Berliner Dialogkonzerte

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Palestrina im Dialog mit Gesängen aus dem Ägyptischen Totenbuch Das Callias Ensemble & Sprecher Anrufung der 42 Totenrichter (Original) - Giovanni Pierluigi da Palestrina : Missa in duplicibus minoribus Nr. 1 - Anrufung der 42 Totenrichter (Übersetzung) -------------------------Sherif Elseify (Sprecher) Torben Swane (Sprecher) Georg Bochow (Cantus) Ernesto Aràmburo (Altus) Jean-Philippe Lazure (Tenor I) Carlo Schmitz (Tenor II) Ohad Stolarz (Tenor II) Eyal Edelmann (Bassus) Jan Moritz Onken (Dirigent)

Impressum: ‚Berliner Dialogkonzerte‘ ist eine Veranstaltung der Callias Foundation im Rahmen des ‚Silk Road Cultural Belt‘. Redaktion: Callias Foundation Gestaltung: GRACO Berlin Druck: Pinguindruck Mit freundlicher Unterstützung der BMW Foundation Herbert Quandt

26. bis 28. April 2019, Parochialkirche Berlin

Vereinzelten Tendenzen ihrer gänzlichen Abschaffung konnte durch weitreichende Zugeständnisse schließlich entgegengewirkt werden: Die Musik in der Messe, so schrieb man in den Konzilsbeschlüssen fest, solle nicht dem Vergnügen des Ohres und erst recht nicht dem Selbstzweck dienen, sondern der Liturgie. Ausgedehnte kunstvolle Melismen – das Singen ausgedehnter Melodielinien auf nur einer Textsilbe – und die Verwendung weltlicher Melodien sollten deshalb aufgegeben werden. Ziel war die Textverständlichkeit beim Zuhörer; und die Musik hatte sich in den Dienst dieses Zwecks zu stellen. Im rituellen Kontext gilt damit das gesprochene oder musikalisch deklamierte Wort und mit ihm die Sprache als Bindeglied sozialer Gemeinschaften – ob im Europa der Gegenreformation oder im antiken Ägypten – als Maß der Dinge. Palestrinas Missa in duplicibus minoribus I Palestrinas nach-tridentinische Messvertonungen versuchen beinahe penibel alle Forderungen der Konzilsväter umzusetzen. Er verzichtet auf die Verwendung außerliturgischer Melodien und bemüht sich um die Verständlichkeit des Messtextes. So verwendet er ausgedehnte melismatische Verzierungen in seiner Missa in duplicibus minoribus I nur in dem textarmen einleitenden Kyrie und den formelhaften Amen-Vertonungen am Ende von Gloria und Credo. Die übrigen durchweg textreichen Sätze enthalten allenfalls kurze melismatische Wendungen, die zur besseren Verständlichkeit des Textes eher beitragen als sie zu behindern. Die katholischen Doppelfeste (fest duplicia), bei denen zwei Feste auf denselben Tag fallen und die daher an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in der Reihenfolge ihrer Rangordnung begangen werden, teilen sich in hohe (majoribus) und gewöhnliche Feste (minoribus). Palestrinas Missa in duplicibus minoribus I gehört – das verrät ihr Name – zu letzterer Gattung. Kompositorisches Kennzeichen dieser Messe ist einerseits der im Verlauf des Werkes zunehmende Wechsel zwischen den polyphonen, fünfstimmigen Abschnitte und den einstimmigen Choralpassagen, die der Liturgie in Mantua geschuldet sind. Zweites sich durch

die Komposition ziehendes Moment ist die fortlaufende gegenseitige Imitation der fünf Stimmen im kontrapunktischen Stil. Besonders bemerkenswert ist der Gestaltungsspielraum den Palestrina hierbei nutzt. Das Eröffnungsmotiv des Kyrie mit seinem markanten Tonsprung führt er einmal durch alle Stimmen; direkt im Anschluss bringt er ein zweites kurzes Thema, das den Impetus dieses Motiv nach unten hin umkehrt – und das dann ebenfalls in allen Stimmen erscheint. Das Gloria hingegen exponiert auf den Text „bonae voluntatis“ zwei sich überlappende Motive; hier imitieren sich Cantus, Altus und Tenor I auf der einen Seite und Tenor II und Bass auf der anderen. Dieses Prinzip wird im Verlauf des Satzes beibehalten, wobei sich die Imitationsgruppen immer wieder neu formieren. Im Credo ist der musikalische Satz vorrangig monothematisch geprägt, spielt nun aber mit dem abwechselnden Pausieren von Stimmen und Stimmgruppen, wodurch sich ebenfalls stets neuformierende Imitationsgruppen unter den Sängern ergeben. Eine Kombination der verschiedenen Imitationsprinzipien ist im Hosanna des Sanctus zu beobachten. Hier arbeitet der Komponist wieder mit zwei gegenläufigen Motiven, die nun aber simultan erklingen – zunächst in Tenor I und Bass, dann in Altus und Tenor II, später in Cantus und Tenor I. Mit ihrem durchweg imitatorischen fünfstimmigen Satz und dem typischen alternierenden Wechsel zwischen Polyphonie und Choralgesang ist die Missa in duplicibus minoribus I zunächst eine typische Mantuaner Messe, die alle Anforderungen erfüllt, die mit der besonderen liturgischen Situation der herzoglichen Basilika Santa Barbara einhergingen. Zugleich entfaltet Palestrinas Musik in den Grenzen dieses strengen liturgischen Korsetts aber einen individuellen Geist, der eine Komposition von höchstem musikalischem Anspruch und außergewöhnlicher kontrapunktischer Kunstfertigkeit entstehen lässt. Dr. Manuel Bärwald

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Palestrinas Missa in duplicibus minoribus I

Nichts Böses kann mir zustoßen in diesem Lande, in der Halle der Vollständigen Wahrheit, denn ich kenne die Namen dieser Götter, die in ihr sind.

Palestrina und Mantua Giovanni Pierluigi da Palestrina war im Italien der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einer der gefragtesten und höchstangesehenen Musiker. Er stammte aus dem kleinen Ort Palestrina nahe Rom und bekleidete am dortigen Dom schon in jungen Jahren das Organistenamt. Im Alter von etwa 26 Jahren wechselte er an den Petersdom nach Rom, wo er bald zum Mitglied der Päpstlichen Kapelle ernannt wurde. Später hatte er Kapellmeisterämter an den großen römischen Basiliken San Giovanni in Laterano und Santa Maria Maggiore inne und war musikalischer Berater des auch für die Kirchenmusik folgenreichen Trienter Konzils (1545–1563). Außerhalb Italiens stand er in Kontakt zum spanischen König Philipp II. und wäre beinahe zum Hofkapellmeister von Kaiser Maximilian II. in Wien berufen worden, wenn nicht Palestrinas horrende Gehaltsforderungen dem entgegengestanden hätten. Selbiges gilt für eine geplante Anstellung als Kapellmeister am herzoglichen Hof in Mantua. Unter der Herzogsfamilie Gonzaga hatte sich die kleine Stadt im Norden Italiens zu einem Zentrum der schönen Künste entwickelt, in dem vor allem die Musik eine besondere Rolle einnahm. Guglielmo Gonzaga (1538– 1587) komponierte sogar selbst und ließ eigene Werke unter dem Namen seines Kapellmeisters Giaches de Wert drucken. Seine enormen musikalischen Ambitionen äußern sich nicht nur in dem Versuch, Palestrina für Mantua zu gewinnen, sondern auch an dem Neubau der Basilika Santa Barbara innerhalb der Mauern des Herzogspalasts, der Ausstattung der Kirche mit einer repräsentativen Orgel und der Einrichtung einer zugehörigen Kapelle. Doch damit nicht genug – an Santa Barbara wurde eine von der römischen abweichende Liturgie mit eigenen Choralmelodien gepflegt. Dies führte zu besonderen Anforderungen an die Messkompositionen, die hier erklangen. Auch wenn Palestrina das Mantuaner Kapellmeisteramt abgelehnt hatte, war er doch wiederholt als Auftragskomponist für Guglielmo

Jonas Burgert, Graufeld, 2003, Graphit auf Papier, 320 x 630 cm Foto: Lepkowski Studios

Gonzaga tätig gewesen und hatte mindestens neun Messen komponiert, die den besonderen liturgischen Anforderungen der herzogliche Kapelle entsprachen: Neben der Verwendung besonderer Choralmelodien gehört dazu die kompositorische Anlage im ausschließlich fünfstimmigen Satz unter Anwendung des Alternatim-Prinzips, dem alternierenden Wechsel zwischen polyphonen Abschnitten und solchen, denen die dem einstimmigen Choralgesang vorbehalten sind. Rituelle Performanz zwischen ägyptischer Mythologie und gegenreformatorischem Zeremoniell Als Ägyptisches Totenbuch wird eine Sammlung von Totensprüchen bezeichnet, die aus der Zeit um 2000 v. Chr. stammen und an den Innenwänden der Grabkammern

der Pyramiden, auf Särgen oder den Binden von Mumien angebracht wurden. Die Sprüche dienten der rituellen Begleitung der Überführung des Verstorbenen vom Diesseits ins Jenseits. Eine zentrale Rolle nahm dabei die Anrufung der 42 Totenrichter ein, die stellvertretend für die 42 Verwaltungseinheiten Ägyptens stehen. Die Anrufung der Richter verortet die ägyptische Mythologie in der Halle der Vollständigen Wahrheit, einer Gerichtshalle, die von Osiris, dem Gott des Jenseits, beherrscht wird. Hier, glaubte man, werde sich der Verstorbene für seine irdischen Taten rechtfertigen müssen. Von besonderer Bedeutung sei dabei, die Namen aller Richter genau zu kennen und sie korrekt anzusprechen – dann hatte man an diesem Ort nichts zu befürchten:

Auf diese einleitende Formel folgt in Kapitel 125 des Totenbuches die Anrufung aller 42 Richter zusammen mit der Beteuerung, sich der Sünde, für deren Strafspruch der jeweilige Richter zuständig ist, nicht schuldig gemacht zu haben. Der rituelle Akt des gesprochenen Vortrags der Anrufung der Totenrichter, das negative Sündenbekenntnis, sollte den Verstorbenen von allen bösen Handlungen befreien. Unter dem Aspekt der Rückbezüglichkeit der 42 Totenrichter zu den 42 weltlichen Verwaltungseinheiten Ägyptens kommt dieser Akt einer Rechtfertigung des individuellen Handelns vor der ganzen sozialen Gemeinschaft gleich und übernimmt damit zugleich die Rolle einer kollektiven Katharsis für alle Mitglieder dieser Gemeinschaft. Schon lange vor Palestrina hatte sich mit den Vertonungen des Ordinarium Missae die Messe als zentrale musikalische Gattung der katholischen Andacht etabliert. Messkompositionen waren die Königsgattung und folgten am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert einer immer weiter zunehmenden Kunstfertigkeit und Virtuosität, die bald zum musikalischen Selbstzweck wurden, indem etwa bekannte Volksliedmelodien anstelle der gregorianischen Choräle in die Kompositionen eingeflochten wurden. Im Zuge der gegenreformatorischen Erneuerung der katholischen Kirche auf dem Konzil von Trient stand daher auch die Kirchenmusik – und zwar ganz grundsätzlich – auf dem Prüfstand.


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