WSU10: Alexis Metzger (Hg.). Das Klima im Lichte der Geistes- und Sozialwissenschaften

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DAS KLIMA IM LICHTE

DER GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN

ALEXIS METZGER (HG.)

Wirtschafts-,Sozial-undUmweltgeschichte(WSU)

Band10

Herausgegebenvon ChristianRohr

HistorischesInstitutderUniversitätBern

DasKlimaimLichte derGeistes-und Sozialwissenschaften

AusdemFranzösischenvonKarinBecker

DiefranzösischeOriginalausgabeerschienunterdemTitel Leclimatauprismedes scienceshumainesetsociales,herausgegebenvonAlexisMetzger © ÉditionsQuæ, Versailles2021

LaboratoiredʼÉtudesenGéophysiqueetOcéanographieSpatiales –

ObservatoireMidi-Pyrénées – CNRS

UniversitätFribourg – DepartmentofGeosciences

CentredesPolitiquesdelaTerre(UniversitéParisCitéundSciencesPo).

BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek

DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.dnb.deabrufbar.

FürdiedeutschsprachigeAusgabe © 2025SchwabeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG,Basel,Schweiz DiesesWerkisturheberrechtlichgeschützt.DasWerkeinschließlichseinerTeiledarfohneschriftliche GenehmigungdesVerlagesinkeinerFormreproduziertoderelektronischverarbeitet,vervielfältigt, zugänglichgemachtoderverbreitetwerden.

DerVerlagbehältsichdasText-undData-Miningnach§44bUrhGvor,washiermitDritten ohneZustimmungdesVerlagesuntersagtist.

Coverabbildung:JohnEmsliehand-engravedartwork,1850.

Coverkonzept:iconabaselgmbh,Basel

Coverumsetzung:KathrinStrohschnieder,strohdesign,Oldenburg ÜbersetzungausdemFranzösischen:KarinBecker Korrektorat:AnjaBorkam,Langenhagen

Layout:iconabaselgmbh,Basel Satz:3w+p,Rimpar

Druck:CPIbooksGmbH,Leck PrintedinGermany

Herstellerinformation:SchwabeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG, Grellingerstrasse21,CH-4052Basel,info@schwabeverlag.ch VerantwortlichePersongem.Art.16GPSR:SchwabeVerlagGmbH, Marienstraße28,D-10117Berlin,info@schwabeverlag.de ISBNPrintausgabe978-3-7965-4942-7

ISBNeBook(PDF)978-3-7965-4943-4

DOI10.24894/978-3-7965-4943-4

DaseBookistseitenidentischmitdergedrucktenAusgabeunderlaubtVolltextsuche. ZudemsindInhaltsverzeichnisundÜberschriftenverlinkt.

rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

VI.DieKlimatologiealseinklassischesForschungsfeld

FürdievielfältigeUnterstützungdankeichCarolaBest,DetlefJahn,Cornelia Lüdecke,BerndSiebenhüner,JörnSieglerschmidtundChristianeTextorsowie denAutorinnenundAutorendiesesBandes,diemirbeiRückfragenstetsgern behilflichwaren.DarüberhinausgiltmeinbesondererDankMichaelSethefür seinekritischeLektüredesGesamtmanuskripts,AlexisMetzgerundFabrice FlückigerfürdieengagierteBetreuungdesPublikationsprojektsundChristian RohrfürdieAufnahmedesBandesindieReihe Wirtschafts-,Sozial-undUmweltgeschichte.

KarinBecker Münster,April2023

AlexisMetzger

DasKlimalässtsichaufvielfältigeWeiseerfassen,wasmitderjeweiligenLebenserfahrungundAusbildungderBetrachtendensowieeinerbestimmten,der FachrichtunggeschuldetenSichtweisezusammenhängt.DievorliegendePublikationsolleinenÜberblicküberdieseverschiedenenAnschauungengebenunddamitaufzeigen,inwelchemMaßedasWortKlima – jenachdem,umwelches FachderGeistes-undGesellschaftswissenschaftenessichhandelt – ganzunterschiedlicheDingebezeichnenkann.DabeikönnensichverschiedenemethodischeAnsätzezueinemVerständnisdesKlimasvoneinemForschungszweigzum nächstendurchausüberlagern,wodurcheszueinerneuenErkundungzuvor strenggetrennterSchichtenvonAuffassungenkommt.Sogiltbeispielsweisedas InteressevonAnthropologenundAnthropologinnensowievonEthnologenund EthnologinnenderBeziehung,dieeineGesellschaftzu«ihrem»Klimaunterhält, aberauchderenUmgangmitdemKlimawandelbzw.denMaßnahmen,mitdenensiediesementgegentritt.DabeiwerdenjeweilsandereraumzeitlicheKoordinatenzugrundegelegt:ImerstenFallwerdenWetter-undKlimaereignisseauf lokalerEbeneinihrerWechselbeziehungzueinergesellschaftlichenGruppeuntersucht.DagegenavancierenimzweitenFallVeränderungendieserGegebenheitenübereinengewissenZeitraumhinwegund/oderVorstellungenvoneinem Klimawandel,dienichtzwangsläufigmiteinembestimmtenArealverknüpft sind,zueinemdenkbarenUntersuchungsgegenstand.

InAbhängigkeitvondenjeweilsbeteiligtenFachrichtungenkanndieBezeichnungKlimafolglicheinemganzenBündelgemeinsamerBegriffsbildungen undVorstellungenentsprechen.DavonabgesehenentwickeltjedesFach – dem KlimabegriffseinerVertreter*innenentsprechend – seineeigenenMethodenzu dessenUntersuchung,diewahlweiseaufBeobachtungen,Messungen,mathematischenAnalysenoderInterviewsbasierenkönnen.Eshandeltsichalsozugleich umeinForschungsgebiet,dasaufbestimmtenMaterialienundPraktikenberuht, diesichvoneinemFachzumanderenunterscheiden.SovollziehtetwaeinForscherodereineForscherin,diemittelsderInstallationvonMessinstrumenten undderanschließendenDatenanalyseperComputerbestimmteTopoklimate untersuchen,ganzandereHandlungenalsWissenschaftler*innen,diemithilfe vonInterviews,GruppensitzungenoderteilnehmenderBeobachtunggesellschaftlicheVorstellungenvomKlimaindenBlicknehmen.Mithinbringensich dieForschendenselbstmitihrerKörperlichkeitihremStudienobjektgegenüber inunterschiedlicherWeiseein,undgeradeaufdiesesmannigfacheRüstzeugvon

Sichtweisen,Deutungen,theoretischenBezügen,MethodenundHandlungen gründetsichdieVielfaltderFachrichtungenundForschungsgebiete.Folglich zeichnensichfachübergreifendeUntersuchungenzudenAuswirkungendesKlimasunddesKlimawandelsdurchebendiesenFacettenreichtumanForschungsansätzenaus,auchwennsieweiterhindenstarkausgeprägtenVorgabender fachspezifischenSichtweisenunterliegen,diebisweilenpolarisierendwirken können.

EsistnichtAnliegendiesesBuches,dieGemeinsamkeitenalldieser Forschungsansätzehervorzuheben;viel mehrsollimGegenteileruiertwerden, inwieweitsicheinjedesFachfürsichgenommenbeiderErörterungvonKlimafragenaufeinNetzvonTheorieverweisen,ErfahrungswissenundUntersuchungsmethodenstützt.DarinliegtfolglichderersteerforderlicheSchritt,will manzueinergenauerenKenntnisdesKlimabegriffsgelangen,derjavoneiner Geistes-undGesellschaftswissenschaftzurnächstenstarkvariiert.SoweitersichtlichwurdedieserSchrittbislangstetsvielzuschnellübersprungen,mitder gelegentlichenFolgeeinerSinnentleerungdesKlimadiskurses:InfolgedessengerietdasKlimazueinernichtssagendenWorthülse,diebeliebigmiteinerganzen Reihevon(energetischen,politischenodersozialen)Belangenverknüpftwerden kann.SostelltsichdieFrage,wasdiePersonengruppen,diefür«dasKlima»auf dieStraßegehen,daruntereigentlichverstehen;obdiesvielleichtebendieses GesamtpaketfachlicherAnsichtenist,dievorallemjungeMenscheninihrem jeweiligenLebenslaufangesammelthaben;bzw.fürwelchekonkretenAspekte desKlimassieüberhaupteintreten.

DervorliegendeSammelbandverfolgtdieAbsicht,dieherkömmlicheAbkapselungfachspezifischerEpistemologienzuüberwindenundstattdessenneue HerangehensweiseninBetrachtzuziehen.EinKatalogvonFragenermöglicht einekritischeInfragestellungjenerDenkmuster,diedasVerständnisdesKlimas indeneinzelnenGeistes-undGesellschaftswissenschaftenbestimmen:Welche FachrichtungenbegreifendasKlimaeheralsglobalesPhänomen,undwelcheerfassenvielmehrregionaleKlimate?AufwelcheWeisewerdenindenverschiedenenFächern(regionaleoderglobale)Mittelwerteherangezogen?Gehtmanvon einembeständigenodervoneinemveränderlichenKlimaaus?Betrachtetman dasKlimaheutzutageohneUmschweifeunterdemBlickwinkeldesKlimawandelsunddesAusstoßesvonTreibhausgasen?InwieweitführtderKlimawandel zueinerErneuerungoderaberzueinerVerwerfungfachspezifischerErkenntnistheorienzumKlimabegriff?

IndiesemSinnestelltsichdieFrage,obanhandderjeweiligenräumlichen undzeitlichenSkala,mitderdasKlimaerfasstwird,eineKlassifikationderGeistes-undGesellschaftswissenschaftenmöglichist.RichtenmancheihrAugenmerkmehraufeinMeso-oderMikroklima,wieetwadieLiteraturwissenschaft, diebeiderUntersuchungvonErzählungen,dieineinembestimmtenLandstrich verankertsind,dieWahrnehmungundBeschreibungvonKlimaphänomenen

durchdieProtagonistenundProtagonistinnenzudeutenversucht?Oderauch dieArchitektur,denndieBauweisekannsichhöchstunterschiedlichenKlimaten derErdeanpassen?NeigenandereFächerdagegendazu,denZusammenhang zwischenKlimaundLandstrichkurzerhandaufzugeben,wiediePhilosophie? AllerdingserweistsichdiesescheinbarsoeinfacheräumlicheDifferenzierung desKlimasnachVorgabedereinzelnenFächerkeineswegsalssosachdienlich wievermutet.SothematisierenLiteraturwissenschaftler*innenauchdasWeltklima,insbesonderebeiderAnalysevonScience-Fiction-Romanen,währendPhilosophenundPhilosophinnenihrerseitsauchumeineBestimmungdesphänomenologischenVerhältnissesdesMenschenzumWetterbemühtsind,fürdas vonOrtzuOrtunterschiedenwerdenmuss.

FürdenVersuch,bestimmtefachtypischeBefundeherauszustellen,isthier einekurzeAnalysedesWortgebrauchsangebracht,undzwarhinsichtlichder VerwendungderBezeichnungenKlimaundKlimawandelbzw. ‐erwärmungim SingularundimPlural.IndernachfolgendensindalleentsprechendenNennungenfürdieeinzelnenKapiteldiesesBuchesverzeichnet(ohneBibliografienund Fußnoten).

Kapitel«Klima»«Klimate»«Klimawandel»/«Klimaerwärmung»

Archäologie6831 Geschichtswissenschaft4410

InnerhalbdereinzelnenFachrichtungen,dieindiesemBandbehandeltwerden, scheintdasInteressefürdasKlima,fürdieKlimatebzw.denKlimawandelalso aufeineResonanzzustoßen,diedochrechtungleichausgeprägtist.DieAnzahl

1 AnmerkungderÜbersetzerin:DiefranzösischeOriginalausgabeenthälteinKapitel«KlimaundErziehungswissenschaften»ausderFedervonClémentBarniaudy.Dadiesesstarkauf dasfranzösischeBildungssystemabhebt,fieldieEntscheidung,diesesindiedeutscheÜbersetzungnichtmiteinzubeziehen.

derErwähnungendieserBezeichnungenindenverschiedenenKapitelnhängtsicherlichmitderWortwahlderAutorenundAutorinnenunddemGedankengangderKapitelzusammen,dochsollendafürimFolgendentrotzdemeinige möglicheInterpretationenvorgeschlagenwerden.

ZunächsteinmalbegreifendiehistorischenFächerdenUntersuchungsgegenstandKlimaamehestenalseinenuniversellenParameterzurErläuterung dieseroderjenerEinrichtungdesMenschen,einesbestimmtenEreignissesoder eineswissenschaftlichenDenkmusters.SodannwerdenKlimate – imPlural –hauptsächlichvonGeografenundGeografinnenuntersucht,wassichinden LehrplänenderSchulenniederschlägt,aberauchvonArchitektenundArchitektinnensowieLiteraturwissenschaftler*innen(hierbeiderAnalysevonTexten des18.Jahrhunderts,derEpochederKlimatheorien,woderPluralobligatwar).

FürdieanderenFächersindesschließlichdasKlimaundderKlimawandel,die denRahmenderentsprechendenDenkformenbilden.SoberufensichbeispielsweisedieArbeitenvonWirtschaftswissenschaftler*innenaufihreBerechtigung durchdenKlimawandel,wieesdashäufigereVorkommendesAusdrucksKlimawandelimVergleichzujenemdesWortesKlimanahelegt.Dasbedeutet,dass diesemehroderwenigergehäuftenVerwendungenaucheinebestimmteEinstellungderAutorenundAutorinnenzuihremeigenenFachausdrücken.Sostützt sichetwadasKapitelüberdiePhilosophiedesKlimawandelsaufdieVorstellung vonderNotwendigkeitderFreiheitunddesPrivateigentumsalsGrundlageder freienMarktwirtschaftunddesWirtschaftswachstums.

LetztendlichhabendieGeistes-undGesellschaftswissenschaftendieHerausforderungen,diemitdemKlimaunddemKlimawandelverbundensind,in ganzunterschiedlicherWeisebewältigt.InmanchenFächernweistdieBegriffsbildungeinelangeVorgeschichteauf(wieinderPhilosophieundderGeografie),inanderenistdasInteressefürKlimafragenjüngerenDatums(wieinder Soziologie).Die«aktuellen»ForschungsgebietederrelevantenFächerblicken keineswegsaufeinevergleichbareEntwicklungszeitzurück;soreichenetwadie GeschichtswissenschaftunddiePhilosophiebisindiegriechischeAntikezurück. EtlicheFächersinderstzueinemspätenZeitpunktentstanden,obschonfrühere AutorenundAutorinneninihnendurchausihrenPlatzgehabthätten(sokann HerodotalsGeografoderalsHistorikergelten).DiehiererstellteZeitleisteverzeichnetgrobdenMoment,andemdasThemaKlimainnerhalbdereinzelnen Fächererstmalsbehandeltwurde.BeieinigenvonihnenwirderstdasProblem desKlimawandels,dasvoretwadreißigJahrenaufkam,zumAuslöserfürdiese ErweiterungdesForschungsgebiets(indernachstehendenTabelleinKursivschrift).Beiwiederanderen(wiederGeschichtswissenschaft)verleihtjetztder KlimawandeljenenStudien,dieKlimafragenmiteinschließen,einegewisseBerechtigung.

DieseZeitleistekommtnureinerÜberblicksdarstellunggleichundbildetdas höchstkomplexeVerhältniszwischendeneinzelnenFächernunddemKlimanur unzureichendab.ImFallderArchäologiewareslautLaureFontanaerstdieVerbindungvonGeologieundPaläontologie,dieeinegenaueAltersbestimmungdes MenschenaufseinerfrühestenEntwicklungsstufeermöglichte.Klimaforschung, derNachweisvonKälteperioden,dieBestimmungdervorgeschichtlichenTierwelt unddieUntersuchungmenschlicherÜberrestesindhieruntrennbarmiteinander verbunden.NimmtmanjedochjüngereKlimastudienjenerArchäologenundArchäologinnenindenBlick,diesichGesellschaftenderVergangenheitwidmen,so trittdiesesInteressenurzögerlichzutageundgiltdenihnenvorallemalsArgument,umdenUntergangvonZivilisationenmitdemHinweisaufentsprechende Klimabedingungenzuerklären.FolglichstammtdasInteressederArchäologen undArchäologinnenaneinerKlimaforschung,diedazudient,dieEntwicklung desKlimasundderverschiedenenMilieusnachzuvollziehenunddieWechselbeziehungzwischenGesellschaftenundderUmweltzuverstehen,erstausderjüngstenZeit(ausden1990erJahren)undkannzudeminAbhängigkeitvomjeweiligenUntersuchungszusammenhangstarkvariieren.

DieserSammelbandistinzweigroßeEinheitenuntergliedert.ImerstenTeil beschäftigensichdieBeiträgemitdemKlimabzw.denKlimateninderVergangenheit(Archäologie,Geschichtswissenschaft,Wissenschaftsgeschichte)undinverschiedenen – realenoderfiktiven – ZonenderErde(Architektur,Geografieund Literaturwissenschaft).DerzweiteTeil widmetsichweiterenFachrichtungen,die sichschrittweisedesThemasKlimawandelbemächtigtunddamitihrForschungsgebietweiterentwickelthaben(Soziologie,Philosophie,Ästhetik,Wirtschaftswissenschaften).

II.ArchäologieundKlima

ChristophePetit,LaureFontana

1.Einleitung

FolgtmanderAnsichtderArchäologenundArchäologinnenhabendasKlima unddieGesellschaftenderVergangenheitihrejeweilseigeneGeschichteundwerdendahermeistunabhängigvoneinanderuntersucht.Gleichwohlhabensieauch einegemeinsameGeschichte,dasiejaeinenkomplexenZusammenhangaufweisen,derteilsdirekt(wechselseitigeEinflüsse),teilsaberauchindirektist(dieUmweltbedingtdasKlimaunabhängigvonderAnwesenheitdesMenschen).Aus diesemGrundistdieVerbindungvonKlimaundGesellschaftvorallemfürjene ArchäologenundArchäologinnenvonInteresse,dieverschiedeneGesellschaften derVergangenheitstudieren,obsieüberSchriftzeugnisseverfügenodernicht.Die UntersuchungdieserWechselbeziehungstellteinForschungszieldar,dessenHerausforderungenzwaraufderEbenederGeschichtswissenschaftliegen,dessenMethodologiejedochderArchäologieentstammt.Diesebestehtnichtnurdarin,jene Klimadatenzuberücksichtigen,dievonKlimatologenundKlimatologinnendurch dieAuswertungvongeologischen,glaziologischenunddendroklimatischenQuellengewonnenwurden,sondernsieistzugleichauchumdieErstellungweiterer DatensätzeaufderBasisvonÜberrestenauseinemarchäologischenbzw.natürlichenZusammenhangbemüht.InderTatliegtdasgenerelleZielnichtnurindem EntwurfeinesRahmensausKlima-undUmweltdaten,esgehtauchumeineDarlegungderwechselseitigenEinflüssesowohlzwischenverschiedenenAspekteneinerGesellschaft(Wirtschaft,Wohnstätten,technischeSysteme,sozialeBeziehungen,symbolischesSystem)alsauchzwischendemKlimaundderUmwelt.Diese imWesentlichenanthropologischeVorgehensweiseweistdemnachmehrereEbenenvonhoherKomplexitätauf,dajazunächsteinmaleinFragenkatalogentwickeltwerdenmuss,dannDatenreihenzuerhebensind(dieaufzahlreicheFachgebietezurückgreifen)undschließlichausderenintegrierterAnalyseeineSynthese allerErkenntnissegewonnenwerdensoll.

Eskannhierwederdarumgehen,einensolchenGesamtüberblickdieserErkenntnissevorzulegen,wiesieinzwischenvonArchäologenundArchäologinnen dankdesStudiumsderVerbindungzwischenKlimaundmenschlicherGesellschaftvomPaläolithikumbiszurNeuzeiterarbeitetwurden,nochsollimFolgendendieGeschichtediesesForschungszweigesaufgezeigtwerden.Vielmehr gehteszunächstumeinePräzisierungderzurDiskussionstehendenProblematikundderverschiedenenUntersuchungsgegenstände,bevoranschließendzwei Fallbeispielevorgestelltundkommentiertwerdensollen,welcheausdemPaläo-

lithikumunddemNeolithikumstammenunddieVielschichtigkeitdesVorgehensindiesemKapitelverdeutlichensollen.DieweitereDarstellungistinsbesonderebemüht,folgendeFragenzumindestteilweisezubeantworten:Haben ArchäologenundArchäologinnenbeiderErforschungfrühererGesellschaften dieBedeutungvonKlima-odergarUmweltstudienausreichendberücksichtigt, und – solltediesderFallsein – mittelsderEntwicklungwelcherFragestellungen?MitwelchenmethodologischenArbeitsmittelnhabensiesichversehen,und inwelcheVerfahrensweisenhabensiedieseeinbezogen?WelcheForschungsergebnissehabensievorlegenkönnen?UndwiesinddiehauptsächlichenSchwierigkeitenihresAnsatzeszubeurteilen?

2.DerZusammenhangzwischenKlima, UmweltundGesellschaften:

UntersuchungsgegenstandundVerfahrensweisen

DerZusammenhangzwischendemKlimaundvergangenenGesellschaftenwurdezunächstfürdenZeitraumdesPleistozänskonstatiert,undzwarindemSpureneinerTierwelt,diedenTropenoderaucheinemkaltenKlimazuzurechnen ist,inGebietenausgemachtwurde,dieheutezueinemgemäßigtenKlimagehören.DasVorkommenvonÜberrestenunterschiedlicherTierarteninverschiedenenSedimentfüllungenalsAnzeichenwechselnderKlimateerlaubtedenNachweisvonbeträchtlichenKlimaveränderungenundvonhöchstunterschiedlichen MilieusaufderEbenevonZeitundRaum.DannhäuftensichdieBeweisefürdie zeitlichparalleleExistenzdesMenschen,nämlichdasVorkommenvonfaunischenÜberresteninSedimentfüllungen,welcheeinemenschlicheBesiedlung verrieten,sodannGravurenundGemäldevonTierenäußerstkalterKlimazonen inheutegemäßigtenRegionen(Abb.1)undschließlichdieDatierungdernatürlichenFauna.DieseBeweisegestattetendieVermutung – nochvorderEntdeckungderglazialenundinterglazialenZyklen(Kalt-undWarmphasen) –,dass derMenschinunterschiedlichenKlimatenaneinunddemselbenOrtlebte.1

DasHolozänwurdezunächstalseinErdzeitalterbetrachtet,daseinemeinheitlichenKlimaunterlag.BeiderBeschreibungderGeschichtederGesellschaftenwurdedieUmweltherangezogen,umdieEntwicklunggewisserZivilisationenzuerklären,insbesonderejener,diedasVorhandenseineinesgroßenFlusses ausnutzten,umdieangrenzendenGebietezubesiedeln,zugestaltenundseine Ressourcenzunutzen(zumBeispielinMesopotamienundinÄgypten).DieBeziehungzwischenMenschenundKlimawurdeauchanhandvonStudienzuNaturkatastrophenbelegt(wieVulkanausbrüche,Erdbeben,Überschwemmungen), wobeivorallemdiedarausfolgendenKrisendieAufmerksamkeitderArchäolo1 Z.B.Lartet,Christy1875.

Abb.1: DarstellungvonMammutsaufeinerWand derHöhlevonRouffignacausdemMagdalénien (© JeanPlassard)

genaufsichzogen.EntsprechendwurdederZusammenhangzwischendemKlimaunddenGesellschaftenoftwahrgenommen(undwirdesmanchmalimmer noch)alseinfortwährenderKampfdesMenschengegeneinenunbeherrschbaren,vonaußeneinwirkendemFaktor,wobeijedwede«Beobachtung»dieVerwundbarkeit – oderimGegenteildieWiderstandskraft – derGesellschaften aufzuzeigenschien.DasProblemdes – klima-oderumweltspezifischen – DeterminismushatdieArbeitderArchäologen(unddiederHistoriker)langeZeit geprägt,bevoreinigevonihnennachderLektürevonVeröffentlichungenvon Soziologen,AnthropologensowievonGeografen2 zubegreifenbegannen,dass diesohneBelangwar,dajadieUmweltkeinElementdarstellt,dasaußerhalbder Gesellschaftenzuverortenwäre,sonderndiesenimGegenteilinhärentistund allihreBereichedurchdringt.SeitetwadreißigJahrenschreibtsichfolglichdie archäologischeForschungzurVerbindungvonGesellschaftenundKlimaeinin eineneuartigeVerfahrensweise,diedenfrüherenAnsatzüberwindet,auchwenn überkommeneGedankengängeineinigenKonstellationenüberlebthabenaufgrundderSchwierigkeit,dieneuenHerausforderungenzusystematisieren.3

2.1.DerUntersuchungsgegenstand

DiegrundlegendeFragestellungwirdoftauffolgendeWeiseformuliert:Welche RollespieltdasKlimafürdieGeschichtevergangenerGesellschaften,undinwelchemMaßehatesihreEntwicklungbeeinflusst?Andersausgedrückt:Stelltes fürdenFortschrittvonGesellschafteneinenvorherrschenden,einenzweitrangigenodereinennursporadischenFaktordar?AllerdingsistdieseFragestellung

2 Z.B.Descola2005,2011;Godelier2007;George1971.

3 Vgl.Burnouf,Leveau2004.

indenAugenderAutorinunddesAutorsdiesesBeitragsunzutreffend,dadas Klima,dasjaintegralerTeildesÖkosystemsist,letztlich – wiedieUmwelt auch – einElementdarstellt,dasGesellschaftenimGrundeausmacht,welchees jaimmeraufihrejeweilsspezifischeWeisewahrnehmen.4 FolglichstelltdasKlimanotwendigerweiseeinenvorherrschendenFaktordarüberalldort,woeinextremesMilieuvorliegt,bzw.inGebieten,diehartenKlimaereignissenunterliegen.Ingemäßigteren,wenigerbeeinträchtigtenUmgebungenkanndieserFaktor wenigerBedeutunghaben,dochunterliegtdasKlimadennochimmerdiversen Wechselfällenbzw.einemgewissenWandel,undauchbloßejahreszeitlicheVeränderungenkönnengravierendausfallen.DochwelcheEigenschaftendasKlima auchimmerhat:EsistkeinElement,dasaußerhalbderGesellschaftliegtund beherrschtwerdenmüsste,sonderneinenBestandteilderLebensweise,dieeben geradedurchdieEinbeziehungseinerEigenschaftenentstandenist.

VielmehrwürdesichalsodieFragenacheinemVerständnisderArtund Weisestellen,wiefrühereGesellschaftendasKlimaunddieUmweltinihreGedankenweltundihreLebensweiseeinbezogenhaben,dasheißt,wiegenausiedie Veränderungen,diesichausderWechselhaftigkeitdesKlimasergeben,gehandhabthaben – eineweitauskomplexereProblematik.GenauergesagthatdieForm, inderdieseGesellschaftendenstetigenWandel,dermitdenKlima-undUmweltveränderungenzusammenhängt,wahrgenommenundüberwundenhaben,ihren AusdruckgefundeninverschiedenenLebensbereichenwieetwainderBesiedlung oderauchderAufgabevonGebieten,inderkonkretenUmsetzungdieserBesiedlungundderGestaltungdesLandstrichs,inderMobilität(VerkehrundMigration)derMenschenunddervonihnentransportiertenGüteroderauchindenVerfahrenderHerstellungundVerwaltungvonRessourcenundMilieus.

DiehauptsächlicheHerausforderungfürdiearchäologischeForschungbestehtfolglichnachderhiervertretenenMeinungvorallemdarin,dieverschiedenenProzesse,diedenAustauschzwischenGesellschaft,KlimaundUmwelt bestimmen,zurekonstruieren,anstattKlimaveränderungenimSinneeinesunmittelbarenEinflusseszubewerten.EinsolchesForschungszielgehtnämlichüberdie einfacheSuchenacheinerbestehendenVerbindungzwischendemKlimaund demSchicksalderGesellschaften,diejaoftvorallemKrisensituationenbetrifft, letztlichweithinaus:DiesbetrifftetwadasEndedesReichesvonAkkad,5 den «Kollaps»derMaya-Zivilisation6 unddenUntergangdesRömischenReiches.7 Es handeltsichalsoumeineBeschreibungderKomplexitätdesengenZusammenhangszwischenvergangenenGesellschaftenundKlima,undzwarunterBerück-

4 Z.B.Descola2005,2011;Godelier2007;Sahlins2008.

5 Kerr1998;Weiss1993.

6 Hodell,Brenner,Curtis2001;Hodellu.a.2005;Iannone2014;Kuzucuoglu,Tsirtsoni 2015.

7 Harper2017.

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