KunststoffXtra 5/12

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KUNSTSTOFF XTRA

RECYCLING

Bilder: InnoRecycling

Kehrichtverbrennung versus Substituierungs-Modell

50 Prozent der Kunststoffe im Haushaltsmüll könnte recycelt, der Rest zum Beispiel einem Zementwerk zur thermischen Verwertung zugeführt werden.

schrott mit 90 Prozent, dürfen wir uns getrost auf die Schultern klopfen. Wie sieht es jedoch beim Rest aus? Beim Kehricht, beim Kunststoff, beim Biomüll? Bei diesen Themen glänzt die Schweiz gegenüber anderen EU-Staaten nicht wirklich. Beim Kunststoff etwa liegt die Recycling-Quote lediglich bei 15 Prozent und wenn man den Anteil der in Zementwerken verheizt wird, abzählt, sogar nur noch bei 10 Prozent. Ein Grund für diese niedrige Quote ist, dass für Kunststoffe (exklusive PET) keine vorgezogene Recyclinggebühr erhoben wird, welche die Rücknahme und die Verwertung regelt. Ein weiterer Grund ist, dass Kunststoffabfälle nicht in einer Separatsammlung erfasst werden, sondern unbeachtet im Kehrichtsack verschwinden.

Der Blackbox-Effekt Das Littering-Phänomen ist ähnlich – achtlos weggeworfener Abfall – meist Verpackungen aus Kunststoff, Getränkedosen oder Gratiszeitungen. Was haben jedoch Littering und ein Kehrichtsack gemeinsam? In beiden Fällen werden Abfälle achtlos entsorgt. Beim Littering werfen wir die Verpackungen achtlos auf die Strasse und Zuhause achtlos in den Kehrichtsack. Beides ist ein Entledigen und beide Vorgänge basieren auf mangelndem 30

Wissen, nicht beachten, oder schlicht Desinteresse. Vor allem aber – es geschieht anonym. Eine Studie des BAFU aus dem Jahr 2001 analysierte den Inhalt eines Kehrichtsacks. Die Erkenntnisse verblüffen: 19 Prozent unseres Hauskehrichts bestehen aus Kunststoffen, 20 Prozent aus Papier und 27 Prozent aus biogenen Abfällen. Die Analyse mag zwar nicht mehr ganz taufrisch sein, aber trotz allem sehr aufschlussreich denn wir erkennen, dass über 60 Prozent des Inhalts eines Kehrichtsacks eigentlich gar nichts in einer Kehrichtverbrennungsanlage verloren hat, denn wir verbrennen Rohstoffe und Kompost! Diese Ressourcenvernichtung ist zwar tragisch, aber die daraus resultierende Umweltbelastung ist enorm. In einem 35-Liter-Kehrichtsack steckt die Energie von 1,7 Liter Heizöl. Durch das Verbrennen in einer Kehrichtverbrennungsanlage entstehen dadurch 4,2 kg CO2 und am Schluss bleibt erst noch mehr als 20 Prozent Schlacke übrig, welche deponiert werden muss. In den 29 Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen werden pro Jahr über 650 000 Tonnen Kunststoffe verbrannt. Würde diese Menge gesammelt und verwertet, würden über 1,5 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr vermieden.

Die riesige Menge an Kunststoff und deren Potenzial, das heute in den Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt wird, kann auch besser genutzt werden. In Separatsammlungen, ähnlich wie PET, Altpapier oder Aluminium, würde der grösste Teil der Kunststoffabfälle erfasst. Bei einer konservativen Sammelquote von 60 bis 70 Prozent fielen in der Schweiz rund 400 000 Tonnen Kunststoffabfall pro Jahr an. 50 Prozent dieser Menge, also 200 000 Tonnen, kann recycelt werden und es entstehen wieder neue Kunststoffprodukte. Die restlichen 50 Prozent dienen als Ersatzbrennstoff in der qualifizierten thermischen Verwertung, zum Beispiel in einem Zementwerk. Die Energieeffizienz von Kehrichtverbrennungsanlagen ist suboptimal und macht lediglich 3 Prozent des Schweizerischen Strombedarfs aus. Eine alternative Nutzung des Kunststoffabfalls drängt sich also auf und die Vorteile wären markant: Der Import von weit über 400 000 Tonnen Erdöl, Gas und Kohle werden unnötig, denn diese Menge an Primärrohstoffen werden durch die 400 000 Tonnen Kunststoffabfall substituiert. Weitere Vorteile dieses SubstituierungsModells liegen in der grösseren Unabhängigkeit vom Erdöl-Markt, der guten Verfügbarkeit der Rohstoffe (Ressource Müll), den kurzen Transportdistanzen, den günstigen Preisen und natürlich auch in der Energieund C02-Einsparung. Noch einen Effekt gilt es zu beachten: Der Heizwert von Kunststoff ist etwa dreimal so hoch wie bei normalem Hausmüll. Damit die Öfen in den Kehrichtverbrennungsanlagen nicht überhitzen, muss die kunststoffhaltige Müllmenge entsprechend gedrosselt werden und der Durchsatz sinkt. Der hohe Heizwert von Kunststoff im Hausmüll reduziert also die Kapazität einer Kehrichtverbrennungsanlage frappant. Die Rechnung ist einfach: Ein Kilo Kunststoff weniger im Hausmüll macht Platz für drei Kilo normalen Hausmüll. Wenn also 400 000 Tonnen Kunststoff separat gesammelt und nicht verbrannt würden, könnten wir tatsächlich 12 der 29 Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen abstellen. 5/2012


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