisten" als Nachfolgeorganisation hervor, aus der SAJ die Revolutionäre Sozialistische Jugend - RSJ. Die RSJ konnte grossteils auf die JugendfunktionärInnen aus der SAJ zurückgreifen, denn die meisten von ihnen waren arbeitslos und wollten sich zumindest die sozialistische Jugendgemeinschaft, die ihrem Leben selbstbestimmenden Inhalt gegeben hatte, nicht auch noch wegnehmen lassen. Gemeinsam mit den Revolutionären Sozialisten versuchte die RSJ eine MediatorInnen - Position zwischen der reformistisch sozialdemokratischen und der kommunistisch orientierten ArbeiterInnenbewegung einzunehmen. Sie unterstützte dabei Otto Bauers Konzept eines "Integralen Sozialismus". SozialistInnen und KommunistInnen, schlug Bauer vor, sollten sich wieder, wie vor dem Ersten Weltkrieg, in einer einzigen Partei zusammenfinden. Selbstverständlich war dieser Zusammenschluss nach Einschätzung Bauers eine sehr komplizierte Operation und mehr als bloß eine mechanische Addition. Der Integrale Sozialismus sollte aus einer Synthese von revolutionär gewordenem sozialdemokratischen Reformismus und demokratisch gewordenem revolutionären Bolschewismus bestehen. Sehr viele junge SozialistInnen büßten nach 1934 ihr Engagement für die Widerstandsbewegung mit hohen Kerkerstrafen oder sogar mit dem Tod. Josef Gerl etwa, ein Funktionär des Wiener Verbandes, wurde am 24. Juli 1934 hingerichtet. Der austrofaschistische Kanzler Engelbert Dollfuss hatte zuvor ein Gnadengesuch für Gerl abgelehnt. Das Dollfuss-Regime hatte ihm unterstellt, dass er beim Überfall von bewaffneten Gendarmen auf eine sozialdemokratische Gedenk15


veranstaltung Sprengstoff gezündet hätte, was nachweislich nicht der Fall war. "Die Idee bedeutet mir mehr als mein Leben", rief Gerl seinen Henkern noch zu, ehe er starb. Er drückte damit aus, was alle jungen revolutionären SozialistInnen fühlten, die im Widerstandskampf standen. Dennoch bekannten sich die Mitglieder der RSJ in Blitzkundgebungen, in Zeitungsartikeln und auch vor Gerichten zu ihrer sozialistischen Überzeugung. Die beiden ersten Führer der RSJ, der 1945 im KZ ermordete Roman Felleis und der spätere Parteivorsitzende und Bundeskanzler Bruno Kreisky, zählten im großen Sozialistenprozess 1936 zu den mutigsten Rednern. So sagte Kreisky in diesem Prozess: "Ich habe schon gesagt, dass ich nach wie vor Sozialist bin. Weder die Taten der Regierung, noch die aufmerksame Lektüre nichtsozialistischer und antimarxistischer Werke ließen mir eine andere Lösung als die des Sozialismus möglich erscheinen. Ich halte weiter den Klassenkampf für das einzige Mittel der Befreiung der Arbeiterschaft."

16

Josef Gerl

Mit dem Einmarsch der Armee Hitler-Deutschlands in Österreich im März 1938 beendeten sowohl die Revolutionären Sozialisten als auch die RSJ ihre Tätigkeit. Der Terror gegen die fortschrittlichen Kräfte war unter den Nazis ungleich brutaler als unter den Austrofaschisten. Einzelne SozialistInnen arbeiteten dennoch in Widerstandsgruppen mit und viele von ihnen - darunter auch die letzten FührerInnen der RSJ, das Ehepaar Hans und Stefanie Kunks, büßten für ihr Engagement im Widerstand und im Untergrund mit dem Leben.


Die Sozialistische Jugend - Internationale (SJI) In den Jahren der Verfolgung und Isolierung der sozialistischen Jugend in Österreich kam dem Rückhalt in der internationalen sozialistischen Bewegung naturgemäß große Bedeutung zu. Vor allem die materielle Hilfestellung, die vom sudetendeutschen und von anderen Verbänden großzügig geleistet wurde, aber auch die auf mannigfaltige Weise erfolgte politische und moralische Unterstützung erwiesen sich als überaus wertvoll. Demgegenüber blieb die politische Bedeutung und Wirksamkeit der SJI ziemlich gering. Die Exekutivkomitee- und Bürositzungen und die Kongresse (in Kopenhagen, August 1935, und in LilIe, August 1939) standen im Zeichen heftiger Konflikte, welche die damalige Zerrissenheit und Problematik der internationalen sozialistischen Bewegung wiederspiegelten. "Die sozialistischen Internationalen", stellte nachträglich der österreichische Revolutionäre Sozialist Joseph Buttinger kritisch fest, "setzten ihren sozialdemokratischen Kurs unbeirrt von allen Erschütterungen der Zeit fort, und ihre effektive Wirksamkeit war damals wie früher gleich Null". Gegen die Vorherrschaft der rechtsgerichteten Mehrheit in der SJI (Schweden, Dänemark, Holland, Deutschland, CSR und andere), von der auch die Vorsitzenden (Koos Vorrink 1932-1935, Hans Christian Hansen 1935-1939, Torsten Nilsson ab 1939), der Sekretär (Erich Ollenhauer) und die meisten Büro- und Exekutivkomiteemitglieder gestellt wurden, formierte sich eine vornehmlich um Frankreich und Belgien gruppierte radikale Opposition. "Die belgischen Genossen", erklärte ihr Vertreter auf der Exekutivkomiteesitzung am 31. März und am 1. April 1937 in Brüssel, "vermissen bei der Leitung der Internationale die erforderliche Initiative und bedauern den Mangel an revolutionären Lösungen. Die Sozialistische Jugend-Internationale befindet sich in zu starker Abhängigkeit von der schwächlichen und reformistischen Politik der SAI" (Sozialistische Arbeiter Internationale). Die Linken forderten in erster Linie eine stärkere politisch-aktivistische Orientierung der Arbeit der sozialistischen Jugendbewegung, eine Zusammenarbeit mit

den KommunistInnen und eine positive Einstellung zur Sowjetunion, insbesondere nach der Einleitung der Volksfrontpolitik am 7. Weltkongress der Komintern beziehungsweise am 6. Weltkongress der Kommunistischen Jugend Internationale (KJI) im Jahre 1935, sowie die Orientierung auf die Diktatur des Proletariats. Als die oppositionellen Verbände Frankreichs, Belgiens und Italiens mit Zustimmung anderer Organisationen in Toulouse 1936 eine Sonderkonferenz organisierten, auf der eine Arbeitsgemeinschaft der revolutionär sozialistischen Jugend (ein sogenannter Linksblock) gebildet und die Teilung der SJI in eine politische und in eine kulturelle Sektion gefordert wurde, konnte nur mit Mühe die Spaltung der SJI verhindert werden. Die illegale sozialistische Jugend Österreichs, die durch Ernst Papanek (Deckname Ernst Pek) im Büro und einen Mitarbeiter in der Exekutive vertreten war, sympathisierte mit dem Linksblock, versprach aber in einem Abkommen Anfang 1937 Loyalität. Als die Franzosen, weniger radikal als opportunistisch, das Münchner Abkommen von 1938 begrüßten und durch ihren Delegierten, Bernard Chochoy, die "Politik kriegslüsterner Antifaschisten" verurteilten, traten ihnen die damit apostrophierten österreichischen VertreterInnen entschieden entgegen. "Die deutsche Arbeiterschaft", sagten die österreichischen VertreterInnen, "erwartet von einem neuen Krieg nicht, dass sie durch ihn vom Faschismus befreit wird, aber was wir verlangen können ist, dass die Mächte Hitler nicht immer wieder zu neuen billigen Erfolgen verhelfen."

17


Einsatz im spanischen Bürgerkrieg Wirkliche politische Bedeutung errang die SJI lediglich im Zuge des spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939. Sofort nach dem Beginn des Armeeaufstandes leitete die sozialistische ArbeiterInnenbewegung, einschließlich der SJI und der ihr angeschlossenen Verbände, umfassende politische und materielle Unterstützungsmaßnahmen für die legale republikanische Regierung ein, die schließlich zur größten Solidaritätsaktion in der Geschichte der internationalen ArbeiterInnenbewegung wurden. Im Interesse des spanischen Freiheitskampfes überwand die SJI Führung ihren Antikommunismus und nahm die Vereinigte Sozialistische Jugend Spaniens, seit Mai 1936 eine Einheitsorganisation von SozialistInnen und KommunistInnen, deren fast eine halbe Million Mitglieder zum Großteil in den Reihen der Kämpfenden standen, im April 1937 einstimmig in die SJI auf. Im Sommer 1937 wurden anlässlich des Aufenthaltes einer SJI - Delegation in Spanien sogar auf Wunsch der Spanier direkte Kontakte mit der KJI aufgenommen, und in einer "informativen Besprechung" wurde zwischen Hansen, Ollenhauer und dem KJI Generalsekretär Michal Wolf verstärkte Hilfe für Spanien vereinbart. Außerdem wurde Ernst Papanek, der Vertreter der RSJ, der seit Anfang 1937 die Spanienarbeit der SJI leitete, als offizieller Vertreter in die überparteiliche Internationale Hilfskommission für die spanische Jugend entsandt. Darüber hinaus kämpften Tausende von jungen SozialistInnen, darunter viele ÖsterreicherInnen, als Freiwillige in den Internationalen Brigaden, in den Reihen der ArbeiterInnenmiliz, der AnarchistInnen und TrotzkistInnen, ohne jedoch den Sieg des von Deutschland und Italien ungleich stärker unterstützten Franco-Regimes verhindern zu können. Das spanische Experiment der Einheitsfront von KommunistInnen und SozialistInnen scheiterte indes. Denn die KommunistInnen, die zwar kaum ein Viertel der Mitglieder der Jugendorganisation stellten, aber die führenden SozialistInnen mit dem Generalsekretär Santiago Carillo an der Spitze insgeheim für sich gewinnen konnten, bemächtigten sich mit fragwürdi18

gen Methoden des gesamten Verbandes und versuchten dann unter Ausnützung der Spanien - freundlichen Stimmung die SJI von innen her zu spalten. Nachdem die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens mit der Einheitsjugendorganisation im März 1939 gebrochen und wieder eine eigene Jugendbewegung gebildet hatte, wurde die (kommunistische) Vereinigte Sozialistische Jugend Spaniens am Kongress in LilIe 1939 einstimmig (bei 39 Enthaltungen) aus der SJI ausgeschlossen. Nach solchen Erfahrungen, zu denen bald der Hitler-Stalin-Pakt hinzukam, waren alle Volksfront- und Einheitsfrontillusionen in den Reihen der sozialistischen Jugend zerstoben.

Auflösungsprozess der SJI In organisatorischer Beziehung überstand die SJI die schweren politischen Erschütterungen, die im Mai 1938 zu einer Verlegung des Sekretariats von Prag nach Paris führten, verhältnismäßig gut. Nach der Aufnahme des polnischen Jugendbundes "Zukunft" und des großen norwegischen ArbeiterjugendVerbandes 1937 hatte die SJI alle sozialistischen Jugendorganisationen Europas integriert, doch konnte sie außerhalb Europas kaum Fuß fassen. Ende 1934 umfasste die SJI dreiunddreißig Verbände in achtundzwanzig Ländern mit 249.034 Mitgliedern, am 31. Dezember 1938 fünfunddreißig Verbände in neunundzwanzig Ländern mit 251.283 Mitgliedern, wovon mehr als einhunderttausend allein auf Schweden entfielen. Dazu kamen die Weltorganisation der jüdischen sozialistischen Jugend DROR, die 1934 zehn Verbände in zehn Ländern mit 23.000 Mitgliedern und 1938 fünfzehn Verbände in fünfzehn Ländern mit 28.000 Mitgliedern hatte, und die mit großen Schwierigkeiten kämpfende Internationale Sozialistische Studentenföderation mit fünfzehn Organisationen in fünfzehn Ländern (1938: 8646 Mitglieder). Insgesamt umfasste die SJI am 31. Dezember 1938 ohne die halbe Million


Mitglieder der spanischen Einheitsorganisation fünfundsechzig Verbände in dreißig Ländern mit 287.929 Mitgliedern, um 10.870 mehr als Ende 1934. In dieser Erfolgsbilanz kam freilich nicht zum Ausdruck, dass mehr als zwanzig Verbände illegal waren und manche - wie etwa Russland und Georgien - nur noch auf dem Papier bestanden. Infolge der schweren Niederlagen der europäischen ArbeiterInnenbewegung geriet die SJI in einen unaufhaltbaren Auflösungsprozess. Ihre letzten Zusammenkünfte waren der 6. Kongress in LilIe im Sommer 1939, auf dem Bruno Kreisky unter dem Decknamen Pichler als Vertreter der illegalen sozialistischen Jugendbewegung Österreichs referierte, und eine Bürositzung am 27. Februar 1940 in Brüssel. Nach dem militärischen und politischen Debakel der Demokratien im Frühjahr 1940 stellten die SJI, die SAI und bald darauf (1942) auch die Komintern und die KJI ihre Tätigkeit ein.

Der Zweite Weltkrieg Die sieben Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich von 1938 bis 1945 waren zweifellos das tragischste Kapitel in der Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung. Das Aufrechterhalten einer illegalen Organisation mit einem zentralen Apparat und koordinierter Organisationsarbeit, wie sie noch zwischen 1934 und 1938 praktiziert werden konnte, war in dieser Zeit nicht möglich. Doch den Nationalsozialisten, die alle oppositionellen Kräfte geistig und physisch auszurotten versuchten, gelang es nicht, den Widerstandswillen der sozialistischen Jugend zu brechen und die Bewegung völlig zu vernichten. Unter den WiderstandskämpferInnen, die sich überall im Lande gegen die faschistische Herrschaft zur Wehr setzten, nahmen sozialistische Jugendliche einen exponierten Platz ein, "nicht nur ältere Menschen. . .", schrieb der österreichische Historiker Karl Stadler, ein ehemaliger sozialistischer Jugendlicher, "sondern auch junge und allerjüngste,

wie denn auch oft hervorgehoben" worden sei, "die parteifeindliche Haltung eines Häftlings sei das Resultat seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei den Kinderfreunden und den Roten Falken". Der Widerstand reichte von einfacher Demonstration der Gesinnungstreue - wenn etwa zwei junge Arbeiter (fünfzehn beziehungsweise siebzehn Jahre alt) "in herausfordernder Weise und offenbar zur Bekundung ihrer marxistischen Einstellung rote Nelken im Knopfloch trugen" - über einfache Aktionen - zum Beispiel die Störung eines nationalsozialistischen Filmes durch das Werfen von Stinkbomben - bis zur Bildung von organisierten Gruppen, welche die nationalsozialistische Kriegsführung bekämpften. Viele sozialistische Jugendliche hatten ihren organisatorischen Zusammenhang aus der austrofaschistischen Zeit weiter bewahrt und wurden vielfach erst durch Verhaftung oder durch Einberufung auseinandergerissen, so etwa eine aus fünfzehn- bis siebzehnjährigen Lehrlingen bestehende Gruppe der "Revolutionär-sozialistischen Jugend" bei Ternitz, die im Oktober 1938 von der Gestapo ausgehoben wurde, und die im Deutschen Bund für alkoholfreie Kultur untergetauchte RSJ-Rudolfsheim, die von Franz Gawlik bis zu seiner Einziehung zum Militär im Kriegsjahr 1943 geleitet wurde. Andere sozialistische Widerstandsgruppen, die nicht als eigentliche Jugendgruppen anzusprechen waren, wie zum Beispiel die um die ehemaligen SAJ-FunktionärInnen Alfred Migsch und Felix Slavik, bestanden zum Großteil aus jungen Revolutionären Sozialisten und ehemaligen SAJ-Leuten. Aber auch in kommunistischen oder kommunistisch beeinflussten Organisationen, die zu den HauptträgerInnen des aktiven Widerstandes in Österreich zählten, kämpften viele, deren Geist und Widerstandskultur im Milieu der sozialistischen Jugendbewegung geformt worden war. Zahlreich sind auch die Namen jener, die auf sich allein gestellt in der einen oder anderen Form Widerstandshandlungen setzten, die in den Hitlertruppen Zersetzungsarbeit leisteten oder in der Emigration für ein freies und demokratisches Österreich kämpften. Der hohe persönliche Einsatz, die ungeheuren Blutopfer, 19


die in dieser Zeit erbracht wurden, waren nicht vergeblich: Sie retteten das Vermächtnis der österreichischen ArbeiterInnen- und ArbeiterInnenjugendbewegung hinüber in die Zweite Republik. Als die Streitkräfte des deutschen Faschismus im Mai 1945 bedingungslos kapitulierten, war die sozialistische Jugendbewegung Österreichs bereits wieder erstanden. Am 10. April 1945, als in Wien noch heftige Kämpfe zwischen der Sowjetarmee und den Hitlertruppen stattfanden, kamen sozialistische Jugendliche unter der Führung Peter Strassers zur Gründung einer neuen sozialistischen Jugendorganisation zusammen. Am 28. April 1945, einen Tag nach der Wiederherstellung der Republik Österreich, wurde die Sozialistische Jugend Österreichs (SJÖ) konstituiert. Und mit Ausnahme der Wehrsportler wurden nach und nach alle Organisationen der sozialdemokratischen Jugendbewegung - zum Teil unter anderen Namen und in anderen Formen - wieder ins Leben gerufen. Eine neue Ära in der Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung Österreichs hatte begonnen.

Der Neubeginn Einen Tag vor der Bestellung der ersten österreichischen Regierung unter Karl Renner fand im SPÖ-Parteihaus in der Löwelstraße am 28. April 1945 eine erste Sitzung junger GenossInnen unter dem Vorsitz von Peter Strasser statt. Strasser informierte die Anwesenden über den Beschluss des Parteivorstandes zur Gründung einer eigenen sozialistischen Jugendorganisation. Dafür musste allerdings die Zustimmung der Alliierten eingeholt werden. Dies geschah in der Form, dass 1.000 Jugendliche im 20. Bezirk in einer öffentlichen Kundgebung zusammentrafen. Die Nichtuntersagung dieser Veranstaltung wurde als Billigung durch die Besatzungsmacht interpretiert. Dies war allerdings keine Garantie dafür, dass nun in allen Teilen des Landes ohne Risiko die Organisation wiederaufgebaut werden konnte. Oft genug geschah es, dass sozialistische JugendfunktionärInnen in den folgenden Jahren noch den lokalen Militärkommandanten Bericht erstatten mussten. Die Teilung des Landes in vier Besatzungszonen machte eine Kontaktaufnahme mit sozi-

Schutträumaktion der Sozialistischen Jugend nach dem Krieg

20


alistischen Jugendlichen im Westen und Süden praktisch unmöglich. Es dauerte Monate, bis die Verbindung zwischen den einzelnen Bundesländern einigermaßen funktionierte.

Gegen die Staatsjugend Der erste Jugendtag wurde von allen bestehenden Jugendgruppen- den sozialistischen, den kommunistischen und den bürgerlichen - gemeinsam durchgeführt. Die "Freie Österreichische Jugend" (FÖJ), die kommunistische Jugendorganisation, versuchte, die Veranstaltung unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Sozialistische Jugend war bereits zur stärksten Jugendorganisation geworden und 2200 "SJ-IerInnen" zogen als stärkste Gruppe auf den Rathausplatz. Die FÖJ konnte trotz Unterstützung durch die sowjetische Besatzungsmacht lediglich 1900 Jugendliche mobilisieren, die bürgerlichen Organisationen kaum 300. Schon die erste Veranstaltung zeigte die Problematik

gemeinsamer politischer Kundgebungen von unterschiedlichen Ideologien. Noch einmal, im Jahre 1946, wurde der Versuch eines österreichischen Jugendtages aller Organisationen unternommen. Dabei kam es zum endgültigen Bruch. Diesmal wegen des Versuchs der völlig unbedeutenden ÖVP-Jugendorganisation, ein Jugendparlament unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Sozialistische Jugend entschied sich daher bereits im Jahr 1945 zu einem selbständigen organisatorischen und politischen Auftreten. Das Scheitern des 2. Jugendtages hat diese Entscheidung zementiert. Die problematische, weil entweder auf die Entpolitisierung der Jugendlichen oder auf deren Vereinnahmung orientierte Idee einer österreichischen Einheitsjugend war überwunden. Die Sozialistische Jugend fand sich in der genuinen Rolle des unabhängigen Repräsentanten der ArbeiterInnenjugend und sollte in der Folge - und abermals - zur bedeutendsten Jugendorganisation Österreichs avancieren.

Universaler Anspruch Mit der neuen Bezeichnung "Sozialistische Jugend Österreichs" wurden gleichzeitig das Programm und die neue Zielsetzung zum Ausdruck gebracht: Die Sozialistische Jugend verstand und versteht sich als Organisation für alle arbeitenden und studierenden Jugendlichen beiderlei Geschlechts, die sich zu den Grundsätzen des Sozialismus bekennen. Ihre Aufgabe war und ist nicht mehr allein die Interessensvertretung der ArbeiterInnenjugend oder der StudentInnen, nicht allein die politische Erziehung oder die sportliche Ertüchtigung, sondern die universelle, auf den ganzen Menschen bezogene Erfassung der Jugendlichen. Diese Grundsätze beanspruchen auch heute noch Gültigkeit, wenngleich sich im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte die Prioritäten mehrmals verschoben haben. Die SJ ist keine Standes-, Berufs- oder SchülerInnenvertretung, sondern eine echte Jugendbewegung, die ihre Mitglieder mit dem Sozialismus konfrontieren und für den Sozialismus ausbilden und formen möchte. 21


Die Politik der ersten Nachkriegsjahre In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war es erforderlich, sich für eine klare Ablehnung von Faschismen jeder Art, ihrer Ideen und Methoden durch die Jugend zu positionieren. Gleichzeitig war es notwendig, kommunistische Unterwanderungsversuche und Vereinnahmungen durch eine deutliche Politik der Abgrenzung zu verhindern. Die KommunistInnen erwiesen sich im östlichen Teil Österreichs oftmals als Werkzeuge der russischen Besatzungsmacht. In den fast 250 Betrieben, die die sowjetischen Truppen der österreichischen Verwaltung entzogen (die so genannten USIA-Betriebe), setzten die KommunistInnen die sozialistischen ArbeiterInnen unter Druck. Sie versuchten, die sozialistische Mehrheit der ArbeiterInnenjugend dieser Betriebe zu brechen. Wo sich sozialistische JugendfunktionärInnen diesen Intentionen widersetzten, kam es immer wieder zu Repressionen bis hin zu Entlassungen. Entschlossen leisteten die sozialistischen Jugendvertrauensleute Widerstand, der 1955, nach Unterzeichnung des Staatsvertrages, zu einer deutlichen Bestätigung ihrer Politik führte. In allen großen Betrieben in St. Pölten, Traisen, Floridsdorf, Leopoldstadt und den übrigen Gebieten der russischen Besatzungszone gewannen junge SozialistInnen das Vertrauen ihrer KollegInnen. Ihr Einsatz hat die Sozialistische Jugend bald nach dem Zweiten Weltkrieg zur führenden politischen Jugendorganisation gemacht.

22

Abgrenzungspolitik gegen Rechts Ebenso deutlich wie gegen die KP grenzten sich die jungen SozialistInnen gegenüber dem Kapitalismus und seinen politischen HelfershelferInnen ab. Die Koalition, lautete ihr Credo damals, dürfe nicht zu einer Koalitionsgesinnung führen, zur Verwischung der Grenzen zwischen den Parteien. Wo immer sich Anzeichen einer nazistischen Wiederbetätigung oder neofaschistischer Umtriebe fanden, leistete die Sozialistische Jugend dagegen massiv Widerstand. Die SJ unternahm auch Aktionen ohne explizite Unterstützung durch die Behörden, um die Öffentlichkeit auf Versuche aufmerksam zu machen, die Jugend neuerlich zu verführen. Dazu zählten etwa die Protestaktion der Sozialistischen Jugend gegen die SchillerFeiern nationaler Verbände, die zur Folge hatten, dass diese Feiern eingestellt wurden. Ein wichtiges Element für die Mobilisierungsfähigkeit der SJÖ in den ersten Nachkriegsjahren war ihre Betriebsarbeit. SJ-Betriebsgruppen führten regelmäßig Veranstaltungen in den Betrieben durch, vertrieben die unmittelbar nach dem Krieg gegründete Verbandszeitung "Trotzdem" und führten gemeinsam mit der sozialistischen Fraktion der Gewerkschaftsjugend den Kampf um die Wahl von Jugendvertrauenspersonen. Die SJÖ war die mit Abstand stärkste Jugendorganisation in den Betrieben. Diese solide Verankerung in den österreichischen Betrieben ging verloren, als die SPÖ 1952 ein Abkommen mit dem Gewerkschaftsbund schloss, wonach dieser sämtliche politische Tätigkeit in den Betrieben übertragen bekam.


Gründung der Zeitung “Trotzdem ” Im Jahr 1948 wurde die neue Zeitung der Sozialistischen Jugend gegründet. Sie erhielt den symbolisch aufgeladenen Titel "Trotzdem". "Trotzdem" ging aus der "Stimme der Jugend" hervor, das als Sprachrohr der SJ unmittelbar nach Kriegsende gegründet wurde. Die RedakteuerInnen dieser Zeitung standen in ständigem Konflikt mit den Besatzungsmächten, zumal sie auch gegen deren Vertreter agitierten. Nach mehrmaligen "Verwarnungen" wurde die "Stimme der Jugend" auf Betreiben der russischen Besatzungsbehörde verboten. "Trotzdem" wurde unmittelbar darauf die neue Zeitung gegründet, die bis heute unter diesem Titel besteht.

23


Priorität der Erziehungs- und Kulturarbeit

Demokratische Organisationsstrukturen Schon bei der ersten Zusammenkunft der Bundesländer-VertreterInnen im Jahr 1946 auf der Felser-Alm in Salzburg wurde Übereinstimmung über den Aufbau der Organisation erzielt. In Anlehnung an die Struktur der Partei wurde der Verband in Landes- und Bezirksgruppen gegliedert. Diese wieder umfasste alle Gruppen eines Verwaltungsbezirkes. Im Verlaufe des Jahres 1946 fanden in allen Gruppen, Bezirken und Ländern Konferenzen statt, auf denen die FunktionärInnen gewählt wurden. Am ersten Verbandstag vom 7. bis 9. Dezember 1946 nahmen nur gewählte Delegierte der Bezirke teil, die über die Zusammensetzung des neuen Verbandsvorstandes und die Politik und Tätigkeit des Verbandes entschieden. Die VertreterInnen der Bundesländer und der Verbandsvorstand traten viermal im Jahr zusammen, um über alle grundsätzlichen organisatorischen und politischen Fragen zu beraten, wobei die Bedürfnisse aller Bundesländer demokratisch berücksichtigt wurden. 24

Die Sozialistische Jugend, zum Unterschied von anderen Jugendorganisationen, bekannte und bekennt sich offen als politische Bewegung; daher kam und kommt der politischen Erziehungsarbeit eine ganz besondere Bedeutung zu. Nach dem Ende des Krieges war es notwendig, junge Menschen - wieder - mit den Grundsätzen der Demokratie und des Sozialismus vertraut zu machen. An der Spitze der politischen Agenda stand die politische Erziehungsarbeit, die Überwindung der Gleichgültigkeit und die Bekämpfung der Propagandamethoden der nicht-sozialistischen Massenmedien, die die Jugend mit ihren Vernebelungsaktionen zu einem unpolitischen Verhalten führen wollen. Die Erziehungsarbeit in der SJ setzte sich zum Ziel, den arbeitenden und studierenden Jugendlichen vor Augen zu führen, das nur ein klares sozialistisches Programm und damit vernetzte Aktionen zu einer dauernden Verbesserung der Lage der Unselbständigen führen können. Schulungsarbeit wurde auf allen Organisationsstufen geleistet, in den Gruppen, bei den Heimabenden, bei speziellen Wochenendschulungen oder länger dauernden Internaten Bezirke, Länder und des Verbandes. Komplexe Aktionen und Maßnahmen haben der Schulungsarbeit immer wieder neuen Impuls gegeben. In den ersten Jahren nach dem Krieg war es die SJ-Akademie, die anspruchsvollen FunktionärInnen eine gediegene Ausbildung vermittelte. Die Aktion Kader in der Mitte der 50er Jahre etwa war ein bewusster Versuch, die FunktionärInnen auf ihre ständige Verantwortung als Vorbild aufmerksam zu machen. Politischer Fernkurs und Redewettbewerb waren die Methoden, die in den 60er Jahren zur Verbreitung der Kenntnisse über den Sozialismus beitrugen.1952 beschloss dann ein Verbandstag ein umfassendes Sozialprogramm für die arbeitende Jugend, dem 1958 das Programm "Lasst die Jugend mitgestalten" folgte. Dieses Programm war bereits mehr als nur ein soziales Forderungsprogramm. Es verlangte für die junge Generation die Anerkennung ihrer Stellung in der gesamten Gesellschaft. Es forderte Möglichkeiten zur Mitwirkung und Mitgestaltung im Staat und in den Gemeinden. Es zeigte der Jugend den Weg zur Mitbe-


stimmung über die Mitverantwortung. Bei unzähligen Kundgebungen, Roten Jugendtagen, Versammlungen und Jugendtreffen stellten die SJ-lerInnen ihre Forderungen und kämpften so für die weitere Verbesserung der Stellung der Jugend in der österreichischen Gesellschaft.

Seminar mit Josef Hindels, von 19461951 Bildungssekretär der SJÖ

25


Diskussion um die Landesverteidigung Das Aktionsprogramm der SPÖ aus dem Jahre 1947 forderte bereits für Österreich die Neutralität gegenüber den großen Militärblöcken. Gegen die ursprüngliche Fassung des Programms demonstrierten damals die SJ-Delegierten Hubert Pfoch und Paul Blau, zumal darin die Existenz eines Heeres festgelegt worden war. Die jungen Menschen hatten indes genug vom Militär, dem Kasernenhof und den Uniformen. Mit dem Abschluss des Staatsvertrages stand die Frage der Landesverteidigung allerdings in voller Aktualität vor der Sozialistischen Jugend. SozialistInnen und Konservative begrüßten vorbehaltlos die österreichische Neutralität als Preis für die endlich errungene Freiheit. Mit der Neutralität war für die SJ jedoch nicht unmittelbar die Verpflichtung zu einer umfassenden Landesverteidigung durch ein Bundesheer verknüpft. Intensive Diskussionen entstanden spontan in allen Jugendgruppen. Die jungen SozialistInnen waren die wichtigsten Wortführer dieses Diskurses. Am 16. Mai 1955 beschloss der Verbandsvorstand mit elf gegen eine Stimme die Zustimmung zur allgemeinen Wehrpflicht. Dem voran gegangen war eine Einigung innerhalb der SPÖ zur Aufstellung eines Heeres. Im so genannten 12-Punkte-Programm legte die SJ ihre Forderungen zum Bundesheer nieder und beeinflusste damit wesentlich den Gang der Verhandlungen um die Gestaltung der Österreichischen Landesverteidigung. Der erste Punkt lautete: Die Wehrpflicht darf nicht mehr als vier Monate betragen. Ein Zeitraum, der für eine zweckmäßige Ausbildung vollständig genügt, wie das Beispiel der Schweizer Armee beweist. Sicherung der Staatsbürgerrechte, kein Uniformzwang und keine Grusspflicht in der Freizeit, Verbot von Schikanen, Wahl von Wahl von Soldatenvertretern, außerordentliches Beschwerderecht und Recht auf Wehrdienstverweigerung zählten zu den weiteren zentralen Punkten. Im Herbst 1955, bei den Roten Jugendtagen in Steyr, riefen die SJ-Kolonnen "Früher waren die Kassen leer, jetzt sind sie voll fürs Bundesheer". In Wien und Oberösterreich gingen die Wogen besonders hoch. 26

Gruppen- und Landesbeschlüsse wendeten sich gegen den Verband und den Parteivorstand. Es wurde vom Verband die Durchsetzung der Miliz nach Schweizer Muster verlangt, aber viele junge Menschen lehnten eine Wiederbewaffnung Österreichs überhaupt ab. Der Parteitag im November 1955 stimmte der Forderung der SJ nach einer viermonatigen Dienstzeit nicht zu. Allerdings bewirkte die öffentliche Diskussion, dass die SPÖ eine sechsmonatige Ausbildungszeit für ausreichend hielt und in der Verhandlung mit der ÖVP eine neunmonatige Präsenzdienstzeit erreicht werden konnte. Damit hatte Österreich hinter Finnland die zweitkürzeste Militärdienstzeit in Europa beschlossen. Es bedurfte damals der ganzen Argumentationskraft der FunktionärInnen, um einen ernsthaften Bruch in der Jugend und zwischen Jugend und Partei zu verhindern. Mit der Aufstellung der ersten militärischen Einheiten wurde das Problem sachlicher behandelt. Die SJ konnte die Öffentlichkeit von der Richtigkeit vieler Forderungen überzeugen und gewann damit auch in der Jugend ein noch höheres Ansehen. Die ständige Mitwirkung an Problemlösungen im Rahmen der Landesverteidigung bewirkte auch die Nominierung des SJVerbandsobmannes in die Beschwerdekommission, womit die Bedeutung der Sozialistischen Jugend im Zusammenhang mit dem Bundesheer auch von der Partei öffentlich bekundet wurde. Dennoch blieb die SJ gegenüber dem Bundesheer skeptisch. Ihre Strategie zielte darauf ab, den Einfluss von SozialistInnen innerhalb des Heeres zu vergrößern, den von Reaktionären darin zu verhindern.


Neue Sozialistische Jugendinternationale 1946 wurde die Sozialistische Jugendinternationale in Paris wiedererrichtet. Sie erhielt einen neuen Namen: International Union of Socialist Youth (IUSY). Bei dem Gründungskongress wurden die deutschen JungsozialistInnen zunächst nicht zugelassen, weil dies zu einem politischen Skandal in Frankreich geführt hätte. Der erste Verbandsobmann der SJÖ und spätere Präsident der IUSY, Peter Strasser, mobilisierte zu Gunsten der Deutschen: "Wenn ihr wahre Internationalisten seid, dürft ihr heute die Schuld des Faschismus nicht den jungen Sozialisten Deutschlands aufbürden." Trotzdem dauerte es noch zwei Jahre, bis diese Frage gelöst wurde, und die deutschen JungsozialistInnen wieder in die Internationale aufgenommen wurden. Noch unter Peter Strasser vollzog sich die entscheidende Wandlung der IUSY zur weltumspannenden Organisation. In den ehemaligen Kolonien entstanden sozialistische Jugendorganisationen, die Anschluss an die IUSY fanden. Das erste Mal in der Geschichte der Internationale wurden damit die europäischen Grenzen des modernen Sozialismus überschritten, die Jugendinternationale wurde zu einer globalen Organisation. Ihr kompromissloses Eintreten gegen Unterdrückung und Not in Ost und West hat sie zum wirkungsvollsten Vertreter des demokratischen Sozialismus in vielen Teilen der Welt gemacht.

Staatsapparat und SPÖ-Establishment Besonders mit Innenminister Helmer, dem führenden Repräsentanten des rechten Flügels in der SPÖ, kam es immer wieder zu Konflikten. Die SJ warf ihm vor, dass er es vor allem verabsäumt hatte, den Staatsapparat von faschistischen Elementen frei zu halten.

Bereits am Parteitag 1946 griff Josef Hindels, einer der Exponenten der Parteilinken und Mitglied der Revolutionären Sozialistischen Jugend, den Innenminister an. "Ist es sozialistische Realpolitik", fragte Hindels, "wenn unter einem sozialistischen Innenminister faschistische Arbeitermörder leitende Positionen in der Exekutive bekleiden?". Helmer setzte sich mit Unterstützung von Delegierten, die die "hemmungslose Kritik der SJ" beklagten, mit seiner Politik indes durch: Er vertrieb die KommunistInnen sukzessive aus Polizei und Verwaltungsposten und ersetzte sie durch eine Reihe von ehemaligen Austro- und Nazifaschisten. Diese Politik war weniger einer theoretischen Fehleinschätzung geschuldet als einer wahltaktischen, gleichermaßen von der SJ abgelehnten Strategie. Die SPÖ buhlte um die ehemaligen NationalsozialistInnen, in denen sie ein großes Wählerreservoir verortete. Jahre später kam es dann, mit tatkräftiger Unterstützung Helmers, zur Gründung und Kandidatur des deutschnationalen VDU als Vorläuferorganisation der FPÖ. Gegen die Verharmlosungsversuche der Parteirechten steht die SJ bis heute in den Reihen jener, die ein Aufkeimen faschistischer Ideologien und ein Auftreten von Neonazis kompromisslos bekämpfen. Die konsequente Politik der Abgrenzung gegen revisionistische Reanimationsversuche, die nicht selten vom damaligen Parteiestablishment gedeckt bzw. unterstützt wurden, zeitigten für manche Funktionäre unangenehme Spätfolgen: So verhinderte Parteivorsitzender Adolf Schärf, dass der Leiter der damaligen SJ-Akademie, Josef Hindels, beim Parteiverlag "Vorwärts" angestellt wurde. Innenminister Helmer wiederum revanchierte sich bei Hindels für dessen fundamentale Kritik an ihm und seinen politischen Vasallen damit, dass er den bereits sicher scheinenden Nationalratssitz für Hindels im letzten Moment noch verhinderte. Auch nach dem Ausscheiden von Hindels und Paul Blau als prägende SJ-Exponenten aus der Jugendorganisation im Jahre 1950 verzichtete die SJ keineswegs darauf, ihre ideologisch autonome Rolle im Rahmen der Partei wahrzunehmen. Insbesondere eine starke Wiener Landesorganisation um Ernst Nedwed und SJ27


NÖ-Obmann Gerhard Weißenberg, dem späteren Sozialminister, fühlte sich austromarxistischem Gedankengut verbunden und ließ sich nicht auf reine Jugendarbeit reduzieren. Dies drückte sich auch im Programm des Verbandstages 1952 bis 1954 aus, worin formuliert wurde, dass es notwendig sei, "die Partei zu erziehen."

Aktion Kader Am 12. Dezember 1954 fand mit dem 5. Verbandstag der SJÖ die Generationsablöse ihren Abschluss. Das letzte Mitglied des 1. Verbandsvorstandes, Peter Strasser, wurde von Heinz Nittel abgelöst. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Sozialistische Jugend Österreichs in einer veritablen Krise, die sich vor allem in einer sinkenden Mitgliederzahl und einem Absinken der politischen Arbeit in den Gruppen äußerte. Aus der Analyse der Krise und dem darauf basierenden intensiven Diskussionsprozess entwickelte sich als zentrale Gegenmaßnahme die "Aktion Kader". Mit der Rekrutierung eines FunktionärInnenkaders der SJÖ dachte die damalige Verbandsführung, die Krise rasch bewältigen zu können. Die Analyse hatte allerdings zuwenig den politischen Hintergrund der Organisationskrise berücksichtigt. Dieser bestand darin, dass die Jugendorganisationen insgesamt an Substanzverlust innerhalb der Jugend zu laborieren begannen. Neue Strömungen und Sozialisationsinstanzen hatten die Hegemonie der Jugendorganisationen, so auch der SJ, abzulösen begonnen. Vor allem nach dem Jugendeinstellungsgesetz von 1953 und der nahezu beseitigten Jugendarbeitslosigkeit Ende der fünfziger Jahre führten die explosionsartig gewachsenen Freizeitalternativen zu einer relativen Entpolitisierung der Jugendlichen. Von dieser "Entpolitisierung" war auch die SPÖ erfasst, zumal sie sich endgültig für einen sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs mit dem Kapital entschlossen hatte und vor allem in ihrer Praxis die Über28

windung der Klassengegensätze zum politischen Thema machte. Der damalige SJ-Schulungsreferent und spätere führende KonsumentInnenschützer, Fritz Koppe, folgerte daraus, dass "ein geistiger Wecker" notwendig sei, "der die Arbeiterklasse aktiv und kampffähig" erhalte. "Die Kraft, die geistige Neuorientierung der sozialistischen Bewegung zu erreichen, muss von der Jugend ausgehen. Wir müssen unseren Kader - eine aktive Minderheit - schulen, damit er hinausgeht und agitiert." Es sollte allerdings noch Jahre dauern und einige Experimente in der Schulungs- und Erziehungsarbeit sowie in der innerparteilichen Auseinandersetzung mit der SPÖ erforderlich machen, ehe sich die SJ als Kampforganisation - und klassenbewusste Avantgarde innerhalb der Sozialdemokratie Österreichs wieder zu stabilisieren vermochte.

Gegen das Senile und Fossile Am zehnten Verbandstag der SJÖ im Dezember 1964 wurde Verbandsobmann Heinz Nittel durch Peter Schieder abgelöst. Schieders Aufgabe war es, die SJ aus der Krise, in der sie sich befand - und die nicht zuletzt die tiefe Krise der SPÖ durch die Olah Affäre widerspiegelte - herauszuführen und der Organisation wieder ein Potential für ihre politische und organisatorische Arbeit zu erschließen. Dies umso mehr, als die SJ einen Monat vor dem Verbandstag ihr 70-jähriges Gründungsjubiläum gefeiert hatte. Durch eine Vernetzung von neuen Formen der Jugendarbeit - politische Fernkurse, Redewettbewerbe u.a. mit traditionellen Formen wie zum Beispiel die Organisation der "Roten Jugendtage" gelang es, die Lage zu stabilisieren. So konnte die Mitgliederzahl Mitte der 60er Jahre das Tief überwinden, in das sie zu Ende der 50er Jahre geraten waren. Eine neuerliche Politisierung der Jugend, von der auch die SJÖ und viele Landesorganisationen profitierten,


entstand im Kontext mit der aufstrebenden Protestbewegung. Ein weithin sichtbares Lebenszeichen gab die SJ im März 1965, als sie zu den ersten Organisationen zählte, die gegen die neofaschistischen Umtriebe des Wirtschaftsprofessors Taras Borodaikewycs an der Uni Wien protestierte. Bei einer Demonstration der Österreichischen Widerstandsbewegung am Ring, die von der SJ unterstützt wurde, ermordeten allerdings bewaffnete Jungfaschisten den österreichischen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger. Nachdem die Symptome der Unzufriedenheit eines Großteils der Jugend mit dem bestehenden sozioökonomischen System sich immer stärker in politischen Aktionen niederschlugen - APO-Bildung (Außerparlamentarische Opposition), Proteste gegen den Vietnamkrieg, StudentInnendemonstrationen -, gelangte die SJ zu einer weiter führenden Einschätzung, die Peter Schieder folgender Maßen formulierte: "Es geht um politische Forderungen. Der ernste Protest richtet sich gegen das Senile und Fossile, gegen das Erstarrte in der Gesellschaft, gegen die, die sich`s gerichtet haben und von nichts Neuem mehr hören wol-

len, gegen das Establishment. Dadurch gewinnt die Bewegung an Attraktivität bei den denkenden Jugendlichen........ Das wird auf vielen Gebieten und auch in unserer Bewegung seine Auswirkungen haben. Neue Formen werden erprobt, neue Methoden der Aktion gefunden werden müssen." Aus dieser Analyse, den gesellschaftskritischen Wahrnehmungen dieser Jahre und aufbauend auf die Reihe "Blickpunkt 2000", einer offenen VeranstaltungsVortrags- und Diskussionsreihe (1968 bis 1970), entwickelte sich konkret ein neues SJ-Bildungskonzept. Es löste das traditionelle Schulungsschema ab und fokussierte statt dessen das exemplarische Lernen. Dessen zentrales Element war die Gruppendiskussion, in der die ReferentInnen zu MitarbeiterInnen und DiskussionshelferInnen und das Publikum zu aktiven GestalterInnen des Lehrstoffs wurden. Konzipiert wurde das Bildungskonzept vom Bildungssekretär der SJ, Fritz Edlinger; das Konzept wurde bis 1972 durchgetestet, dann fiel es einem Fraktionskampf innerhalb der SJ, in den Edlinger verstrickt war, zum Opfer.

Demonstration gegen neofaschistische Umtriebe an der Universität Wien 29


Bündnis- und Aktionspolitik Die neuerliche Abgrenzung gegenüber einer "sozialistischen" Politik für das Establishment durch die Sozialdemokratie führte auch zu neuerlichen Konflikten der SJ mit der SPÖ. Zwar scheiterte der Versuch Schieders, SJ und Junge Generation - JG - zu verschmelzen, doch die strategisch geplante Bündnispolitik kam bereits am SPÖ-Parteitag 1968 zum Ausdruck: Das "Manifest der Jungen" verstand sich als fortschrittlicher Forderungskatalog für die Jugendpolitik der Partei, und es enthielt Formulierungen für eine notwendige grundsätzliche Änderung der Gesellschaftsordnung. 1968 kam es dann zur Annäherung von SJ und VSSTÖ, indem die SJ eine Mittlerrolle im Konflikt zwischen SPÖ und VSSTÖ einnahm. Schieder erklärte damals, nicht eine APO - eine außerparlamentarische Opposition sein zu wollen, sondern eine IPO - eine innerparteiliche. Immer wieder kam es auch zu Konflikten mit politischen Rechtsauslegern der SPÖ wie zum Beispiel mit

30

dem damaligen Verteidigungsminister Lütgendorf in heeres- und verteidigungspolitischen Fragen. In ihrer auf den parlamentarischen Rahmen fixierten Taktik versuchte die SJ, die Forderung nach Verkürzung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate durchzubringen. Dabei musste sie als Kompromiss die zusätzliche Waffenübungsdauer von 60 Tagen akzeptieren. Ein großer Erfolg war aber die Einführung des Zivildienstes - allerdings mit der Einschränkung der "Gewissensprüfungskommission". Eine der alten Forderungen der SJ, die Verkürzung der Arbeitszeit für Jugendliche auf 40 Wochenstunden, wurde zwischen 1970 und 1975 verwirklicht. Auch das Jugendvertrauensgesetz wurde auf Initiative der SJ unter der Kanzlerschaft Bruno Kreiskys beschlossen. Damit wurden endgültig die auf freiwilliger Basis gewählten VertreterInnen der JungarbeiterInnen im Betrieb gesetzlich abgesichert. Ungelöst blieb allerdings die Berufsausbildungsreform mit den Forderungen der SJ nach staatlichen Lehrwerkstätten und der

11. Verbandstag 1966


Aufhebung der Trennung zwischen öffentlicher Berufsschule und praktischer Ausbildung in Privatbetrieben. Intensiv wurde seitens der SJ auch das "Aktionskomitee zur Abschaffung des § 144 ” unterstützt; diesem Komitee gelang es, auf dem Villacher Parteitag im Jahr 1972 die Fristenlösung durchzusetzen. 1973 löste Johann Hatzl Peter Schieder als Verbandsobmann ab. Die Repolitisierung der Organisation setzte sich auch unter Hatzl fort. So fand 1974 erstmals wieder der Fackelzug auf der Wiener Ringstraße statt. Eine Verbandskonferenz beschloss darüber hinaus einen Aufruf zum Nationalratswahlkampf 1975, der unter anderem erstmals seit langer Zeit wieder eine kritische Einschätzung der Gesamtpolitik der SPÖ und der Aufgaben der SJÖ enthielt. Damit wurde auch der von der SPÖ der SJ zugedachten Funktion, eine simpel von der Mutterpartei zu exekutierende Werbetruppe zu sein, eine klare Absage erteilt.

Der Verbandstag 1976 Bei der Nationalratswahl im Oktober 1975 gelang es Johann Hatzl, in den Nationalrat einzuziehen. Der 16. Verbandstag 1976 wurde daher auf März vorverlegt. Die wachsende Politisierung der Sozialistischen Jugend, basierend auf der Reformpolitik Bruno Kreiskys und innerhalb der SJ, schlug auch auf Bundesebene durch. Bei diesem Verbandstag vom 19. bis 21. März 1976 wurde der oberösterreichische Landesvorsitzende Josef Ackerl zum Verbandsvorsitzenden gewählt. Der aus dem VSSTÖ kommende Josef Cap und der ehemalige Salzburger Landessekretär Reinhard Todt bekleideten von nun an die Ämter der Verbandssekretäre. Mit ihnen wurde eine neuerliche Linksorientierung in der SJÖ eingeschlagen. Diese Linkswende kam auch in der verabschiedeten Grundsatzerklärung zum Ausdruck: "Die Sozialistische Jugend (SJÖ) kämpft für uneingeschränkte politische, wirtschaftliche und soziale

Demokratie, für den Sozialismus. Die SJÖ ist sich dessen bewusst, dass die Arbeiterbewegung erst am Beginn des Weges zur vollendeten Demokratie steht, einer Demokratie in der die Menschen im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Planung stehen und in der die allseitige und umfassende Entwicklung der Produktivkräfte in Übereinstimmung mit den individuellen Zielen der Menschen vorangetrieben werden. Voraussetzung für diese Demokratie ist, dass der Arbeitsertrag den Arbeitenden zugute kommt, was wieder voraussetzt, dass die Produktivmittel im gesellschaftlichen Eigentum sind. Die SJ stellt fest, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, dass die Welt immer noch unter den Folgen des ungelösten Widerspruches zwischen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung leidet. Noch immer kommt es infolge des dem Kapitalismus innewohnenden Profitprinzips zu wirtschaftlichen Krisen und Katastrophen. Nicht nur, dass die große Mehrzahl der Menschheit in Armut lebt, besteht auch eine absolute und relative Verelendung. Das Kapital wird immer mehr in den Händen einiger weniger Konzernbesitzer vereinigt. Die Analyse des wissenschaftlichen Sozialismus hat also auch heute ihre volle Gültigkeit, sie beweist sich in jeder neuen Krise nur immer deutlicher. Deshalb bildet der historische und dialektische Materialismus die Grundlage der Tätigkeit der SJÖ, mit dessen Hilfe die Zusammenhänge des heute herrschenden monopolistischen Kapitalismus geklärt und auf Grund dessen aus der jeweiligen historischen Situation heraus die Konsequenzen für die politische Arbeit der SJ gezogen werden können. Die SPÖ müsste nach Ansicht der SJÖ die Grundlinien des wissenschaftlichen Sozialismus, wie sie ihr durch das geltende Parteiprogramm vorgezeichnet sind, in den Teilen ihrer Politik konsequent einhalten. Der beginnende Wandel unserer Bewegung von einer Partei des Volkes zu einer " Volkspartei", von der klaren Vertretung der Interessen der arbeitenden Menschen zu einer verschwommenen "Modernisierungspolitik" erfüllt die SJÖ mit großer Sorge, weil dies langfristig eine sozialistische Partei ihrer Aufgabe entfremdet. 31


Die SJÖ hat daher als Jugendorganisation der SPÖ die Aufgabe, der Partei, klassenbewusste Mitarbeiter heranzubilden, die am Arbeitsplatz, in Betrieb und Schule, im öffentlichen Wirken und in allen Gremien der Partei diszipliniert arbeiten und sich als Sozialisten erweisen. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, arbeitet sie auch mit anderen demokratischen, gewerkschaftlichen und religiösen Organisationen für die Durchsetzung ihrer Ziele zusammen... ...Die SJÖ muss darauf hinarbeiten, dass für die Arbeiterbewegung das kapitalistische System wieder klarer als Konfliktquelle erkennbar ist, um dann alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können, den Prozess zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung voranzutreiben. Die historische Entwicklung nach 1945 lässt es der SJ als besonders notwendig erscheinen, die Sozialistische Internationale zu verstärken und die Zusammenarbeit der Arbeiterbewegung auf internationaler Ebene zu intensivieren. Die technische Revolution hat dem Kapitalismus andere Dimensionen verliehen. Umso wichtiger ist die internationale Arbeiterbewegung untereinander und besonders gegenüber antiimperialistischer und antikapitalistischer Befreiungsbewegungen im Kampf um nationale Unabhängigkeit. Nur so kann auch den im Gefolge der Wirtschaftskrisen auftretenden und von entsprechenden Kräften geförderten Faschisten und Anarchisten entgegengetreten werden. Ebenso muss der Expansion multinationaler Konzerne und des internationalen Finanzkapitals begegnet werden. Unser Ziel heißt Beseitigung des Kapitalismus, unser Ziel ist der Sozialismus." Diese Grundsatzerklärung schlug eine Brücke zwischen wissenschaftlichem Marxismus und sozialdemokratischem Reformismus. Die angesprochene Bündnispolitik mit anderen demokratischen Kräften war vor allem auf die Bekämpfung des Imperialismus zu verstehen. Das Grundsatzpapier gilt zurecht als Meilenstein der Sozialistischen Jugend auf dem Weg zur eigenständigen marxistisch orientierten Jugend-Organisation. Das klare Bekenntnis zum Marxismus sollte die Politik und das Selbstbild der SJ auch in den nächsten Jahren und bis heute prägen. 32

“Flügelbildung ” Noch vor dem Verbandstag 1976 entwickelte sich in Wien eine trotzkistische Gruppe, die sich in Anlehnung an die berühmte Zeitung Lenins "Der Funke" nannte. Doch diese Gruppe konnte sich nicht lange halten. Da ihr Auftreten auf massiven Widerstand der SJ Wien Führung stieß, die in weiterer Folge auch die Wiener SPÖ gegen die "Funkisten" mobilisierte, zerbrach diese Strömung, die immerhin sechs Wiener Bezirke umfasste, im Jahre 1975. Doch aus dieser Gruppe sollte rund um Heinz Vettermann später die trotzkistische " Vorwärts" Strömung entstehen. Die sich auf Otto Bauer, Josef Hindels, Max Adler und andere berufenden "Austromarxistlnnen" galten als VertreterInnen des sogenannten "Dritten Weges" und repräsentierten den stärksten Flügel. Dazu gehörten u.a. Josef Cap, Bruno Aigner, Peter Pelinka, Brigitte Ederer und Herbert Lackner. Den jugendpflegerischen Zugang vertraten nach wie vor u.a. Otto Aschenbrenner (SJ NÖ), Roman Wiche (SJ Wien) und Edmund Hofmannsrichter (SJ Wien). Beim Verbandstag 1976 repräsentierten sämtliche marxistische Strömungen gemeinsam die Mehrheit, um so den Wechsel an der Spitze und vor allem das marxistisch orientierte Grundsatzpapier zu ermöglichen. Ab diesem Verbandstag verstand sich die SJÖ als "linkssozialistische Kraft". Josef Ackerl selbst hingegen gelang es nicht, sich als Person in der SJÖ zu verankern. Selbst in seiner politischen Heimat, der SJ Oberösterreich, geriet Ackerl ebenso wie Heribert Schwarzenbrunner zunehmend unter Druck. Bereits beim Verbandstag 1978 sollte Josef Ackerl vom bisherigen Verbandssekretär Josef Cap abgelöst werden, was damals als weitere Linksentwicklung der SJÖ interpretiert wurde.


Mit Vorzug in den Nationalrat Unter dem Verbandsvorsitzenden Josef Cap waren die Arbeitsfelder auf drei Themen fokussiert: auf die Arbeitszeitverkürzung, die Friedensfrage und die Anti-AKW-Positionierung. Bereits 1978, im ersten Jahr der Amtszeit Josef Caps als Verbandsvorsitzender, wurde in der Sozialistischen Jugend eine heftige Debatte über die energiepolitische Orientierung Österreichs geführt. Es ging um das Atomkraftwerk Zwentendorf in Niederösterreich, dass knapp vor seiner Fertigstellung und Inbetriebnahme stand. In der Tat fanden sich auf der Seite der Kraftwerks BefürworterInnen die SPÖ, die Gewerkschaften, die Industriellenvereinigung und die Energiewirtschaft. Ihre Argumente lauteten, ohne Zwentendorf gäbe es zu wenig Strom, ohne Strom weniger Lebensqualität und Arbeitsplätze. Vor allem Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky und die Wirtschaftskammer sowie ÖGB-Präsident Anton Benya machten massiv Stimmung für den Bau von Zwentendorf. Junge Menschen aus allen politischen Lagern gehörten indessen zu den konsequentesten GegnerInnen der Fertigstellung des AKW. Die SJÖ war nicht zuletzt

deswegen gegen Zwentendorf, weil es ein sozialpartnerschaftliches Projekt war, das sich über alle ökologischen Bedenken hinwegsetzen wollte. Innerhalb der SJ vertrat lediglich die niederösterreichische Landesorganisation unter dem neuen Vorsitzenden Karl Schlögl einen strikten Pro-Zwentendorf - Kurs. Dazu kommt, dass in der sozialdemokratisch geführten Ortschaft Zwentendorf selbst das Kraftwerksvorhaben sehr positiv beurteilt wurde, versprach man sich doch Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung. Erst als Bundeskanzler Kreisky sein persönliches Schicksal mit dem Ergebnis der Volksabstimmung am 5.11.1978 über die Inbetriebnahme des AKW verknüpfte, sprangen aus taktischen Gründen die konservativen Parteien ÖVP und FPÖ auf den Zug der Zwentendorf - GegnerInnen auf. Das Bündnis der Anti-AKW-Kräfte, das von der SJÖ über die katholische Jugend auch eine Reihe alternativer Listen umschloss, konnte schließlich bei der Volksabstimmung 1978 mit 51,5 % einen knappen Sieg erringen.

17. Verbandstag 1978

33


Friedensbewegung und SJ Seit dem Verbandstag 1976, bei dem sich die SJÖ das linkssozialistische Grundsatzpapier verpasst hatte, versuchte die Sozialistische Jugend Österreichs auch innerhalb der IUSY, der Sozialistischen Jugendinternationalen, jene Kräfte zusammenzufassen, die nicht allein den jugendpflegerischen Anspruch ihrer jeweiligen Mutterpartei erfüllen wollten. Seit 1978 wurde diese institutionalisiert in Form einer linken Arbeitsgemeinschaft der IUSY, der neben der SJÖ auch die deutschen Mitgliederorganisationen JUSOS, Falken und SHB, die niederländischen, schweizerischen und luxemburgerischen JungsozialistInnen angehörten und gute Kontakte zu den britischen JungsozialistInnen hatte. Die gemeinsame Politik dieser Arbeitsgemeinschaft wurde auf einer jährlich abgehaltenen Sommerschule in Oer/Erkenschwick diskutiert und erarbeitet. Auf besonders nachhaltigen Widerstand der SJ traf daher die Entscheidung der NATO über die Produktion und Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa. Die SJ lehnte, wie andere sozialistische Jugendorganisationen in Europa, die Politik der Stärke der USA und der NATO ab, da sie die Entspannung gefährdete und durch ihre Aufrüstung den Lebensinteressen der Bevölkerung Europas widersprach. Sie kritisierte gleichzeitig die Politik der UdSSR, da sie durch die Intervention in Afghanistan die nationale Souveränität des afghanischen Volkes verletzt hatte, aber besonders, weil ihre Interessen nicht auf die soziale und politische Befreiung Afghanistans, sondern einzig auf die Ausweitung ihrer global-strategischen Position orientiert war. Als Alternative zum Rüstungskurs wurde die Fortsetzung der Entspannungspolitik, der Verzicht auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen und die Schaffung einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Zone in Mitteleuropa sowie die Wiederherstellung der Souveränität Afghanistans gefordert. Beim Verbandstag der Sozialistischen Jugend Österreich im April 1980 brachte schließlich die SJ Oberösterreich drei Anträge zum Thema "Friedenspolitik" ein. Die Forderung der SJ OÖ indes, in friedenspolitischen 34

Fragen auch Bündnisse mit kommunistischen Gruppen einzugehen, stieß bei den Vertretern der Antragsprüfungskommission auf Widerstand. Josef Cap, Andreas Rudas, Karl Schlögl und andere beriefen sich immer wieder auf die durch die Eisenstädter Erklärung der SPÖ aus dem Jahre 1969 manifestierte Parteidoktrin der Nichtkooperation mit KommunistInnen. Es gelang der Sozialistischen Jugend Oberösterreich aber, zumindest einen Antrag bei dieser Konferenz mehrheitlich durchzubringen, der sich gegen die Aufrüstung der BRD aussprach.

Friedenspolitische Position der SJ Viel entscheidender war allerdings die Tatsache, dass der Verbandstag die Erarbeitung einer friedenspolitischen Position der Sozialistischen Jugend Österreichs auf einem Verbandsseminar beschloss. Erwin Buchinger, der stellvertretende Verbandsvorsitzende, wurde als Vertreter der "Österreichischen Initiative für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", die vom Vorsitzenden des KP-dominierten Friedensrates, Prof. Schönfeld, geleitet wurde, zu einem europäischen Seminar nach Madrid entsendet. Waren es zunächst nur konkrete Einzelfälle, die das Engagement der SJÖ in Friedensfragen erforderten, wie etwa ein Bündnis der SJÖ mit PazifistInnen und ChristInnen gegen den Panzerexport nach Chile, sollte sich dies mit Ende des Jahre 1980 entscheidend ändern. Gemäß den Beschlüssen des 18. Verbandstages der SJÖ fand vom 22. bis 23. November 1980 ein Seminar zum Thema Friede und Abrüstung in Altlengbach (NÖ) statt. Die Basis für das entscheidende Seminar bildete ein im "Trotzdem" publizierter Artikel von Erwin Buchinger und ein Grundsatzpapier von Josef Cap. Josef Cap formulierte in seinem Grundsatzpapier, dass das Wettrüsten insgesamt ein Instrument des ökonomischen und politischen Kampfes gegen die RGW Staaten sei und daher den Aufbau demokratischer und sozialistischer Strukturen in den RGW - Staaten durch die


Entwicklung eines militärisch-industriellen Komplexes und der Bürokratie im Allgemeinen gefährde. Bei seiner Analyse der Entwicklung der Sozialistischen Länder gelangte er auch zu Sowjetrussland - kritischen Schlussfolgerungen. Er erläutert am Beispiel der Entwicklung der CSSR 1968 die innenpolitischen Entwicklungsphasen der tschechoslowakischen Bevölkerung, die auf Weiterentwicklung und Veränderung orientiert gewesen sei. Cap wies die These von der imperialistischen Bedrohung als Haupterklärung für die innere Entwicklung der RGW-Staaten zurück. Er bestritt darüber hinaus das Primat der Partei in rüstungspolitischen Fragen und verortete auch in der Sowjetunion einen militärisch-industriellen Komplex. Überdies knüpfte Cap eine mögliche Friedensarbeit der SJ an konkrete Bedingungen: Zum ersten sei ein Diskussionsprozess in der SJÖ über die sozialistischen Länder unerlässlich, zum zweiten eine grundlegende Kritik an der Außen- und Wirtschaftspolitik einiger RGW-Staaten und zum dritten sei es notwendig,

auch die möglichen sozialistischen Veränderungsperspektiven innerhalb der KPÖ zu berücksichtigen. Beim Verbandsausschuss der SJÖ vom 6. bis 7. Dezember 1980 in Brunn am Gebirge sollten diese beiden Papiere von Cap und Buchinger diskutiert und die Arbeit der SJÖ auf diesem Sektor definiert werden. Für die VertreterInnen des jugendpflegerischen Zugangs, allen voran der niederösterreichische Landesvorsitzende Karl Schlögl, war eine Beteiligung der SJ an Aktionen mit der KPÖ nicht mit der Eisenstädter Erklärung der SPÖ vereinbar und Friedensarbeit ein klassisches KPÖ-Thema. Da keine Einigkeit gefunden wurde, musste eine Kampfabstimmung entscheiden, bei der sich letztendlich die BefürworterInnen einer Friedensarbeit der Sozialistischen Jugend Österreichs um Erwin Buchinger, Alfred Gusenbauer (Verbandssekretär) und Alois Reisenbichler knapp gegen die Ablehnungsfront rund um Karl Schlögl, Josef Cap, sowie der Landesorganisationen Niederösterreich und Wien durchsetzten. Als inhaltliche Grundlage wurde allerdings das Papier von Josef Cap beschlossen. Dieser Beschluss ermöglichte es erstmals ganz offiziell, in Bündnissen mit KommunistInnen zusammenzuarbeiten. Im Sommer 1981 manifestierte sich dieser Paradigmenwechsel innerhalb der SJ auch öffentlich: Bei einer Pressekonferenz verkündete Josef Cap: "Wir arbeiten in der Friedensbewegung nicht mit der KPÖ zusammen, aber wir fragen Einzelpersonen, die sich mit der Plattform dieser Bewegung identifizieren, nicht, aus welchem Lager sie kommen." Natürlich weitete sich diese Zusammenarbeit in der Folge auch auf die KP und ihrer Organisationen aus und sollte sich schon bald auf eine breite Palette von Fragen erstrecken, von der Frauen- über die Ökologiefrage bis zum Antifaschismus. Diese Form der Bündnispolitik auf Verbandsebene sollte bis 1990, also auch unter Caps Nachfolger Gusenbauer praktiziert werden, fand allerdings danach erst wieder unter dem Einfluss der repolitisierten SJ Niederösterreich unter dem Vorsitz von Andreas Kollross ihre Fortsetzung. 35


Vorzugsstimmen-Kampagne für Josef Cap Das effektivste Auftreten der SJÖ im Verlaufe ihrer jüngsten Geschichte war nach Einschätzung vieler BeobachterInnen die Vorzugsstimmen-Kampagne für Josef Cap. Am Parteitag Ende Oktober 1982 hatte Cap Hannes Androsch und Justizminister Broda wegen angeblicher Weisungen im Zusammenhang mit dem AKH-Skandal heftig kritisiert. Außerdem trat Cap bei der Friedensdemonstration am 15. Mai als Schlussredner auf, wodurch zusätzlich eine breite Öffentlichkeit für den Verbandsvorsitzenden hergestellt wurde. Nach den drei Fragen an den burgenländischen Landeshauptmann Theodor Kery und der darauf folgenden Hinauswahl Caps aus dem Bundesparteivorstand der SPÖ wurde er rasch zum Symbol für politische Moral und gegen Privilegien. Weil sich auch die Wiener SPÖ weigerte, Cap auf einem sicheren Platz für die Nationalratswahl zu nominieren, fasste der Bundesvorstand den Beschluss, eine eigene Wahlkampagne für Josef Cap zu organisieren. Diese Kampagne wurde mit folgenden fünf Forderungen verknüpft:

Abwrackung des AKW Zwentendorf, Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich, Beseitigung von Privilegien, Verbot neofaschistischer Parteien und Verzicht auf das Aufstellen neuer Atomraketen in Europa. Cap präsentierte sich damit als rot-grüner Brückenkopf zwischen repräsentativer Demokratie, neuen, basisdemokratischen Formen und Inhalten der neuen sozialen Bewegungen. Das durch eine Plakataktion der Wiener SJ und des VSSTÖ unterstützte positive Ergebnis am Wahltag wurde so zu einer Wählerkoalition der neuen Art, die damit auch die SJÖ wieder aus ihrer innerparteilichen Isolation befreite.

Alfred Gusenbauers Amtszeit Nachdem Josef Cap im Jahr 1983 in den Nationalrat einzog, folgte ihm im März des folgenden Jahres der bisherige Verbandssekretär Alfred Gusenbauer als Vorsitzender der SJÖ nach. In der Sozialistischen Jugend dominierte am Ende der Amtszeit Caps ein linkssozialistischer Zugang, reprä-

Josef Cap (l.) und Peter Pelinka (r.)

36


sentiert durch die Länderorganisationen Wien, Kärnten, Tirol, Vorarlberg, Burgenland und Steiermark. Zu den linken ExponentInnen zählten etwa Peter Kaiser, Gerhard Schneider, Hans Marcher, Hanno Schuster, Renate Brauner, Heinz Vettermann, Walter Faymann, Doris Bures und auch Gusenbauer selbst. Der Chefredakteur des " Trotzdem", Peter Pelinka, gehörte ebenfalls zu dieser Strömung. Die "Otto-Bauer-Seminare" und die beiden Buchpublikationen "Roter Anstoß" aus dem Jahre 1980 und "Rot-Grüner Anstoß" aus dem Jahre 1982 repräsentierten das politische Credo dieser Gruppe. In diesen SJÖ - Kreisen bestand die Erwartung, dass sich die linksorientierte Strömung verstärken und vertiefen würde und vor allem, dass sie eine fundierte Verankerung in der SPÖ finden werde. Gusenbauers Amtszeit indes ist von der veränderten politischen Situation in Österreich geprägt. Vor allem nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der SPÖ bei den Nationalratswahlen 1983 sollte sich der Spielraum der SJ - entgegen allen Erwartungen - wieder deutlich verringern. Hinzu kam die Enttäuschung über Josef Cap, der sich als neuer Nationalrat gegen den massiven Fraktionsdruck innerhalb der SPÖ kaum durchzusetzen vermochte.

Alfred Gusenbauer

Mit dem Erstarken der Grünen sollten sich überdies in den nächsten Jahren viele kritische SPÖ- AktivistInnen und ebenso SJ - AktivistInnen für diese neue Bewegung entscheiden. Der gesamtgesellschaftliche Anspruch der Sozialistischen Jugend, stets ein zentraler Eckpfeiler im Selbstbild der SJ, war mit dem Auftauchen der Grünen - damals wie heute eine inszenierungsorientierte Versammlung politischer EinzelkämpferInnen - vor neue Herausforderungen gestellt.

Die Hainburg - Krise Hinzu kam das weitgehende inaktive, weil inhomogene Verhalten der SJ im Zusammenhang mit dem geplanten Kraftwerksbau in Hainburg, als sich die SJ kaum in den öffentlichen Diskurs einbrachte. Mit Unterstützung der größten österreichischen Tageszeitung gelang es einer Gruppe von KraftwerksgegnerInnen, ein breites Bündnis zu schaffen, dass heute für viele als Geburtsstunde der grünen Bewegung gilt. Da die SJ Niederösterreich unter ihrem Vorsitzenden Karl Schlögl drohte, den Verband zu verlassen, falls sich die SJÖ zu einer Teilnahme an den Au-Besetzungen entschließen würde, überließ man/frau dieses Thema anderen AktivistInnen und beteiligte sich, anders als sonst üblich, an keinen Bündnis-Aktionen. Die SJ NÖ war besonders unter der Leitung von Schlögl ein Verbündeter der so genannten Parteirechten. Als der damalige Innenminister Karl Blecha die Polizeikräfte gegen die AubesetzerInnen in Stellung brachte, sahen Schlögl und seine Verbündeten die Chance gekommen, die Allianz mit der Parteirechten noch enger zu schmieden. Der Mainstream - Kurs der SJ Niederösterreich und das weitgehend inaktive Verhalten auf Bundesverbandsebene kostete der Sozialistischen Jugend Glaubwürdigkeit unter Jugendlichen und kritischen Linken. In einer Formulierung aus der 100-Jahre-Jubiläumsbroschüre der SJ wird das ganze Dilemma deutlich, in der die SJ ab der Hainburgphase und danach geraten 37


war, gleichwohl wie das Ringen um eine politische Neuorientierung vis-a-vis einem Erstarken des rechten Flügels innerhalb der SJ und der SPÖ: "Einerseits die Protestbewegung unterstützend, andererseits auf klassisch linkssozialistische Weise den Konflikt und ihre neuen politischen Proponenten einordnend, entwarf die SJ Thesen, die einerseits der Relevanz des Themas entsprachen, jedoch dieses Problem in einen Kontext kapitalistischer Wirtschaftslogik und -krisen und der sozialdemokratischen Regierungspolitik stellten und durch ihren gesamtgesellschaftlichen Deutungscharakter die für einen Teil der Au-Bewegung charakteristischen rein ökologischen Protestgründe in einem hohen Ausmaß überwanden." Alfred Gusenbauer reagierte auf Verbandsebene mit einer Forcierung der inhaltlichen Arbeit auf die massiven Irritationen innerhalb der SJ. Daher standen Aktionen wie etwa solche gegen den Ankauf von Abfangjägern des Typs Draken und eine Kampagne für die Einführung der 35-Stunden-Woche im Vordergrund

38

der politischen Arbeit. Hinzu kamen strukturell-organisatorische Bemühungen, die darin gipfelten, dass es gelang, die verbandskritische SJ Oberösterreich in die Gesamtbundesarbeit einzubinden. Beim Verbandstag 1986 hatten sich die OberösterreicherInnen mit einer Forderung durchgesetzt: da der Verbandsvorstand von 15 auf 27 Mitglieder aufgestockt wurde, unter anderem, um die Frauenquote erfüllen zu können, forderte die SJ Oberösterreich die Schaffung eines Präsidiums mit zehn Delegierten. Dieser Antrag wurde beim 21. Verbandstag auch tatsächlich beschlossen. Gusenbauer wurde bei diesem Verbandstag in seinem Amt bestätigt. Er orientierte in der Folge die Organisation darauf, in einem Umfeld sich zunehmend außerhalb der Sozialdemokratie entwickelnder neuer sozialer Bewegungen von Grünen und Alternativen eine Art Brückenkopf zwischen diesen Gruppen und den für die Umsetzung von Politik erforderlichen Institutionen zu bilden.

Proteste in Hainburg


Internationale Orientierung Ein auszeichnendes Moment der "Ära" Gusenbauer war die starke Internationale Ausrichtung der SJ in den 80er Jahren. Das beeindruckendste Beispiel hiefür ist die Teilnahme von etwa 600 Jugendlichen am IUSY-Festival 1986 in Valencia. Die internationale Arbeit konnte in diesen Momenten Breite und Sinnhaftigkeit dadurch erfahren, dass viele junge Menschen in einer positiv aufgeladenen Gemengelage von Schulung, Aktivitäten und Freundschaftstreffen stark internationalistisch-solidarisch geprägt wurden. In der institutionellen internationalen politischen Arbeit war die Stärkung der Achse linkssozialistischer Jugendorganisationen weiter bestimmend. Die Arbeit im Bereich der internationalen Politik war weiterhin NordSüd und besonders lateinamerikanisch bestimmt - in den letzten Jahren dann zunehmend Europa-orientiert.

Gegen die RotstiftPolitik der Regierung Im Jahr 1987 kam es dann in Verbindung mit dem "Sparpaket" der rot-schwarzen Regierung unter Vranitzky zu einem Aufleben der Bündnisarbeit im Rahmen der Sozialbewegung 1987. Zunächst handelte es sich um eine reine SchülerInnenund StudentInnenbewegung gegen das "Rotstiftpaket", dann orientierte dieser Prozess zu einer neuen und komplexeren Formation: Es kam zu einer Solidarisierung mit den ArbeiterInnen der Verstaatlichten, mit den Frauen, mit den Arbeitlosen und mit anderen Sparpaket-Betroffenen. Die SJ zählte zu den treibenden Kräften dieses Prozesses hin zur neuen Formation. Am 24. Oktober 1987 kam es zur großen Demonstration, bei der mehr als 50.000 Menschen durch Wien zogen und ihren Protest formulierten.

Die Implosion schließlich der Länder des "Realen Sozialismus", die für alle Linke eine Art Katerstimmung produzierte, hatte - auch und gerade - in der SJÖ einen intensiven Diskussionsprozess zur Folge. Vulgärkritischen Vorstellungen, dass diese Implosion das Ende linkssozialistischer Politik bedeuten müsse, wurde dabei eine klare Abfuhr erteilt; vielmehr, so lautete die Einschätzung, müssten angesichts der neuen gesellschaftspolitischen Qualität, wie sie am Ende der 80er Jahre mit einem aggressiven Vordringen neoliberaler Politik zum Ausdruck kam, neue, auf dem Marxismus fußende Analysen angestellt werden. Vom 18. bis 20. Mai 1990 fand dann ein neuerlicher Verbandstag der SJÖ statt, bei dem Alfred Gusenbauer sein Amt zur Verfügung stellte. In der Analyse der Entwicklung des letzten Jahrzehnts wurde festgestellt, dass trotz komplizierter Rahmenbedingungen Verlust von Mitgliedern und Strukturen, Vordringen neoliberaler Politik - mit Vehemenz an der Aufrechterhaltung der Kernstrukturen festgehalten werden konnte. Gleichzeitig war es auch gelungen, durch materielle und organisatorische Trennung der Bereiche SJÖ, AKS, Trotzdem-Verlag und Verein Helpware einen höheren disponiblen Spielraum zu erreichen, um differenziert politisch arbeiten zu können. Zudem habe sich die SJÖ gerade durch konsequente Bündnis- und internationale Arbeit in gesellschaftlichen Protestbewegungen und in den sich herausbildenden neuen sozialen Bewegungen einen gewissen Stellenwert erarbeitet. Die massiven inneren Probleme, die im nächsten Jahrzehnt auf die SJÖ zukommen sollten, waren zu diesem Zeitpunkt allerdings erst im Ansatz erkennbar; etwa im Hainburg - Konflikt, als sich ein rechter, jugendpflegerischer und sich als modernistisch verstehender Flügel gegen linke Strömungen innerhalb der SJÖ durchzusetzen wusste.

39


Modernisierung Der 1990 gewählte neue Vorsitzende Martin Winkler, politisch der SJ-Linz zugehörig, stellte seine zukünftige Tätigkeit unter das Generalmotto einer grundlegenden Gesamtreform der Sozialistischen Jugend Österreichs. Die Positionen seines Modernisierungskonzepts kamen in den "Orientierungen 92" zum Ausdruck. Seine Akzeptanz bei den FunktionärInnen erreichte er insbesondere durch seinen Arbeitsstil, der im Vergleich zur SJ der 80er Jahre weniger autoritär und mehr auf Emanzipation und aktive Mitentscheidung orientiert war. Die Bedingungen seiner Vorsitzübernahme waren indes innerorganisatorisch und politisch kompliziert. Die Organisation verlor weiter Mitglieder, büßte Einfluss ein, zudem befand sich ein Teil der Linken immer noch in einer Identitätskrise. Überdies hatten sich in Teilen der SJ jene Kräfte stark gemacht, die z.B. in Wien entgegen der Mehrheitsmeinung eine militant-orientierte Politik mit anradikalisierten Jugendlichen in einer unabhängigen Gliederung mit Namen "Vorwärts" (organisiert in der IV. Internationalen) anstrebten. Hinzu kamen Konflikte zwischen einzelnen Landesorganisationen. In dieser Zeit spitzte sich auch die Auseinandersetzung zwischen der Stadtorganisation Linz, die den neuen Bundesvorsitzenden stellte, mit der SJLandesorganisation Oberösterreich zu. In den kommenden zwei Jahren des Vorsitzes von Winkler ging die SJÖ daran, an neuen Perspektiven und Strukturierungsmöglichkeiten für die Organisation zu arbeiten. Das organisatorische neue Credo hieß: Projekte und Kooperationen bzw. Neustrukturierungsüberlegungen gemeinsam mit den anderen sozialdemokratischen Jugendorganisationen; die SJ sollte moderner, sie sollte sozialdemokratisch werden (im Jahr 1991, als sich die "SPÖ" in "Sozialdemokratische Partei" umtitelte, wurde dieser Schritt von der SJÖ bewusst nicht mitvollzogen; bis heute lehnt eine überwältigende Mehrheit der SJÖ - Mitglieder diese Bezeichnung konsequent ab). Der politische Ansatz analysierte immer schärfer die Diversifizierungen der jungen Menschen in der modernen Gesellschaft und versuchte solcherart, die Ziel40

gruppe Jugend nicht neu, aber in der Unterschiedlichkeit ihrer Ausprägungen differenziert zu erfassen. Es gelang in diesen Jahren, neue Veranstaltungsformen, wie die "Bildungswerkstätte" als Bildungsangebot für SJ-Mitglieder und darüber hinaus, zu etablieren und erfolgreiche Mädchentreffen zu organisieren; gleichzeitig wurde die Krise der Kampagnenfähigkeit der SJÖ (Beispiel Demokratie-Kampagne) eklatant. Im internationalen Bereich wurde die verstärkte Eingliederung der SJÖ in neu geschaffene europäische Strukturen forciert und es vertiefte sich der Einfluss in der IUSY.

Krise Überhaupt bedeuten die Jahre 1990-1992 die verstärkte Bewusstmachung der Krise der SJÖ, ihre Überwindung sollte in vollem Umfang jedoch erst ab dem Verbandstag 2000 gelingen. Die neue Projektorientierung generierte zwar partiell neue, an der Organisation interessierte Menschen, jedoch führte diese Orientierung auf der anderen Seite zum verstärkten Zusammenbrechen traditioneller Kernstrukturen. Das politische Programm der SJ war einerseits auf die Auseinandersetzung mit der Mutterpartei SPÖ orientiert, und andererseits auf die Entwicklung einer neuen, pragmatischen Linie. Vor diesem Hintergrund markiert das Reformprogramm Winklers den Beginn eines Konflikts zwischen den "Traditionalisten" und den "Modernisten" in der SJÖ, der in den folgenden Jahren offen ausbrechen sollte.


Kampagnen gegen Rechts Beim Verbandstag 1992 kandidierte Winkler nicht wieder, sein Nachfolger wurde der Vorsitzende der SJ Burgenland, Karl Delfs. Ihm gelang es, die innerorganisatorische fraktionelle Krise der SJÖ abzumildern und neben den bedrohten Kernstrukturen neue Strukturen aufzubauen. Dabei wurden obsolete oder nicht mehr leistbare Arbeitsformen drastisch minimiert. Die materielle und strukturelle Neuorganisation nahm einige Jahre in Anspruch, schuf jedoch die Voraussetzung, um auf einer neuen Basis weiter arbeiten zu können. Im Veranstaltungsbereich gewann die Bildungswerkstätte massiv an Attraktivität und wurde zu einem zentralen Element der politischen Arbeit der SJÖ. Vorrangiges politisches Thema waren Kampagnen zur Bekämpfung der FPÖ unter Jörg Haider. So spielte die SJ eine tragende Rolle bei der Organisation des Lichtermeeres gegen AusländerInnenfeindlichkeit und bei Aktionen gegen das Ausländervolksbegehren Haiders. In tagesaktuellen Fragen, etwa bei der AusländerInnengesetzgebung oder beim Zivildienst, gelang es der SJ wieder, massiv aufzutreten und durch Intervention in den öffentlichen Diskurs legistische Entscheidungen maßgeblich zu beeinflussen. Eine beginnende Re-Politisierung, vertiefte inhaltliche Diskussionen und Schulungen hatten zur Folge, Basisarbeit für eine neue Generation sozialistischer FunktionärInnen zu leisten. Mit den Versuchen, den Konflikt zwischen Reform und Tradition zu lösen sowie auf der Basis verstärkter politischer Inhaltlichkeit eine Neuorientierung voranzutreiben, gewann die SJÖ an Kontur zurück und kontrastierte in manchen Bereichen wieder deutlicher zur bereits neoliberal inspirierten Politik der SPÖ unter Franz Vranitzky. In diesem Zusammenhang besann sich die SJÖ ihrer früheren Kampagnefähigkeit. So wurde unter Delfs der Zivildienstbereich neu thematisiert und eine Rechtsberatungsbroschüre für Zivildiener herausgegeben. Andere Kampagnen wurden in den Bereichen der Drogen - Legalisierung, bei der von der ÖVP vom Zaun gebrochenen "Kruzifix-Debatte" oder im Antifaschismus-Bereich organisiert.

Verein für Jugendmarketing Dennoch gelang es zwischen 1992 und 2000 nicht, die strukturellen Widersprüche, deren Wurzeln und Ursachen weiter zurückreichten, zu überwinden. Die SJ hatte in dieser Zeit mehr mit einem Jugendmarketing-Verein zu tun - dies stand natürlich ganz im Interesse der damaligen Parteiführung unter Franz Vranitzky und Viktor Klima - als mit einer emanzipatorischen, demokratischen und feministischen politischen Organisation. Es dominierten die "Modernisten", deren "Konzept" in der Folge dann gescheitert ist. Während der Verbandsführung von Karl Delfs war es aber wenigstens gelungen, die Wahrnehmung der SJÖ durch die mediale Öffentlichkeit zu bewahren Stichwort Kampagnen -, indessen wurde unter seinem Nachfolger Robert Pichler selbst diese Fähigkeit weitgehend verspielt.

Die Krise der SJÖ vertieft sich Robert Pichler führte den Verband von 1996 bis zum Verbandstag 2000. Bei seinem Amtsantritt wurde zunächst ein Positionspapier ausgearbeitet, in dem der Widerspruch von Kapital und Arbeit thematisiert wurde. Nach diesem Anfangserfolg kam es zu ersten Konflikten innerhalb des Verbandsvorstandes. Neben den inhaltlichen Positionsdefiziten in vielen Fragen der SJÖ wurden Pichler auch organisatorische Defizite und Mängel, etwa im Bereich der Materialenproduktion und der Medienpräsenz, vorgeworfen. 41


SJNÖ initiiert Linkswende Die Sozialistische Jugend Niederösterreichs hatte lange Zeit die Mainstream - Politik der SPÖ unterstützt und den jugendpflegerischen Zugang forciert. Sie alimentierte damit die EntpolitisierungsStrategie der Modernisten in der SJÖ, an der sie letztendlich gescheitert ist. Als der Trumauer Andreas Kollross zum Vorsitzenden der SJ NÖ gewählt wurde, vollzog sich zunächst in Niederösterreich ein Kurswechsel in Richtung linkssozialistischer, marxistisch dominierter Jugendpolitik. Dieser Kurswechsel sollte sich später auch in der Politik des Verbandes niederschlagen. Kollross repolitisierte die SJ NÖ, in dem er den rein jugendpflegerischen Ansatz systematisch zugunsten der Wiederaneignung der Kampagnenfähigkeit der SJ NÖ zurückdrängte. Die Rückgewinnung der Kampagnenfähigkeit drückte sich am deutlichsten in der "NONATO-Kampagne" aus, als unter dem Motto "Mach mit beim längsten Fax der Welt" gegen einen NATO-Beitritt Österreichs agitiert wurde, wobei mit einem über drei Kilometer langen Fax an die ÖVP sogar ein Eintrag ins "Guiness Buch der Rekorde" geschafft werden konnte. Dieses Wiedererwachen der Kampagnenkompetenz sowie die damit verknüpften organisatorischen, inhaltlichen und kommunikativen Reformen führten zu neuen Erfahrungen, zu einer neuen Qualität der politischen Arbeit der SJ NÖ und mündeten schließlich in ein neues politisches Konzept, das die Ablöse des reinen Modernismus und des Jugendmarketings zugunsten einer sich auf marxistische Traditionen berufenden Politik der SJ NÖ mit modernen Elementen zur Folge hatte; die Strahlkraft dieses Paradigmenwechsels sollte schließlich auch die SJÖ erfassen, wenngleich sie sich erst ab dem Verbandstag 2000 zur Gänze zu entfalten vermochte. Es ist damit gelungen, die Landesorganisation, die sich bisher ausschließlich als Rekrutierungs-Potential der SPÖ verstanden hatte, in Richtung linker und emanzipatorischer Organisation umzugestalten. In einem von ihm beauftragten Grundsatzpapier der SJ NÖ wurde versucht, programmatisch sämtliche marxistische Strömungen zu integrieren. Dieses Papier war 42

zuerst nur für den internen Gebrauch konzipiert und wurde daher erst 1996 in einer Broschüre der Sozialistischen Jugend Niederösterreich veröffentlicht. In diesem Grundsatzpapier legt die SJ NÖ ein klares Bekenntnis zum emanzipatorischen Sozialismus ab, wenn es etwa heißt: "Der Sozialismus ist die vollendeteste Form der Demokratie, da er die Gesamtbevölkerung zum Eigentümer und Verwalter der Produktionsmittel macht. Daher sehen wir auch keine Veranlassung, unsere Organisation umzubenennen (derartige Überlegungen kursierten in diesen Jahren innerhalb und außerhalb der SJÖ), da eine sozialistische Bewegung zugleich einen demokratische ist." Auch Imperialismuskritik findet sich in diesem Grundsatzpapier wieder. Die Forderung nach effektivem Widerstand gegen den Imperialismus wird mit der Solidarität zu den "unterdrückten Völkern aller Länder" verknüpft, "deren Freiheit nur durch die Beseitigung des Imperialismus erreicht werden kann." lm Gegensatz zu den "Orientierungen 92" beinhaltet dieses Papier ein klares Bekenntnis zum Klassencharakter der Gesellschaft und zum daraus resultierenden Klassenkampf. Mit diesem Grundsatzdokument wurde das notwendige Roll-back der SJ NÖ hin zur marxistisch orientierten politischen Organisation vollzogen und der Umbau der SJ auf Bundesebene gemäß dem tiefgreifenden Umbau der Gesellschaft angesichts des Vordringens des Neoliberalismus eingeläutet.


Verknüpfung von Traditionalismus und Moderne Nicht nur als symbolischer Akt der inhaltlichen Neuausrichtung sondern auch als politisches Programm des Bekenntnisses zur Tradition der ArbeiterInnenjugendbewegung wurde das Blauhemd wieder zum gerne und mit Überzeugung getragenen Kleidungsstück innerhalb der SJ NÖ, der SJ OÖ sowie von Teilen der SJ Wien. Hinzu kam auch wieder das Singen von ArbeiterInnenliedern. Im Gefolge des Verbandstages 2000 wurden diese Traditionen nach langer Zeit wieder zum bundespolitischen Grundsatz der SJÖ. Diese Wiedererweckung der traditionellen Kultur verknüpfte sich in der Praxis mit modernen Standards, wie das Beispiel der Bildungswerkstatt zeigt.

Kritik an der Verbandsführung wächst In der SJ NÖ ebenso wie in anderen Landesorganisationen wuchs die Kritik am Verbandsvorsitzenden. Viele der angekündigten Vorhaben, etwa ein Bundesbildungskonzept, wurden nie realisiert. Auch die konzipierte bundesweite Lehrlingskampagne erwies sich als ein Flop. Ein weiterer Kritikpunkt war das inaktive Verhalten bei der Bundespräsidentenwahl 1998. Der SJÖ war es weder gelungen, eigene KandidatInnen zu finden oder in einem Bündnis mit anderen Organisationen der Sozialdemokratie, den SPÖ-Frauen etwa, Alternativen zu finden, noch eine Wahlempfehlung abzugeben. Die SJ Niederösterreich indes unterstützte die damals parteifreie evangelische Superintendentin Knoll. Beim Verbandstag 1998 in Linz wurde Pichler noch ein-

Befreiungsfeier Mai 2004 im ehemaligen KZ Mauthausen 43


mal gewählt, er musste allerdings eine Reihe von Konzessionen machen und vor allem garantieren, die SJÖ als schuldenfreie Organisation in diesen Verbandstag zu führen. Der Schuldenstand am Ende der Funktionszeit von Robert Pichler im Jahr 2000 betrug jedoch mehrere Millionen Schilling und rückte die Bundesorganisation an den Rand ihrer Existenz.

SJÖ am Ende

In der Folge, nicht zuletzt auf Initiative der Landesorganisationen, darunter der stärksten, der SJ Niederösterreich, entschloss sich der Verband wenigstens, an der Euromarsch-Bewegung teilzunehmen. Über die bereits bei der Neutralitätsbewegung geknüpften Kontakte zu AktivistInnen der Friedensbewegung und aufbauend auf den neuen Kampagnen-Erfahrungen der SJ Niederösterreich, konnte zum Beispiel erreicht werden, dass sich die SJÖ mit der Euromarschbewegung vernetzte. Dieses aus Frankreich stammende Projekt hatte zum Ziel, den Kampf gegen Sozialabbau und Erwerbslosigkeit auf die europäische Ebene zu heben. An die 5.000 Menschen konnten mobilisiert werden, vom 14. April 1997 bis zum 14. Juni 1997 durch Europa zu marschieren; der krönende Abschluss fand am 14. Juni 1997 in Amsterdam anlässlich des EU-Gipfels mit einer großen Demonstration statt. In den weiteren Jahren sollte die EuromarschBewegung im Europäischen Sozialforum aufgehen. Doch auch der kleine Erfolg, den die SJÖ mit der Partizipation am Euromarsch erzielen konnte, änderte nichts an der Tatsache, dass sie am Beginn des Millenniumsjahres praktisch bedeutungslos und ohne Gewichtung in der Öffentlichkeit und innerhalb der Partei dastand. Sie war politisch, organisatorisch, strukturell und wirtschaftlich ein Sanierungsfall geworden.

44

Verbandstag 2000: Kurswechsel in Richtung Konsolidierung Der Verbandstag 2000 sollte dem Kurswechsel der Sozialistischen Jugend Österreichs dann die entscheidende Richtung geben. Das Motto des Verbandstages lautete "Opposition braucht Position". Zwei Flügel standen einander bei diesem Verbandstag gegenüber: Auf der einen Seite der modernistisch inspirierte Flügel um den zweiten Verbandssekretär Peter Binder und Teilen der Landesorganisation Wien, Kärnten und Salzburg - sie repräsentierten die Verbandsarbeit der letzten Jahre. Auf der anderen Seite die austromarxistisch orientierten SJ-VertreterInnen um Andreas Kollross. Ihn unterstützte ein linkes Bündnis, bestehend aus den Landesorganisationen Niederösterreich, Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich (ohne die SJ Linz), Burgenland und Teilen der SJ Wien. Als Binder vor dem Hintergrund des Mobilisierungspotentials von Kollross seine Kandidatur zurückzog, präsentierte die SJ Wien mit Sonja Holzer eine Gegenkandidatin. Die entscheidende Abstimmung zum Verbandsvorsitz entschied dann Kollross, der sich in seinem Redebeitrag vor der Wahl zu einer "SJ auf der Basis des Marxismus" bekannt hatte, mit 74 Prozent der gültigen Stimmen für sich. Mit diesem Verbandstag vollzog sich der Kurswechsel der SJÖ hin zu einer (wieder) auf dem Marxismus basierenden politischen Organisation. Kollross sollte den erfolgreichen inhaltlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Aufbau, den er in Niederösterreich geleistet hatte, nun auch auf Verbandsebene fortsetzen. Mit dem Verbandstag 2000 kam es gleichzeitig zum Zusammenbruch des modernistischen Flügels, der zuvor die SJÖ an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat. Der scheinbare Widerspruch zwischen einer traditionellen, marxistisch orientierten SJÖ und modernen Methoden der politischen Jugendarbeit, der in einem fast zehn Jahre währenden Konflikt die SJÖ gelähmt hatte, konnte aufgelöst und in gleichsam dialektischer Form in eine neue politische Qualität gehoben werden.


Mit der Repolitisierung der SJ auf Bundesebene gelang auch die Repolitisierung der Landesorganisation Wien, in der die Führung die Speerspitze des modernistischen Flügels auf Bundesebene bildete. Einige Monate nach dem Verbandstag wurde eine Landeskonferenz einberufen, die einen neuen Vorstand rund um den Vorsitzenden Ludwig Dvorak und den Landessekretär Florian Wenninger sowie eine neue, linke Politik zur Folge hatte.

Bündnisfähigkeit nach Innen Unmittelbar nach der Wahl setzte die neue Führungsgarnitur mit Unterstützung der Landesorganisationen, vor allem der NiederösterreicherInnen um Bernhard Wieland, der zuvor die Funktion des Landessekretärs der SJ NÖ inne hatte und nicht unwesentlich an den Veränderungen auf Bundesebene beteiligt war, das Sanierungs- und Konsolidierungsprogramm um. Es gelang, die politischen Konflikte und Klüfte innerhalb der SJÖ zu lösen bzw. zu überbrücken und durch die Auflösung der strikten Trennung zwischen TraditionalistInnen und ModernistInnen die Bündnisfähigkeit nach Innen wieder herzustellen. Die marxistische Linke beansprucht heute die Hegemonie in der SJÖ; neben der zentralistischen Position, die sich am Marxismus und am Austromarxismus orientiert, existieren noch zwei weitere radikalere linke Strömungen: eine trotzkistische Fraktion, die um die Zeitung "Der Funke" gruppiert ist, sowie eine marxistisch-leninistische Strömung, die sich an der Stamokap-Theorie orientiert. Diese Form des Pluralismus als zentrales Element der Einheit und vor allem eine wieder erlangte Bündnisfähigkeit nach Außen hatte eine neue Bündnisfähigkeit nach Innen zur Voraussetzung; nur unter diesen Bedingungen konnte der erfolgreiche Sanierungs- und Konsolidierungskurs in Angriff genommen und erfolgreich abgeschlossen werden.

Sanierung greift

Zu den zentralen Erfolgen des Verbandstages des Jahres 2000 zählte die Wiederaneignung der Kampagnenfähigkeit der Organisation. Dabei konnte auf die Erfahrungen der Landesorganisation Niederösterreich zurückgegriffen werden, die auf Bundesebene übertragen und mit neuen Elementen angereichert wurden. Im Jahr 2001 wurden eine Zivildienst-, eine Drogenund eine Sozial- und Bildungsabbaukampagne organisiert, denen massives mediales Interesse gewidmet wurde. Indikatoren für die Zurückgewinnung der medialen Präsenz der SJÖ sind auch die Nennung der SJ in Parlamentsdebatten (z.B. Drogenpolitik, Arbeitszeitverkürzung, die Diskussion um das Dollfuss-Bild im ÖVPParlamentsklub) sowie zahlreiche Berichte in Printmedien und Auftritte im TV. Die SJ-Zeitung "Trotzdem", die zuletzt nur mehr in sporadischen Abständen herauskam, erhielt einen Relaunch und erscheint ab dem Frühjahr 2001 wieder regelmäßig in vierteljährlichen Intervallen. Zur Optimierung der Öffentlichkeitsarbeit der SJÖ wurde überdies eine Homepage installiert. Neben den strukturellen, organisatorischen und inhaltlichen Reformen galt der wirtschaftlichen Sanierung der SJÖ höchste Aufmerksamkeit. Durch eine umsichtige Gebarung, durch Erschließung neuer finanzieller Potentiale und durch verstärkte Mitgliederwerbung gelang es, die Altlasten im Ausmaß von weit über zehn Millionen Schilling abzubauen. Zum heutigen Zeitpunkt - im Herbst 2004 - ist das Sanierungsprogramm erfolgreich abgewiederwieder auf einem wirtschaftschlossen. Die SJÖ stand steht heute auf einem wirtlich und organisatorisch stabilem Fundament. schaftlich und organisatorisch stabilem Fundament.

45


Feministische Politik

Besonders die Frage feministischer Politik rückte ab 2000 wieder verstärkt ins Zentrum der SJÖ. Im "Selbstbild" des am Verbandstag 2004 beschlossenen Grundsatzprogramms bekennt sich die SJ heute zu einer antikapitalistischen, antimilitaristischen, antifaschistischen, internationalistischen und vor allem antisexistischen Politik. Sie versteht sich als Organisation, die neben dem Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital auch den Widerspruch der Geschlechter erkennt und die Gleichstellung von Mann und Frau nicht als Nebenwiderspruch akzeptiert. Das Ziel der Organisation ist die völlige Gleichstellung von Mann und Frau. Die politische Frauenarbeit wurde statutarisch festgelegt, es gibt eine eigene Frauensprecherin und ein eigenes Budget für Frauenpolitik.

Protestaktion gegen fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen

46


Bündnis mit neuen sozialen Bewegungen Die SJÖ zählte unter der Vorsitzführung von Andreas Kollross zu jenen Kräften in der politischen Geographie Österreichs, die ganz entscheidend Praxis und Theorie der globalisierungskritischen Bewegung geprägt haben. Im Bündnis mit anderen Gruppen und Organisationen war sie prioritär an der Entwicklung des Austrian Social Forums beteiligt, das aus den praktischen Erfahrungen und Erfolgen des ersten Europäischen Sozialforums in Florenz hervorging.

Möglich wurde diese Orientierung in Richtung verstärkter nationaler und internationaler Vernetzung dadurch, dass es der SJÖ gelang, ihre Kernstrukturen wieder zu reanimieren und neue Strukturen sowie darüber hinaus ein wirtschaftliches und organisatorisch stabiles Fundament aufzubauen. Die Öffentlichkeitsarbeit der SJÖ - "Trotzdem"-Verlag, Internet-Auftritt, Aktionen wie z.B. die federführend von der SJ konzipierten "Anti-WEF-Demos" - professionalisierte sich, ohne zum Selbstzweck zu werden. Die Reform der organisatorischen Strukturen erfolgte parallel zur grundlegenden Reform der politischen Arbeit. Ihr Fundament war die Neuanalyse des neoliberalen globalen Kapitalismus als eines Typs, der das System von sozialstaatlichen Kompromissen, die das Kapital bei seiner Herrschaftsausübung eingegangen ist, wenn nötig mit brachialer Gewalt eliminiert.

Demonstration gegen das World Economic Forum (WEF) in Salzburg 2002

Zivilgesellschaft orientiert Gleichsam als Avantgarde innerhalb der Sozial-

Gleichsam als Avantgarde innerhalb der Sozidemokratie hat die SJÖ erkannt, dass es mehr aldemokratie hatte die SJÖ erkannt, dass es denn je auf die zivilgesellschaftliche Aktivierung der mehr denn je auf die zivilgesellschaftliche Aktivierung Menschen ankommt. Die Zivilgesellschaft ist jener der Menschen ankam. Die Zivilgesellschaft ist jener Raum, in dem die Menschen ihren Alltag selbst bestimRaum, in dem die Menschen ihren Alltag selbst bestimmen können, und in dem auch die Hegemonie neuer, men können, und in dem auch die Hegemonie neuer, sozialistischer, feministischer und demokratischer Wersozialistischer, feministischer und demokratischer te sich herausbilden kann. Die neue Aufgabe der SJÖ Werte sich herausbilden kann. Die neue Aufgabe der fokussiert sich daher mehr denn je in der Vergangenheit SJÖ fokussierte sich daher mehr denn je in der Verganauf ihre transformatorische Funktion als Mittlerin zwigenheit auf ihre transformatorische Funktion als Mittschen zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit und einer lerin zwischen zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit und SPÖ, die sich erst am Beginn ihres Erneuerungseiner SPÖ, die sich erst am Beginn ihres Erneuerungsprozesses befindet. Daher wird es weiterhin von zenprozesses befand. Es war und ist auch heute noch von traler Bedeutung für die SJ sein, in Bündnissen und zentraler Bedeutung für die SJ, in Bündnissen und Ver47


netzungen zu agieren undund zu agitieren, um um sowohl ziVernetzungen zu agieren zu agitieren, sowohl vilgesellschaftlich alsalsauch innerparteilich optimal verzivilgesellschaftlich auch innerparteilich optimal linkt zu sein.
 Gleichzeitig wurde auch der Stellenwert verlinkt zu sein. der Sozialistischen Jugend der Gleichzeitig wurde auch der Österreichs Stellenwert innerhalb der SozialisJugendinternationale forciertinnerhalb und zementiert. Die SJÖ tischen Jugend Österreichs der Jugendinterhatte wieder die Vizepräsidentschaft internationanationale forciert und zementiert. DieimSJÖ hat heute len Verband inne, ebenso wie im in der Europäischen wieder die IUSY Vizepräsidentschaft internationalen Sozialistischen Jugend ECOSY In diesem Verband IUSY inne, ebenso wie(heute in derYES). Europäischen Kontext ist die Jugend hohe Reputation von der SJÖ orSozialistischen ECOSY. Inder diesem Kontext ist ganisierten internationalen Veranstaltungen zu erwähdie hohe Reputation der von der SJÖ organisierten nen, wie etwa das ECOSY-Camp 2002 im SJ-eigenen internationalen Veranstaltungen zu erwähnen, wie Camp das in Weißenbach Attersee, an dem mehr etwa ECOSY-Campam2002 im SJ-eigenen Campals in 1.200 Mitglieder Europaanteilnahmen. Weißenbach am aus Attersee, dem mehr als 1.200 Mitglieder aus Europa teilnahmen.

Links von der SPÖ

Seit der Linkswende der SJÖ ist es nicht nur gelungen, reformerische Forderungen der SPÖ seitens der SJÖ wieder radikaler zu formulieren, sondern auch, dass mitunter SPÖ-Vorschläge und SPÖ-Politik

48

scharf kritisiert oder abgelehnt wurden und werden. Als die SPÖ Anfang 2003 eine Regierungsbeteiligung in Betracht zog, schaltete sich die SJÖ als strikte Opposition öffentlich und innerparteilich mit einem klaren Nein in die Debatte ein. Sie artikulierte den Schaden, der drohte, wenn sich die SPÖ - neuerlich - vor den neokonservativen Karren spannen ließe. Die SJÖ forderte daher eine Urabstimmung aller Mitglieder der SPÖ über die "Schicksalsfrage: Opposition oder Regierungsbeteiligung" (Titel des Antrags an den Bundesparteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, eingebracht von der Sozialistischen Jugend Österreich). Dieses inhaltliche Programm wurde von öffentlichen Aktionen begleitet: Es fanden Wochen lang Lesungen vor der Löwelstraße statt, dabei wurden die Wahlergebnisse seit Abschluss der großen Koalition von 1987 bis 2000 referiert, und unter dem Fenster des Parteivorsitzenden wurde täglich die Internationale gesungen. Zur Regierungsbeteiligung der SPÖ kam es dann jedenfalls nicht. Es wurden überdies sämtliche SPÖ - Ortsorganisationen angeschrieben und eine Protestfaxaktion direkt in die Parteizentrale organisiert.

SPÖ in Opposition. Aktion vor der Parteizentrale nach den NR-Wahlen 2002


Für Neutralität und gegen Militarismus Gegen die vom Neoliberalismus von der Aushöhlung bedrohte Neutralität hat die SJÖ 2004 ein fundiertes Reformkonzept Reformkonzept inin Stellung Stellung gebracht. gebracht. Der Der diesbezügliche Forderungskatalog, Forderungskatalog,derder im Vergleich im Vergleich zur zur Arbeit genannten"Reformkommission" "Reformkommission" das das Arbeit derder sosogenannten Wort "Reform" "Reform" auch auch Ernst Ernst nimmt, nahm, umfasste folgende umfasst folgende Punkte: o Umfassende Abrüstung des österreichischen Bundesheeres o Verkürzung von Präsenzdienst und Zivildienst auf gleiche Dauer o Stärkung der Rechte für die Beschäftigten beim Bundesheer und Präsenzdiener und deren wirkliche Durchsetzung o Keine Schaffung von Offensivkapazitäten des Heeres o Ausschließlich Blauhelmeinsätze, ein klares Nein zu allen darüber hinaus gehenden Einsätzen o Kein Ausbau des Heeres für Einsätze gegen die eigene Bevölkerung. Verbrechens- und Terrorbekämpfung ist eine Aufgabe für Polizei und Justiz o Demokratische Kontrolle der Heeresnachrichtendienste o Ausbau von zivilen Friedenseinsätzen als österreichischer Beitrag zur Prävention und Nachversorgung bei Konflikten o Schaffung eines zivilen Katastrophenschutzes o Umrüstung der Rüstungsproduktion statt deren Neuaufbau, Einsatz für strenge Waffenexportrichtlinien und Kontrollen der Europäischen Union o Keine Abfangjäger und kein Ausbau der Transportkapazitäten o Klares Nein des neutralen Österreich zur Militarisierung der EU. Wir wollen auch keine atomar bewaffnete Supermacht EU. Wir sind auch dagegen, wenn die ÖsterreicherInnen nur als SanitäterInnen, Köche/ Köchinnen und Schreibkräfte eingesetzt werden sollten o Aktive Außen- und Neutralitätspolitik für weltweite Abrüstung, die Ächtung der Massenvernichtungswaffen und die Auflösung der Militärblöcke, für ein

atomwaffenfreies Europa als Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt o Klares Aufzeigen der Ursachen von ethnischen Konflikten und Migrationsbewegungen, das erfordert vor allem eine andere, an einer gerechteren Verteilung orientierten Wirtschaftspolitik des Nordens und des Westens

Diese Forderungen standen Zentrumdes des politischen politischen stehen imimZentrum Programms der der SJÖ, SJÖ,das dassich sicheindeutig eindeutiggegen gegen imdiedie impeperiale undneoliberale neoliberalePolitik Politikder der Europäischen Europäischen Union Union riale und und der USA richtete. DiesePolitik Politikgeht geht Hand Hand inin Hand Hand richtet. Diese mit einer deren Ineiner Politik Politikfür fürtransnationale transnationaleMultis, Multis,in in deren teresse Interesseesesliegt, liegt,nicht nichtzuletzt zuletztdurch durchKriege Kriegeauf aufglobalen globaSchauplätzen ihreihre Profitinteressen zu befriedigen. Auf len Schauplätzen Profitinteressen zu befriedigen. dem Hintergrund solcher neoliberaler Politiken Auf dem Hintergrund solcher neoliberaler Politikenfindet fin-det auch - die- Demontage des Sozialstaates und und die Pre- auch die Demontage des Sozialstaates die karisierung weiter Teile derder Bevölkerung statt. Prekarisierung weiter Teile Bevölkerung statt. Die SJ am Beginn des dritten Jahrtausends versteht

Die am als Beginn des dritten verstand sich SJ daher wesentlicher Teil Jahrtausends einer neuen, pluralistisich als wesentlicher Teil einer pluralisschendaher und systemüberwindenden linkenneuen, Bewegung, in tischen und systemüberwindenden linken Bewegung, der Parteien, Bewegungen und zivilgesellschaftliche in der Parteien, Bewegungen undBasis zivilgesellschaftliche Gruppen auf gleichberechtigter zusammenarbeiGruppen auf gleichberechtigter Basis zusammenarbeiten. ten.

Zukunft SJ: International und gegen Krieg Die SJ steht, auch und gerade nach dem Ausscheiden von Andreas Kollross als Verbandsvorsitzender vor neuen und entscheidenden Herausforderungen. Die Die zuletzt personellen, organisatorischen vielfach gestellte Frage, und ob inhaltlichen Weichenstellungen, die unter Vordie SJ ihre konsequente Linkspolitik, auch seiner gegenüber sitzzeit gaben daserst zukünftige der SPÖ,getroffen fortsetzenwurden, wird, wird sichfürwohl in einiSzenario Anlass zu berechtigtem Optimisgen Jahrenjedenfalls beantworten lassen. Die personellen, orgamus. nisatorischen und inhaltlichen Weichenstellungen, die getroffen wurden, geben für das zukünftige Szenario jedenfalls Anlass zu berechtigtem Optimismus. 49


Das neue Grundsatzprogramm Ein zentrales Element der derPolitik SJÖ nach Ein der Politik jüngsten der 2000bildete bildetedie die Debatte Debatte um um ein neues SJÖ neues GrundGrundsatzprogramm. Beim Verbandstag im Jänner 2003, bei dem Kollross wiedergewählt wurde, beschloss die SJÖ die Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms, das am Verbandstag im Herbst 2004 schließlich beschlossen wurde.
 wurde. In einem eineinhalbjährigen Diskussionsprozess auf breitester Basis innerhalb der Organisation In einem eineinhalbjährigen Diskussionsprozess auf erhielt derBasis am Verbandstag eingeleitete Linksbreitester innerhalb der2000 Organisation erhielt der am Verbandstag 2000 eingeleitete Linksruck innerhalb

ruck innerhalb der SJÖ eine weitere Fundierung.
 Mit der SJÖ eine weitere Fundierung. dem beschlossenen Grundsatzprogramm bekennt sich Mit dem beschlossenen Grundsatzprogramm bekennt die zu einer auf den des Marxismus sichSJÖ die SJÖ zu einer auf Grundlagen den Grundlagen des Marxagierenden politischen Organisation, diedienach ismus agierenden politischen Organisation, nach wie vor das dasZiel Zielnicht nichtausaus Auge verloren hat, den demdem Auge verliert, den KapitalisKapitalismus zu überwinden, um den Sozialismus zu mus zu überwinden, um den Sozialismus zu erringen. erringen. Der Klassenkampf wird darin als Der Klassenkampf wird darin sowohl als in sowohl der objektiin objektiven Realität vorfindbares Faktum ervender Realität vorfindbares Faktum erkannt als auch als kannt auch als Auftrag zum Handeln verstanden. Auftragalszum Handeln.

Dem Krieg keinen Frieden gebenMit dem Kapitalismus keinen Frieden schliessen Wie sich eine bündnisorientierte, transformatorische und emanzipatorische SJ-Politik der Zukunft vorstellen vorstellenlässt, lässt,diediean an Tradition der die die Tradition der letzJahre 2004 anknüpft auf Grundsatzein neues ten vier2000 Jahrebis anknüpft und auf einund neues Grundsatzprogramm aufbauen wird, das der 2004 Verprogramm aufbauen wird, das der Verbandstag bandstag 2004 hat, formuliert beschlossen hat, beschlossen formuliert Andreas Kollross inAndreas seinem Kollross in seinem Beitragüber zu einem Buch über den Beitrag zu einem Buch den Austromarxisten Austromarxisten Friedrich Adler folgender Maßen: Friedrich Adler folgender Maßen: "Wir wenden uns unter anderem gegen Krieg und stehen für eine international organisierte ArbeiterInnenbewegung, um die Überwindung des Kapitalismus mit all seinen Widersprüchen voranzutreiben. ... Der jüngste Irak-Krieg zeigt, dass es unabdingbar ist, die Antikriegsbewegung auch innerhalb der eigenen Reihen zu erneuern und zu verbreitern. ... Seien es ein Tony Blair, der vorbehaltlos einen Krieg unterstützt und sich gefälschte "Beweise" anfertigen lässt, um diesen zu legitimieren, oder ein Gerhard Schröder, der eine Wirtschaftspolitik vertritt, wie es kein Industrieboss besser könnte, solche VertreterInnen des rechten Flügels der Sozialdemokratie müssen wir mit allen Kräften bekämpfen. Eine Politik der 50

Anbiederung an die Forderungen der Wirtschaftsbosse und der KriegsbefürworterInnen muss zwangsweise wieder in eine tragische Sackgasse der Geschichte führen. ... In Zeiten, wo sich gegen die Auswirkungen der Globalisierung weltweit Widerstand formiert, muss es die Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften sein, an diesen Protest anzuknüpfen und sich zum Sprachrohr der immer zahlreicher werdenden VerliererInnen des weltumspannenden Kapitalismus machen. ... Es gilt, dem Krieg keinen Frieden zu geben und gleichzeitig mit dem Kapitalismus keinen Frieden zu schließen. Die Überwindung des Kapitalismus ist heute wie damals das Gebot der Stunde. Erfolgreich kann dieses nur auf internationaler Ebene geschaffen werden."


Große Koalition Sechs Jahre lang hatten zwei Koalitionen aus Volkspartei und Freiheitlichen in Blau und Orange die Gelegenheit, die Errungenschaften des Sozialstaates zu demontieren, Menschenrechtskonventionen außer Kraft zu setzen und Österreich in ein Versuchslaboratorium für den neoliberalen Staatsumbau zu verwandeln. Bei den Nationalratswahlen 2006 gelang es der SPÖ - trotz BAWAG-Skandals - als Wahlsiegerin aus dem Rennen zu gehen, unter anderem auch, weil es dem damaligen Parteivorsitzenden Alfred Gusenbauer gelang, mit fortschrittlichen Forderungen (Abschaffung der Studiengebühren, Rücknahme des Eurofighter-Kaufs, „Wohlstand muss gerecht verteilt werden“ etc.) in der Wahlauseinandersetzung die Partei bestmöglich zu mobilisieren. Auch die SJÖ beteiligte sich intensiv an der Wahlauseinandersetzung. Vor dem Hintergrund von sechs Jahren Bildungs- und Sozialabbau, rassistischen Fremdenrechtsgesetzen und frauenpolitischen Rückschritten, mobilisierte die SJÖ massiv für einen Politikwechsel in Österreich. Mit zwei Wahlkampf-Kampagnen (in zwei Phasen: „(W) Ende – Zukunftsraub stoppen“ und „Ich wähl mein Leben zurück“) konnte die SJÖ ihren Beitrag dazu leisten, im Jugendbereich für fortschrittliche Politik zu werben und linke Positionen in die Partei zu tragen. Während der Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP stellte die Sozialistische Jugend eine Kampagne für eine SPÖ-Minderheitsregierung auf die Beine und warnte vor den „bitteren Pillen“ einer Großen Koalition. Ausgangspunkt für die Kampagne war der 31. Verbandstag im November 2006 und die Erkenntnis, dass mit der ÖVP kein Kurswechsel möglich sein würde. Ein Verzicht auf zentrale Anliegen und Wahlversprechen, den eine Koalition mit der ÖVP bedeuten würde, wäre mit massivem Glaubwürdigkeitsverlust verbunden und würde eine tiefe Krise der Sozialdemokratie bedeuten. Am Verbandstag lehnten die Delegierten eine Große Koalition ab und drängten auf eine konsequente Umsetzung des Wahlprogramms bei den Regierungsverhandlungen.

Im Jänner 2007 einigten sich ÖVP und SPÖ schließlich auf ein gemeinsames Programm, in dem zentrale Wahlversprechen wie die Abschaffung der Studiengebühren fehlten und auch sonst wenig „sozialdemokratische Handschrift“ sichtbar war. Gusenbauer wurde zwar Bundeskanzler, von einem sozialdemokratischen Kurswechsel konnte aber keine Rede sein. Die Enttäuschung über die Nichteinhaltung zentraler Wahlversprechen führte zu massiven Protesten der Parteibasis und Jugendorganisationen, die in die kurzzeitige Besetzung des Eingangsbereichs der SPÖ-Parteizentrale in der Löwelstraße und Demonstrationen bei der Regierungsangelobung gipfelten. In den darauf folgenden Monaten nutzte die ÖVP ihre Chance. Tiefsitzende Illusionen in eine sozialpartnerschaftlich motivierte Koalitionsbereitschaft der ÖVP und das Erfüllen einer Staatsräson verstellten der SPÖ den Blick auf das eigentliche Vorhaben der ÖVP, nämlich der SPÖ ein Regierungsprogramm aufzuzwingen, das in zentralen Bereichen weiterhin ÖVP-Handschrift trägt. Im Wesentlichen konnte bis auf wenige positive Ausnahmen (z.B. Wahlaltersenkung auf 16 Jahre) die Fortsetzung neoliberaler Politik nicht verhindert werden. Für die Sozialistische Jugend war diese Situation vollkommen neu. Der überwiegende Teil der aktiven FunktionärInnen und AktivistInnen wurde in Schwarz-BlauZeiten politisiert und hatte wenig Erfahrung mit einer Regierungspartei SPÖ und ebenso wenig Erfahrung im eigenen Umgang mit ihr. Es galt für die SJ zu dieser Zeit dennoch, den Unmut und Protest gegen die Große Koalition zu kanalisieren. Versuche, ein Jugendvolksbegehren auf die Beine zu stellen, scheiterten jedoch ebenso wie das Projekt „Wir sind SPÖ“, das linke Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie zu bündeln suchte. Die vorhergehende Diskussion, welche politische Ausrichtung die SJÖ aufgrund des Wiedereintrittes der SPÖ in die Regierung einnehmen soll, und die in weiterer Folge gescheiterten Versuche, die Proteststimmung politisch zu kanalisieren, stellten die Verbandsorganisation vor eine interne Zerreißprobe. Erstmals seit dem Jahr 2000 51


stand das politische Bündnis der großen Landesorganisationen zur Diskussion, da sich diese nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise in dieser wichtigen Frage einigen konnten. Trotz der gescheiterten Versuche und der harten internen Auseinandersetzungen war die SJÖ ständig zur Stelle, wenn es galt, die Regierungspolitik zu kritisieren und Kurskorrekturen vehement einzufordern. Im Juli 2008 zerbrach die Große Koalition unter Gusenbauer. Bei den darauf folgenden Neuwahlen konnte die SPÖ mit ihrem Spitzenkandidaten Werner Faymann trotz schwerer Verluste den ersten Platz verteidigen. Ohne

einen konkreten politischen Gestaltungsanspruch laufen der SPÖ seither die WählerInnen in Scharen davon. In einigen Bundesländern befindet sich die Sozialdemokratie auf einem historischen Tiefststand, bei den EU-Wahlen im Juni 2009 heimste die SPÖ das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte auf Bundesebene ein. Die SJÖ lehnte die Große Koalition unter Faymann erneut ab und versuchte mit Themeninitiativen wie einer Vermögenssteuer-Kampagne linke Kräfte in der Sozialdemokratie zu sammeln und ein politisches Gegengewicht innerhalb der Partei zu bilden.

Proteste gegen die Neuauflage der Großen Koalition, Jänner 2007

52


Verbandstag 2006 Am 31. Verbandstag der SJÖ wurde der Niederösterreicher Torsten Engelage zum Nachfolger von Ludwig Dvorak gewählt. Nachdem die SJÖ nach einem breiten Diskussionsprozess im Jahr 2004 ein Grundsatzprogramm beschlossen hatte, das eine neue Standortbestimmung und eine neue inhaltliche Stärke kennzeichnete, sollte nun eine organisatorische Stärkung der Sozialistischen Jugend im Vordergrund stehen. Der Verbandstag 2006 war auch Startschuss für eine intensive Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen innerhalb der Organisation. Mit einer Anti-SexismusInitiative wurde ein Schwerpunkt nach innen gelegt. Der Initiative ging eine Analyse der Geschlechterverhältnisse voraus, die Offenkundiges in Zahlen goss: 100% der befragten Frauen und 88% der befragten Männer sehen die SJ als männlich dominiert an. 89% der befragten Frauen gaben an, sexistische Äußerungen in der SJ wahrzunehmen – und das auf allen Ebenen der Organisation. Ziel der Initiative war schließlich neben einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Sexismus, die Frauenbeteiligung auf allen Ebenen zu erhöhen und frauenpolitische Arbeit im Sinne einer Verantwortung der Gesamtorganisation zu verbreitern. Im Oktober 2007 legte Engelage den Vorsitz zurück, ihm folgte interimistisch der steirische Landesvorsitzende und damalige stellvertretende Verbandsvorsitzende Wolfgang Moitzi nach.

Verbandstag 2008 In seiner interimistischen Vorsitzphase setzte Moitzi am Anfang vor allem auf eine interne Konsolidierung der SJ und eine organisatorische Stärkung. Somit gelang es bis zum nächsten ordentlichen Verbandstag die aufgerissenen Gräben zwischen den Landesorganisationen weitgehend zu beseitigen. Beim 32. Verbandstag im November 2008 wurde Moitzi schließlich im Amt bestätigt und der Leitantrag setzte einen organisationspolitisch wichtigen Entwicklungsschritt: die Definition der Aufgaben und Betätigungsfelder der Sozialistischen Jugend und die verstärkte Öffnung der Organisation für alle gesellschaftlichen Schichten. Auch notwendige strukturelle Veränderungen legten die Wege der SJÖ fest. Eine Überarbeitung der Mitgliederzeitung „Trotzdem“, die Verlagerung von Informationskanälen in Social Networks, eine neue Homepage und direkte Kommunikationsmittel mit FunktionärInnen machten die Arbeit des Verbandes um einiges transparenter und greifbarer. 53


Armut ist heilbar – Reichtum ist teilbar Unter dem Motto „Armut ist heilbar! Reichtum ist teilbar!“ startete die Sozialistische Jugend im Winter 2007 eine bundesweite Kampagne gegen die ungleiche Verteilung des Wohlstandes in Österreich und beleuchtete dabei auch die spezifischen Alltagshürden besonders armutsgefährdeter Gruppen, wie MigrantInnen, Frauen und junge Menschen. Dieses Thema gewann noch weiter an Bedeutung, als die Regierung Gusenbauer die Abschaffung der Schenkungs- und

Aktion für Vermögenssteuern vor dem Finanzministerium, Juni 2009

54

Erbschaftssteuer beschloss. Die Weltwirtschaftskrise, die nach dem Kollaps der Finanzmärkte 2008 die Weltkonjunktur abstürzen ließ, setzte Verteilungsfragen wieder auf die politische Tagesordnung. Mit der Initiative „Reiche müssen zahlen“ setzte die SJÖ 2009 einen Schwerpunkt auf die Forderung nach Vermögenssteuern und versuchte sowohl BündnispartnerInnen zu suchen als auch innerparteilichen Druck zu erzeugen.


Die politische Frauenarbeit der SJ erlebte in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs

Frauenpolitik Besonderes Engagement und Konzentration galt in den Jahren 2004 – 2009 frauenpolitischen Kampagnen. 2005 wurde mit der Kampagne „selbstbestimmt statt fremdbeHERRscht“ das Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Frauenrecht thematisiert. Mit „Kill your Gender“ und vor allem der ersten Frauenkampagne seit dem Jahr 2005 „Ich muss gar nichts“ (2009) wurden bei bundesweiten Touren gesellschaftlich transportierte Rollenbilder von Frauen (und Männern) hinterfragt und sollte insbesondere junge Frauen dazu motivieren, ihre eigene Rolle in Frage zu stellen und eigene Wege gehen zu können.

Die politische Frauenarbeit der SJ erlebte in diesen Jahren einen Bedeutungszuwachs. In den Landesorganisationen wurde Frauenpolitische Kommissionen statutarisch verankert. Ein jährliches feministisches Seminar erfreut sich zunehmenden Zuspruchs, und Medienaktionen zu internationalen Tagen sind ebenso Fixtermine wie jährliche Aktivitäten gegen Propagandatouren von AbtreibungsgegnerInnen. Die FPK erlebte zudem einen Generationenwechsel. Die langjährige Frauensprecherin Stefanie Vasold übergab 2008 an die Niederösterreicherin Christine Utzig. 55


Antifaschismus Eine der großen Stärken der SJÖ ist ihre Kampagnenfähigkeit. Die erfolgreichste Kampagne der Jahre 2003 bis 2009 war das „Netzwerk gegen Rechts“ mit dem zum Symbol gewordenen „Hai“. Die antifaschistische Arbeit der SJÖ erschöpfte sich nicht nur in der Kampagnisierung nach außen, sondern setzte einen Schwerpunkt auf die Bildungsarbeit nach innen. Das jährliche „Antifa-Seminar“ mit anschließender Teilnahme an den Befreiungsfeiern im ehem. KZ Mauthausen, eine jährliche Studienreise ins ehem. Vernichtungslager Auschwitz und eine Broschürenreihe kennzeichnen den antifaschistischen Bildungsanspruch der SJ. Auf zahlreichen Demos gegen FPÖ-Wahlkampfauftritte, Burschenschafter-Treffen und Neonazi-Aufmärsche zeigte die SJ ihre Mobilisierungsstärke und ihre Fähigkeit, den Protest auf die Straße zu tragen.

56


Bündnisarbeit Die erfolgreiche Orientierung der SJÖ in Richtung Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Or-ga­nisationen erreichte nach den Anti-WEF-Protesten einen weiteren Höhepunkt im Juni 2006. Die Großdemonstration gegen den Staatsbesuch des damaligen US-Präsidenten George W. Bush mit über 30.000 Menschen wurde maßgeblich von der Sozialistischen Jugend initiiert und organisiert. Ende April 2009 gelang in Oberösterreich ein breites Bündnis gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch in Linz, das neben gewerkschaftlichen Gruppen auch kirchliche Organisationen mit einbezog. Im März 2009 zeichnete sich die SJÖ als Mitorganisatorin einer Großdemonstration in Wien gegen die Krisenpolitik der Regierungen aus, die von über 250 Organisationen getragen wurde. Verstärkt widmete sich die SJÖ auch dem Asyl- und Migrationsbereich. Die drohende Abschiebung einer kosovarischen Familie im Oktober 2007 zog heftige Diskussionen nach sich, die von der SJÖ mit einer Initiative aufgegriffen wurden. Durch gemeinsame Demonstrationen mit Hilfs- und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde der Widerstand gegen die fremdenfeindliche Asylpolitik Österreichs organisiert. 57


Die SJ Ă–sterreich zwischen 2009 und 2014

58


Außerordentlicher Verbandstag 2014

Für eine starke Sozialistische Jugend Die Jahre 2009 bis 2014 waren eine bewegte Zeit für die SJÖ. Nicht nur das stetige Wachstum der Organisation, sondern viele strukturelle Reformen haben die Organisation in diesen Jahren wieder zu einer Bewegung mit österreichweitem Anspruch gemacht. Viele Bundesländer hatten einen massiven Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Es ist außerdem gelungen, dass ein SJ-Verständnis in allen Bundesländern verankert wurde und man sich gemeinsam zur Sozialistischen Jugend Österreich bekennt – ein symbolisches Zeichen dafür sind beispielsweise die Umbenennungen der JUSOS Steiermark und Tirol in die Sozialistische Jugend Steiermark und die Sozialistische Jugend Tirol. Aber auch die deutlich intensivierten Beziehungen zur SJG Kärnten und den JUSOS Salzburg zeigen, dass die SJ Österreich wieder flächendeckend politisch arbeiten kann. Mit einer neuen Ortsgruppenmappe, der regelmäßigen Infobroschüre FACTory und vielen neuen Ortsgrup-

penangeboten legte die SJÖ seit 2009 außerdem einen erfolgreichen Schwerpunkt auf die Stärkung der Basisstrukturen und der SJ-AktivistInnen vor Ort. Auch die finanzielle Neuaufstellung der SJÖ – die seit dem Jahr 2000 die Organisation immer beschäftigt konnte in dieser Zeit fortgesetzt werden, sodass der Verband heute trotz zahlreicher Großprojekte in den vergangenen Jahren so gut wie schuldenfrei ist. Und auch das Europacamp der Sozialistischen Jugend in Weißenbach/Attersee steht wirtschaftlich auf gesunden Beinen. Durch zahlreiche Kampagnen und medienwirksamen Aktionismus hat es die SJÖ seit 2009 außerdem geschafft, eine völlig neue öffentliche Präsenz zu erhalten. Als glaubwürdige Sprecherin für moderne Jugendpolitik und besonders als kritische, fortschrittliche Stimme innerhalb der SPÖ ist die Sozialistische Jugend auch zu einer medialen Größe geworden. 59


Reiche müssen zahlen In den Jahren 2008 und 2009 wurde das globale Wirtschaftssystem von seiner schwersten Krise seit mehr als 80 Jahren erschüttert. Millionen Menschen verloren durch beispielweise Zockereien an den Finanzmärkten und neoliberale Politik ihre Arbeit und Existenzgrundlage – die Schere zwischen extremer Armut und unvorstellbarem Reichtum ging damit auch in Österreich immer stärker auseinander. Die SJÖ reagierte darauf mit der Kampagne „Reiche müssen zahlen“ und forderte ab Frühjahr 2009 ein umverteilendes, gerechtes Steuersystem. Insbesondere Vermögens- und Finanztransaktionssteuern wurden von der damaligen SPÖ massiv abgelehnt. Die Sozialistische Jugend gewann im Zuge dieser

Kampagne aber nicht nur eine völlig neue mediale Präsenz, sondern auch immer mehr UnterstützerInnen in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften, sodass am Bundesparteitag 2010 ein Antrag für Vermögenssteuern angenommen wurde. Trotz anfänglichen Widerstands kippte die öffentliche Meinung und Vermögensbesteuerung wurde zu einem zentralen Forderungspunkt der SPÖ. Trotz dieses Erfolges ist es der Regierung Faymann seither aber nicht gelungen, nennenswerte Reformen in diesem Bereich gegen die ÖVP umzusetzen. Die SJÖ reagiert darauf mit öffentlichem Druck und konnte sich sowohl in den Medien, als auch an der Parteibasis als glaubwürdige Kraft für mehr Umverteilung positionieren.

Bundesheervolksbefragung Im Jänner 2013 wurde von der SPÖ-ÖVP-Regierung eine Volksbefragung zur Abschaffung der Wehrpflicht durchgeführt. Schon im Vorfeld hatte sich die Sozialdemokratie von ihrer ursprünglichen Position hin zur Befürwortung eines Berufsheeres gedreht, was die Volkspartei zu einer gleichen 180-Grad Drehung in die entgegengesetzte Richtung veranlasste. Die SJÖ blieb nach ausführlichen Diskussionen am Verbandstag

60

2012 in Wien bei ihrer Linie und forderte die gänzliche Abschaffung des Bundesheeres, bis zur Abschaffung sollte die Wehrpflicht beibehalten werden. Im Zuge dieser Diskussion gab es auch eine kontroverse Debatte ob eine Kampagnisierung pro Wehrpflicht sinnvoll sei, was von einer Mehrheit abgelehnt wurde, sodass es im Rahmen der Volksbefragung keine eigenständige SJ – Kampagne gab, was teilweise auch zu Kritik führte.


Protestaktion zum Bundesparteivorstand vor dem Beschluss des Koalitionsprogrammes 2013

Nationalratswahl 2013 Mit der Kampagne „GEHT NET, GIBT’S NET“ war die SJÖ auch im Nationalratswahlkampf 2013 aktiv. In ganz Österreich waren AktivistInnen der Sozialistischen Jugend für einen Kurswechsel in Bundespolitik auf der Straße. Mit neuen Zugängen zu jungen WählerInnen – wie dem österreichweiten DJ Contest – und konkreten Forderungen wurde auch für SJ-KandidatInnen für den Nationalrat geworben. Ein besonderer Schwerpunkt wurde dabei auf das Thema leistbares Wohnen gelegt, das die SJÖ über Monate erfolgreich kampagnisierte. Es gelang dabei nicht nur, ein ur-sozialdemokratisches Thema wieder zurückzugewinnen und in die öffentliche Debatte zu rücken, durch wachsenden Druck sah sich die SPÖ einmal mehr gezwungen weite Teile der SJ Forderungen zu übernehmen. Das Ergebnis der Nationalratswahl war mit einem starken Aufschwung rechtspopulistischer

Kräfte eine herbe Enttäuschung und bewies mit der Schwächung der Sozialdemokratie auch, dass dieser nach sieben Jahren Großer Koalition die Glaubwürdigkeit fehlte. Auch der versuchte Einzug von Wolfgang Moitzi über ein Grundmandat in der Obersteiermark misslang mit 5.000 Vorzugsstimmen knapp. Die SJÖ positionierte sich von Anfang an klar gegen eine Weiterführung der „GroKo“ und warb medienwirksam für eine Urabstimmung über das Koalitionspapier in der SPÖ. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen – ein inhalts- und visionsloses Regierungsübereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP – gab dieser SJ Forderung Recht. In den ersten Monaten der neuen Regierung Faymann II konnte sich die SJÖ in der Folge als klare Kraft für ein Ende der Großen Koalition und einen echten Politikwechsel profilieren. 61


Internationale Arbeit Ein klarer Schwerpunkt wurde in der SJÖ Arbeit ab 2008 wieder auf die internationale Arbeit gelegt. Der Erfolg dieser Vernetzungsarbeit zeigte sich nicht zuletzt daran, dass im Juli 2011 erstmals nach Jahrzehnten wieder ein IUSY World Festival in Österreich abgehalten werden konnte. Rund 3.000 GenossInnen aus der ganzen Welt trafen sich dabei eine Woche lang im Europacamp der SJÖ um sich über ihre politische Arbeit und den gemeinsamen Kampf für eine solidarischere, gerechtere Gesellschaft auszutauschen. Wenige Tage vor Beginn des Festivals wurde die Welt von den rechtsextremen Anschlägen auf das Feriencamp unserer norwegischen Schwesterorganisation AUF erschüttert. Trotz dieses terroristischen Aktes wurde das IUSY Festival ein großer Erfolg und konnte durch eine beispiellose mediale Präsenz ein Zeichen des Erinnerns unter dem Motto „We are all

AUF activists“ setzen. Für die SJÖ war dieses Festival nicht nur mit einem immensen Organisationsaufwand verbunden, sondern konnte die internationale Arbeit wieder verstärkt ins Bewusstsein der ganzen Organisation rücken. Dieser neue Zugang zu internationaler Arbeit zeigte sich auch daran, dass die SJÖ mit Sebastian Schublach, Boris Ginner und Sandra Breiteneder bzw. mit Anna Bruckner und Naomi Dutzi seit 2010 wieder in den Präsidien unserer europäischen und internationalen Dachverbände YES (früher ECOSY) und IUSY vertreten ist. Gemeinsam mit zahlreichen anderen europäischen Schwesternorganisationen ist es in den Jahren 2012/13 außerdem gelungen, mit der „RISE UP“ Kampagne die erste wirklich „internationale Kampagne“ in der Geschichte unserer Bewegung auf die Beine zu stellen und länderübergreifend gegen Austeritätspolitik zu kämpfen.

Gedenkveranstaltung am IUSY World Festival 2011 nach dem Anschlag auf unsere Schwesternorganisation AUF Norwegen

62


Aktion der FPK zum Frauenkampftag 2014

Bildungsarbeit

Frauenpolitik

Seit 2009 wurden viele neue Bildungs- und Ausbildungsangebote auf den Weg gebracht, die die Sozialistische Jugend nicht nur schlagkräftiger sondern auch breiter aufgestellt haben. Das Herzstück dieser Neuerung war die Wiedereinführung der „SJ Akademie“, die jährlich rund 30 AktivistInnen aus ganz Österreich die Chance auf eine tiefgreifende inhaltliche Ausbildung bietet. Im Herbst 2014 konnte der inzwischen dritte Jahrgang dieser Akademie abgeschlossen werden.

In den Jahren 2009 – 2014 legte die SJÖ zusätzlich einen besonderen Fokus auf die frauenpolitische Situation. So stieg der Stellenwert von feministischer Arbeit unter Laura Schoch und Naomi Dutzi (als Frauensprecherinnen) in der Gesamtorganisation an. In der Öffentlichkeit sorgte die SJÖ mit der Initiative „AUSTRIA’S NEXT TOPFMODEL“ für Aufsehen. Mit jährlichen Touren und einem niederschwelligen Zugang wurde dabei versucht, Jugendliche in ganz Österreich auf das Problem des kommerziellen Schönheitswahns hinzuweisen – mit vollem Erfolg.Auch innerhalb der SJÖ zeigte der frauenpolitische Schwerpunkt Wirkung: Schon am Verbandstag 2008 wurde – trotz einiger Widerstände - eine 50% Frauenquote für den Verbandsvorstand beschlossen und ab dann eingehalten. Die SJÖ ist damit auch innerhalb der Sozialdemokratie Vorkämpferin für feministische Politik und nach wie vor eine Verteidigerin der Frauenquote, deren Existenz und Einhaltung in der SPÖ oft mit Füßen getreten wird. Mit Sybilla Kastner gibt es nicht nur eine weibliche Verbandssekretärin, sondern seit dem Verbandstag 2014 mit Julia Herr auch erstmals in der Geschichte der SJÖ eine weibliche Verbandsvorsitzende. Trotzdem bleibt auf dem Weg zu einem gleichberechtigten Verband noch viel zu tun!

Auch die Zeitschrift der SJÖ – das TROTZDEM – wurde in dieser Zeit neu aufgestellt. Mit neuem Design und einer Komplettüberarbeitung des inhaltlichen Aufbaus bietet das TROTZDEM allen SJ-Mitgliedern inzwischen regelmäßig Berichte und Diskussionen zu aktuellen politischen Fragen und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Mit zahlreichen jährlichen Fixpunkten wie dem ANTIFA-Monat im April und dem feministischen Monat im Vorfeld des 8. März gibt die SJÖ außerdem ein Bekenntnis zu neuer Bildungs- und Kampagnenarbeit ab.

63


Verbandsvorsitzende Julia Herr bei ihrer Antrittsrede am Verbandstag

Für eine Erneuerung der SPÖ Im Dezember 2008 wurde das Kabinett Faymann I angelobt. Die folgenden Jahre waren hauptsächlich geprägt von Gezanke in der Großen Koalition und fehlenden Reformen. Gegen diesen Stillstand trat die SJÖ nicht nur mit vielen konkreten Forderungen an die Bundespolitik, sondern auch mit einer Kampagne für eine demokratische SPÖ und ein neues Parteiprogramm auf. Im Vorfeld des Bundesparteitages 2012 trat der Verband für eine Parteireform in den Medien auf: Neben demokratischeren, partizipativeren Strukturen sollte ein neues Parteiprogramm den Leitfaden für einen Politikwechsel auf Bundesebene bieten. Trotz anfänglichen Widerstandes durch die Parteispitze wurden diese Forderungen am Parteitag angenommen und entsprechende Arbeitsgruppen installiert. Seit 2012 kämpft die SJÖ gemeinsam mit vielen BündnispartnerInnen für die Umsetzung dieser Reformen, denen aber von Seiten der Parteiführung viel Gegenwind entgegen weht. Doch eben nicht nur eine Parteireform, sondern vor allem eine programmatische Erneuerung ist das Ziel: Die SPÖ hat keine eigenen Antworten zur Beseitigung der Krise gefunden, und trägt vor allem auf EU Ebene dazu bei, neoliberale Lösungen zu übernehmen. So verschärfte sich die Fiskalpolitik mit Zustimmung der Sozialdemokratie und die Handlungsspielräume der Nationalstaaten wurden bedeutend geschmälert. Neoliberale Lösungen, beispielsweise Sparzwänge, wurden über völkerrechtliche Verträge als Programm einzementiert, wodurch die Arbeitslosenzahlen in vielen EU Ländern- wie auch Österreich- auf einem Höchststand sind. Was uns als SJ leider noch nicht gelungen ist, ist kritische Kräfte in der Sozialdemokratie zu vernetzen– zum Beispiel in der von uns organisierten „Denkfabrik“. 64

Verbandstag 2014 Der Verbandstag im Mai 2014 in Graz war geprägt von der ersten Doppelkandidatur seit langem. Mit Fiona Kaiser, welche Kandidatin der Landesorganisationen Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Voralberg war und Julia Herr, die im Wesentlichen von den Landesorganisationen Burgenland, Wien, Steiermark und Salzburg unterstützt wurde, bewarben sich zwei Frauen um den Verbandsvorsitz. Das führte im Vorfeld des Verbandstages zu einer monatelangen breiten Diskussion über neue Organisationsformen und demokratischere Strukturen innerhalb der SJÖ. Am Verbandstag selbst konnten auf diesem Weg organisatorische Reformen beschlossen und auf den Weg gebracht werden, wenngleich für die Diskussion der Anträge wenig Zeit blieb, weil innerorganisatorische Uneinigkeiten im Vordergrund standen. Das Festhalten am Grundsatzprogramm und an der marxistischen Ausrichtung der Organisation wurde ebenfalls beschlossen und war Programm beider Kandidatinnen. Julia Herr wurde schließlich mit 54% zur ersten weiblichen Vorsitzenden in der Geschichte der Sozialistischen Jugend Österreich gewählt.


Lieber bekifft ficken als besoffen fahren Zur Jahresmitte 2014 gelang es der SJÖ mit dem Relaunch der Kampagne „Lieber bekifft ficken, als besoffen fahren“ die Legalisierung von Cannabis wieder zu einer breiten öffentlichen Diskussion zu machen. Erstmals seit langem wurde in Österreich wieder ernsthaft über Drogenpolitik diskutiert und die Sozialistische Jugend konnte in einer beispiellosen medialen Berichterstattung beweisen, dass Jugendpolitik aus linker Sicht eine breite Themenpalette abdeckt und nur glaubwürdig ist, wenn sie tatsächliche Lebensrealität von Jugendlichen anspricht. Andere Parteien – wie die Grünen und die NEOS – sprangen im Zuge der Debatte auf die SJ-Forderung auf, eine Petition an den Nationalrat erreichte rund 30.000 Unterschriften.

Hauptsujet zur Kampagne "Lieber bekifft ficken als besoffen fahren"

65


Verbandsvorsitzende der Sozialistischen Jugend Ă–sterreich nach 1945 1945 - 1954 Peter Strasser 1954 - 1964 Heinz Nittel 1964 - 1972 Peter Schieder 1972 - 1976 Johann Hatzl 1976 - 1978 Josef Ackerl 1978 - 1984 Josef Cap 1984 - 1990 Alfred Gusenbauer

Bildungswerkstatt, November 2012

66

1990 - 1992 Martin Winkler 1992 - 1996 Karl Delfs 1996 - 2000 Robert Pichler 2000 - 2004 Andreas Kollross 2004 - 2006 Ludwig Dvorak 2006 - 2007 Torsten Engelage 2007 - 2014 Wolfgang Moitzi seit 2014 Julia Herr



Wir wissen wohin wir gehen, weil wir wissen woher wir kommen!

www.sjoe.at


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.