ChemieXtra 6/2021

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CHEMIE

Chemikern gelingt Durchbruch

Neue Dimensionen in der organischen Chemie

Eine der effizientesten Methoden für die Synthese dreidimensionaler Architekturen ist die Addition eines Moleküls an ein Ausgangsmolekül, die sogenannte Cycloaddition. Dabei bilden sich zwei neue Bindungen und ein neuer Ring zwischen den Molekülen. Für aromatische Systeme – also flache und besonders stabile Ringverbindungen aus Kohlenstoff – war diese Reaktion mit bisherigen Methoden allerdings nicht realisierbar. Die Energiebarriere, die einer solchen Cycloaddition entgegensteht, konnte auch bei starker Wärmezufuhr nicht überwunden werden. Chemikerinnen und Chemikern um Prof. Frank Glorius (Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster) und seine amerikanischen Kollegen Prof. M. Kevin Brown (Indiana University Bloomington) und Prof. Kendall N. Houk (University of California, Los Angeles) erforschten aus diesem Grund die Möglichkeit, diese Barriere durch lichtvermittelte Energieübertragung zu überwinden. «Das Motiv, Lichtenergie zum Aufbau komplexerer, chemischer Strukturen zu nutzen, findet sich auch in der Natur wieder», erklärt Frank Glorius. «So wie Pflanzen in der Photosynthese mithilfe von Licht Zuckermoleküle aus den einfachen Bausteinen Kohlenstoffdioxid und Wasser synthetisieren, nutzen wir die lichtvermittelte Energieübertragung, um aus flachen Grundstrukturen komplexe, dreidimensionale Zielmoleküle herzustellen.»

Neue Wirkstoffkandidaten? Die Wissenschaftler weisen auf die «enormen Möglichkeiten» der Methode hin. Die neuartigen, unkonventionellen Strukturmotive, die das Team in der «Science»-Publikation vorstellt, erweitern deutlich das 12

Bilder: Peter Bellotti

Ein Hauptziel der organischen Chemie der vergangenen Jahrzehnte ist die schnelle Synthese dreidimensionaler Moleküle für die Entwicklung neuer Medikamente. Diese Wirkstoffkandidaten weisen im Vergleich zu vorwiegend flachen Molekülstrukturen viele verbesserte Eigenschaften auf. An mehr als 100 Beispielen konnten Chemiker aus Deutschland und den USA die breite Anwendbarkeit eines neuen Verfahrens demonstrieren.

So sah der Versuchsaufbau der Chemiker für die photochemischen Reaktionen aus.

Spektrum an Molekülen, auf die medizinische Chemiker auf ihrer Suche nach neuen Wirkstoffen zurückgreifen können: So seien pharmazeutisch höchst relevante, stickstoffhaltige Grundbausteine wie Chinoline, Isochinoline und Chinazoline aufgrund von Selektivitäts- und Reaktivitätsproblemen bisher weniger verwendet worden. Durch die lichtvermittelte Energieübertragung können sie nun mit einer Vielzahl an strukturell diversen Alkenen gekoppelt werden, um neuartige dreidimensionale Wirkstoffkandidaten oder deren Grundgerüst zu erhalten. Auch für die weitere Umwandlung («Transformation») dieser synthetisierten Grundgerüste zeigten die Chemiker viele innovative Möglichkeiten. Mit ihrer Expertise ebnen sie pharmazeutischen Anwendungen den Weg. Die einfache Durchführbarkeit und die Verfügbarkeit der benötigten Startmateria-

lien sind dabei ausschlaggebend für die künftige Nutzung der Technologie: Die genutzten Moleküle sind günstig im Handel erhältlich oder leicht herzustellen. «Wir hoffen, dass diese Entdeckung Impulse in der Entwicklung neuartiger medizinischer Wirkstoffe setzen kann und darüber hinaus interdisziplinär angewandt und weiterentwickelt wird», unterstreicht die Erstautorin der Studie Jiajia Ma. «Unser wissenschaftlicher Durchbruch kann auch eine grosse Bedeutung für die Entdeckung von Pflanzenschutzwirkstoffen und darüber hinaus erhalten», ergänzt Brown.

Experimentell und computergestützt Eine weitere Besonderheit der Studie: Die Wissenschaftler klärten den Reaktionsmechanismus und die exakte Struktur der 6/2021


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