Das Magazin der Stiftung Historische Museen Hamburg
Wo Hamburgs Natur und Kultur
STIFTUNG
HISTORISCHE MUSEEN
HAM BURG
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde der Stiftung Historische Museen Hamburg,
es gab Anlass zum Feiern: Als erstes von mehreren Modernisierungsprojekten unserer Stiftung konnte im April dieses Jahres der Umbau des Torhauses am Museum der Arbeit abgeschlossen und dieses in festlichem Rahmen eröffnet werden. Mit den neuen Räumlichkeiten verfügt das Museum über völlig neue Kompetenz-Werkstätten und zudem mit der im Erdgeschoss eingerichteten „Zukunftswerkstatt“ über einen Bereich, in dem sich ein vor allem jüngeres Publikum spielerisch und partizipativ mit Fragen und Themen zur Zukunft der Arbeit auseinandersetzen kann. Mehr zu den neuen Formaten und Angeboten und der ebenfalls dort entstandenen neuen Gastronomie erfahren Sie auf den folgenden Seiten.
Auch die beiden Titelgeschichten dieser Ausgabe stehen in Zusammenhang mit einem Modernisierungsprojekt der Stiftung Historische Museen Hamburg: Die erst kürzlich im Jenisch Haus eröffnete Ausstellung „Parkomania“ blickt aus mehreren Perspektiven auf die facettenreiche 240-jährige Historie des nach Martin Johan Jenisch d. J. benannten Parks zurück und thematisiert dabei einige bisher unerzählte Geschichten – darunter auch die erstmals in einem eigenen Forschungsprojekt recherchierten Verflechtungen des Park-Schöpfers Caspar Voght in den kolonialen Handel des 18. Jahrhunderts. Zum Besuch
dieser vorerst letzten Sonderausstellung im Jenisch Haus, das voraussichtlich im Herbst 2026 in eine umfangreiche Sanierungsphase eintritt, möchte ich Sie hiermit herzlich einladen.
Das bereits mitten in den Modernisierungsmaßnahmen befindliche Museum für Hamburgische Geschichte hat während der damit zusammenhängenden temporären Schließung eine Möglichkeit gefunden, dennoch in der Öffentlichkeit präsent zu sein: Mit dem Projekt „Mein Hamburg! Erzählst Du uns Deine Geschichte?“ tourt es durch die Stadtteile Hamburgs. Die jüngste Station war Wilhelmsburg, wo Geschichten und Erfahrungen von Hamburgerinnen und Hamburgern gesammelt wurden, die in einen eigenen Bereich der zukünftigen Ständigen Ausstellung einfließen sollen. Was es mit diesem Projekt genau auf sich hat und wie auch Sie daran teilnehmen können, erfahren Sie ebenfalls in zwei Beiträgen unseres aktuellen Heftes.
Das wichtigste und anspruchsvollste Projekt unserer Stiftung ist und bleibt die Planung und weitere konzeptionelle Entwicklung des Deutschen Hafenmuseums, vor allem des Neubaus, der mit einer besonderen Architektur und attraktiven Flächen für innovative Ausstellungs- und Vermittlungsformate im neuen Stadtteil Grasbrook entstehen wird. Ich freue mich, Sie gemeinsam mit meinem Kollegen Klaus Bernhard Staubermann – mit dem ich mich zu einem Gespräch auf der Viermastbark PEKING getroffen habe – zum aktuellen Stand des Projekts informieren zu können.
Die Vielfalt der Häuser und Standorte unserer Stiftung ist ein besonderes Potenzial und ermöglicht es uns, Sie, unsere Besuchende, immer wieder aufs Neue mit einem Füllhorn an verschiedenen Ausstellungsinhalten zu überraschen und uns mit einem breiten Spektrum an historischen Zusammenhängen und auch Fragestellungen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Mit unserer neuen Ausgabe möchten wir Sie über die aktuellen Projekte und das laufende Programm unserer Museen informieren und freuen uns natürlich über Ihren Besuch einer unserer Ausstellungen und Veranstaltungen.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und eine schöne Sommerzeit,
Ihr Hans-Jörg
Czech Direktor und Vorstand der SHMH
INHALT
TITEL
12 JENISCHPARK Zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der grünen Oase
NEWS
6 RÜCKBLICKE Historische Fotografien und was sie erzählen
8 NEUIGKEITEN Aktuelle Meldungen aus der SHMH
82 FUNDSTÜCK Außergewöhnliche Objekte und ihre Geschichte
MUSEEN
30 TORHAUS Ein wichtiger Schritt in der Modernisierung des Museums der Arbeit
36 MEIN HAMBURG Das Projekt des Museums für Hamburgische Geschichte in den Stadtteilen
STIFTUNG
42 DEUTSCHES HAFENMUSEUM Perspektiven und Herausforderungen
52 WAS MACHT EIGENTLICH... Elisabeth Heinisch
54 FÜNF FRAGEN AN... Mario Bäumer und Genia Glock
STADTGESCHICHTEN
56 JUNIUS VERLAG Über die Schönheit der Stadtfotografie im Buch
66 LITERATUR Ein Porträt des Autors Michael Weins
70 DAS ALTONAER MUSEUM IN DER NS-ZEIT Wie sich die Einrichtung politisch aufstellte
PROGRAMM
ADRESSEN
MIT PAUKEN UND TROMPETEN
Maschinen, Kräne, Schiffe – und vorn fast andächtig abgelegte Blasinstrumente. Ein stiller Moment im industriellen Takt des Hafens. Im Hintergrund der Schwarz-Weiß-Fotografie von Horst Janke: die Schlieker-Werft. Unter der Leitung von Willy Schlieker wuchs das Unternehmen, das einst als Ottensener Eisenwerke firmierte, ab 1954 zu einer modernen Großwerft heran und war mit 4000 Beschäftigten ein Symbol des westdeutschen Aufschwungs in der Nachkriegszeit. Doch Schlieker selbst, der nie Mitglied der Handelskammer war, galt als Außenseiter im hanseatischen Establishment – ohne Rückendeckung durch Banken und Politik. Und so führten riskante Fehlinvestitionen bereits 1962 zum spektakulären Konkurs der Werft, deren Gelände in Steinwerder anschließend von Blohm & Voss übernommen wurde.
Neues aus der Stiftung, dem Programm der Häuser und Lektüretipps zum Museumsbesuch
Jetzt gibt’s was auf die Ohren: Zur Ausstellung „EINE STADT WIRD BUNT“, die von 2022 bis 2024 die Geschichte der Hamburger HipHop-Kultur ins Museum brachte, erschien nun der Soundtrack auf Vinyl
BEATS & RHYMES DER ERSTEN
Mit ihrer Ausstellung „EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg Graffiti History 1980–1999“, die von November 2022 bis Januar 2024 im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen war, haben die Kuratoren Oliver Nebel, Frank Petering, Mirko Reisser und Andreas Timm mehr als 100.000 Besucherinnen und Besucher begeistern können. Vorausgegangen war der Ausstellung der opulente Bildband gleichen Titels, in dem detail- und kenntnisreich nachgezeichnet wurde, wie die Hip-Hop-Kultur in Hamburg heimisch geworden ist. Zwar gab es in der Ausstellung schon die Möglichkeit, sich auch mit den musikalischen Wurzeln der GraffitiCommunity zu beschäftigen, aber eine umfangreiche Dokumentation der Hamburger Hip-Hop-Szene auf Platte blieb damals noch ein Desiderat. Vor wenigen Wochen nun haben die vier Kuratoren zusammen mit dem DJ und Labelbetreiber Oliver Herbst, dem langjährigen „Backspin“-Chefredakteur Dennis Kraus und dem Musikjournalisten Falk Schacht dieses ent-
STUNDE
scheidende Kapitel nachgelegt: Die Dreifach-VinylCompilation „EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg HipHop History 1989–1999“, die auch als limitierte Collectors-Box erhältlich ist, versammelt über 100 weitgehend unveröffentlichte Songs und Skits aus den frühen Jahren von Rap und DJing in Hamburg. Begleitet wird diese musikalische Zeitreise, auf der unter anderem Hip-Hop-Pioniere wie Fettes Brot, Absolute Beginner, Deichkind, David Fascher und Easy Business zu hören sind, von einem 96-seitigen Booklet, das in aufwendig recherchierten Texten rekonstruiert, wie der damals neue innovationsgetriebene Musikstil ab Mitte der 80er-Jahre auch an der Elbe seine spezielle Prägung erhielt.
Weitere Informationen unter: https://einestadtwirdbunt.shop
Wird im Juli im Jenisch Haus barocke Klänge von Bach und Purcell zum Besten geben: Das Ensemble Obligat Hamburg
BARMBEK SWINGT WIEDER
MUSEUM DER ARBEIT
Das Hoffest auf dem Bert-Kaempfert-Platz am Museum der Arbeit ist seit fast 20 Jahren ein Highlight im Hamburger Sommerprogramm. Die Angebote für Familien und Kinder am Nachmittag und das abendliche Live-Konzert begeistern jedes Mal Tausende Menschen. Dieses Jahr findet „Barmbek schwingt“ am Samstag, dem 6. September, statt – kostenfrei. Ab 14 Uhr laden eine mobile Druckwerkstatt, eine Rollenrodelbahn, ein Muli-Zug, Chorauftritte und Tanzdarbietungen Groß und Klein zu Spiel, Spaß und kreativen Mit-Mach-Aktionen ein. Das Programm wird u.a. vom Jungen Schauspielhaus, den Hamburger Bücherhallen, dem Hamburger Puppentheater und natürlich dem Museum der Arbeit gestaltet. Um 18 Uhr können alle Gäste unter dem Motto „Vamos a bailar“ an einem Grundkurs im Salsa-Tanz teilnehmen und für den Abend hat sich in diesem Jahr das Duncan Townsend Trio angesagt – und wird in Barmbek für echtes Gänsehaut-Feeling sorgen. www.shmh.de
BAROCKE KLÄNGE
JENISCH HAUS
Das 1995 von der Flötistin Imme-Jeanne Klett gegründete kammermusikalische Ensemble Obligat Hamburg feiert in diesem Jahr nicht nur sein 30-jähriges Bestehen, sondern auch das 20-jährige Jubiläum seiner Konzertabende im Weißen Saal des Jenisch Hauses. Auf dem Programm der diesjährigen Saison mit dem Titel „Festival des Virtuoses“ steht am Samstag, dem 19. Juli, ein Abend, an dem sich das Ensemble in der Besetzung mit Flöte, Oboe, Violoncello und Cembalo den barocken Komponisten Johann Sebastian Bach und Henry Purcell widmet. Konzertbeginn: 19 Uhr. Die Tickets zum Preis von 33 Euro und 22 Euro sind über die Konzertkasse Gerdes (Tel. 040 44 02 98), an der Kasse des Jenisch Hauses (Tel. 040 82 87 90) oder online über www.eventim.de erhältlich.
IRRITATIONEN IM URBANEN RAUM
Seit 2018 vergibt die Stiftung Historische Museen Hamburg gemeinsam mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen jedes Jahr einen Preis für Stadtfotografie. Der zu Ehren des Hamburger Fotografen Georg Koppmann (1842 bis 1909) benannte Preis ist mit einem Arbeitsstipendium von 8.000 Euro verbunden und fördert künstlerisch-dokumentarische Auseinandersetzungen mit dem sich verändernden Stadtbild Hamburgs. Die diesjährige Förderung hat die Jury dem Projekt „Expansion“ von Enver Hirsch zugesprochen, das besondere Beispiele stilistischer Widersprüche bei Gebäudeerweiterungen fokussiert, die die Rolle provisorischer Veränderungen in rasanten städtebaulichen Dynamiken reflektieren. Die Jury hatte vor allem der konzeptuelle Ansatz überzeugt, den Blick auf heterogene Architekturen jenseits öffentlich orchestrierter Stadtplanung mit einem augenzwinkernden Humor zu verbinden. Im Herbst werden die Ergebnisse in einer Broschüre publiziert, die in den Läden der historischen Museen erhältlich ist.
Weitere Informationen zum Georg Koppmann Preis für Hamburger Stadtfotografie unter: www.shmh.de
BILDER AUS DER POSTINDUSTRIELLEN ARBEITSWELT
Der Fotograf und langjährige Hochschullehrer Timm Rautert kann als der große Soziologe in der deutschen Fotoszene der letzten 50 Jahre bezeichnet werden. Schon während seines Studiums an der Essener Folkwangschule wurde er mit seinem Projekt „Bildanalytische Photographie“ (1968–1974) bekannt. In seiner darauffolgenden Auseinandersetzung mit dem Genre des Künstlerporträts gelang es ihm, Kunstschaffende wie Andy Warhol, Joseph Beuys und Gerhard Richter auf besondere Weise fotografisch festzuhalten. Mit Beginn der 1980er-Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Bilder auf die fortschreitende Verwandlung der Arbeitswelt. Im Zyklus „Gehäuse des Unsichtbaren. Bilder von der dritten industriellen Revolution“ (1986) widmete er sich unter anderem der Arbeitsatmosphäre im Bereich Halbleitertechnik der Münchener Siemens AG. Das Museum der Arbeit konnte für seine Sammlung zwölf Fotografien aus dieser Serie erwerben, die den Wandel der Arbeit im 20. Jahrhundert kongenial dokumentieren.
LESENSWERT
nicht nur nach dem Museumsbesuch
ENTEIGNUNG UND VERTREIBUNG
Der Neue Wall war bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine von Hamburgs bevorzugten Einkaufs- und Geschäftsstraßen. In den 1930ern gab es dort über 40 Geschäfte mit jüdischen Inhabern, darunter das Damenmodegeschäft Gebr. Hirschfeld oder das Fotoatelier von Max Halberstadt. Nach dem sogenannten „Judenboykott“ vom 1. April 1933 gelang einigen noch die Flucht, andere fanden in den Vernichtungslagern den Tod. Der Historiker und Journalist Cord Aschenbrenner erzählt in seinem Buch anhand einzelner Fälle vom Prozess der Enteignungen, den Schicksalen der Betroffenen und dem Kampf um Entschädigung und Wiedergutmachung. Cord Aschenbrenner, Der Raub. Enteignung und Vertreibung der jüdischen Geschäftsleute am Neuen Wall in Hamburg, Wachholtz Verlag, 248 Seiten, 24 Euro
DER WIEDERENTDECKTE FOTOGRAF
Max Halberstadt (1882–1940) war in den 1920er-Jahren einer der bekanntesten Porträt- und Reklamefotografen Hamburgs. Die Aufnahmen von seinem Schwiegervater Sigmund Freud haben bis heute ikonischen Charakter. Und doch war der Name des Fotografen bis vor wenigen Jahren so gut wie vergessen, was vor allem der Verfolgung und Vertreibung Halberstadts durch das NS-Regime zuzuschreiben ist. Die Autoren Wilfried Weinke und Uwe Franzen, die 2021 eine große Ausstellung über Halberstadt im Museum für Hamburgische Geschichte kuratiert hatten, haben nun eine umfangreich illustrierte Biografie herausgegeben.
Uwe Franzen, Wilfried Weinke (Hrsg.), Der Fotograf Max Halberstadt, Hirmer Verlag, 320 Seiten, 49,90 Euro
EINE KÄMPFERISCHE STIMME
Esther Bejarano (1924–2021) verlor durch die Verfolgung des NS-Regimes ihre Familie und war als Jugendliche in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück interniert. Nach ihrer Befreiung, nach Emigration und ihrer Rückkehr aus Israel begann sie sich in Hamburg in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu engagieren und wurde zu einer der bekanntesten Stimmen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.
Das vom deutschen Auschwitz-Komitee herausgegebene Buch enthält Bejaranos wichtigste Botschaften in Form von Reden, Appellen und offenen Briefen; ergänzt durch Fotos aus ihrem politischen Leben.
Das Haus brennt. Esther Bejarano spricht, hrsg. vom AuschwitzKomitee in der Bundesrepublik Deutschland e. V., Dölling und Galitz Verlag, 176 Seiten, 15 Euro
EINE KRITISCHE LIEBESERKLÄRUNG
Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, widmet sich in seinem Podcast alle zwei Wochen der Frage „Was wird aus Hamburg?“. Im Gespräch mit Architekten, Stadtentwicklern, Künstlern, Unternehmern wirft er ein zuweilen sehr kritisches Bild auf die Stadt, die vielen als die schönste der Welt gilt. Sein Buch nun führt zu den städtebaulichen Urkatastrophen der Hamburgischen Geschichte und berichtet von den daraus hervorgegangenen Wirrungen der Stadtentwicklung. Zudem widmet er sich den großen gegenwärtigen Stadtbauprojekten und fragt nach Herausforderungen und Chancen für die Zukunft.
Matthias Iken, Was wird aus Hamburg?, Ellert & Richter Verlag, 336 Seiten, 29,95 Euro
GRAPHIC NOVEL ÜBER INNERE EMIGRATION IN NSZEIT
Die Comiczeichnerin Isabel Kreitz ist für ihre Auseinandersetzung mit historischen Stoffen bereits vielfach ausgezeichnet worden. Die große Sonderausstellung, die anlässlich von 100 Jahren Novemberrevolution 1918/19 im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen war, hatte sie mit einer Graphic Novel begleitet, die einen ganz eigenen Zugang zu diesem komplexen Thema eröffnet. In ihrer neuesten Arbeit schildert sie in ihrem unverwechselbaren Stil den schwierigen Zusammenhang von innerer Emigration und Mitläufertum in der NS-Zeit anhand der propagandistisch grundierten Filmindustrie.
Isabel Kreitz, Die letzte Enthüllung, Verlag Reprodukt, 312 Seiten, 29 Euro
ZWISCHEN SANFTEN HÜGELN UND ALTEN BÄUMEN
Der Jenischpark in Klein Flottbek zählt zu den schönsten und beliebtesten Grünanlagen in Hamburg. Die aktuelle Ausstellung „Parkomania“ im Jenisch Haus widmet sich der Historie des Landschaftsparks und bringt bisher unerzählte Geschichten ans Licht
Text: Julika Pohle
Martin Johan Jenisch, 1848 in Öl auf Leinwand porträtiert von Rudolf Lehmann
Martin Johan Jenisch der Jüngere, seinerzeit einer der reichsten Männer Hamburgs, kaufte dem 76-jährigen Gutsbesitzer Baron Caspar Voght im Jahr 1828 weitläufige Flottbeker Ländereien ab. Am höchsten Punkt des neu erworbenen Geländes baute sich der Bankier und Senator eine kubische, spätklassizistische Sommervilla: das heutige Jenisch Haus. An der Nordseite dieses großbürgerlichen Prachtbaus in Weiß und Gold ließ Jenisch nach englischer Mode einen standesgemäßen „Pleasureground“ anlegen. Elegant geschwungene Wege führten durch eine von exotischen Bäumen und Sträuchern gerahmte Gartenlandschaft mit kunstvoll arrangierten Blumenbeeten zu einer Rosenlaube im Zentrum. Hier saß der Hausherr wie in einem blühenden Salon, denn der englische Landschaftsgarten galt als Erweiterung des fürstlich ausgestatteten Wohnraums im Freien.
Rund 200 Jahre später nimmt die Ausstellung „Parkomania. Unerzählte Geschichten aus dem Jenischpark“ jetzt den umgekehrten Weg und holt den Landschaftspark anhand von Dokumenten, Gemälden, Fotos und anderen Exponaten hinein in die Salons des Jenisch Hauses. Dort wird die Historie von Voghts ehemaligem Mustergut aus heutiger Sicht untersucht: Ein junges Kuratorenteam um Leiterin Nicole Tiedemann-Bischop lichtet das Dickicht der Park-Ver-
gangenheit und legt neue Erkenntnisse frei. Dabei richtet sich der Fokus nicht nur auf die Entwicklung und Umgestaltung des Jenischparks im Zeitenlauf, sondern auch auf die kolonialen Verflechtungen der Gutsherren. Ökologische Themen werden ebenfalls betrachtet und in einen geschichtlichen sowie globalen Kontext gestellt. Viele Inhalte der Schau verweisen bereits auf die neue Dauerpräsentation, die im Zuge der ab Herbst 2026 geplanten Modernisierung des Jenisch Hauses erarbeitet wird.
Anno 1785 begann der Landschaftspark Gestalt anzunehmen. Am Geesthang über dem Elbufer bei Flottbek erwarb der Großkaufmann Caspar Voght (1752–1839) Land von fünf benachbarten Bauernhöfen. So entstand ein rund 260 Hektar großes Grundstück, dessen vier Segmente nach den vier Himmelsrichtungen benannt wurden. Das Gut umfasste unter anderem das Gelände, auf dem sich heute der Jenischpark (ehemals „Süderpark“), der Botanische Garten, der DerbyPark sowie der Großflottbeker Golfplatz befinden. Nach dem Vorbild der arkadischen Zierfarm „The Leasowes“, die sich der englische Dichter William Shenstone in der Grafschaft Shropshire bei Birmingham hatte anlegen lassen, schuf Voght hier seine berühmt gewordene „Ornamented Farm“. Das Konzept bestand darin, ästhetische Gestaltung und landwirtschaftlichen Nutzen zu verbinden – was dem kundigen Agronomen vorbildlich gelang, zumal er in seinem Charakter Schönheitssinn und Empfindsamkeit mit Pragmatismus und Pioniergeist vereinte.
GEESTLANDSCHAFT MIT ELBBLICK
Als Ästhet verstärkte er die Vorteile der vorgefundenen, infolge der Saale-Eiszeit leicht hügeligen Geestlandschaft mit Elbblick durch wohlbedachte Eingriffe: „Die schönen Bäume, die liebliche Abwechslung von Hügel und Thal, die mannigfaltigen Baumgruppen, die so verschiedenen Land-, Strom-, An- und Aussichten suchte ich zu benutzen, um auf den durch die (mit solchem Fleiß bestellten) Felder geführten Wegen, eine Reihe wechselnder, in ihrem Character von einander verschiedener Landschaften dem Augen des Wandelnden der Reihe nach darzustellen“, schrieb Voght 1828 in einem Brief an seinen Nachfolger Jenisch. So schuf er Sichtachsen und Sitzplätze zur Naturversenkung. An besonderen Stellen im Park entstanden außerdem Bauwerke, die sich organisch in die Landschaft einfügten
und heute als Rekonstruktionen aus den 1990erJahren wieder dort zu finden sind: Da wölbt sich etwa die „Knüppelbrücke“ aus Baumstämmen über den Weg, den die landwirtschaftlichen Fahrzeuge nahmen, da verweist ein Häuschen aus Ästen und Zweigen, das wegen seiner ovalen Fenster „Eierhütte“ heißt, auf die Ursprünge der Baukunst. Bei seiner Parkgestaltung ließ sich Voght von der Liebe leiten, die er zu jener Zeit für Magdalena Pauli empfand, die verheiratete Schwester eines Freundes: „Durch sie, für sie war alles.“
Weniger romantisch, doch ebenso engagiert, ging er die Landwirtschaft mit Experimenten zu neuen Anbau- und Düngemethoden an, um dem kargen, nährstoffarmen Boden Erträge abzuringen: „Ich habe auf der Geest zuerst Kartoffel und Kohl im Felde gepflanzt – zuerst im Norden von Teutschland die Gerähte eingeführt, die später diese Kultur allenthalben möglich gemacht haben“, schrieb Voght kurz vor seinem Tod in sei-
nen Lebenserinnerungen. Mit geeigneten Maßnahmen gelang es ihm, die Erträge innerhalb von 30 Jahren um das Zehnfache zu erhöhen: Er führte neue Kulturfrüchte („den Kleebau, die Rapssaat, die große Rübe, den Spörgel“) und einen effektiveren Fruchtwechsel ein, ließ als Düngemittel städtische Fäkalien mit einer eigenen Mist-EwerFlotte aus Ottensen kommen und bezog moderne Landmaschinen aus England. „Durch ihn wurde die Kartoffel in Hamburg groß“, sagt Lisa Miller aus dem Kuratorenteam, die Voghts Leben in der Ausstellung aufgefächert hat. Noch heute seien auf dem Gelände des Jenischparks vereinzelte Kartoffelpflanzen zu finden, erzählt Tiedemann-Bischop, auch die Grundrisse der ehemaligen, damals von Knicks (Wallhecken) umgebenen Anbauflächen seien aus der Vogelperspektive noch auszumachen.
Voght hatte durch eine schwere Pockenerkrankung in seiner Jugend zur Menschenliebe
Ein Blick in den Jenischpark 1902, aufgenommen von dem Fotografen Wilhelm Dreesen
In der Nachkriegszeit wurden einige Wiesen im Jenischpark wieder landwirtschaftlich genutzt. Das Motiv fotografierte Gerd Mingram 1951
gefunden. Im Rahmen mehrerer Bildungsreisen hatte er sich vor allem in Großbritannien umgetan und in Edinburgh an der fortschrittlichsten Universität Europas Naturwissenschaften und Geschichte studiert. Dort warb er auch Experten für Flottbek an: Den Chemiker Johann Gottfried Schmeisser, der auf dem Gut ein Laboratorium für Agrikulturchemie einrichtete, und den Landschaftsgärtner James Booth, der den Betrieb einer Baumschule übernahm. Beide hielten auch Vorträge, denn die „Ornamented Farm“ sollte als Vorbild für andere Bauernhöfe dienen und zu einer Modernisierung der Landwirtschaft führen. Schließlich war Voght nicht nur Agrar- sondern auch Sozialreformer, der das Leben der Landbevölkerung verbessern wollte. Dass er außerdem in Hamburg und Europa das Armenwesen umstrukturierte, wird in der Schau am Rande miterzählt.
Um seine Landarbeiter ganzjährig an den Betrieb zu binden, erhielten sie vergleichsweise hohe Löhne, die auch im Krankheitsfall zur Hälfte weitergezahlt wurden; der Gutsherr übernahm sogar anfallende Arztkosten. Für wenig Geld konnten die Arbeiter zudem „Insten“ („Insassen“) werden und sich in den „Instenhäusern“ einmieten, die Voght hatte bauen lassen. Die reetgedeckte Budenreihe aus Fachwerk, die noch heute die Baron-Voght-Straße säumt, bestand aus elf einzelnen, jeweils 24,5 Quadratmeter großen Wohnungen mit Küchenzeile und Wandbett. Witwen behielten ihr Zuhause und wurden unterstützt, für die Kinder ließ Voght einen Lehrer kommen. Als Freigeist teilte der Gutsherr die Ideale der Aufklärung, setzte sich ein für Vernunft, Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte.
Aber es gab auch einen Widerspruch im Wesen des Aufklärers, der seine Farm und sein soziales Engagement mit Einnahmen aus dem Kolonialwarenhandel finanzierte. Nach dem Tod seines Vaters 1781 führte er dessen „Handlungshaus Caspar Voght & Co“ weiter, das später als „Voght & Sieveking“ firmierte. Voght und sein Jugendfreund Georg Heinrich Sieveking handelten mit Leinen, Seide, Getreide, Kaffee, Tabak und Kautschuk, bereicherten sich also an der auf Sklaverei basierenden Plantagenwirtschaft und billigten damit deren unmenschliche Praktiken. „Widerstand gegen den Sklavenhandel gab es auch damals schon“, sagt Tiedemann-Bischop, „doch Voght hat von dem wirtschaftlichen System profitiert. Er hat sich auch nicht, wie etwa seine Kollegen in England, dagegen eingesetzt.“ Die Partner planten so-
gar, selbst eine Versklavungsfahrt auszurüsten, worauf sie dann jedoch aus praktischen Gründen verzichteten. Voght, der kein passionierter Kaufmann war, überließ Sieveking letztlich das Geschäftliche und zog sich als reicher Mann zurück.
VERKAUF AN JENISCH
Als die Franzosen zwischen 1806 und 1814 Hamburg und auch das Gut besetzten, geriet Voght finanziell in Bedrängnis. Am Ende verkaufte er die Farm an Martin Johan Jenisch d. J. (1793–1857) –bewohnte aber weiterhin sein frühklassizistisches Landhaus (heute Baron-Voght-Straße 63), das der Architekt August Arens ihm entworfen hatte. Jenisch gestaltete das Mustergut nach eigenem Gusto um. Nahe des „Pleasuregrounds“ ließ er große Gewächshäuer errichten und trug Blumen, Büsche und Bäume aus aller Welt zusammen. NACH
Martin Johan Rücker Jenisch, Oscar und Helene Rücker beim Besuch in Klein Flottbek 1901
Fügt sich organisch in die Landschaft ein: die sogenannte „Knüppelbrücke“, die in den 1990ern rekonstruiert wurde
DAMALS WURDEN EXOTISCHE
PFLANZEN
In der Ausstellung ist eine interaktive Karte zu entdecken, auf der die von Jenisch gepflanzten, bis heute im Park wachsenden Gehölze verzeichnet sind. Dazu zählen etwa ein japanischer Schnurbaum, nordamerikanische Douglasien, ein Mammutbaum aus Kalifornien sowie der älteste Ginkgo Hamburgs.
Der neue Gutsherr verfügte außerdem über eine berühmte Orchideensammlung, die sich zusammen mit Palmen, Kakteen und Kamelien in seinen Gewächshäusern entfaltete. „Jenischs Obergärtner Friedrich Berthold Kramer hatte ein gutes Händchen für Orchideen, er besaß große Kenntnisse und tauschte sich aus“, sagt Miller. Die zarten Blumen konnten auf ihrer Reise aus den tropischen Kolonien damals nur in sogenannten Wardschen Kästen lebend transportiert werden, die der britische Botaniker Nathaniel Ward 1829 erfunden hatte: mobile Gewächshäuser mit einem geschlossenen Wasserkreislauf und gleichbleibender Luftfeuchtigkeit. Neben botanischen Orchideen-Zeichnungen stellt die Schau den Nachbau eines solchen Kastens als Leihgabe des Botanischen Gartens vor. Das Exponat verweist auf die zur Kolonialzeit übliche Pra-
xis der Biopiraterie: Exotische Gewächse wurden oft durch spezialisierte Pflanzenjäger oder auf botanischen Expeditionen gesammelt und nach Europa gebracht – ohne Rücksicht auf die Ökosysteme der Herkunftsländer.
Ebenfalls als Sammler im kolonialen Kontext ging Martin Johan Rücker Freiherr von Jenisch (1861–1924) in die Geschichte ein: Der Großneffe von Jenisch d. J. und Erbe des Flottbeker Anwesens trug eine bedeutende Kollektion ägyptischer Altertümer zusammen. Rücker Jenisch war drei Jahre lang Generalkonsul in Kairo, unterstützte die deutsche Orientgesellschaft vor Ort und schenkte seine Sammlung später dem Hamburger Völkerkundemuseum (heute Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt). Der Diplomat war außerdem ein langjähriger Reisebegleiter von Kaiser Wilhelm II. und ließ 1906 am Parkeingang Ecke Elbchaussee/Holztwiete das „Kaisertor“ errichten, um den Monarchen angemessen empfangen zu können. Rückert Jenischs Familie nutzte das Sommerhaus meist nur drei Monate im Jahr und verpachtete Teile des Besitzes. 1927 standen Pläne im Raum, aus dem Gelände des heutigen Jenischparks einen Golfplatz zu
machen. Max Brauer, damals Altonaer Oberbürgermeister, und Bruno Becker, Gemeindevorsteher von Klein Flottbek, retteten den Park für die Allgemeinheit, indem sie einen städtischen Pachtvertrag aushandelten. 1933 wurde das Jenisch Haus als Museum öffentlich zugänglich.
Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung widmet sich der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Durch das Groß-Hamburg-Gesetz 1937 kam das bis dahin preußische Altona zur Hansestadt, die Hitler mit gigantomanischen Bauten zur „Hauptstadt der deutschen Schiffahrt“ umformen wollte. „Im Bereich des Jenischparks sollte die sogenannte Hansische Universität entstehen, das Jenisch Haus war als Gästehaus vorgesehen“, sagt Tobias Gaschler, der ebenfalls zum kuratorischen Team gehört, und untermauert dies durch historische Entwurfspläne und Modellfotos. Der Kriegsausbruch verhinderte das Vorhaben. 1939 wurde die Familie Jenisch zum Verkauf von Villa und Park an die Stadt Hamburg gedrängt, die Kaufsumme betrug 1,3 Millionen Reichsmark.
Um den exponiert liegenden Bau vor der Zerstörung durch Bombenangriffe zu schützen,
Zum standesgemäßen Empfang von Kaiser Wilhelm II. wurde 1906 das sogenannte Kaisertor errichtet
VERBAND VON BEGINN AN ÄSTHETISCHE
GESTALTUNG MIT LANDWIRTSCHAFTLICHEM NUTZEN
Gewaltige Technik und kultivierte Natur in unmittelbarer Nähe: Vor Gerd Mingrams Linse wird 1951 eine Schafsherde durch den Park getrieben, während im Hintergrund die Hafenkräne in den Himmel ragen
habe das Jenisch Haus einen graugrünen Tarnanstrich erhalten, sagt Tiedemann-Bischop. Nach dem Krieg entstanden in der Villa Notwohnungen, die Wiesen wurden zu Gemüsegärten; erst 1953 erfolgte die Restaurierung von Haus und Park im Zuge der Gartenbauausstellung. Im Jahr 1962 wurde das vom Architekten Werner Kallmorgen entworfene Ernst Barlach Haus in der Nachbarschaft errichtet. Das im ehemaligen Gartenbauamt und einstigen Wohnhaus des Gärtners Kramer 2017 eröffnete Museum für den Hamburger Maler Eduard Bargheer ergänzt die Museumslandschaft des Parks, der seit 2001 unter Denkmalschutz steht.
NATURSCHUTZGEBIET
Bereits seit 1982 ist die tidebeeinflusste Talaue Flottbektal auf dem Parkgelände als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Derzeit findet der vom Aussterben bedrohte Schierlings-Wasserfenchel, der nur in und um Hamburg gedeiht, am Flüsschen Flottbek eine neue Heimat: Die Stiftung Lebensraum Elbe baut im Schatten des alten Weiden-Auenwaldes eigens einen kleinen Priel für das emp-
findliche Gewächs. In der Schau schließt die Thematisierung aktueller Umweltfragen passgenau an die geschichtlichen Betrachtungen an: Damals wurden exotische Pflanzen angesiedelt, heute werden erhebliche Mühen unternommen, um eine heimische Art zu erhalten. Um historische Spuren im Jenischpark und die Beziehung von Vergangenheit und Gegenwart geht es im letzten, von Ko-Kuratorin Eva Martens eingerichteten Raum. Hier werde zum Beispiel die Bedeutung von Öffentlichkeit besprochen, ferner könne der Park durch kleine Interviews mit Künstlern und Wissenschaftlern aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, so Martens. Ihr Ziel: „Man soll mit dem Park im Kopf wieder in den Park entlassen werden.“
Julika Pohle ist Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin, unter anderem für die „Welt am Sonntag“. Wenn sie im Jenischpark spazieren geht, fühlt sie sich wie eine Staffagefigur in einem meisterhaften Landschaftsgemälde
Peter Suhr, Blick ins Quellental, 1817, Gouache
Ein Häuschen aus Stämmen, Ästen und Zweigen: wegen seiner ovalen Fenster auch „Eierhütte“ genannt
BOTANISCHE VIELFALT
DER BESONDERE REICHTUM DES JENISCHPARKS
Wie sah und sieht die Pflanzenwelt im Jenischpark, der grünen Oase in Hamburgs Westen, aus? Welche historischen Wegmarken lassen sich benennen und wie steht es um dem Naturschutz heute? Ein Bericht
Text: Barbara Engelschall
Er ist der wohl bekannteste Park am Hohen Elbufer und einer der beliebtesten grünen Orte Hamburgs – der Jenischpark in Klein Flottbek. Von der Elbe weithin sichtbar thront das weiße Jenisch Haus am oberen Elbhang. Im Park sind es die alten Eichen und das weite Wiesental der Flottbek, die das Landschaftsbild bis heute prägen und die den Hamburger Kaufmann Caspar Voght Ende des 18. Jahrhunderts dazu bewegten, hier mehrere Höfe zu erwerben, um nach englischem Vorbild auf 220 Hektar eine „Ornamented Farm“ zu gestalten. Bei dieser besonderen Form des englischen Landschaftsgartens galt es, die Schönheit der Landschaft mit dem Nutzen der Landwirtschaft harmonisch zu verbinden. Mit dem Verkauf des Anwesens im Jahr 1828 an Martin Johan Jenisch wurde der südliche Teil des landwirtschaftlichen Musterguts, der heutige Jenischpark, zu einem repräsentativen Landsitz, mit neuem Landhaus und einem angrenzenden Gartenbereich, dem sogenannten „Pleasureground“, mit Blumenbeeten, Pergola und Gewächshäusern. Die Grundzüge der Parkgestaltung durch Capar Voght blieben jedoch erhalten.
Ich habe den Jenischpark mit seiner einzigartigen Verbindung von Kultur und Natur in den 1990er-Jahren für mich entdeckt. Zu dieser Zeit studierte ich am Institut für Allgemeine Botanik in Klein Flottbek Biologie und übernahm im dazugehörigen Botanischen Garten als Honorarkraft einige Führungen. Eines Tages meldete sich eine Gruppe, die sich eine Führung durch den Botanischen Garten mit anschließendem Spaziergang durch den Jenischpark nach Teufelsbrück wünschte. Eine thematische Verbindung zwischen den beiden Grünanlagen war gegeben, denn beide liegen auf dem Gelände der ehemaligen „Ornamented Farm“ von Caspar Voght. Ein naturkundlicher Parkführer war nicht verfügbar,
Oncidium kramerianum, aus: La Belgique horticole, 1874. Der Hamburger Botaniker H.G. Reichenbach benannte bei der Erstbeschreibung mehrere Orchideen nach Jenisch und dessen Obergärtner Kramer
Heute als sogenannte Stinsenpflanzen
Teil der Parknatur: Aus anderen Regionen eingeführte Zwiebelpflanzen wie etwa die Wildtulpe, hier aus: Curtis’s Botanical Magazine, London, 1809
dafür aber ein relativ aktuelles Parkpflegewerk, das erste für einen Hamburger Park.
Hans-Helmut Poppendieck, damals Kustos und Dozent am Institut für Allgemeine Botanik, hatte 1986 gemeinsam mit Loki Schmidt den Anstoß für die Beauftragung dieses Pflegewerks gegeben. Es führt Gartendenkmalschutz und Naturschutz beispielhaft zusammen und ist bis heute eine wertvolle Grundlage, um den über viele Jahrzehnte vernachlässigten Park wieder in den Zustand von vor 100 Jahren zu bringen. Hans-Helmut Poppendieck war es auch, der mich in meiner Studienzeit für die Pflanzenwelt des Parks begeisterte und mich auch auf die historische Dokumentation der Parkbotanik in Hamburger Florenwerken und dem Herbarium Hamburgense hinwies, einem Archiv mit 1,8 Millionen gepressten und auf Papierbögen montierten Pflanzen aus aller Welt.
Anfang der 2000er-Jahre ergab sich die Möglichkeit, durch Initiative von Bärbel Hedinger, der damaligen Leiterin des Jenisch Hauses, eine Ausstellungsreihe mit dem Titel „Jenisch Park – Botanik, Pflanzenwelt und Kulturgeschichte“ im Museum zu kuratieren. Im zweimonatigen Wechsel wurden in zwei Vitrinen verschiedene Themen der Parkbotanik über das Jahr präsentiert, anhand historischer Pflanzenillustrationen und Herbarbelegen aus dem Botanischen Institut sowie mit Exponaten aus dem Altonaer Museum. Die Spanne der Themen reichte vom Naturschutzgebiet Flottbektal bis zu der Orchideensammlung von Martin Johan Jenisch und erwies sich als so facettenreich, dass die Wechselausstellung um ein Jahr verlängert wurde.
DIE VIELFALT
Die botanische Artenvielfalt des Jenischparks resultiert in erster Linie aus dem Aufeinandertreffen der beiden Naturräume Geest und Elbtal sowie der vielfältigen Naturausstattung mit dem Bachlauf der Flottbek, mit Quellen und Waldbereichen. Hinzu kommen die Elemente der alten bäuerlichen Kulturlandschaft, wie alte Solitäreichen und die Wiesen. Obwohl sich der Park im 19. Jahrhundert von der „Ornamented Farm“ zu einem Landsitz mit streng gepflegten Rasenflächen rund um das Haus entwickelte, blieben die entfernteren Parkbereiche in ihrem naturnahen, ländlichen Charakter erhalten. Extensiv gemähte oder auch beweidete Wiesen sind somit keine Erfindung des Naturschutzes, sondern waren häufige Elemente des Englischen Landschaftsgartens. Weitere botanische Besonderheiten brachte die lange Gartenkultur in den Park: Aus anderen Regionen eingeführte Zwiebelpflanzen wie Wildtulpe, Nickender Milchstern oder Bärlauch verwilderten und sind als sogenannte Stinsenpflanzen heute Teil der Parknatur. Der Begriff Stinsen- oder Stinzenpflanzen stammt aus den Niederlanden und bezeichnet verwilderte Gartenpflanzen, die historische Siedlungs- und Gartenstandorte anzeigen. Andere Pflanzenarten kamen wahrscheinlich
DIE ALTEN EICHEN UND DAS WEITE
WIESENTAL DER FLOTTBEK PRÄGEN DAS LANDSCHAFTSBILD IM PARK
Schützenswerte Wunderwelt der Natur: Im Jenischpark blühen die Wiesen. Die uralten Eichen sind Herberge für seltene Käfer, aber auch für andere Bäume wie diese aus einem hohlen Stamm heraus wachsende Birke
In der heutigen, intensiv bewirtschaften Agrarlandschaft selten geworden: die Sumpfdotterblume
unbeabsichtigt in den Park, wie die violett blühende Schwarze Flockenblume, die mit verunreinigten Grassaaten Einzug hielt und im Juni auf der kleinen Wiese vor der aus Astknüppeln gebauten „Mooshütte“ blüht. Doch nicht immer war das Einbringen neuer Pflanzen eine gute Idee. In den 1980er-Jahren verteilten die Parkgärtner noch großzügig die Samen des Indischen Springkrauts, eine zwar attraktiv blühende und bei Bienen beliebte Art, die jedoch an Gewässerufern schnell überhandnimmt. Mittlerweile konnte die Art aus dem Park durch Herausziehen der Jungpflanzen vor der Samenbildung weitgehend entfernt werden.
Einen historisch interessanten Beitrag zur Botanik des Parks steuerten schließlich die Pflanzensammlungen tropischer und subtropischer Arten aus aller Welt bei, die Martin Johann Jenisch in mehreren Gewächshäusern durch erfahrene Gärtner kultivieren ließ. Die Sammlungen sind bis auf
einige fremdländische Gehölze im „Pleasureground“ nördlich des Jenisch Hauses heute leider nicht mehr im Park sichtbar. Das in den 1950erJahren als Ersatz für das baufällige und abgerissene Palmenhaus errichtete Gewächshaus, das um das Jahr 2000 noch einmal mit Orchideen und anderen Pflanzen aus den Katalogen der Sammlung Jenisch ausgestattet worden war, musste der Bezirk Altona vor einigen Jahren aus Kosten- und Personalgründen aufgeben.
EINZIGARTIGE NATUR
Der Jenischpark spielt, wie viele alte Landschaftsparks, heute eine herausragende Rolle für den Naturschutz – besonders in einer Großstadt wie Hamburg. In Hamburgs Forsten findet man nur wenige über 400 Jahre alte Eichen, wie etwa die alten Solitäreichen des Jenischparks, die mit ihren Baumhöhlen nachweislich Lebensräume für den Eremiten sind, einer Käferart, die gemäß ihres
DER JENISCHPARK SPIELT HEUTE EINE
HERAUSRAGENDE ROLLE FÜR DEN NATURSCHUTZ
Namens ihren gesamten Lebenszyklus in derselben Baumhöhle verbringt. Der Eremit ist nach der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie europaweit geschützt und zählt zu den besonders schützenswerten Urwaldreliktarten. Auch der Eichen- Hainbuchenwald mit seinen Teppichen aus Buschwindröschen ist aufgrund seines Alters eine Besonderheit, blieb er doch von den Abholzungen, die den Elbhang bis ins 18. Jahrhundert in eine eher karge Gras- und Heidelandschaft verwandelt hatten, weitgehend verschont. Die durch Sickerquellen feuchten Hänge und das bei Sturmfluten unter Wasser stehende Flottbektal bieten Lebensraum für Feuchtwiesenarten, die in der heutigen, intensiv bewirtschaften Agrarlandschaft selten geworden sind, wie etwa die Sumpfdotterblume, der Schlangenknöterich und das Mädesüß.
All das führte dazu, dass 1982 das südliche Flottbektal mit dem angrenzenden bewaldeten Geesthang zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, mit acht Hektar das zweitkleinste Naturschutzgebiet Hamburgs und das einzige, das in einem Park liegt. Um den Artenreichtum des Flottbektals zu erhalten, wird die Wiesenbewirtschaftung des 19. Jahrhunderts wie in einem Freilichtmuseum aufrechterhalten, wenn auch nicht mehr mit der Sense, sondern mit einem modernen Balkenmäher mit Stachelwalzen. Diese Mähgeräte ermöglichen das Mähen auf sehr steilen oder nassen Standorten und schonen den Boden und die hier lebenden Frösche und Insekten. Der Bezirk Altona, der für die Pflege des Jenischparks zuständig ist, lässt die Fläche zweimal im Jahr mähen. Diese naturschonende Pflege und insbesondere die Entsorgung des Mähguts, das sich in der modernen Tierhaltung nicht mehr verfüttern lässt, sind mit Kosten verbunden.
Die Erhaltung eines Naturschutzgebietes, das mitten in einer stark besuchsfrequentierten Parkanlage liegt, ist eine weitere Herausforderung beim Management. Wie man die Parkbesuchenden für die Wertschätzung der Natur sensibilisiert, ist ein wichtiger Teil meiner Tätigkeit bei der Hamburger Umweltbehörde. Hier arbeite ich für das Naturschutzgroßprojekt „Natürlich Hamburg!“, das in verschiedenen Parks die biologische
Buschwindrosen bilden im Jenischpark ganze Teppiche im EichenHainbuchenwald, hier eine Abbildung aus: L. Reichenbach: Icones Flora Germanica et Helvetica, 1840
Vielfalt erhöhen und gleichzeitig Ästhetik, Denkmalschutz und Erholung berücksichtigen soll. Der Jenischpark ist für meine Arbeit eine wichtige Inspirationsquelle dafür, wie gewinnbringend sich – trotz mancher Widrigkeiten – Natur und Kultur für den Schutz der Artenvielfalt und des Landschaftserlebnisses ergänzen können.
Barbara Engelschall ist DiplomBiologin und schon lange mit dem Jenischpark verbunden. Seit 2003 ist sie Vorständin des Vereins der Freunde des Jenischparks und leitet seit 2022 in der Umweltbehörde das Naturschutzgroßprojekt „Natürlich Hamburg!“
Hat diesen April eröffnet: Das sanierte Torhaus – mit Räumlichkeiten für Bildungs- und Vermittlungsprogramme wie der „Zukunftswerkstatt“, dem neuen Gastrobereich der „Torhauskantine“ sowie einem schönen Außenbereich
EIN NEUER ANFANG –
MIT DEM SANIERTEN TORHAUS BLICKT DAS
MUSEUM DER ARBEIT IN DIE ZUKUNFT
Mit der Eröffnung des neuen Torhauses ist die in den 1990er-Jahren denkmalgerechte Sanierung des Barmbeker Fabrikensembles abgeschlossen. Es ist gleichzeitig der erste Schritt einer inhaltlichen Modernisierung des Museums der Arbeit
Text: Rita Müller
Das Museum der Arbeit wurde 1997 in den ehemaligen Gebäuden der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie (NYH) in Barmbek eröffnet und zeigt, wie sich Leben und Arbeiten mit der Industrialisierung bis weit ins 20. Jahrhundert verändert haben. Dabei sind die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude des ehemaligen Fabrikensembles wichtige Zeugnisse des Industriezeitalters und Ausgangspunkt einer Erzählung über ein damals innovatives Material: Die NYH begann 1873 mit der Produktion von Hartgummi, dessen Rohstoff aus europäischen Kolonien stammte. Aus dem zu Hartgummi verarbeiteten Naturkautschuk wurden in großen Mengen technische Produkte und vor allem Haarkämme industriell hergestellt. Die Nachfrage war so groß, dass das Unternehmen kontinuierlich expandierte und immer neue Fabrikgebäude baute.
ZUR GESCHICHTE DES FABRIKGEBÄUDES 1884 errichtet die NYH einen länglichen Gebäudekomplex, in dem eine Tischlerwerkstatt, Lagerräume, Pferdeställe und eine Wagenremise für die Fuhrwerke untergebracht waren. Später wurde eine Durchfahrt geschaffen, aus der Tischlerwerkstatt wurde eine Zinnschmelze und aus einem Teil des Gebäudes entstand das heutige Torhaus. Da das Fabrikensemble im Zweiten Weltkrieg großflächig zerstört wurde, zog die NYH schließlich 1954 nach Harburg. Danach wurden die Gebäude vielfach umgenutzt und oft auch vernachlässigt. Im Torhaus befanden sich im Laufe der Jahre Lagerund Werkstatträume verschiedener Firmen, bevor 1971 dort ein Getränkemarkt einzog. Ab den 1990er-Jahren begann das Museum der Arbeit das Torhaus für unterschiedliche Zwecke zu nutzen. Bis zur phasenweisen Beräumung ab 2017 waren dort unter anderem die Steindruckerei, die Sammlungsverwaltung und die Hausmeisterei untergebracht. Auch die Elbe-Werkstätten, die Menschen mit Behinderung bei der beruflichen Bildung unterstützen, hatten ihre Aufenthaltsräume im Torhaus. Bereits mit der Eröffnung des Museums der Arbeit 1997 gab es Pläne, das baufällige Gebäude zu erneuern, aber erst durch eine großzügige Förderung des Bundes und der Stadt Hamburg konnte eine denkmalgerechte Sanierung in Angriff genommen werden. Nun feierte das Museum der Arbeit – nach über zehnjähriger Planungs- und Umsetzungsphase – im April 2025 die Eröffnung mit vielen neuen Angeboten und einem neuen Standort für die Museumsgastronomie. Die „Torhaus-
der Sprinkenhof GmbH, und Kultursenator Carsten Brosda beim vereinten Durchtrennen des roten Bandes
kantine“ kann jetzt auch unabhängig von den Öffnungszeiten des Museums Gäste bewirten.
DAS TORHAUS – EIN ORT DER INTERAKTION UND DES DIALOGS
Das neue Torhaus ist ein Meilenstein für die Bildungs- und Vermittlungsarbeit des Museums der Arbeit. Die „Zukunftswerkstatt“ im Erdgeschoss, die Kompetenz-Werkstätten sowie der Gruppenraum im neu geschaffenen Obergeschoss ermöglichen einen Ausbau des museumspädagogischen Angebots mit attraktiven Programmen und Formaten. Das Konzept für die „Zukunftswerk-
Feierlicher Akt: Hans-Jörg Czech, Vorstand der SHMH, Rita Müller, Direktorin des Museums der Arbeit, Martin Sowinski, Geschäftsführer
Die Räumlichkeiten des Torhauses wurden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte unterschiedlich genutzt. 1971 etwa zog hier ein Getränkemarkt ein
statt“ haben Kareen Kümpel, Leiterin des Fachbereichs Bildung und Vermittlung, und Dr. Nina Szogs, Kuratorin für Diversität und neue Vermittlungsformate, gemeinsam entwickelt. Entstanden ist ein hybrider und mobiler Denk- und Aktionsraum, der sowohl von den Museumsbesucherinnen und -besuchern als auch für Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Formate genutzt werden kann. Im Mittelpunkt stehen wechselnde Aspekte der Transformationsprozesse in der Arbeitswelt. Die ersten Themenschwerpunkte, mit denen sich die „Zukunftswerkstatt“ beschäftigt, sind „Gerechtigkeit“ und „Nachhaltigkeit“. Das Programm dafür wird vor allem partizipativ und gemeinsam mit Kooperationspartnern gestaltet. Ein Beispiel dafür ist der „Kioskwagen“, den die Jugendforen Mümmelmannsberg und St. Georg gemeinsam mit dem Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation e. V. zum Thema „Antirassismus in Bewerbungsgesprächen“ erarbeitet haben. Zum Thema „Nachhaltigkeit“ werden Ergebnisse aus der Forschung mit nachwachsenden Rohstoffen gezeigt, konkret dem Myzel, einem Pilzgeflecht. Die Technische Universität Berlin erforscht, wie damit Baustoffe, Fasern und Farbstoffe hergestellt werden können. Zielgruppe der „Zukunftswerkstatt“ sind vor allem junge Menschen, die empowert werden sollen, die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten.
DAS TORHAUS IST DER ERSTE SCHRITT EINER UMFANGREICHEN MODERNISIERUNG DES GESAMTEN MUSEUMS
Inhaltlich ist die „Zukunftswerkstatt“ auch ein erster Schritt, um vor dem Hintergrund einer geplanten Modernisierung der Ständigen Ausstellung im Museum den Bogen von der Geschichte der Arbeit über die Gegenwart in die Zukunft zu spannen und das Haus zu einem Kompetenzzentrum für dieses wichtige Thema zu entwickeln. Ein wichtiges Anliegen des Museums ist es, mit den Angeboten im Torhaus Kreativität zu fördern. Diese spielt als einer der Future Skills in der Arbeitswelt, die immer mehr von digitalen Informationen und Abläufen sowie vom Einsatz künstlicher Intelligenz geprägt ist, eine immer größere Rolle. Denn ungewöhnliche Ideen und Innovationen sind die Voraussetzungen, um die Zukunft der Arbeit aktiv und unkonventionell mitgestal-
ten zu können. Vor allem junge Menschen sollen sich in handlungsorientierten Programmen mit den Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt sowie den Bedingungen des Wandels auseinandersetzen können. Schließlich beschäftigt junge Menschen auch die Frage: Was will ich mal werden? Ein Beispiel, sich zu informieren und Tipps von Hamburger Unternehmen zu holen, bieten Veranstaltungen wie „Faszination Fliegen“ mit den Young Talents Hamburg. In Planung sind auch Kooperationen mit der Arbeitsagentur Hamburg sowie der Handwerkskammer.
Schließlich ist auch eine der beiden museumspädagogischen Kompetenz-Werkstätten auf das Thema „Kreativität“ fokussiert. Im Mittelpunkt steht hier die Lithografie. Die Technik des
Steindrucks basiert auf der Gegensatzwirkung von Fett und Wasser und ist als künstlerische Drucktechnik sehr beliebt. In der Kompetenz-Werkstatt „Technik“ können sich die Teilnehmenden mit technischen Neuerungen wie dem 3D-Drucker oder einem Lasercutter auseinandersetzen. Auch hier setzt das Museum der Arbeit mit dem Verein Fab City Hamburg auf einen starken Kooperationspartner. Ein Kursangebot vermittelt dabei einen Überblick über die Grundlagen des 3D-Drucks, von der Idee über die digitale Konstruktion bis zur Fertigung eines eigenen Objekts. Die Kompetenz-Werkstätten sind auch am Montagabend bis 21 Uhr geöffnet und bieten im Rahmen des Programms der „Offenen Werkstätten“ zusätzliche Mitmachangebote an.
Barmbek in der Nachkriegszeit: So sah das Fabrikensemble im Jahr 1951 aus
Ein Blick in die neuen Räumlichkeiten: Zum einen der einladende Gastrobereich, zum anderen die „Zukunftswerkstatt“, in der das Thema Arbeit partizipativ und kreativ präsentiert wird, wie hier mit der Skulptur aus alten Elektroteilen
DIE NEUE FABRIK –AUSSTELLEN NEU DENKEN
Schließlich ist das Torhaus der erste Schritt einer umfangreichen Modernisierung des gesamten Museums. Weitere inhaltliche und bauliche Veränderungen werden folgen. Damit sollen eine bessere Sichtbarkeit und Zugänglichkeit erzielt, die Attraktivität gesteigert, interne Synergien geschaffen und vor allem nach über 25 Jahren die Ständige Ausstellung erneuert werden. Bisher hat das Museum vor allem in Sonderausstellungen gesellschaftlich relevante Themen und aktuelle Transformationsprozesse aufgegriffen. In der Ausstellung „Out of Office. Wenn Roboter und KI für uns arbeiten“ hat sich das Museum mit dem digitalen Wandel und der Arbeitswelt beschäftigt und in der Sonderschau „Grenzenlos. Industrialisierung, Kolonialismus und Widerstand“ ging es um die Verflechtungen der Hamburger Industrie mit dem europäischen Kolonialismus und seinen Auswirkungen bis heute. In der aktuellen Ausstellung „Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“ stehen die Veränderungen im Versand- und Onlinehandel sowie unser Konsumverhalten im Mittelpunkt. Und im nächsten Projekt rückt das Museum das aktuell viel diskutierte Thema der Care-Arbeit ins Zentrum. In allen Projekten spielten und spielen Beteiligungsformate eine wichtige Rolle. Die Interaktion der Besuchenden, die Meinung des
Publikums, der Austausch und der Dialog mit der Stadtgesellschaft sind wichtige Bausteine der Vermittlungsarbeit. Aber um neben den historischen ebenso die aktuellen Transformationsprozesse in der Arbeitswelt auch in der Ständigen Ausstellung zeigen zu können, müssen diese erneuert und durch Themen wie Umwelt, Klimawandel oder Nachhaltigkeit ergänzt werden. Schließlich geht es um die wesentlichen Fragen, wie wir zukünftig leben und arbeiten wollen.
Rita Müller ist promovierte Historikerin und seit 2014 Direktorin des Museums der Arbeit. Zudem engagiert sie sich seit 2018 im Vorstand des Deutschen Museumsbundes
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EINE STADT, VIELE GESCHICHTEN
Wie das partizipative Projekt „Mein Hamburg! Erzählst Du uns Deine Geschichte?“ die Stadtgesellschaft und das Museum für Hamburgische Geschichte einander näherbringen möchte
Text: Sirany Schümann
Seit Anfang 2024 ist das Museum für Hamburgische Geschichte (MHG) aufgrund einer umfangreichen Modernisierung für die Öffentlichkeit vorübergehend nicht mehr zugänglich. Doch hinter den verschlossenen Türen wird fleißig weitergearbeitet. Das Museum erfährt nicht nur eine bauliche, sondern auch eine inhaltliche Neugestaltung, die vor allem die Ständige Ausstellung betrifft. Im Rückblick auf die ehemalige Präsentation besteht ein wesentliches Desiderat für die neue Ausstellung darin, die aktuelle Stadtgeschichte und die Lebensrealitäten der Hamburger Stadtgesellschaft vielfältiger abzubilden. Das Projekt „Mein Hamburg! Erzählst Du uns Deine Geschichte?“ möchte Bewohnerinnen und Bewohner aus möglichst allen Teilen der Stadt dazu mo
tivieren, ihre Perspektiven auf die Stadt mit dem Museum und miteinander zu teilen.
Die Grundidee, so fasst es die Projektleiterin Tendai Sichone zusammen, besteht darin, bislang nicht repräsentierte Sichtweisen auf das Leben in der Großstadt Hamburg zu sammeln: „Wenn während der Zeit der Modernisierung im Museum selbst nichts ausgestellt und der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, kann das Museum doch raus zu den Menschen in die Stadt gehen.“ Dieses Vorgehen, bei dem kulturelle Institutionen aktiv auf Menschen zugehen, die nicht dem traditionellen Kulturpublikum angehören, nennt sich Outreach. Gemeinsam mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Franziska Tacke und weiteren Teilen des Museumsteams hat Sichone
Das Museum für Hamburgische Geschichte: Während der Zeit der Modernisierung wird hinter verschlossenen Türen fleißig weitergearbeitet
viel Zeit und Arbeit in die konzeptionelle Entwicklung des Projekts gesteckt, damit „Mein Hamburg!“ Ende 2024 in die Pilotphase starten konnte. Weitere Unterstützung erhält das Museum dabei von der KörberStiftung sowie von einem Netzwerkkreis mit Beteiligten aus Kunst, Kultur und Zivilgesellschaft.
GESCHICHTEN TEILEN IN TEXTEN, BILDERN UND VIDEOS
Im November 2024 ging zunächst das digitale Tool online, das extra für dieses Stadtteilprojekt entwickelt wurde und über das alle Hamburgerinnen und Hamburger ihre eigene Story erzählen können. Unter meinhamburg.shmh.de erhalten Interessierte alle Informationen zu dem Vorhaben und können sich bereits veröffentlichte Geschichten anderer Teilnehmender durchlesen. Für das Erzählen der eigenen Geschichte stehen 10.000 Zeichen für Textnachrichten zu Verfügung, die zusätzlich über eine UploadFunktion mit Fotos oder Videos unterfüttert werden können. Wer weniger schreibaffin ist, kann seine Erfahrungen auch ausschließlich in Bildern, Audios oder Videos erzählen. „Wir freuen uns, wenn Medien mit uns geteilt werden, weil das die Geschichte persönlicher und erlebbarer macht“, sagt die Projektkoordinatorin Franziska Tacke. Das sei jedoch kein Muss. Tatsächlich sei es sogar möglich, einen Inhalt anonym zu veröffentlichen. Die Kontaktdaten benötigen die Projektmitarbeitenden nur, um eventuelle Rückfragen zu Datenschutz und Persönlichkeitsrechten zu klären und um die Zustimmung für die Veröffentlichung einzuholen. „Uns ist sehr wichtig, dass wir in Kontakt mit den Erzählenden sind, die uns diese Geschichten geben. Wir legen viel Wert auf einen vertrauensvollen Umgang und informieren sie über jeden Schritt“, erklärt Tacke.
SEHNSUCHTSORT ODER HOLPRIGER START? GESCHICHTEN ÜBER HAMBURG Rund 40 Geschichten haben die Redaktion schon erreicht. Darunter viele Storys, die das Projektteam sehr berührt haben. Zu den liebsten Geschichten von Tendai Sichone zählt „Ein holpriger Start“. Der Text verknüpft Familienerfahrungen von Flucht, Arbeitsmigration und Adoption mit universellen Fragen nach Zugehörigkeit und historischer Aufarbeitung. Hamburg wird darin nicht glorifiziert, denn es ist etwas anderes, was zählt: „Alle Orte sind austauschbar. Alle sind gleich wichtig. Alle le
Kreativ und partizipativ: Das zum Tonstudio umgebaute Lastenrad, hier Anfang Mai im LunaCenter in Wilhelmsburg
Je mehr Stimmen, desto besser: Über das digitale Mitmach-Tool können alle ihre Geschichte teilen
ben ihr Leben. Sich als Mensch zu benehmen, mitfühlend, umsichtig, im Austausch mit anderen, das ist unser aller Aufgabe und Sinn. Da ist es egal, aus welcher Stadt oder Region jemand kommt.“ Franziska Tacke wiederum ist die Geschichte „AndersSein“ besonders in Erinnerung geblieben. Darin wird Hamburg als eine Großstadt porträtiert, die Raum für die persönliche Entfaltung geschaffen hat. Obwohl der Text keine 800 Zeichen lang ist, bringt er die Themen Neurodivergenz, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung zur Sprache.
Ohnehin sind der Fantasie sowohl bei der Themenauswahl als auch beim Format keine Grenzen gesetzt. Eine Person hat im Rahmen eines Schreibprojekts des Campus Uhlenhorst mit „Die junge Frau und die gemeine Tür“ sogar ein Märchen verfasst, und ein Gedicht befand sich ebenfalls schon unter den Einreichungen. Das „Mein Hamburg!“Team hofft, dass mit der Zeit auch noch weitere Audio oder Videobeiträge dazukommen. Ob sie selbst schon eine Geschichte eingereicht haben? Diese Frage bejaht Tendai Sichone. Sie war die Erste, „um ein bisschen Mut zu machen“. „Ein Sehnsuchtsort“ handelt davon, wie sie bereits als Kind in Hamburg etwas fand, das ihr die Kleinstadt nicht geben konnte: eine Schwarze Community, die ihr ein Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt hat.
POP-UP-STORE: GUTE GESPRÄCHE IN DER MILLERNTORWACHE
dazu lernen lassen. Denn je besser die Mitarbeitenden verstehen, wie sie einen Raum schaffen können, der die Menschen anspricht, umso eher erreichen sie damit verschiedene Zielgruppen. Einige ihrer Erfahrungen konnten sie auch schon mit zum zweiten PopupStore nehmen, der vom 29. April bis zum 12. Mai 2025 im Wilhelmsburger Einkaufszentrum LunaCenter aufgebaut war. Hier waren es vor allem Kinder und Jugendliche, die den partizipativen Raum entdeckt haben und ihre Erfahrungen über ein MultiMediaLastenrad zu Protokoll gaben. Die nächste Station ist im Bezirk Wandsbek geplant.
IN WORKSHOPS INSPIRATIONSQUELLEN ENTDECKEN
Weitere Informationen und erste Geschichten finden sich unter meinhamburg. shmh.de
Das digitale Tool ist allerdings nur eines der partizipativen Beteiligungsformate bei „Mein Hamburg!“. Mit sogenannten PopupStores möchte das ProjektTeam eine Reihe analoger Anlaufstellen zum Geschichtenerzählen anbieten – und zwar in jedem der sieben Hamburger Bezirke. Im Dezember 2024 ging es mit dem ersten PopupStore in der historischen Millerntorwache auf St. Pauli los. Acht Tage lang war das Team vor Ort, erklärte das Projekt, zeigte die Bedienung des OnlineTools auf dem Tablet und nahm sich vor allem viel Zeit für Austausch und Begegnungen. „Wir hatten sehr interessante und schöne Gespräche“, erinnert sich Sichone. Dabei liegt der Fokus der PopupStores nicht darauf, dass die Menschen dort sofort eine Geschichte hinterlassen. Es geht vielmehr darum, das Projekt sichtbar und bekannter zu machen sowie einen ersten Kontakt zu „Mein Hamburg!“ herzustellen. Für manche Menschen ist es vielleicht sogar der erste Kontakt zu einem Museum. Weil damals zeitgleich der DOM nebenan auf dem Heiligengeistfeld stattfand, schauten viele im Vorbeigehen aus Neugier in die Millerntorwache hinein. „Die Leute haben sich gefreut, dass sie einfach plaudern konnten, um dann zu merken: ‚Ich habe wirklich was zu erzählen‘“, sagt Tacke. „Oft erzählen die Menschen erst Geschichten von anderen Personen, bis sie irgendwann automatisch auf ihre eigene Geschichte zu sprechen kommen“, ergänzt Sichone. Es sind solche Beobachtungen, die auch das Team um „Mein Hamburg!“ für den Fortgang des Projektes
Eine bleibende Herausforderung besteht jedoch weiterhin in der Frage, wie Menschen ermutigt werden können, ihre Geschichte zu erzählen und einem breiten Publikum mitzuteilen. In den PopupStores gibt es deshalb begleitende Programmpunkte, die Menschen dazu motivieren sollen, ihre eigenen Geschichten zu entdecken und zu teilen – insbesondere jene, die sich bisher vielleicht noch nicht getraut haben, ihre Perspektive sichtbar zu machen. Die begleitenden Veranstaltungen wie die Kooperation mit dem Queer History Month oder der feministischen und queeren Stadtteilbibliothek „Bücheria“ in Wilhelmsburg möchten Inspiration bieten und neue Zugänge eröffnen, um die eigene Stimme zu finden. Am wichtigsten bleiben dem Team aber die persönlichen Begegnungen in den PopupStores. „Wir wollen den Zugang so niedrigschwellig wie möglich halten“, sagt Tacke. Die Geschichtenerzählerinnen und erzähler sollen nicht von Barrieren jeglicher Art davon abgehalten werden, etwas beizutragen – und einige der Geschichten werden, so die Idee, als Teil in die neue Ständige Ausstellung im MHG eingehen, wenn das Museum wie geplant im Jahr 2028 wiedereröffnet. Zudem soll es eine Dokumentationsausstellung zu „Mein Hamburg!“ geben, die konkret über den Verlauf und die Ergebnisse des Projekts berichtet. Denn eines ist sicher: Die eine Stadtgeschichte gibt es nicht, Hamburg ist vielstimmig und hat eine Menge zu erzählen.
Sirany Schümann studierte Germanistik, Soziologie und Literaturwissenschaft. Sie ist als Journalistin tätig und schreibt am liebsten über (Pop-)Kultur, Gesellschaft und Diversität
Ein Teil des Teams von „Mein Hamburg!“:
Franziska Tacke und Tendai Sichone
DAS MUSEUM ALS LEBENDIGER
TEIL DER STADTGESELLSCHAFT
Mit „Mein Hamburg!“ möchte das Museum für Hamburgische Geschichte die Perspektiven einer diversen Stadtgesellschaft in Form von persönlichen Geschichten für die zukünftige Ständige Ausstellung sammeln und dokumentieren.
Ein Gespräch mit Bettina Probst, der Direktorin des Museums
Interview: Matthias Seeberg
Unter dem Motto „Mein Hamburg! Erzählst Du uns Deine Geschichte?“ ist das Museum für Hamburgische Geschichte im letzten Jahr mit einem neuen Projekt gestartet, dass die Perspektiven einer diversen Stadtgesellschaft in Form von persönlichen Geschichten für die zukünftige Ständige Ausstellung sammeln und dokumentieren soll. Ein Gespräch mit Bettina Probst, der Direktorin des Museums, über die Ursprünge, die Ziele und die ersten Ergebnisse des partizipativen Projekts
Liebe Frau Probst, nach dem – voraussichtlich im Herbst 2028 erfolgenden – Abschluss der Modernisierung möchte das Museum für Hamburgische Geschichte als attraktiver Ort für die gesamte Stadtgesellschaft wiedereröffnen. Was bedeutet das? Als das stadthistorische Museum in Hamburg möchten wir mit unseren Themen und Fragestellungen möglichst viele Stadt und Geschichtsinteressierte – von jüngeren bis älteren Menschen, von Alteingesessenen bis Neuangekommenen, von Einwohnerinnen und Einwohnern bis hin zu touristischen Gästen – ansprechen und in die gesamte Breite der Stadtgesellschaft hineinwirken. Hamburg war schon immer eine diverse Stadt(gesellschaft) und zukünftig möchten wir dies stärker abbilden und verdeutlichen. Es ist uns dabei wichtig, dass das Museum als lebendiger, selbstverständlicher Teil und nicht nur als ein die Geschichte Hamburgs reflektierendes Gegenüber der Stadtgesellschaft verstanden wird. Der entscheidende Punkt dabei ist: Wie können wir dafür Sorge tragen, dass diese Rolle des Museums erkannt und auch von allen Teilen der Stadtgesell
schaft wahrgenommen wird? Wie können wir Menschen zu Teilhaberinnen und Teilhabern einer gemeinsamen Geschichte (und Gegenwart) werden lassen?
Und was heißt das konkret? Konkret bedeutet dies, dass wir möglichst unterschiedliche Perspektiven von Hamburgerinnen und Hamburgern auf ihre Stadt und Stadtgeschichte einbinden und zeigen möchten. Dazu müssen wir aber wissen, was die Menschen, die
hier leben, bewegt – was sind ihre Sichtweisen auf die Stadt beziehungsweise auf ihr unmittelbares Umfeld, was sind ihre eigenen Geschichten, die sie mit Hamburg verbinden? Und was macht Hamburg spannend, lebenswert und liebenswürdig, aber auch verbesserungsbedürftig und veränderungsreif? Das Format, das wir hierfür ins Leben gerufen haben, ist das OutreachProjekt „Mein Hamburg! Erzählst Du uns Deine Geschichte?“, mit dem wir die Menschen erreichen wollen, während im Museum selbst aufgrund der Modernisierungsmaßnahmen nichts präsentiert oder ausgestellt werden kann.
Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden und was erhofft sich das Museum davon? Die Idee zu diesem Projekt gibt es schon seit einigen Jahren. Ursprünglich umfasste das Vorhaben, alle über 100 Stadtteile Hamburgs zu besuchen, aber diese Idee haben wir mit Blick auf die verbleibende Zeit bis zur Wiedereröffnung des Museums und zugunsten einer mehr qualitativen als quantitativen Ausrichtung aufgegeben. Festgehalten haben wir allerdings daran, dass wir Menschen aus allen Stadtbezirken einbeziehen wollen. Das Projekt in seiner derzeitigen Konstellation hat sich erst im letzten Jahr konkret „herausgeschält“ – im engen Austausch zwischen dem Projektteam und unserem Förderer, der KörberStiftung, sowie einem Netzwerkkreis aus verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der Stadtgesellschaft. Stellvertretend für das Museum gesprochen erhoffe ich mir neben vielen neuen Geschichten und Perspektiven auf die Stadtgeschichte vor allem eine engere Beziehung und Durchlässigkeit zwischen Stadt und Museum.
Können Sie das noch etwas präzisieren? Nun, wie heißt es so schön: It takes two to tango! Wenn wir zukünftig nicht nur über geteilte persönliche Geschichten, sondern auch über verschiedene Sichtweisen auf einzelne Themen und Objekte ins Gespräch kommen wollen, dann ist mir das sehr willkommen! Mir scheint gerade die Auseinandersetzung mit Fakten und Fiktionen, mit Narrativen und Interpretationen beziehungsweise die Einordnung von historischen Sachverhalten und die Orientierung darüber immer wichtiger zu werden.
Welchen Ort sollen die Ergebnisse des Projekts in der neu gestalteten Ständigen Ausstellung des Museums bekommen?
Zum einen soll es eine komprimierte, temporäre Dokumentationsausstellung über das Projekt im Erdgeschoss geben, zum anderen sollen die Ergebnisse in Form von Geschichten, Interviews, womöglich auch einzelnen Objekten, langfristig in die neue Präsentation implementiert werden –insbesondere im Bereich des 2. Obergeschosses, in dem es unter der Rubrik Hamburg Heute um aktuelle Diskurse und Fragestellungen gehen soll, die die Stadtgesellschaft in Hamburg bewegen.
Soll „Mein Hamburg!“ nach der Wiedereröffnung des Museums fortgesetzt werden?
Es wäre großartig, wenn es uns gelänge, das Projekt in einer noch zu definierenden, unter Umständen dann „stationären“ Form zu verstetigen, um die Netzwerke und Verbindungen, die wir geknüpft haben oder über das Projekt noch knüpfen werden, auch zu erhalten. Nachhaltigkeit ist schließlich nicht nur ein Thema des Bauens und Sanierens, sondern ist uns auch bei Inhalten und Strukturen wichtig. Dafür sind allerdings personelle und finanzielle Ressourcen erforderlich, die wir noch aufbauen müssen. Partizipatives, auch zielgruppenorientiertes Arbeiten, die Berücksichtigung von unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Sichtweisen unserer Besucherinnen und Besucher sind wesentliche und fortwährende Elemente unserer zukünftigen Arbeit – aber dafür benötigen wir langfristig einen entsprechenden Rahmen.
Sind Sie mit den bisher vorliegenden Ergebnissen zufrieden und welche Perspektiven auf die Stadtgeschichte finden Sie persönlich am spannendsten?
Für diese Fragen, insbesondere die letzte, ist es noch ein wenig zu früh. Lassen Sie mich so antworten: Ich bin sehr zufrieden damit, dass wir es geschafft haben, das Projekt gemeinsam mit der KörberStiftung und unserem Netzwerkkreis auf den Weg zu bringen. Wir verlassen damit nicht nur temporär das Haus, sondern langfristig auch gewohntes Terrain. Ich freue mich über jede Geschichte, die dazu beitragt, dass unsere Stadtgeschichte vielfältiger präsentiert werden kann. Ich freue mich ebenso darüber, wie es dem Team um Tendai Sichone und Franziska Tacke bei der Fortentwicklung des Projekts gelingt, neue Impulse für unsere Arbeit an der neuen Ständigen Ausstellung zu setzen und wir gemeinsam an diesem Projekt auch als Haus weiterwachsen können.
Ein Panoramabild für alle Romantiker, Technikfans und Museumsfreunde: das Hafenareal samt PEKING bei sanftem Dämmerlicht
„WIR HABEN DIE CHANCE, MUSEUM VÖLLIG NEU ZU DENKEN“
Über die Perspektiven und Herausforderungen des neuen Deutschen Hafenmuseums
Interview: Matthias Gretzschel
Es ist knapp zehn Jahre her, dass der Deutsche Bundestag mit der Bereitstellung eines dreistelligen Millionenbetrages die Errichtung eines Deutschen Hafenmuseums in Hamburg ermöglicht hat. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat die Bereitschaft zur Übernahme der Betriebskosten erklärt und im Dezember 2024 eine Beteiligung an den Kosten für den geplanten Neubau von bis zu 98 Millionen Euro beschlossen. Erstes sichtbares Zeichen des Gesamtprojekts sind die Rückholung der Viermastbark PEKING aus New York, deren museumsgerechte Restaurierung sowie deren Öffnung für das Publikum. Ein weiteres Ergebnis ist die Festlegung auf das Zwei-Standorte-Konzept:
zum einen die Erhaltung und Weiterentwicklung des bereits bestehenden Schuppens 50A und zum anderen ein Museumsneubau auf dem Kleinen Grasbrook. Ein Gespräch mit Hans-Jörg Czech, dem Vorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg, und dem Gründungsdirektor des Deutschen Hafenmuseums Klaus Bernhard Staubermann über Ergebnisse, Pläne und Perspektiven
Da der Standort Schuppen 50A nur im Sommerhalbjahr zugänglich ist, kann man diesen Teil des Deutschen Hafenmuseums quasi im Zeitraffer wachsen sehen. Was gibt es in diesem Jahr im Schaudepot, auf dem Gelände
An der Reling der berühmten Viermastbark PEKING: Klaus Bernhard Staubermann, Gründungsdirektor des Deutschen Hafenmuseums, und HansJörg Czech, Vorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg
und an Bord der PEKING Neues zu entdecken?
Klaus Bernhard Staubermann: Wer im letzten Jahr die PEKING besucht hat, wird sich daran erinnern, dass wir den Anker der PAMIR installiert haben. Außerdem wurde das Kartenhaus fertiggestellt, während auf dem Brückendeck noch recht wenig zu sehen war, außer der Unterteilung der Kabinen. Inzwischen sind zwei eindrucksvolle Dinge geschehen: die weitgehende Fertigstellung des Kapitänssalons, in dem wir uns gerade befinden, sowie die Rekonstruktion des Herdes in der Kombüse nach einer historischen Vorlage.
Und was hat sich in den vergangenen Monaten an der Kaikante getan?
Staubermann: Nach dem Hochwasser des letzten Jahres hatte sich an einigen Stellen gezeigt, dass die Kaikante nachgibt. Daraufhin hat sie die Hamburg Port Authority für uns saniert, sodass wir sie jetzt wieder so nutzen können, wie wir es gewohnt sind. Außerdem haben wir den 1961 von der Firma Krupp Ardelt in Wilhelmshaven gebauten Hafenkran restauriert, der vor der PEKING an der Kaikante steht.
Wird man ihn künftig auch in Funktion sehen können?
Staubermann: Da er technikgeschichtlich so bedeutend ist, haben wir uns aus konservatorischen Gründen dagegen entschieden. Mit Unterstützung unserer Ehrenamtlichen konnten wir aber zusätzlich auch den danebenstehenden Kampnagel-Kran sanieren. Dieser wird tatsächlich wieder einsatzfähig sein und kann auch vorgeführt werden. Im Schuppen 50A ist ebenfalls einiges passiert, unter anderem die Überarbeitung des Shops und des Kassenbereichs, die Modernisierung der sanitären Anlagen und die Einrichtung eines gastronomischen Angebots. Zu den Novitäten im Schaudepot gehört ein historisches Schuppenmodell, das wir aus dem Museum für Hamburgische Geschichte übernehmen konnten. Daran lässt sich gut ablesen, wie die Abläufe im Schuppen 50A historisch gewesen sind.
Knapp zehn Jahre nach dem Beschluss zur Errichtung des Deutschen Hafenmuseums ist von dem geplanten Museumsneubau noch nichts zu sehen. Man weiß noch nicht einmal, wie er später aussehen wird. Wann wird sich das ändern?
Hans-Jörg Czech: Der Prozess läuft, es geht voran.
Das Gute an dem Standort für den Neubau ist die Tatsache, dass er sich in einem völlig neuen Wachstumsareal der Stadt Hamburg, dem geplanten Stadtteil Grasbrook, befindet. Wo hätte man auch sonst in Hamburg ein so wunderbar geeignetes Grundstück finden können? Deshalb sind unsere Planungen auf das Engste mit den Entwicklungen des neuen Stadtteils verschränkt. Wenn man über die Elbbrücke fährt, sieht man schon die großen Sandaufschüttungen, die für die Herstellung der Infrastruktur nötig sind. In diese Planungen sind wir mit unserem Projekt zielgenau eingepasst. Dabei handelt es sich allerdings um anspruchsvolle Prozesse, die auch die Rahmenbedingungen für unseren Neubau markieren.
Und wie sieht das zeitlich aus?
Czech: Wir gehen davon aus, dass wir noch 2025 sämtliche inhaltlichen und formalen Grundlagen abschließend klären können, die die Voraussetzung für alle Fragen der architektonischen Gestaltung bilden. Es wird auf jeden Fall ein wettbewerbliches Verfahren geben, mit dessen konkreter Ausgestaltung wir uns im Moment beschäftigen. Das entscheiden wir nicht allein, sondern im Dialog mit vielen Behörden der Stadt. Selbstverständlich ist auch der Oberbaudirektor in diesen Prozess eingebunden.
MACHEN, OHNE AUF DEKOLONIALITÄT ODER NATÜRLICHE UMWELT, GEBAUTE UMWELT UND KRITISCHE INFRASTRUKTUR EINZUGEHEN
Klaus Bernhard Staubermann
“Ein Gespräch im Bauch des Schiffes:
„History Live“Autor Matthias Gretzschel, HansJörg Czech und Klaus Bernhard Staubermann
Da ist noch vieles im Fluss, wann kann man denn mit der Eröffnung rechnen?
Czech: Wir gehen davon aus, dass das Deutsche Hafenmuseum zu Beginn des nächsten Jahrzehnts baulich fertiggestellt sein wird.
Ende vergangenen Jahres gab es aufgrund eines Bundesrechnungshofberichts über erhebliche Kostensteigerungen negative Schlagzeilen. Die Bürgerschaft hat im Dezember noch einmal 98 Millionen Euro bereitgestellt, ist das Projekt damit dauerhaft gesichert?
Czech: Ja. Der Rechnungshof hat unter anderem auf Kostensteigerungen im Bauwesen hingewiesen, die seit der Corona-Zeit und den nachfolgenden weltpolitischen Ereignissen alle Neubauprojekte betreffen. Diese Entwicklungen konnten vor zehn Jahren bei der Mittelzuteilung natürlich nicht antizipiert werden. So ist in den letzten Jahren absehbar ein Finanzierungsdelta entstanden. Auf der Grundlage der vorliegenden Kalkulationen hat uns die Stadt mit Beschluss der Bürgerschaft eine Zusatzfinanzierung von bis zu 98 Millionen Euro für die Realisierung unseres Projektes zugesagt.
Es soll ein „Museum der Globalisierung“ werden und kein weiteres Schifffahrtsmuseum, aber bei dem von der Stadt aus sichtbaren Blickfang handelt es sich mit der PEKING um ein Schiff. Wie stellen Sie sich die Abgrenzung vor?
Staubermann: Natürlich präsentieren wir auch Aspekte, die in anderen Museen eine Rolle spielen, zum Beispiel Migration, Naturkunde, ethnologische Fragen und auch Schifffahrtsthemen. Das geschieht aber nicht in Konkurrenz zu anderen Museen, denn wir zeigen bei all diesen Themen, wie sie sich in Häfen kristallisieren. Bei der PEKING ist das vor allem die Frage des Ankommens und Abfahrens. Wir wollen das auch emotional vermitteln, also zeigen, was das mit Menschen macht, wenn sie von einem Ort weggehen und an einem anderen ankommen. Hinzu kommen praktische Themen wie Beladen und Entladen, aber auch wichtige Fragen des globalen Handels und der kolonialen Verflechtungen Hamburgs, etwa, wenn es um die Geschichte des Salpeter-Abbaus in Chile geht. So steht die PEKING nicht als Schiff für sich allein, sondern wird mit vielfältigen Bezügen in dem thematischen Gesamtkomplex der Häfen verortet.
Sie haben eben den Plural verwendet, es geht also nicht nur um den Hamburger Hafen?
Staubermann: Hamburg hat natürlich als Ort eine ganz besondere Bedeutung für uns, aber es geht in dem Museum tatsächlich nicht nur um den Hamburger Hafen, sondern um die deutschen See- und Binnenhäfen.
Czech: Ich würde es gern noch ein wenig zuspitzen: Die Aufgabe des Deutschen Hafenmuseums ist es, die deutschen See- und Binnenhäfen insgesamt in den Blick zu nehmen, und zwar hinsichtlich der Vergangenheit, der Gegenwart und auch der Zukunft. Natürlich werden die Häfen durch Seefahrzeuge verbunden, aber uns geht es nicht um Schiffe. Was auf den Schiffen unterwegs geschieht, ist nicht das Thema des Deutschen Hafenmuseums. Uns geht es um die Häfen als zentrale Knotenpunkte im Netzwerk der Globalisierung. Ganz konkret gefragt: Was macht die deutschen Häfen überhaupt konkurrenzfähig? Wie und wieso funktioniert ein Seehafen? Was findet im Hinterland statt? In dieser Vernetzungsbeziehung spielen auch die Binnenhäfen eine ganz wichtige Rolle. Bis hin zu solchen Fragestellungen, wie sich dieses komplexe Netzwerk der Globalisierung auf uns Einzelne auswirkt.
Mal ganz praktisch: Wie sollen die Besucher von dem einen zu dem anderen Standort des Deutschen Hafenmuseums gelangen?
Staubermann: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. So soll ja die U4 Richtung Süden verlängert werden, von der S-Bahn-Station Veddel sind es zu Fuß geschätzt zehn Minuten, außerdem fährt auf dem Veddeler Damm der Bus und nicht zuletzt soll es dort zukünftig auch eine ausgebaute Fahrradstrecke geben. Perspektivisch soll auch eine Barkassenverbindung zwischen den Standorten eingerichtet werden, was für die Besucherinnen und Besucher natürlich besonders attraktiv sein wird.
Auf der einen Seite gibt es mit dem denkmalgeschützten Schuppen 50A und den Großobjekten attraktive historische Zeugnisse, auf der anderen Seite sollen im Neubau unter Stichworten wie Dekolonialität, Innovation oder Vernetzung hochkomplexe Inhalte vermittelt werden. Das klingt ein wenig nach Lehrveranstaltung. Wie sinnlich wird das am Ende werden?
Staubermann: Da wir mit Vermittlungsformaten arbeiten werden, bei denen die Besucherinnen und Besucher verschiedene Rollen einnehmen können, wird das sehr sinnlich sein. Sie werden zum Beispiel in Rollenspielen Berufe erleben, aus deren Perspektive sie dann die verschiedenen Themenkomplexe erschließen können. Das werden im Neubau nicht mehr ausschließlich klassisch technische Themen wie am Schuppen 50A sein, sondern weitergehende Inhalte, die dann eine gute Synthese von Ausstellungsobjekten und Vermittlungsformaten erfordern: Dekolonialität, Umwelt, Innovation. Wir denken die Ausstellungsbereiche nicht separat, sondern als ein Ganzes, in dem die Vermittlung zu den zum Teil recht komplexen und auch abstrakten Themen stattfinden soll. Anders geht das nicht mehr. Man kann heute kein Hafenmuseum machen, ohne auf Dekolonialität oder natürliche Umwelt, gebaute Umwelt und kritische Infrastruktur einzugehen. Darüber hinaus muss es auch möglich sein, jeweils aktuelle Themen aufzugreifen, wie etwa den Zollstreit mit den USA und dessen Auswirkungen auf die Globalisierung. Wir wollen die Besucherinnen und Besucher zugleich informieren und sie dazu animieren, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Czech: Basis für die Darstellung in all unseren Häusern sind die Sammlungen. Das wird auch im Deutschen Hafenmuseum nicht anders sein. Es bleibt unsere Aufgabe, Objekte zu finden, zu sammeln und auszustellen, an denen sich diese vielfältigen Aspekte ablesen lassen. Da es im Netzwerk der Globalisierung auch um Produkte, also um Waren, geht, eröffnet sich uns ein riesiges Spektrum von Darstellungsmöglichkeiten auch digitaler Art.
Werden Touristen, die vielleicht weniger an kritischen Diskursen, sondern eher am Mythos Hafen interessiert sind, auch auf ihre Kosten kommen?
Staubermann: Unbedingt. Wir planen das Museum ja auch für die jährlichen Millionen Touristinnen und Touristen, die schon jetzt aus der ganzen Welt kommen, und gehen davon aus, dass das in fünf bis zehn Jahren noch einmal deutlich mehr sein werden. Ganz wichtig sind uns aber auch die Hamburgerinnen und Hamburger selbst, denn die Menschen, die hier leben, müssen das Museum annehmen. Auf all diesen Ebenen muss es Angebote geben. Und authentische Objekte sind immer ein fantastischer Mediator.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Staubermann: Stellen wir uns ein historisches Dioarama aus dem 19. Jahrhundert vor, das einen Naturhafen zeigt, in dem ein deutsches Segelschiff liegt. Das ist erst einmal visuell ansprechend, sagt aber auch etwas über die deutschen Reedereien und Schifffahrtslinien dieser Zeit aus. Außerdem lernt man etwas über den Kontext, der sich möglicherweise als ein kolonialer erweist. Man geht also vom historischen Artefakt aus und erfährt etwas über die maritimen Zusammenhänge der Hafenthematik und darüber hinaus auch über die kolonialzeitliche Situation. Man kann aber auch etwas über die natürlichen Gegebenheiten lernen, also den konkreten Ankerplatz, und über das Schiff, bei dem es sich vielleicht um eine Viermastbark handelt. Dann können Fragen eine Rolle spielen, wie bei der Ankunft gelotet und später geankert wurde. Das sind dann Themen, die Sie auf der PEKING wiederfinden werden. Bei der Vermittlung dieser Zusammenhänge werden wir aber selbstverständlich auch auf moderne digitale Angebote und partizipative Formate setzen.
ICH BIN SICHER, DASS DAS DEUTSCHE
HAFENMUSEUM EINE ATTRAKTION SEIN
WIRD,
DIE NICHT NUR NATIONAL, SONDERN AUCH WEIT ÜBER DEUTSCHLAND HINAUS
Czech: Das Museum wird auf verschiedenen Ebenen mit den Besucherinnen und Besuchern in Kontakt treten. Das geht von der Basisinformation, was ist überhaupt ein Hafen, bis hin zu den internationalen Hafendiskursen. Ich möchte noch einmal betonen, dass es hier nicht nur um den Hamburger Hafen geht. Die Aufgabenstellung sieht so aus: Deutschland bekommt ein Hafenmuseum, das seinen Standort in Hamburg hat. Das ist sinnvoll, nicht nur weil hier der größte deutsche Hafen liegt, sondern auch weil Hamburg national und international als die deutsche Hafenstadt schlechthin gilt. Hier gibt es zahlreiche Reedereien und maritime Unternehmen, für die sich das Deutsche Hafenmuseum auch als Ort des aktuellen Diskurses und des Austausches anbieten wird.
Wie wird sich das im Ausstellungsprogramm widerspiegeln?
Czech: Wie in allen unseren Häusern wird es eine Ständige Ausstellung geben, dazu aber auch eine sehr flexible Sonderausstellungsfläche, die die Möglichkeit zur Darstellung der verschiedensten Themen bieten wird. Dabei geht es nicht um Hamburg, sondern um maritime Fragen im Zusammenhang der Häfen, die mindestens nationale Relevanz haben, aber in einigen Fällen sicher auch weit darüber hinaus gehen werden.
Der Neubau wird die wahrscheinlich markanteste Architektur in einem gerade entstehenden Stadtteil sein. Welche Ausstrahlung kann das Deutsche Hafenmuseum auf den Grasbrook haben?
Czech: Ich bin sehr sicher, dass wir es schaffen können, an diesem sehr schönen und prominenten Standort einen neuen Attraktionspunkt für Hamburg zu schaffen, noch dazu in der Verbindung mit der PEKING, wie das ja von Anfang an
AUSSTRAHLEN WIRD
HansJörg Czech
geplant war. Die Herausforderung bei der Errichtung des Neubaus wird es sein, dass die Form bereits seine Aufgabenstellung mittragen soll. Wir denken gar nicht an einen gigantischen Kunstbau, sondern an eine Architektur, an der die Funktion des Gebäudes ablesbar sein soll. Ich bin sicher, dass sich daraus seine Markanz ergeben wird. Allerdings werden wir an vielen Stellen völlig neue Wege für ein Museum gehen, in Fragen etwa der innenräumlichen Struktur, der Darstellung und Präsentation von Inhalten und nicht zuletzt der Nachhaltigkeit. Das ist eine große Herausforderung, für uns aber auch die Chance, Museum völlig neu zu denken.
Wurde bereits weitgehend fertiggestellt: der historische Kapitänssalon
Wie weit sind die Planungen vorangeschritten?
Czech: Wir stellen im Moment alle Wünsche, Auflagen und Anforderungen für das Gebäude zusammen und sind natürlich sehr gespannt, wie sich das am Ende in einen architektonischen Entwurf umsetzen lassen wird. Eines steht aber schon fest: Es wird ein markantes Gebäude werden, eine wirkliche Bereicherung für Hamburg.
Und was haben die Menschen, die künftig auf dem Grasbrook leben und arbeiten werden, davon?
Staubermann: Für sie wird es ein zentraler kultureller Anziehungspunkt und ein sozialer Bezugsort sein. Man soll sich dort treffen, die Gastronomie nutzen und die Aussicht genießen. Wir werden sehr darauf achten, dass das neue Haus nicht nur ein Dreh- und Angelpunkt für die nationale und internationale Museumsszene sein wird, sondern auch für den Kleinen Grasbrook selbst. So soll es einen kostenfreien Bereich geben, in dem man sich verabreden und aufhalten kann, um gemeinsame Momente zu schaffen.
Czech: Nicht zu vergessen: Es wird auch einen Aussichtspunkt geben, einen Turm oder eine Ter-
rasse: Einen hoch gelegenen Punkt von bis zu 63 Metern, von dem aus man einen weiten Blick in und über den lebendigen, arbeitenden Hafen haben wird. Darüber hinaus wird es vielfältige Blickbezüge geben, zur Elbphilharmonie, zur neuen Oper auf der gegenüberliegenden Flussseite und zu dem hier entstehenden neuen Stadtgeflecht mit vielen neuen Sehenswürdigkeiten. Wir sind sicher, dass dieser neue Wachstumskern nicht zu Konkurrenz zwischen den einzelnen kulturellen Angeboten führen wird, sondern im Gegenteil zu einer gegenseitigen Ergänzung und Befruchtung. Je mehr die Attraktivität der Stadt für Besucher aus aller Welt steigt, desto mehr werden auch die verschiedenen kulturellen Institutionen profitieren. Ich bin sicher, dass das Deutsche Hafenmuseum eine Attraktion sein wird, die nicht nur national, sondern auch weit über Deutschland hinaus ausstrahlen wird.
Matthias Gretzschel ist Journalist und schreibt Sachbücher über kulturgeschichtliche und maritime Themen. In seinem Buch „PEKING – Schicksal und Wiedergeburt eines legendären Hamburger Segelschiffes“ hat er die Historie des Schiffs vor dem Hintergrund von Stadt, Wirtschaftsund Seefahrtsgeschichte anschaulich nachgezeichnet
DAS DEUTSCHE HAFENMUSEUM
Die Entwicklung und Errichtung des Deutschen Hafenmuseums werden durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages mit insgesamt bis zu 185,5 Millionen Euro und von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg mit Mitteln in Höhe von 98 Millionen Euro gefördert. Mit den Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien wurden bereits die Sanierung und die Ertüchtigung der historischen Viermastbark PEKING finanziert.
WAS MACHT EIGENTLICH…
Elisabeth Heinisch, Veranstaltungsmanagerin im Altonaer Museum
Text: Laura Lück
Foto: Jérome Gerull
Der Galionsfigurensaal des Altonaer Museums hat Elisabeth Heinisch schon als Kind beeindruckt. Die beleuchteten hölzernen Gestalten verleihen dem weitläufigen Saal eine stimmungsvolle Atmosphäre, die ihr bis heute unter die Haut geht. Als Event und Vermietungsmanagerin entscheidet Heinisch in Abstimmung mit der Museumsleitung darüber, welchen Lesungen, Konzerten oder Theatervorführungen die Räumlichkeiten ihren besonderen Rahmen schenken dürfen. „Ich öffne den Galionsfigurensaal auch für NischenVeranstaltungen, die sonst nicht in einem so ehrwürdigen Haus stattfinden würden. Kleine queere Veranstaltungen oder CommunityEvents von POC (People of Colour, Anm. d. Red.) zum Beispiel.“
Heinisch ist es ein Anliegen, das Haus durch externe Vermietungen zu öffnen und Menschen zu erreichen, die das Altonaer Museum nicht als öffentlichen Ort auf dem Radar haben: „Wir sind der Meinung, dass Museen für alle Menschen leicht zugänglich sein sollten – unabhängig von Nationalität, Religion, Hautfarbe und Geschlechtsidentität, Bildung, körperlichen, psychischen oder finanziellen Einschränkungen.“ Bei öffentlichen Veranstaltungen platziert sie auch immer eine Person am Eingang, die alle Besucher begrüßt. „Wenn jemand an der Tür steht und sagt: ‚Guten Tag, kommen Sie doch rein‘, passieren die schönsten Dinge“, versichert Heinisch. „Stolpern Passanten spontan bei Ausstellungseröffnungen herein und haben eine gute Zeit, geht mein Herz auf. Kommen sie nach dem Event zu den regulären Öffnungszeiten wieder, ist das natürlich umso schöner.“
Im zweiten Stock des Museums befindet sich der Hörsaal, ein ehemaliger Vorführraum und innenarchitektonische Zeitkapsel, die sich je nach Bedarf verwandelt: in Workshopflächen für
Werbeagenturen und Schülerprojekte oder in das Parkett für ukrainische Tanzgruppen. Heinisch erinnert sich an die Anfrage einer pensionierten Opernsängerin, die anbot, im Museum zu singen: „Der Gewölbesaal bot dafür die perfekte Akustik. Ihr Auftritt war ein echtes Highlight während des Museumsbetriebs.“ Noch mehr Raum für Events bietet die Vierländer Kate, ein 300 Jahre altes Bauernhaus, das im Altonaer Museum Stein für Stein wieder aufgebaut wurde. Das charakteristische Gemäuer eignet sich für Veranstaltungen im kleineren oder privaten Kreis. „Eine tolle Location für kleine Singer Songwriter Konzerte“, findet Heinisch. „Und die Band Blond hat hier kürzlich ihr aktuelles Video gedreht.“ Ihr Job erlaubt Elisa
beth Heinisch jeden Tag Zugang zu anderen Welten. Die ständige Begegnung mit verschiedenen Gästen, Bedürfnissen und Ansprachen empfindet sie als sehr bereichernd, denn: „Unsere Gäste sind so divers wie unsere Räume.“
Vor ihrer Tätigkeit im Altonaer Museum war Elisabeth Heinisch in der Werbebranche tätig. Im Kulturbereich findet sie heute echte Erfüllung. „Ich bin kein Mensch, der 9 to 5 eine ruhige Kugel schiebt. Dafür habe ich zu viel Energie. Außerdem bin ich froh, als POC mit meiner Position Sichtbarkeit und Vielfalt in den Kulturbetrieb zu bringen“, erklärt sie. Seit drei Jahren ist sie nun im Altonaer Museum. Das Haus ist seither voller und bunter geworden: „Durch meinen werblichen Hintergrund schaffe ich es in der Akquise neue Zielgruppen anzusprechen. Außerdem mag ich das Haus selbst so sehr. Das hilft, um auch beim Kunden den Funken zu entzünden.“ Von Heinischs mitreißender Energie profitiert auch ihr Team: „Ich kann einen Raum halten, auch wenn es spät ist und alle müde sind. Dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten Spaß haben, sehe ich ebenfalls als meine Aufgabe. Dafür braucht es die nötigen Strukturen, gute Organisation, klare Kommunikation und Wertschätzung.“ Heinisch arbeitet Hand in Hand mit ihrer Assistentin Alischa Levermann und einem Stamm von Supervisoren, die sie bei der Betreuung von Veranstaltungen unterstützen. Drei Events pro Woche wären allein nicht stemmbar. „Ohne die Hausmeisterei wäre ich auch aufgeschmissen. Und unser Techniker ist Gold wert – eine Seele von Mensch, der die verrücktesten Dinge umsetzen kann. Einen Livestream bei Regen aus dem Park in den Galionsfigurensaal zum Beispiel.“
Einen Höhepunkt ihres Arbeitsjahrs markiert die jährliche Kooperation mit der altonale. Mit sechs Events pro Tag wird es dann sehr geschäftig im Museum. „Ich finde es klasse, wenn es im Haus so rappelt. Ich brauche und liebe das, bin aber auch froh, wenn im Anschluss die Sommerpause folgt“, gibt Heinisch lachend zu. Bei Großveranstaltungen ähnlichen Kalibers wie etwa der Langen Nacht der Museen springt sie auch mal bei der Leitung der Besucherströme ein. An anderen Tagen organisiert sie Sitzungen der Stadt und schüttelt die Hand des Bürgermeisters oder steht selbst auf der Bühne, um das Haus und seine Regeln vorzustellen. „Gäste vergessen gelegentlich, dass sie sich in einem Museum befinden. Wenn bei Events Alkohol konsumiert wird,
ICH BIN KEIN MENSCH, DER
9 TO 5 EINE RUHIGE KUGEL SCHIEBT. DAFÜR HABE ICH
ZU VIEL ENERGIE
“
engagiere ich lieber ein paar mehr Sicherheitskräfte. Nachts allein im Museum packt die Gäste nämlich schnell der Entdeckergeist.“ Abendveranstaltungen finden deshalb meist im Foyer oder in der Säulenhalle im Erdgeschoss statt, damit der Rest des Museums abgeriegelt werden kann.
Buffets gleicht Heinisch gern dem jeweiligen Veranstaltungsthema an. So wurde die Eröffnung der Ausstellung „Deutschland um 1980, Fotografien aus einem fernen Land“ von Retroschnittchen mit Gewürzgurken und Silberzwiebeln begleitet und bei der Eröffnung von „Pixie –70 Jahre kleine Bücher“ bot Heinisch bunte Schnuckertüten an. Zur Eröffnung der Ausstellung „Altona – Theresienstadt“ waren neben dem Landesrabbiner viele Menschen jüdischen Glaubens geladen. „Manchmal gehört auch der Besuch eines jüdischen Supermarkts zu meinem Job, weil ich mich plötzlich mit koscherem Essen beschäftigen muss. Ich finde das großartig, denn diese Art der Gestaltung macht mir Freude und ich bleibe obendrein beweglich im Kopf.“ Auf das weihnachtliche Wochenende freut sich Heinisch bereits im Frühjahr. Ihr neues Konzept hat den ehemaligen Weihnachtsmarkt im Altonaer Museum ersetzt und im vergangenen Jahr den Besucherrekord geknackt. Heinisch hat den Fokus vom Konsum auf das Beisammensein verschoben – inklusiv, familiär und für alle Geldbeutel: Der Museumseintritt ist reduziert, es gibt Konzerte und Kinder dürfen kostenfrei basteln und Märchen lauschen. „Dafür bin ich auf diesem Planeten“, sagt Elisabeth Heinisch. „Um Liebe in den Raum und die Leute zum Leuchten zu bringen. Dann geht es mir selbst auch gut.“
Laura Lück ist freie Journalistin und Autorin. Ihr Herz schlägt für Kunst, Kultur und Kulinarik. Sie schreibt u. a. für den „Genuss-Guide“ der „SZENE HAMBURG“
FÜNF FRAGEN AN...
GENIA GLOCK
Verwaltungsmitarbeiterin im Deutschen Hafenmuseum – Standort Schuppen 50A
Interviews: Matthias Seeberg
Wie lange arbeiten Sie schon in der SHMH und was genau ist Ihr Arbeitsfeld?
Ich bin seit Juli 2022 im Fachbereich Verwaltung des Deutschen Hafenmuseums tätig und kümmere mich seitdem um das administrative Alltagsgeschäft. Schnell kamen weitere Aufgabenfelder hinzu, sodass ich mittlerweile für alle Vorgänge unseres Museums rund um das Buchungsprogramm „go~mus“ die Hauptansprechpartnerin bin. Außerdem betreue ich unseren Museumsshop, der in der Winterpause 2023/2024 neben einem frischen Look auch ein neues Sortiment erhalten hat.
Mit welchem Projekt bzw. mit welchen besonderen Aufgaben sind Sie aktuell beschäftigt? Während der laufenden Saison schenke ich dem
Museumsshop viel Aufmerksamkeit, um u.a. das Sortiment weiter auszubauen. Dafür ist auch das Feedback unserer Besucherinnen und Besucher sehr wertvoll. Zugleich ist die Betreuung unserer Buchungsangebote sehr intensiv, egal ob es sich um eine Angebotserstellung, eine Terminierung oder eine kulante Umbuchung von Tickets handelt. Um unseren Gästen einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bescheren, ist es wichtig, dass auch hinter den Kulissen alles funktioniert.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten – und was am wenigsten?
Es freut mich, dass mein Job mir viel Abwechslung bietet und keine starre Büroarbeit ist. Ich bin viel im Haus und auf dem Gelände unterwegs, um Unterstützung in diversen Bereichen zu bieten. Bei uns gilt ja die alte Hafen Devise: All hands on deck. Dabei erlebe ich nicht nur die kontinuierliche inhaltliche Weiterentwicklung des Museums, sondern kann meinen ganz eigenen Beitrag dazu leisten.
Welcher ist Ihr Lieblingsort in Hamburg und was macht ihn so besonders?
Den Begriff „Lieblingsort“ wende ich für mich lieber im Plural an – dafür gibt es einfach zu viele schöne Orte in und um Hamburg. Was ich aber sagen kann: Es zieht mich auch privat häufig an die Elbe.
Welche Ausstellung haben Sie zuletzt besucht und was hat Ihnen daran besonders gefallen?
Zuletzt war ich in Weimar, um mir das BauhausMuseum anzuschauen und ein wenig auf Goethes Pfaden zu wandeln. Es gefällt mir, dass Kunst und Geschichte dort an fast jeder Ecke erlebt werden können, frei nach der im Park an der Ilm mehrfach vorzufindenden Aufforderung „Hebe deinen Blick und verweile“.
MARIO BÄUMER
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum der Arbeit
Seit wann arbeiten Sie in der SHMH und was haben Sie vorher gemacht?
Am Tag der Gründung der SHMH, am 1. Januar 2008, habe ich ein Volontariat im Museum der Arbeit begonnen, an dem ich seit 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt bin. Seit Januar 2023 leite ich dort den Fachbereich „Ausstellungen“. Nach dem Abitur war ich zunächst Berufsmusiker, habe dann Politikwissenschaft, Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Mathematik studiert und konnte meine ersten Museumserfahrungen im Deutschen HygieneMuseum Dresden sammeln.
Welche sind aktuell die größten Herausforderungen in Ihrem Arbeitsbereich?
In einem Kulturbetrieb zu arbeiten, empfinde ich bei den heutigen gesellschaftlichen Konstellationen an sich schon als eine Herausforderung. Der zunehmende Einfluss des Rechtspopulismus, die Folgen der Klimakatastrophe und ein fortschreitender neoliberaler Turbokapitalismus wirken sich nämlich auch auf unsere Arbeit aus. Im Mu
seum der Arbeit ist es uns deshalb besonders wichtig, mit unserem Programm neue Zugänge zu schaffen sowie demokratische Werte und Praktiken zu vermitteln und zu leben.
Worauf freuen Sie sich in den kommenden Wochen am meisten in unseren Museen?
Ich freue mich, dass vor einigen Wochen das neue Torhaus am Museum der Arbeit eröffnen konnte, und wir damit über einen frei zugänglichen Ort verfügen, an dem sich die Besucherinnen und Besucher partizipativ und selbstreflexiv mit Zukunftsfragen beschäftigen können. Ich freue mich vor allem für die verantwortlichen Kolleginnen, die an diesem Ort, für den sie ein spannendes Konzept umgesetzt haben, neue Erfahrungen sammeln können. Außerdem freue ich mich auf die weitere Arbeit an der Sonderausstellung „CARE! Wenn aus Liebe Arbeit wird“, die wir im Oktober eröffnen werden.
Was finden Sie an Hamburg am besten?
Im Vergleich zu fast allen anderen Städten in Deutschland finde ich Hamburg nach wie vor attraktiver. Was mich allerdings stört, ist, dass der auch hier zunehmende Fokus auf Wirtschaftswachstum und Gewinnmaximierung eine diverse Stadtentwicklung zu verhindern droht. Am besten an Hamburg finde ich, dass ich den Menschen in dieser Stadt trotz der genannten Punkte am ehesten eine notwendige Gegenbewegung zutraue.
Wenn Sie eine historische Person treffen könnten – wer wäre das und warum?
Am liebsten hätte ich einen Gesprächskreis mit Personen, die ihre Wut über Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Missstände in Kreativität transportiert haben: von Joe Strummer bis JeanMichel Basquiat, von Thomas Bernhard bis Rio Reiser, von Marcel Broodthaers bis Simone de Beauvoir.
HAMBURG DURCH DIE LINSE
Die Stadtfotografie gehört zu den Schwerpunkten des Junius Verlags. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Verleger Steffen
Herrmann mit seinem Team einige fotografische Schätze geborgen – etwa von Milan
Horacek, dessen Vorlass in die Sammlung des Museums für Hamburgische Geschichte übernommen werden soll
Text: Annette Stiekele
Der Fischmarkt, Anfang der 80er: Milan Horacek hatte einen besonderen Blick für Hamburg. Viele seiner Aufnahmen erschienen 2016 im Band „Hamburg Cityscapes“
In den 90ern kam er als Volontär, seit 2007 ist er Geschäftsführer des Junius Verlags: Steffen Herrmann
Wer an einen Buchverlag in der guten alten Print-Tradition denkt, stellt sich ein mit Papieren, Blattsammlungen, Manuskripten und Büchern voll gestelltes Büro vor. Bei Steffen Herrmann und seinem Junius Verlag ist das anders. In den Büros im vierten Stock eines Bahrenfelder Gewerbehofes ist sogar der Tisch in der Küche aufgeräumt. Zahlreiche individuelle Stahlrohr-Sessel sorgen für eine einladende Atmosphäre. In den Räumen ist seit letztem Jahr auch der Dölling und Galitz Verlag zu Hause, bei Junius selbst betreibt Herrmann das Geschäft in einem kleinem Dreierteam. Im Besucherzimmer verweist bereits ein knallbunt gestickter Wandteppich auf die Identität des Verlages. Er stammt von Petra Schoenewald und trägt den Titel „Reeperbahn“. In dem Verlag dreht sich heute nicht alles, aber doch das meiste um Hamburg. Das war nicht immer so. Der Verlag blickt auf eine schillernde Vergangenheit zurück.
VERLAGSGRÜNDUNG
Keimzelle des Verlages war eine Druckerei in Hannover. Mehrere Drucker taten sich zusammen und entwickelten eine Theoriereihe, welche dann im 1979 gegründeten Verlag aufging, der vor allem sozialwissenschaftliche und philosophische Bücher verlegte und sich der linken Theorie verschrieb. Ende der 1980er-Jahre änderte sich das durch einen Kontakt zur Hamburgischen Architektenkammer. Fortan brachte der Verlag die Architekturjahrbücher heraus. Daraus entwickelte sich ein breiteres Programm. „Zu der Zeit war es für Architekten sehr wichtig, dass sie repräsentative Bücher hatten. Dieser Markt hat sich vollkommen verändert. Heute muss man sich nicht mit einer eigenen Monografie herzeigen und kann alles über eine Homepage präsentieren“, erzählt Herrmann. Er trägt Jeans, Retro-Shirt, einen Pullover um die Schultern und seine breite Hornbrille gerne am Haaransatz. Alterslos wirkt er, das Büchermachen hält offenbar jung. Und wach. Herrmann hat Germanistik, Linguistik und Philosophie studiert und sich im Buchhandelsmarketing weitergebildet. Als Volontär stieß er in den 1990er-Jahren zum Verlag, wurde erst Vertriebsleiter, später Programmverantwortlicher. Als der Verlag wegen lange zuvor aufgehäufter Schulden nach Berlin verkauft werden sollte, erwarb er ihn 2007 einfach selbst. „Ich habe mir in der Situation meinen eigenen Arbeitsplatz gerettet. Auf diese Weise bin ich von unten reinge-
DAS EINTAUCHEN IN ALL DIESE FOTOBÄNDE IST MEHR
ALS NUR NOSTALGISCH. ES SIND EINDRINGLICHE
ZEITDOKUMENTE
wachsen in die Sache.“ Als Geschäftsführer hat er vieles erlebt: Bücher, die sich über einen langen Zeitraum sehr gut verkaufen ebenso wie Flops. Heute bestimmt er die Programmlinien, forscht nach Ideen, kümmert sich um die Umsetzung, das Lektorat, den Vertrieb. Alles andere, etwa die Grafik, ist ausgelagert. Gerade bei den für den Verlag sehr wichtigen Bänden zur Hamburger Stadtfotografie kommt es auf eine hohe Qualität an und da geht Herrmann keine Kompromisse ein. Schon lange schreibt er schwarze Zahlen. Das liegt an einem breit gefächerten, mit Liebe gehegten Programm mit den Schwerpunkten Hamburg, historische Fotografie, Popkultur, Kochen, Kinder und inzwischen auch wieder mehr Theorie.
Doch wie hat es eigentlich mit den Publikationen zur Hamburger Stadtfotografie angefangen? 2005 stieß Herrmann auf die beiden Fotografen Nicole Keller und Oliver Schumacher, die gemeinsam ein Hamburg-Buch gestalten wollten, allerdings keinen langweiligen Bildband. In „Täglich Hamburg“ (2007) sind deshalb vor allem Details zu entdecken: Reklametafeln, Hausfassaden, skurrile Beobachtungen ohne Text. „Vor 20 Jahren war das etwas sehr Besonderes. Es gab nicht diese Bilderflut und auch nicht diese Art des Bildermachens für Social Media und deswegen hat das Buch eingeschlagen wie eine Bombe“, erzählt Herrmann. Der Zeitpunkt war günstig. Denn die wissenschaftliche Reihe „Zur Einführung“ mit über 200 Bänden befand sich ebenfalls im Umbruch. „Studienliteratur hat sich immer mehr ins Digitale verschoben. Die Situation für selbst finanzierte wissenschaftliche Bücher wurde schwieriger.“ Es musste also etwas Neues her. Und da lag es nahe, Ham-
Kuriose Szene mit Affe und Pfeife: Der Fotograf und Bildreporter Gerd Mingram, genannt Germin, hielt ab den 30ern das Leben in Hamburgs Straßen fest
DAS EIGENE VIERTEL IM VISIER: THOMAS HENNING FING OHNE
JEDEN AUFTRAG AN, SEIN UMFELD ZU FOTOGRAFIEREN
Ausgelassene Stimmung mitten im Sperrmüll: Thomas Henning zog ab Mitte der Siebziger durch Hamburg und lichtete interessante Ecken und besondere Szenen ab
burg-Bücher mit besonderen historischen Fotografien zu verlegen.
In diese Zeit fiel auch der Kontakt zu dem Kurator Stefan Rahner vom Museum der Arbeit, der in der Stiftung Historische Museen Hamburg seit 2018 den Georg Koppmann Preis für Hamburger Stadtfotografie betreut. Anlässlich der Triennale der Photographie des Jahres 2015 wurden im Museum die Schubladen mit den Beständen geöffnet und es entstand die Schau „Fofftein. Leben und Arbeiten in Hamburg“. Anhand von Bildern von Gerd Mingram (1910–2001) und Thomas Henning (1952–2022) dokumentierte ein Begleitbuch das Leben in Hamburg. Henning, der sein Umfeld im Schanzenviertel fotografierte, hatte schon vorher Kontakt zu einem Vertriebsmitarbeiter der Druckerei des Junius
Verlags. Und so kam es, dass er seine Bilder präsentieren durfte. „Das war wirklich etwas Neues“, erinnert sich Steffen Herrmann. Man sieht auf den Fotografien die rußgeschwärzten Fassaden des Schulterblatts in den 1970er-Jahren, Straßenszenen, spielende Kinder, die, einander umarmend, in die Kamera blicken.
„Das Besondere ist, dass Henning ohne jeden Auftrag angefangen hat, seine nahe Umgebung festzuhalten. Mit einem hohen künstlerischen und fotografischen Anspruch.“ Auffällig ist dabei, dass er in seiner Straßenfotografie auch viele Gebäude fotografierte. „Es war sicher nicht dokumentarisch geplant, aber heute fällt total viel Information ab, wie die migrantisch geprägte Schanze ausgesehen hat.“ So entstand „Schanze, 1980“ (2011). Noch heute erhält Herrmann Anfra-
gen von längst erwachsenen Hamburgerinnen und Hamburgern, die sich auf den Fotos wiedererkennen. Später kam mit „Straßenfotos. Hamburg um 1975“ (2013) ein Schwarz-Weiß-Band hinzu, der die Stadt mit ihren Alltäglichkeiten ins Visier nahm. Schließlich das Buch zum Thema „Sperrmüll, 1983“ (2014). „Das war ein super anarchisches Ding. Den hat man damals rausgestellt und das war eine große Party“, erklärt Steffen Herrmann und grinst. „Das Buch war kein Verkaufserfolg, aber ich finde es immer noch sensationell.“
Für Herrmann war es interessant, Thomas Henning beim Arbeitsprozess zu beobachten. Wie er in Kontakt mit den Menschen trat, sie in Gespräche verwickelte und schließlich ein Foto anfragte. Ein weiteres Buch mit dem Titel „Alstereisvergnügen“ (2012) widmete sich dem Treiben auf der – damals letztmals – zugefrorenen Alster. „In dem Moment, wo es gedruckt war, brach der Frühling aus und es hat keinen mehr interessiert“, lacht Herrmann. Aber der Fotograf hatte ein wichtiges Kapitel des Verlages aufgeschlagen, denn nun boten auch andere Fotografen Herrmann Bücher an. Nur, wie wählt man da aus? „Ich entscheide intui-
tiv nach ästhetischen Gesichtspunkten“, erläutert Herrmann. Der Fotograf Walter Lüden (1914–1996) hat bis Mitte der 1960er-Jahre in Hamburg fotografiert. In seinem Band „Hamburg. Fotografien 1947–1965“ (2014) sind Bilder von der totalen Zerstörung durch den Krieg, von den Aufbaujahren und schließlich auch vom modernen Stadtleben zu sehen. Darin findet sich auch ein Klassiker der Hamburg-Fotografie bis heute: Das Unilever-Haus hinter dem Gängeviertel als Bruchstelle zwischen dem alten und dem neuen Hamburg. „Das Besondere daran war, die Fotos als großes Fotobuch zu inszenieren und nicht als regionalen Bildband.“ Das Buch verschaffte einem zuvor weitgehend unveröffentlichten Werk größere Sichtbarkeit.
HAMBURG IM SPIEGEL DER FOTOGRAFIE
Eine weitere Wegmarke im Junius-Programm ist das Werk von Albin Müller (1894–1972), das auf Umwegen an den Verlag gelangte. Wichtig seien oft Netzwerke, Kontakte und nicht immer eine Findigkeit, räumt Herrmann ein. In diesem Fall kam Müllers Sohn in Bernd Nasners Fotogeschäft in den Colonnaden und bot die Fotos an. Doch dann verlor man sich aus den Augen. Die Enkelin gab sie später an zwei Antiquare. Sie landeten auf Flohmärkten. Keines gelangte in den Besitz von Nasner, der sie eigentlich erhalten sollte und so kaufte er sie später Bild für Bild bei Ebay zurück. Das Buch „Albin Müller – Hamburg. Fotografien von 1920 bis 1970“ (2024) versammelt erstaunliche Stadtansichten mit exaktem Blick, die heute zu einer Zeitreise von hohem dokumentarischem Wert einladen. Dabei war Müller, im Hauptberuf Finanzbeamter, eigentlich Amateur. Er fotografierte viel Mittelformat mit einer Rolleiflex, auch Kleinformat mit einer Leica. „Er zeigt so eine stille Vorkriegsromantik mit ruhigen, menschenleeren Stadtansichten vor allem von Altona“, erklärt Steffen Herrmann. „Wo er dann anfängt, auch Menschen zu zeigen, war das im Grunde frühe Straßenfotografie.“
Durch ein Loch in seiner Manteltasche fotografierte Enno Kaufhold heimlich den Kiez der 70er und 80er, hier auf dem Spielbudenplatz vor der Davidwache
ENNO KAUFHOLD FING DEN MYTHOS DES KIEZES EIN, DER FÜR VIELE SEIT JEHER
EINEN SEHNSUCHTSORT BILDETE
Neben stillen
Stadtansichten
wirken Albin Müllers
Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit Menschen wie frühe Straßenfotografie
Einen individuellen Zugang zur Straßenfotografie verfolgte der Fotohistoriker Enno Kaufhold (geb. 1944). Der Kontakt zu ihm kam über den Netzwerker Günter Zint zustande, dessen Werk nun in eine Stiftung übergegangen ist. Mitte der 1970er-Jahre promovierte Kaufhold über ein historisches Fotothema und brauchte einen Ausgleich. „Da hat er ein Loch in seine Manteltasche geschnitten und immer aus der Hüfte durch das Mantelfutter fotografiert.“ Ergebnis ist das Buch „St. Pauli. Fotografien 1975–1985“ (2021). Kaufhold fing mit seiner Technik das authentische Leben auf der Straße ein, die Begegnungen in der Zwischenwelt der Herbertstraße, der Kneipe Goldener Handschuh, der Sexarbeit und der Theaterszene. Er fing den Mythos des Kiezes ein, der für viele seit jeher einen Sehnsuchtsort bildete. Keiner der Abgelichteten blickt in die Kamera. Die Kiezbewohner hielten Kaufhold für einen Spanner, aber ihm war es ernst mit dem Fotoprojekt. Kaufhold wusste, dass er aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen diese Bilder nicht zeigen konnte und so ließ er sie 40 Jahre in der Schublade liegen, bevor er sie Herrmann über Günter Zint anbot.
EINDRINGLICHE ZEITDOKUMENTE
Ein weiterer wichtiger Fotograf für den Verlag ist Milan Horacek (geb. 1946). Anlässlich des Architektur-Jahrbuches 2013 präsentierte er Brachen und Baulücken Hamburgs. „Man sieht, was für eine zerklüftete Stadt Hamburg Anfang der 1980er-Jahre noch war: mit Nachkriegsprovisorien und vielen Flachbauten“, erläutert Herrmann. So entstand im Junius Verlag schon bald das Buch „Hamburg Cityscapes“ (2016). „Das ist mein absolutes Lieblingsbuch“, erzählt Herrmann begeistert. „Das steht in der direkten Nachfolge der New American Color Photography, wie sie Stephen Shore und Joel Sternfeld geschaffen haben. Sternfeld ist mit dem Wohnmobil jahrelang durch Amerika gefahren und hat Großformatbilder gemacht.“ Sanft blättert er durch den Bildband und bleibt bei seinem Lieblingsfoto hängen. Es zeigt den Fischmarkt, nicht knallig bunt, sondern in interessanten Farbdialogen mit den damals typisch farbenfrohen Fahrzeugen. Die größte Freude verspürt Steffen Herrmann beim Prozess der Bildauswahl gemeinsam mit dem Grafiker. Beim Finden von Bildkonstellationen. Die werden üblicherweise nach dem Prinzip der Ähnlichkeit sortiert. „Aber interessant wird es erst, wenn man genau das aufbricht und eine spannungsreiche Zusammenstellung schafft.“
Das Eintauchen in all diese Bände mit Fotos, die eine vergangene Zeit dokumentieren voller Baulücken, mit einer Straßenbahn, die vom Jungfernstieg zum Lattenkamp fuhr, mit Reeperbahnbesuchern voller Sehnsüchte und einem lebendigen Kiezleben, ist mehr als nur nostalgisch. Es sind eindringliche Zeitdokumente. „Heute wäre eine derartige Straßenfotografie nicht mehr ohne Weiteres möglich. Obwohl wir in Zeiten einer Bilderflut leben, will sich kaum noch jemand fotografieren lassen“, erklärt Steffen Herrmann. Das Museum für Hamburgische Geschichte plant gerade, den Vorlass von Milan Horacek für seine Sammlung zu erwerben. Das kommt in der Hansestadt nicht häufig vor, wo es kein eigenes fotografisches Stadtarchiv mehr wie in München gibt. Gut möglich, dass sich daraus einmal eine eigene Ausstellung entwickelt. Und vielleicht auch ein schönes neues Fotobuch im Junius Verlag.
Im Junius Verlag erschienen
Hamburg Cityscapes
Mit Werken von Milan Horacek
1. Auflage 2016
96 Seiten, 69,90 Euro
Albin Müller – Hamburg. Fotografien von 1920 bis 1970 1. Auflage 2024
256 Seiten, 49,90 Euro
St. Pauli. Fotografien 1975–1985
Mit Werken von Enno Kaufhold
1. Auflage 2021
320 Seiten, 49,90 Euro
Fofftein. Leben und Arbeiten in Hamburg 1930–2014 Mit Werken von Germin, Thomas Henning und Adam Pańczuk 1. Auflage 2015
160 Seiten, 19,90 Euro
Annette Stiekele arbeitet seit über zwanzig Jahren als Kulturjournalistin mit dem Schwerpunkt Theater, Kunst und Pop in Hamburg und leitet die „Hamburger Abendblatt“-Beilage „Museumswelt“
LAKONISCHE MAGIE
Der Schriftsteller und Psychotherapeut Michael Weins verbindet in seinen Texten einen zurückgenommenen Stil mit subtilem Humor und magischem Realismus
Wie bei so vielen Schriftstellern begann es bei Michael Weins mit dem Lesen. Seine Mutter hatte eine größere Bibliothek und las von Allende bis Böll, von Wolfe bis Dürrenmatt. So kam auch der junge Michael auf den Geschmack, las sogar Gedichte, und schließlich – in einer Nacht, die er rückblickend als magisch beschreibt – flogen ihm als Teenager plötzlich wie im Rausch die Worte zu. Er schrieb selbst sein erstes Gedicht, bald sein zweites. „Im Prinzip habe ich mich durch die Epochen kopiert“, sagt Michael Weins heute über seine ersten literarischen Versuche, „von Klassik über Romantik bis Dada.“ Besonders hatte es dem Jugendlichen der Surrealismus angetan.
SCHÜLERZEITUNG UND TEENAGERJAHRE
Er las nicht nur von, sondern auch über Autoren wie André Breton, Louis Aragon oder Georges Bataille. Das Ineinandergreifen von Alltagsrealitäten und Traumwelten, von nüchterner Psychoanalyse und rauschhaften Äußerungen des Unbewussten zog ihn an. Und er scheute nicht davor zurück, mit anderen eine Schülerzeitung herauszugeben, und dort seine Gedichte abdrucken zu lassen. Er zeigte sich und er wurde gesehen. Weins begann, ein Selbstbild als Dichter und Autor zu entwickeln, ein durchaus „romantisch verklärtes“ Bild, wie er heute meint. Seine Gedanken kreisten um das Schriftstellertum, um ein dem Bürgerlichen enthobenes Dasein. Und doch überlegte er sich als Abiturient, wie er denn später einmal Geld verdienen soll. Er erinnert sich an eine Begebenheit aus dieser Zeit: „Wir waren als kleine Gruppe unterwegs und irgendwann hatte jemand die Idee, dass wir über die anderen aufschreiben sollten, was sie später sein würden.“
Text: Anselm Neft
Fotos:
Bettina Theuerkauf
Die Teenager schrieben ihre Zukunftsprognosen auf Zettel, legten sie in ein Kästchen und schworen sich, erst in vielen Jahren nachzusehen. Als Weins nach Ablauf der Frist nachsah, stand da über ihn: „rauschebärtiger Psychologe, der Gedichte in einem Kleinverlag veröffentlicht“. Heute kann er nur verblüfft anerkennen, wie exakt diese Voraussage war, wenn man den Rauschebart weglässt, und bedenkt, dass sich Michael Weins schließlich von Gedichten auf Kurzgeschichten und Romane verlegt hat. Doch das war eine Entwicklung, die über Zwischenstufen ging.
Zunächst einmal kam die Zeit nach dem Abitur, die einen Umbruch und eine Herausforderung darstellte. Die Mutter litt an psychotischen Schüben, die Michael Weins Angst machten und ihn darüber hinaus womöglich davon abhielten, dauerhaft aus Hamburg fortzugehen. Bei seiner Empfindungsfähigkeit war das aber auch nicht wirklich nötig, um weiterhin inspiriert zu werden. Für ihn sind fremde Stadtteile Hamburgs bereits voller spannender Details. Kurzum: Auch nach der Schulzeit blieb der in Köln geborene, aber in Stellingen aufgewachsene Weins in Hamburg.
DIE SCHREIBGRUPPE IN DER STUDIENZEIT
Wegen eines Bandscheibenleidens wurde er vom Wehr beziehungsweise Zivildienst freigestellt, schrieb sich, „um Zeit zu gewinnen“, für Sprache und Kultur des alten und mittelalterlichen Indien an der Hamburger Uni ein, studierte aber kaum, sondern verlebte eine bohèmehafte Zeit mit Reisen, Schreiben, Lesen und Malen. Bis er schließlich wusste, dass er Psychologie mit Nebenfach Sexualwissenschaften studieren wollte. Den dafür erforderlichen Numerus clausus konnte der
Mit klarem Blick und sanftem Lächeln:
Der Hamburger Autor und Psychotherapeut
Michael Weins
Musterschüler vorweisen. Das Studium gefiel ihm besser, vereinnahmte ihn aber keineswegs genug, um seine Schreibambitionen zu untergraben. Michael Weins dichtete weiter, suchte Gleichgesinnte und kam schließlich 1991 über einen Kommilitonen zu einer Schreibgruppe, der „AStAAutor*innenRunde“.
So lernte er auch Alexander Posch kennen. Eine Freundschaft zwischen den beiden Autoren entwickelte sich aber erst etwas später, als sie sich zufällig beim Bergwandern in Portugal begegneten. Geleitet wurde die „Autor*innenRunde“ von der Schauspielerin, Lyrikerin und ProsaAutorin Frederike Frei. „Der verdanke ich wirklich viel“, erinnert sich Weins, für den Frei eine Lehrmeisterin mit großartigem Gespür für Literatur und Menschen war. „Es war total lehrreich, eigene Texte vorzulesen und zu besprechen“, sagt er und fügt hinzu, dass es ihn auch weitergebracht habe, die Texte der anderen zu hören und einen analytischen Blick darauf zu entwickeln.
Die gefühlige Lyrik von Weins stand in der universitären Schreibgruppe nicht besonders hoch im Kurs. Knackige, oft humorvolle Kurzprosa kam besser an. Er versuchte sich bald auch in diesem Format, lernte schnell dazu, konnte die Zuhörerinnen und Zuhörer mitreißen. Er merkte, dass er verschiedene Genres nutzen konnte, um sich mit Sprache auszudrücken. Und er wollte damit nicht im stillen Kämmerlein bleiben.
DER „LAOLA CLUB“ UND
EINE WELLE AN EVENTS
„Damals waren die Bands der ,Hamburger Schule‘ das Stadtgespräch“, erinnert er sich. „Die hatten ihre Clubs und Fans und Presse. So was wollten wir auch, aber mit Literatur.“ Zusammen mit Alexander Posch gründete er 1996 den „Laola Club“, ein LiteraturEvent, bei dem jeweils ein Autor oder eine Autorin sowie eine Band auftraten. Anfangs fand „Laola“ zweiwöchentlich statt und wurde von der Publikation des kleinen Magazins „Laolita“, begleitet. Die Reihe wurde ein großer Erfolg. Das, was sich Posch und Weins vorgestellt hatten, wurde Wirklichkeit: Literaturveranstaltungen mit Bier, Kippe und Rock’n’RollFaktor. Schon ein Jahr später gründeten Weins und Posch parallel die LivUllmannShow, die sie als „Hybrid aus Literatur und anarchischem Showbiz“ verstanden. Das Konzept war nun ein anderes: Eine siebenköpfige Gruppe trat monatlich im legendären „Molotow“Club auf der Reeperbahn
Kurze Pause auf der Parkbank: Das Treffen mit Michael Weins fand auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt
WERKE
Feucht Schwamm-Verlag, 2001, 200 Seiten, nur noch gebraucht erhältlich
Goldener Reiter mairisch Verlag, Neuausgabe 2013 (2002 bei Rowohlt erschienen), 208 Seiten, 19,90 Euro Menschen der Erde Minimal Trash Art, 2024, 362 Seiten, 22,00 Euro
auf, um sich jeweils mit einem Thema wie „Schuhe“, „Haare“ oder „Raumfahrt“ zu befassen.
Im Jahr 2000 initiierte die Autorin und Literaturveranstalterin Tina Uebel einen Zusammenschluss von neun Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Verlegerinnen und Verlegern, Literaturveranstalterinnen und Literaturveranstaltern –den „Macht Club“. Mit dabei auch Posch und Weins, und ein gewisser Sven Amtsberg, der mit seinem schlagfertigen Humor und seinem abgebrühten Witz bald zum Bruder im Geiste wurde. Zu dritt gründete man 2001 die „Schischischo“, ein Format, für das sich Weins, Posch und Amtsberg jeweils einen literarischen Gast einluden, aber auch selbst absurde Kurzgeschichten lasen und das Publikum mit langen humoristischen Ansagen unterhielten.
Der „Macht Club“ jedenfalls lud monatlich Autorinnen und Autoren zu einer Leseshow im „Mojo Club“ (später an anderen Orten) ein, wurde über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt und machte Literatur für ein junges und alternatives Publikum attraktiv. In dem Umfeld erblühten auch die heute in Hamburg so populären PoetrySlams. Bis heute ist Weins als Literaturveranstalter und Bühnenliterat tätig, zum Beispiel bei „Zinnober“, der monatlichen Lesebühne in der Zinnschmelze in HamburgBarmbek – bei der auch der unverwüstliche Posch mit von der Partie ist, mit dem Michael Weins nach eigener Aussage eine „Art Seelenverwandtschaft verbindet“.
KURZGESCHICHTEN UND ROMANE
Neben dem Studium und seinen performativen Aktivitäten suchte Michael Weins auch nach Veröffentlichungsmöglichkeiten für seine Texte. Im Schwamm Verlag erschien 2001 sein Kurzgeschichtenband „Feucht“. Um bei einem größeren Verlag zu publizieren, musste aber wohl ein Roman her. Als Weins damals bei Erscheinen den MegaBestseller „Generation Golf“ von Florian Illies las, überkam ihn die Wut – und eine Idee. Er wollte seine Jugend in den 1980ern schildern, als Parodie auf „Generation Golf“ und gleichzeitig als autofiktionalen Bericht über das Aufwachsen eines Jungen mit einer psychisch kranken Mutter.
Über die Vermittlung der LiteraturAgentur „Graf und Graf“ ging es dann ziemlich schnell: „Goldener Reiter“ erschien 2002 bei Rowohlt. Wie seine Kurzgeschichten ist der Roman vom „Hamburger Dogma“ geprägt, einem Regelwerk, das die Literaturgruppe „Dogma“ (mit Mitglie
dern wie Gunter Gerlach oder Lou A. Probsthayn) 1999 aufgestellt hatte: Ein Satz sollte nicht mehr als fünfzehn Wörter haben, Adjektive sollten weitgehend gemieden werden, der Text im Präsens geschrieben sein. Verboten waren abgenutzte Metaphern, Perspektivwechsel, ein allwissender Erzähler und das Benennen von Gefühlen (anstatt sie darzustellen).
„Goldener Reiter“ wurde ein kleiner Erfolg. Zu klein aber für einen großen Publikumsverlag wie Rowohlt. Außerdem kam Weins nicht schnell genug mit einem Roman nach. Es dauerte fünf Jahre, bis er im Hamburger mairisch Verlag „Krill“, einen kleinen Band mit Erzählungen, veröffentlichte. Es folgten die Romane „Delfinarium“ (2009) und „Lazyboy“ (2011), in denen Weins seine Liebe zum magischen Realismus anklingen lässt, aber auch seine realitätsnahe Schilderung Hamburger Örtlichkeiten und Verhältnisse. Durch die Bücher zieht sich eine melancholische Lakonie, die psychologisch so grundiert wie humorvoll abgefedert ist. Ein ganz eigener Sound, der eine größere Leserschaft verdient hätte. Dreimal wurde der Autor ausgezeichnet: 2000 und 2005 erhielt er den Förderpreis für Literatur der Freien und Hansestadt Hamburg, 2016 den HubertFichtePreis, der alle vier Jahre an einen in Hamburg lebenden Autor vergeben wird, dessen Schaffen vorzugsweise eine deutliche Beziehung zur Stadt erkennen lässt.
Anselm Neft schreibt selbst Romane. Ansonsten guckt er Horrorfilme und schreibt bei horrorundpsycho logie.de darüber
Weins arbeitet aber nicht nur als Autor. Schon während des Studiums und bis nach Abgabe seiner Diplomarbeit war er auch als Honorarkraft für den Jugendpsychiatrischen Dienst tätig. Schließlich absolvierte er die Zusatzausbildung „Verhaltenstherapie für Erwachsene“ und arbeitet seit seiner Approbation als Psychotherapeut für Erwachsene. Der Literatur hat er bis heute die Treue gehalten. 2024 erschien sein Roman „Menschen der Erde“, eine originelle Geschichte über eine deutsche Frau, die ein MapucheMädchen aus Chile adoptiert. Weins findet seine Stoffe, indem er eigene Lebensthemen ins Fiktionale projiziert. Bei „Menschen der Erde“ war die eigene Elternschaft der entscheidende Impuls. Aktuell arbeitet Weins, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Ohlsdorf lebt, an einem neuen literarischen Projekt. „Es geht um den Lebensweg meiner von Ost nach West geflüchteten Mutter“, sagt er. „Ich bin jetzt in einer Lebensphase, in der mich dieser Blick zurück und über mich hinaus interessiert.“
DAS ALTONAER MUSEUM
WÄHREND DES
NATIONALSOZIALISMUS
Kulturelle Räume sind stets auch politische Räume – so auch das Altonaer Museum. Das gilt nicht nur, aber auch für die Zeit des Nationalsozialismus. Einblicke in ein laufendes Forschungsprojekt
Text: Yvonne Robel
Ein repräsentatives Gebäude in bester Lage: das Altonaer Museum im Jahr 1943
Institutionen aus Kunst und Kultur vermittelten lange Zeit den Eindruck, als seien sie während des Nationalsozialismus mehrheitlich unpolitisch gewesen und hätten nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Vor allem in der Nachkriegszeit pflegten sie oft das Selbstbild, ein unbelasteter Raum gewesen zu sein. Zwar ist es in der Forschung inzwischen unumstritten, dass Kultur und Kunst wesentlich für die Herrschaftsausübung im Nationalsozialismus waren, aber bisher ist auf lokaler Ebene wenig dazu aufgearbeitet worden. In Hamburg lässt sich vor diesem Hintergrund aktuell ein auffallendes Aufarbeitungsinteresse beobachten. Einrichtungen wie die Stiftung Historische Museen Hamburg, die Hamburger Kunsthalle, die Hochschule für bildende Künste oder die Hamburger Bücherhallen haben eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit initiiert.
In der darin zu verortenden Forschung zum Altonaer Museum herrschte bisher bezüglich der NS-Zeit und ihrer Nachwirkungen eine Lücke. Indes zeigt sich auch mit Blick auf dessen Geschichte: Akteurinnen und Akteure aus der Kultur gestalteten Politik mit und agierten politisch – auch und gerade, wenn sie behaupteten oder versuchten, unpolitisch zu bleiben. Diesem Verhältnis von Museum und Politik lässt sich verschiedentlich auf die Spur kommen: Über den Blick auf das wissenschaftliche sowie nicht-wissenschaftliche Personal ist nach Handlungsspielräumen im Museumsalltag, nach individuellen Netzwerken, aber auch nach politikbedingten Entlassungen oder Karrieremöglichkeiten zu fragen. Anhand der Gestaltung der Dauer- und Wechselausstellungen sind ideologische Indienstnahmen und Anpassungen, aber auch inhaltliche Kontinuitäten vor 1933 und nach 1945 zu diskutieren. Die Betrachtung des Museums als Vortrags- und Veranstaltungsort ermöglicht es, nach Kooperationen mit der NSDAP, der Wehrmacht, der Hitlerjugend oder dem Bund deutscher Mädel sowie anderen explizit politischen Organisationen zu schauen und das Agieren des Museums in der Hamburger Stadtgesellschaft breiter einzuordnen. Mit Fokus auf die Sammlungen schließlich lassen sich politikbedingte Beschlagnahmungen oder unterbundene Erwerbungen näher beleuchten, aber vor allem auch Bereicherungen aus Versteigerungen jüdischen Besitzes, aus Zerstörungen von Synagogen oder aus Zwangsauflösungen privater Haushalte. Für die Rekonstruktion solcher Zusammen-
hänge stehen am Altonaer Museum wie am Hamburger Staatsarchiv zahlreiche Quellen zur Verfügung: Tätigkeitsberichte, Haushaltspläne, Besucherstatistiken, Korrespondenzen von Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern ebenso wie Erinnerungsberichte, Kataloge und Presseberichte sowie Personal-, Entnazifizierungs- und Entschädigungsakten.
MUSEALE STÄRKUNG DES GROSS-HAMBURG-GEDANKENS
Das 1901 eröffnete Altonaer Museum definierte sein Aufgabengebiet über die Region. Es sollte der Präsentation der Schleswig-Holsteinischen Landes- und Volkskunde dienen. Im Zentrum der Museumsarbeit standen zunächst die naturkundlichen Sammlungen, die kultur- und stadthistorischen Abteilungen wurden erst seit der Erweiterung des Museums zwischen 1910 und 1914 systematisch ausgebaut. Dass es sich in Altona folglich um einen besonderen Museumstyp handelte, kam durch das Groß-Hamburg-Gesetz, durch das Hamburg 1937 sein Gebiet durch die Eingemeindung Altonas, Wandsbeks, Harburgs und Bergedorfs erweiterte, auf den Punkt. Aufgrund seines Profils sah sich das Museum seit 1937 in nahezu allen Zweigen seiner Sammlungstätigkeiten in Konkurrenz: Die kunstgeschichtliche Sammlung hieß es zum Museum für Kunst und Gewerbe abzugrenzen, die kulturhistorische Sammlung zum Museum für Hamburgische Geschichte, mit seinen naturkundlichen Sammlungen konkurrierte es mit dem Naturkundlichen Museum und die neu geschaffene Abteilung für Vor- und Frühgeschichte sah es durch die Planungen rund um das Harburger Helms-Museum (heute: Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg) bedroht.
Insbesondere der seit 1931 kommissarisch, seit 1933 offiziell amtierende Direktor Hubert Stierling setzte sich aktiv gegen einen befürchteten Bedeutungsverlust des Museums zur Wehr. Dies lässt sich als ein Ausgangspunkt für ein bis in die Gegenwart reichendes Ringen um die Rolle des Altonaer Museums in Hamburg begreifen, das etwa auch im Jahr 2010 aufflammte, als Pläne des damaligen Hamburger Senats publik wurden, das Museum wegen Sparmaßnahmen schließen zu wollen.
In den 1930er-Jahren führten die Debatten über die Hamburger Museumslandschaft dazu, dass Mitarbeitende des Altonaer Museums ver-
Gewährleistete eine konfliktfreie Einbindung des Altonaer Museums in die NS-Kulturpolitik: der damalige Direktor Hubert Stierling
stärkt politisch-ideologische Argumente bedienten. Als das Museum 1938 sein 75-jähriges Jubiläum zelebrierte (man bezog sich hierbei auf die Etablierung einer ersten, zunächst privaten Sammlung in der Altonaer Sonntagsschule), war sein öffentlicher Auftritt sichtlich von jenen neuen Abgrenzungsstrategien geprägt. In Presseartikeln und Faltblättern wurde wiederholt auf die Bedeutung des Altonaer Museums für Groß-Hamburg und auf die Stärkung des Heimat- und Volksbildungsgedankens verwiesen. 1938 diente das Museum auch als Inszenierungsort für Groß-Hamburg, als es in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Niederdeutsches Hamburg eine Sonderausstellung mit dem Titel „Das war Hamburg“ präsentierte. Gezeigt wurden Aquarelle, Kupferstiche und Lithografien aus den Beständen des Museums für Hamburgische Geschichte – darunter Ansichten von der Elbe, der
Alster, dem Hafen oder von repräsentativen Gebäuden der Stadt. Die „Altonaer Nachrichten“ (20.8.1937) begriffen die Ausstellung als „gedankliche und gefühlsmäßige Ausrichtung auf den neuen Lebensraum Groß-Hamburg“. Und auch das „Hamburger Tageblatt“ (8.1.1938) sah sich „beglückt“, weil „die bodenständige Vergangenheit der Wasserkante das Gefühl von Kraft und Zuversicht für die Zukunft Groß-Hamburgs auszulösen vermag“. Hier offenbarte sich, wie unmittelbar das Altonaer Museum auf politische Veränderungen reagierte und sich selbst explizit politisch verortete.
SICHTBARE VERÄNDERUNGEN IN DEN DAUERAUSSTELLUNGEN
Schienen die Blicke in die Region in der Rückschau unverdächtig, erwies sich gerade die heimatbezogene Ausrichtung des Altonaer Museums als sichtlich anschlussfähig an die nationalsozialistische Ideologie. Zugleich erfuhren ausgewählte Schwerpunkte seit 1933 eine verstärkte Aufmerksamkeit. Hierzu zählte insbesondere die vor- und frühgeschichtliche Abteilung, für dessen Leitung 1934 eigens der Prähistoriker Roland Schroeder eingestellt wurde – seit 1918/19 in Freikorps und Wehrverbänden aktiv und laut Archivdokumenten vom Museum gegenüber dem Altonaer Magistrat als „alter Kämpfer“, also früher Unterstützer des NS-Regimes eingestuft. Damit nahm das Museum eine interne Schwerpunktverlagerung von den Naturwissenschaften hin zur Vorgeschichte vor, was sich auch in der Bereitstellung von speziellen finanziellen Mitteln spiegelte. Innerhalb von zwei Jahren hatte Schroeder diesen neuen Schwerpunkt aufgebaut, sodass die vorund frühgeschichtliche Abteilung im November 1936 eröffnet werden konnte. Diese Entwicklung wurde explizit in die NS-Ideologie eingebettet. So führte das Altonaer Museum in Berichten gegenüber der damaligen Behörde aus, dass es der „Durchbruch rassischen Denkens“ sowie die „außerordentliche Bedeutung des Wissens um die Kulturhöhe unserer germanischen Ahnen und des nordischen Kreises“ notwendig gemacht habe, eine solche Abteilung aufzubauen. Offensichtlich erwies sich der neue Schwerpunkt als sichtlich kompatibel mit der nationalsozialistischen Volkstums- beziehungsweise der „Blutund Boden“-Ideologie.
Inhaltliche Eingriffe in die Dauerausstellungen sind fern solcher Schwerpunktsetzungen
schwierig nachzuzeichnen, weil die entsprechenden Kataloge nicht regelmäßig neu aufgelegt wurden. Was sich jedoch als unmittelbar sichtbarer Eingriff rekonstruieren lässt, ist der Rückbau einer Ausstellung zum Thema Judentum: Der Gründungsdirektor Otto Lehmann hatte 1913 von dem Hamburger Julius Hirsch eine vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammende Glücksstädter Synagogeneinrichtung erworben, die – angereichert um weitere Objekte – seit 1914 im Museum als „jüdischer Kultraum“ präsentiert wurde. Noch Anfang der 1930er-Jahre bemühte sich das Museum aktiv um die Erweiterung der Sammlung für den Raum und warb mit einer eigens erarbeiteten Sonderausstellung zu „jüdischem Kultgerät“. Unmittelbar nach Machtantritt der NSDAP wurde der Raum auf Veranlassung des Altonaer Magistrats geschlossen, Leihgaben wurden an jüdische Besitzerinnen und Besitzer sowie Hamburger Judaica-Sammler zurückgegeben. Objekte in Museumsbesitz verblieben im Haus, wurden am Kriegsende ausgelagert und ab 1964 wieder in der stadtgeschichtlichen Abteilung präsentiert.
Sichtbar, zudem mit einem personellen Einschnitt verbunden, war ein Eingriff in der Weberei-Abteilung. Ende 1933 musste Erna Satz das Museum verlassen. Die gebürtige Glücksburgerin hatte seit 1923 als selbstständige Kunstweberin in den Räumen des Museums gearbeitet, historische Webstühle vor Ort wieder in Betrieb genommen und gemeinsam mit drei bei ihr angestellten Frauen Schaumaterial präsentiert sowie Auftragsarbeiten ausgeführt. Der Ton des Museumsdirektors Erna Satz gegenüber verschärfte sich, nachdem 1933 auf ihren „jüdischen“ Vater verwiesen worden war. Ins Museum kehrte die Weberin nie wieder zurück. 1951 verstarb sie, drei Monate, nachdem ihr eine Entschädigung in Aussicht gestellt worden war.
NUR SCHEINBAR UNPOLITISCHE SONDERAUSSTELLUNGEN
Direkte Reaktionen auf tagesaktuelle Bedürfnisse waren insbesondere im Sonderausstellungsbereich möglich. Ein Beispiel für einen dortigen politisch begründeten Eingriff ist unmittelbar für 1933 belegt: Seit Februar des Jahres war Hubert Stierling im Gespräch über eine Präsentation von Bildern der expressionistischen Künstlerin Gabriele Münter, die zu den Mitbegründerinnen der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ gehörte. Münters Arbei-
INSTITUTIONEN AUS KUNST UND KULTUR VERMITTELTEN LANGE
ZEIT DEN EINDRUCK, ALS SEIEN SIE WÄHREND
DES NATIONALSOZIALISMUS MEHRHEITLICH UNPOLITISCH GEWESEN
PROVENIENZFORSCHUNG AM ALTONAER MUSEUM
Seit Anfang 2025 überprüft die Provenienzforscherin Jacqueline Malchow die Sammlungen des Altonaer Museums auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Eine Gruppe von Kunst- und Silberobjekten, Möbeln und Haushaltsgegenständen konnte in einer ersten Begutachtung sämtlicher Sammlungszugänge zwischen 1933 und 1945 als bedenklich oder potenziell belastet eingestuft werden. Diese fast 400 Objekte stehen deshalb im Fokus eines Forschungsprojekts, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste über zwei Jahre gefördert wird. Darunter befinden sich Objekte aus der zerstörten Synagoge in der Altonaer Bäckerstraße und aus dem Besitz des ehemaligen Altonaer Rabbiners Eduard Duckesz. Andere Objekte stammen direkt von Hamburger Auktionen jüdischen Eigentums oder von Kunst- und Antiquitätenhändlern, die nachweislich auf solchen Auktionen einkauften
DAS ALTONAER
MUSEUM DIENTE [...] ALS WILLKOMMENE
KULISSE FÜR DIE
SELBSTBESCHAU
PRÄSENTATIONEN ZUM ALTONAER
MUSEUM ALS HEIMATMUSEUM
Unter dem Arbeitstitel „Heimatgefühle“ setzt sich das Altonaer Museum in diesem Jahr in drei unterschiedlichen Präsentationen mit dem vielschichtigen Begriff „Heimat“ im eigenen Haus auseinander. Ab dem 11. November 2025 wird eine Installation im Saal der Bauernhausmodelle das Wirken des Gründungsdirektors Otto Lehmann (1865–1951) vor und in der Zeit des Nationalsozialismus sowie sein völkisches Verständnis von „Heimat“ reflektieren. Ab dem gleichen Zeitpunkt wird eine partizipative Präsentation im Erdgeschoss des Museums Sammlungsobjekte wie Trachten, Landschaftsgemälde und regionale Kochbücher kritisch befragen und anhand der Gegenüberstellung mit zeitgenössischen Positionen die Konstruiertheit, die Wandelbarkeit und Vielschichtigkeit des Begriffs „Heimat“ diskutieren. Bereits jetzt ist in zwei der Bauernstuben des Museums eine Hörinstallation zu Siegfried Lenz’ Roman „Heimatmuseum“ zu erleben, die in Zusammenarbeit mit dem Altonaer Theater im Gedenkjahr zu Hamburgs Ehrenbürger entstanden ist
ten sollten zunächst in Worpswede, dann in Altona, schließlich in Lübeck präsentiert werden. Offensichtlich war die für Mai vorgesehene Ausstellung auch vom Altonaer Magistrat genehmigt worden. Im April jedoch äußerte Stierling Zweifel an dem Vorhaben und verwies auf den neuen „scharfe[n] Wind“ und die seines Erachtens „sehr gefährliche“ Situation in Altona. Die Ausstellung wurde daraufhin nicht umgesetzt. Offensichtlich agierte Stierling in vorauseilender Vorsicht – nämlich in Reaktion auf die polizeiliche Schließung einer Ausstellung der Hamburgischen Sezession im Hamburger Kunstverein Ende März 1933. Im Altonaer Museum herrschte ansonsten mindestens Bereitwilligkeit, auch für eindeutig politische Veranstaltungen zur Verfügung zu stehen oder mit politischen Organisationen zu kooperieren. 1935 präsentierte das schleswig-holsteinische Heimstättenamt der NSDAP und die Deutsche Arbeitsfront in einer Altonaer Ausstellungshalle an der Flottbeker Chaussee (heute Elbchaussee) eine groß angelegte Schau zur Besiedlung Schleswig-Holsteins, bei der das Altonaer Museum als Leihgeber für zahlreiche Objekte fungierte. Nach Ablauf der Ausstellung meldete Stierling schnell Interesse an, Teile der Ausstellung, in denen es um die Landnutzung von Marsch, Watt und den Halligen ging, ins Museum zu übernehmen und der Öffentlichkeit noch im selben Jahr, 1935, als Sonderausstellung unter dem Titel „Landverlust und Landgewinnung“ zugänglich zu machen. Während hier Stierling selbst aktiv wurde, traten in anderen Fällen externe Akteure an das Museum heran, um bei der thematischen Ausgestaltung mitzureden. 1937 und 1939 richtete etwa der Deutsche Frauenclub im Deutschen Frauenwerk Ausstellungen zu einheimischen Künstlerinnen und Künstlern beziehungsweise zum Thema Volkskunst aus. Das Selbstverständnis des Museums schien bei solchen Gelegenheiten nicht sonderlich mit externen Anliegen zu kollidieren. Es ist charakteristisch, dass die inhaltliche Einbindung des Museums in die NS-Kulturpolitik sehr konfliktfrei und gleichsam auf leisen, pragmatischen Wegen verlief. Das zeigte sich auch bei der Beteiligung des Altonaer Museums an institutionsübergreifenden Veranstaltungen in Altona und Hamburg – etwa bei Buchwochen, Gewerbe- und Handwerkswochen oder Betätigungen von Vereinigungen, die sich der Pflege des „Niederdeutschen“ verschrieben hatten.
1933 aus dem Dauerausstellungsbereich entfernt: „Der jüdische Kultraum“
Als konsequente Folge dieser anpassungsbereiten Haltung kann auch die Präsentation der Propagandaausstellung „Deutschlands Kampf um seine Weltgeltung“ betrachtet werden. 1941 wurde die im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda anlässlich der reichsweiten Kriegsbuchwoche erarbeitete Ausstellung zunächst im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet. Die Ausstellungsmacher beanspruchten, so zeigen Unterlagen aus dem Museumsarchiv, einen historischen Bogen von der Wikingersiedlung Haithabu über den deutschen Ritterorden, die Hanse, die Reformation, den Dreißigjährigen Krieg und die Anfänge Preußens hin zum „Kampf und Sieg des Nationalsozialismus“ und zu den „Leistungen im Großdeutschen Reich unter der genialen Führung Adolf Hitlers“ zu schlagen. Die historische Herleitung mündete in einer Leistungsschau, die – wie es etwa in den „Norddeutschen Nachrichten“ (22.10.1941) hieß – Deutschlands „führenden Platz unter den Kulturnationen“ demonstrieren sollte. 1942 wurde die Ausstellung schließlich in Altona gezeigt. Das Altonaer Museum diente –ebenso wie zuvor das Museum für Hamburgische
Geschichte – offensichtlich als willkommene Kulisse für die in der Hamburger Öffentlichkeit hochgelobte nationalsozialistische Selbstbeschau. Besucherinnen und Besucher konnten bis 1943 Teile der Dauerausstellung und einzelne Sonderausstellungen in Altona sehen. Das Interesse schien anhaltend groß – notierte das Museum doch noch 1942 leicht steigende und bis Juni 1943 mit anhaltend hohe Besucherzahlen. Während Sammlungstätigkeiten stärker hinter den Kulissen stattfanden, waren die Ausstellungen das, was zugänglich und sichtbar für die Öffentlichkeit war. Mit dem eigenen politischen Anspruch hielt das Altonaer Museum dabei nicht hinterm Berg. Im Gegenteil: Es präsentierte sich über verschiedene Wege stets auch als politisch relevanter Ort.
Yvonne Robel arbeitet an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH). Weitere Ergebnisse wird sie in einem an der FZH geplanten Sammelband zu Kulturpolitik(en) in Hamburg während des Nationalsozialismus präsentieren, in dem verschiedene Hamburger Forschungen zusammengeführt werden sollen
PROGRAMM
Aktuelle Termine im Frühling/Sommer 2025
Alle Termine unter shmh.de
HOLZ BEWEGT
GESTALTUNG TRIFFT NACHHALTIGKEIT
Bis 6. Juli 2025 MUSEUM DER ARBEIT
Tradition trifft Zukunft: Die Ausstellung „Holz bewegt“ zeigt, wie innovativ, nachhaltig und stilvoll Holz heute gestaltet werden kann. Der renommierte norddeutsche Nachwuchswettbewerb „Holz bewegt“ bringt junge Designerinnen und Designer sowie talentierte Handwerkerinnen und Handwerker zusammen. Mit ihren kreativen Entwürfen zeigen sie, dass Umweltbewusstsein und Ästhetik kein Widerspruch sein müssen. Ob Möbelstück oder Wohnaccessoire – alle gezeigten Exponate vereinen handwerkliches Können, modernes Design und ökologische Verantwortung. Zertifizierte Materialien, recyceltes Holz und ressourcenschonende Herstellungsverfahren stehen im Mittelpunkt.
HAUPTSTRASSE DEUTSCHLAND
Fotografien von André Lützen
Bis 13. Oktober 2025
ALTONAER MUSEUM
Willkommen auf Deutschlands beliebtester Straße: der „Hauptstraße“. Kein anderer Straßenname kommt so oft vor – ganze 6451 Mal ist er in Deutschland vergeben. Für sein Fotoprojekt reiste André Lützen durch alle 16 Bundesländer und fotografierte ausschließlich Hauptstraßen. Die Bilder zeigen die Vielfalt dieser Straßen – das Verbindende und Trennende sowie das Alltägliche und Skurrile. Sie zeigen nicht nur Fassaden, sondern auch die subtile Choreografie des urbanen Lebens. In den Schaufenstern, Straßenschildern und Werbetafeln spiegelt sich eine vielschichtige Form der Selbstdarstellung wider – mal nüchtern, mal überbordend, mal unfreiwillig komisch. Lützens Fotografien gehen über eine dokumentarische Bestandsaufnahme hinaus und bieten einen künstlerischen Blick auf die Ästhetik des Alltäglichen und die Spuren der Menschen im öffentlichen Raum.
DEIN PAKET IST DA!
Shoppen auf Bestellung
Bis 3. August 2025 MUSEUM DER ARBEIT
Sich Wünsche erfüllen und dafür nicht einmal das Haus verlassen? Der Versandhandel macht das seit rund 150 Jahren möglich. Nachdem sich die ersten Unternehmen bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mit dem Versandgeschäft etablierten, begann die Branche nach dem Zweiten Weltkrieg und dem „Wirtschaftswunder“ erneut zu florieren: Am 17. August 1949 gründete Werner Otto den „Werner Otto Versandhandel“ und startete im September 1950 den OTTO-Versand. Im März 1950 begann Neckermann bereits mit dem Katalogversand. Heute hat der Versandhandel aufgrund der Digitalisierung eine neue Dimension erreicht. In der Ausstellung „Dein Paket ist da!“ im Museum der Arbeit wird der Versandhandel als ein komplexes Netzwerk aus Akteurinnen und Akteuren betrachtet. Die Ausstellung zeigt die Prozesse hinter den Kulissen, verdeutlicht den Wert und die Menge der zu leistenden Arbeit und ordnet den Versandhandel in den Kontext der modernen (Konsum-) Gesellschaft ein. Die Ausstellung, die OTTO anlässlich des 75-jährigen Jubiläums unterstützt, wird von speziellen Vermittlungsangeboten, wechselnden Veranstaltungen und einem Magazin begleitet.
RESPEKT
Eine Ausstellung übers gemeinsam Verschiedensein
18. Juni 2025 bis 12. April 2026 MUSEUM DER ARBEIT
Wie wollen wir miteinander leben – in Schule, Ausbildung und Beruf? Die interaktive Ausstellung „Respekt“ lädt vor allem Jugendliche dazu ein, zentrale Fragen zu Identität, Zugehörigkeit, Vielfalt und Gleichberechtigung zu erkunden. Dabei geht es nicht nur um Wissen, sondern vor allem um Austausch, Reflexion – und um die Frage: Wie gelingt ein respektvolles Miteinander in einer Gesellschaft, in der wir alle verschieden sind? Die von der DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund konzipierte Wanderausstellung lädt dazu ein, Vielfalt neu zu denken und eigene Vorurteile zu hinterfragen. Ob mit Videoclips, Mitmachstationen oder Diskussionsecken: Die Ausstellung macht Themen wie Diskriminierung, Vorurteile und Sprache greifbar – und regt dazu an, eigene Haltungen zu hinterfragen. „Respekt“ ist eine lebendige Einladung zum Mitdenken und Mitreden –ideal für Schulklassen, Jugendgruppen und alle, die sich für ein faires Miteinander stark machen wollen.
VERLOREN UND VERGESSEN
Wie die Speicherstadt vor dem Krieg war
Bis 29. Juni 2025 SPEICHERSTADTMUSEUM
Während des Zweiten Weltkrieges war die Speicherstadt wiederholt Ziel von Luftangriffen. Drei der 17 Speicherblöcke galten als Totalverluste, weitere zwölf zeigten teils so massive Schäden, dass mit Kriegsende nur noch einzelne Abschnitte intakt waren. Die Schau dokumentiert die Verluste, aber auch den Wiederaufbau durch den Architekten Werner Kallmorgen.
ZUHAUSE
Ansichten eines phantastischen Ortes
Bis 30. Juni 2025 KINDERBUCHHAUS IM ALTONAER MUSEUM
Die erste Ausstellung in den neuen Räumen des Kinderbuchhauses im Altonaer Museum fragt: Was bedeutet es, zuhause zu sein, ein Zuhause zu haben oder es verlassen zu müssen? Was kann ein Zuhause sein? Erinnerungen, Familie, Sprache, Freunde? 24 Illustratorinnen und Illustratoren zeigen Werke zu einem uns alle berührenden Thema. In einer Welt, in der immer mehr Menschen ihr Zuhause verlieren, bietet die Ausstellung Anregungen zur Reflexion.
Unerzählte Geschichten aus dem Jenischpark
Bis 6. September 2026
JENISCH HAUS
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich in Europa eine regelrechte Leidenschaft für kunstvoll gestaltete Landschaftsgärten – die sogenannte Parkomanie. Auch der Jenischpark in Hamburg hat seinen Ursprung in dieser Ära und zählt heute zu den schönsten und kulturhistorisch bedeutendsten Gartenanlagen Norddeutschlands. Die Ausstellung im Jenisch Haus erzählt die wechselvolle Geschichte dieser besonderen Parklandschaft – von ihrer Entstehung als landwirtschaftliches Mustergut im Stil eines englischen Landschaftsgartens durch Caspar Voght bis hin zur klassizistischen Umgestaltung durch Martin Johan Jenisch. Ergänzt wird die Darstellung durch Einblicke in die Nutzung und Entwicklung des Parks im 20. Jahrhundert, darunter auch seine Rolle während der NS-Zeit und die spätere Öffnung für die Öffentlichkeit. Neben der gartenkünstlerischen und stadtgeschichtlichen Perspektive beleuchtet die Ausstellung auch bisher unerzählte Kapitel: Erstmals werden die kolonialen Handelsverflechtungen der früheren Parkbesitzer thematisiert. Auch aktuelle Fragen zum Erhalt des ökologisch wertvollen Flottbektals – seit 1982 Naturschutzgebiet – finden ihren Platz.
PARKOMANIA
Johann Jacob Gensler, Baron Voght und sein Sekretär vor dem Landsitz in Flottbek, Aquarell, 1837
VORSCHAU
BLUTIGER BODEN
Die Tatorte des NSU
15. Oktober 2025 bis 7. Juli 2026
ALTONAER MUSEUM
Süleyman Taşköprü wurde am 27. Juni 2001 in seinem Lebensmittelgeschäft in der Schützenstraße in Altona von den Terroristen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ermordet. Er war eines von zehn Todesopfern einer rechtsextremen Anschlagsserie, die zwischen 2000 und 2007 in acht deutschen Städten verübt wurde. Die Fotografin Regina Schmeken besuchte 2013 sowie 2015/2016 die Tatorte dieser Verbrechen. Ihre großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen die verstörende Normalität der Schauplätze von Hass und Gewalt mitten in deutschen Städten. Durch die Kamera werden diese Orte zu stillen Zeugnissen des Geschehenen. Der Ausstellungstitel „Blutiger
Boden“ verweist auf die NS-Propagandaformel „Blut und Boden“ – und damit auf den ideologischen Hintergrund der Täter. Die Präsentation wird somit nicht nur zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem NSU, sondern auch zu einem eindringlichen Mahnmal gegen Rassismus und Rechtsextremismus in der Gegenwart.
CARE!
Wenn aus Liebe Arbeit wird
29. Oktober 2025 bis 3. Mai 2026 MUSEUM DER ARBEIT
Care-Arbeit ist unverzichtbar für das Funktionieren der Gesellschaft – sie umfasst das Kümmern, Pflegen, Erziehen und Bilden von Menschen. Diese Tätigkeiten, die oftmals von Frauen übernommen werden, erfahren jedoch wenig Anerkennung und sind häufig schlecht bezahlt. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Diskussion über die „Systemrelevanz“ dieser Arbeit neu entfacht. Doch noch immer wird Care-Arbeit oft nicht als „echte“ Arbeit angesehen, da sie nicht den Kriterien der kapitalistischen Verwertbarkeit entspricht. Die Ausstellung „Care!“ im Museum der Arbeit beleuchtet diese Diskrepanz und lädt zu einer kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema ein. Sie wirft einen Blick auf die Geschichte der Care-Arbeit und zeigt, wie sich die Wahrnehmung und die Bedeutung dieser Tätigkeiten im Laufe der Zeit verändert haben.
MUSEUM FÜR
HAMBURGISCHE
GESCHICHTE
Holstenwall 24
20355 Hamburg
Tel. 040 428 132 100 info@mhg.shmh.de
Information
Aufgrund der Vorbereitungen einer umfassenden baulichen und inhaltlichen Modernisierung des Museums ist der Besucherverkehr derzeit eingestellt.
MUSEUM DER ARBEIT
Wiesendamm 3
22305 Hamburg
Tel. 040 428 133 0 info@mda.shmh.de
Öffnungszeiten
Montag 10–21 Uhr
Dienstag geschlossen
Mittwoch bis Freitag 10–17 Uhr
Samstag bis Sonntag 10–18 Uhr
Eintrittspreise
8,50 Euro für Erwachsene
6 Euro für Gruppen ab 10 Personen
5 Euro ermäßigt
Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
DEUTSCHES
HAFENMUSEUM
Standort Schuppen 50A
Australiastraße
20457 Hamburg
Tel. 040 428 137 130 info@deham.shmh.de
Öffnungszeiten
Montag 10–17 Uhr
Dienstag geschlossen
Mittwoch bis Freitag 10–17 Uhr
Samstag bis Sonntag 10–18 Uhr
Bis 31.Oktober
Eintrittspreise
6,50 Euro für Erwachsene
4 Euro für Gruppen ab 10 Personen und ermäßigt
Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
Copyright für alle Beiträge soweit nicht anders angegeben: Stiftung Historische Museen Hamburg
Bei Anregungen und Kritik Stiftung Historische Museen Hamburg, Matthias Seeberg, Holstenwall 24, 20355 Hamburg matthias.seeberg@presse.shmh.de
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VON DER SEINE AN DIE ELBE DIE
REISE EINES BLUMENBUCHS
Text: Mira Linzenmeier
Es ist ein unscheinbares Buch, gebunden in rissiges Leder. Doch sobald Henrike Schröder die erste Seite aufschlägt, entfaltet sich ein Farbenrausch. Als die Bibliotheksleiterin des Museums für Hamburgische Geschichte im Jahr 2024 einen lange Zeit unbeachteten Stapel Bücher aus dem Nachlass der Hamburger Familie Upnmoor durchging, offenbarte sich dieser Schatz: Das „Livre De Principes De Fleurs: Dédié Aux Dames – Buch der Blumenprinzipien: Den Damen gewidmet“ – mit 50 handkolorierten Kupferstichen in leuchtender Farbqualität und meisterlicher Ausführung.
Entstanden um 1755 in Paris, geht der Großteil der Stiche auf Louis Tessier (1719–1781) zurück. Seine floralen Kompositionen dienten als Vorlagen für Wandbespannungen, Möbelintarsien oder Textilmuster am französischen Hof. Die Blätter zeigen Einzelblumen, Bouquets, symbolreiche Tapetendekore und Buchstabenornamente – detailreich und botanisch präzise. Bemerkenswert ist, dass das Buch wohl nachträglich aus Einzelblättern zusammengestellt wurde. Vermutlich
stammt die individuelle Zusammenstellung von einem Theatermaler aus der Familie Upnmoor, der im 19. Jahrhundert Frankreich bereiste. Notizen und Abpausungen im Inneren deuten auf den aktiven Gebrauch der Werke als Arbeitsmaterial für dessen Bühnenbilder hin.
Der Nachlass der alteingesessenen Familie Upnmoor aus der Hamburger Neustadt gelangte 2024 ins Museum. Die Entdeckung des Buchs weckte sofort das Interesse der Bibliotheksleitung. Henrike Schröder begann mit der kunsthistorischen Recherche: Alle Tafeln wurden gesichtet, Signaturen geprüft, Auktionskataloge durchforstet. Vergleichbare Blätter sind selten – ganze gebundene Sammlungen nahezu unbekannt. Meist tauchen nur Einzelblätter, oft gerahmt, im Kunsthandel auf. Bis 2026 soll das Buch digitalisiert werden. „Jede und jeder, der in dieses Buch blickt, ist davon begeistert“, sagt Schröder. Das Fundstück steht exemplarisch für das Zusammenspiel von Kunst, Handwerk, privater Sammlung und musealer Forschung – und bereichert die Sammlung des Museums als seltenes Einzelstück.