Saisonvorschau Semperoper Dresden 2014/15

Page 103

gleichgeschlechtlichen Liebe. Aber der Stoff für abendfüllende Liebes­ geschichten fehlt. In Zeiten des »ad­ den, chatten und skypen« lassen vie­ le Choreografien unterschiedlichste Beziehungsmodelle und -aspekte in Highspeed, kurzen Fragmenten oder assoziativen Ebenen erkennen, je­

Keine erfüllung der liebe im diesseits doch ohne Handlungsdramaturgie. Und den Dreh- und Angelpunkt des Ganzen bildet nach wie vor die Ju­ gend. Das liegt auch in der Natur der Sache. Ballett ist eine Kunst­ form, die nur ein jugendlicher Kör­ per in Vollendung ausführen kann. Vergleichbar mit jedem Hochleis­

tungssport. Eine 70-jährige Tänze­ rin, die mit Grand Jetés durch die Lüfte jagt oder mit 32 Fouettés tri­ umphiert, würde absurd, ja lächer­ lich wirken, weil dieser Bewegungs­ kanon nicht ihrem natürlichen Alter entspricht. So präsentiert uns das Ballett nur »Kinder« der Ewigkeit … Alte Liebespaare sind noch kein abendfüllendes Thema. Als Pina Bausch ihr bahnbrechendes Meis­ terwerk »Kontakthof« im Jahr 2000 mit »Damen und Herren ab 65« neu einstudierte, kam dies einem Be­ freiungsschlag für das Tanztheater gleich, aber es blieb ein Experiment. Der Choreograf Jiří Kylián schuf 1991 mit dem Nederlands Dans Theater III zwar die erste Ballett­ company für Tänzerinnen und Tän­ zer über 40, jedoch keine passende Liebesgeschichte als abendfüllendes Handlungsballett. Margot Fonteyn, die Prima Ballerina Assoluta des Ro­ yal Balletts in London, hatte schon 1963 im Alter von 43 die Kamelien­

Foto: Holger Badekow

weil er sich in ein »Wesen«, tags Tier, nachts Mensch, des heidnischurwüchsigen Waldes verliebt und da­ mit kirchliche Regeln gebrochen hat. Immer wieder nahmen Choreo­ grafen die Herausforderung an, Zwänge und Klischees der Vergan­ genheit abzuwerfen. Sie verlegten die bekannten Geschichten in neue Zeiten und Räume, fügten Charakte­ re hinzu, ließen andere weg, arbeite­ ten tiefenpsychologisch Archetypen heraus oder eine Vieldeutigkeit und Poesie, die möglichst viele Interpre­ tationsebenen offenlässt. Dennoch blieb der tragische Ur-Mythos er­ halten und zeigt keine Erfüllung der Liebe im Diesseits. Wenn heute Choreografen auf diese alten Märchen und Litera­ turvorlagen verzichten, widmen sie sich dem Thema Liebe mit zeit­ genössischen, offenen Formen. Herkömmliche Geschlechterrollen werden hinterfragt und neue aus­ getestet. Auch Möglichkeiten der

Desdemona und Othello: Gigi Hyatt und Gamal Gouda, Hamburg Ballett John Neumeier, 1985

101


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Saisonvorschau Semperoper Dresden 2014/15 by Semperoper Dresden - Issuu