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von Sigfried Schibli

WIE BREMEN BASEL ÜBERHOLTE

VON SIGFRIED SCHIBLI Wenn die Baslerinnen und Basler sich ein wenig geschickter angestellt hätten, wäre das Deutsche Requiem von Johannes Brahms 1868 in Basel uraufgeführt worden. Schliesslich pflegte Brahms intensive Kontakte nach Basel und weilte häufig in der Schweiz, teils mit seiner Geliebten Clara Schumann, teils ohne sie. Er spielte im Rahmen der Hauskonzerte im Basler Kettenhof beim Ehepaar Riggenbach-Stehlin, gab in der Martinskirche Klavierabende, dirigierte 1874 in Basel sein Triumphlied und später im Musiksaal seine Nänie sowie seine 2. Sinfonie und (in Uraufführung!) seinen Gesang der Parzen mit dem Basler Gesangverein. Wieso denn nicht auch das Deutsche Requiem, wie es eigentlich von diesem ältesten gemischten Chor der Schweiz vorgesehen war?

Offenbar traute sich der Gesangverein diese grosse Aufgabe nicht zu. Seinem Verleger Rieter-Biedermann in Winterthur schrieb Brahms am 10. November 1867: «Die Basler sind von einer so unpraktischen Weitläufigkeit, dass das wohl nichts wird. Und ich wäre gar gerne zum Frühling in Ihre Gegend gegangen. Dagegen will man das Requiem in Bremen durchaus aufführen […]»

Die Mentalität der Baslerinnen und Basler scheint damals in der Tat nicht einfach gewesen zu sein. Jedenfalls beklagte auch Friedrich Hegar, ein aus Basel stammender, landesweit renommierter Geiger und Dirigent, die «veilchenhafte» Art der Basler. Er hätte auch von falscher Bescheidenheit sprechen können. Hegar hatte nachträglich erfahren, dass Schumanns Oratorium Das Paradies und die Peri in Basel 1867 aufgeführt worden war – und der brennend daran interessierte Hegar hatte nichts davon erfahren.

Bremer Marktplatz mit dem Dom St. Petri

Die Werbetrommel zu rühren, das war nicht die Basler Art. Vielleicht lag es auch an einem Mangel an Selbstvertrauen, der die Basler das Brahms-Requiem nach Norddeutschland ‹verschenken› liess. Jedenfalls kam es in der Basler Martinskirche Ende Februar 1869 zwar zur Schweizer Erstaufführung des Deutschen Requiems, aber die Uraufführung sicherte sich Bremen. Dort fand am Karfreitag des Jahres 1868 im Dom die erste Aufführung des damals noch sechssätzigen Werks statt.

Danach wurde das Deutsche Requiem in der heute bekannten siebensätzigen Gestalt im Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Zwei Jahre später stellte es Brahms dem Bremer Publikum nochmals vor, nun in seiner endgültigen Form. Der geistlichen Einkehr folgte weltlicher Jubel: An das Deutsche Requiem schloss sich der erste Teil des Triumphlieds von Brahms an, eine unverblümte Feier des militärischen Siegs der deutschen Truppen über Frankreich und der Gründung des preussischen Kaiserreichs mit Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck an der Spitze.

Bremen war kein schlechter Ersatz für Basel, der Bremer Dom kann mit dem Basler Münster durchaus mithalten. Der Dom der Hansestadt führt geschichtlich bis ins 8. Jahrhundert zurück, ist aber wie die meisten mittelalterlichen Kathedralen ein Kompositum aus unterschiedlichen Epochen. Keine Spuren mehr gibt es von einem ersten Holzbau, der im Jahr 792 im Verlauf der Sachsenkriege niedergebrannt wurde. Das Fundament einer Steinkirche aus dem 11. Jahrhundert ist heute noch erkennbar. Das heute sichtbare Gebäude mit seinen zwei markanten Türmen entstammt im Wesentlichen der Spätromanik und Frühgotik, wobei der Nordturm im 16. und 17. Jahrhundert zeitweise ohne Giebel war. Ein Stich von Matthäus Merian zeigt einen der beiden Türme als kurzen Stummel. Der Südturm war 1638 unter der Last seiner schweren Glocken zusammengebrochen und hatte zwei Häuser und acht Menschen unter sich begraben, der Nordturm bekam eine ‹welsche Haube›. Das heutige Bild des Bremer Doms ist geprägt durch die beiden spitz in den Himmel ragenden Westtürme, die 1888 erstmals seit fünfhundert Jahren symmetrisch gestaltet wurden.

Kirchenpolitisch stand Bremen im Wettbewerb mit Hamburg. Bremen wurde 1224 Erzbischofssitz, während Hamburg keinen eigenen Bischof mehr hatte. Die ‹Metropolitankathedrale› Bremen schloss sich offenbar geschmeidig der Reformation an; schon 1525 wurden katholische Messen im Stadtgebiet verboten. Seither ist der Bremer Dom lutherisch.