Gaffen belauschen stalken

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Gaffen, belauschen, stalken Alternative Fakten aus der Nachbarschaft



Ich besitze in der Stadt und der näheren Um­gebung eine Handvoll Liegenschaften, nichts Grossartiges, ein paar Wohnblocks und Mehr­­familienhäuser. In meiner Zeit als Eigentümer dieser Liegenschaften habe ich einige bizarre Geschichten miterlebt, aber keine davon kommt auch nur ansatzweise an die Geschehnisse an der Rosentalstrasse 9 heran. 


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Bei meinen Besuchen in dem Mehrfamilienhaus fielen mir einige dubiose Dinge auf: Im Treppenhaus herrschte ein abscheulicher Geruch, bei einem anderen Kontrollgang hörte ich ein merkwürdiges Ächzen und Klopfen. Es kam mir dann zu Ohren, dass die Bewohner des Hauses schon lange wussten, dass es in der Wohnung im 2. Stock links nicht mit rechten Dingen zugehe. Ich habe deshalb zwei Bewohnerinnen und einen Bewohner aufgefordert, der Sache nach­­zugehen – natürlich möglichst unbemerkt. Frau Lauter, eine doch schon ziemlich betagte Rentnerin, lauschte mithilfe ihres Hörgerätes stundenlang an den hell­ hörigen Wänden. Herr Busch, ein Mann mittleren Alters, erhielt von mir die Aufgabe, die Zielperson aus der Ferne zu überwachen und auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die junge Frau Schreiber zum Schluss erhielt den Auftrag, die Ziel­person direkt anzusprechen. Leider taugten die drei nicht wirklich als Detektive. Frau Lauter zum Beispiel vergass immer wieder, ihr Hörgerät ein­zuschalten und zeichnete dadurch nur Teile der Gespräche auf. Herr Busch war ständig im Schuss und liess sein Notizbuch aus Unachtsamkeit in eine Pfütze fallen. Frau Schreiber waren einige Dinge aus dem von ihr aufgezeichneten Gespräch un­angenehm, weshalb sie grosse Teile ihrer Notizen einschwärzte. Und so hatte ich dann drei unvollständige Texte vor mir und brauchte Hilfe, damit diese einen Sinn ergaben. Diese Hilfe fand ich an der PH Zürich, wo ein Heer von unterbezahlten Studenten versuchte, die Lücken in den Texten zu schliessen. Ich hatte keine grossen Hoffnungen in dieses Unterfangen gesetzt, aber wie es der Zufall wollte, kam ich mit­hilfe der Texte


tatsächlich zur Lösung des Rätsels. Drei der Texte fügten sich nämlich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Aber um zu dieser Lösung zu kommen, musste ich mich zuerst durch einen Berg von Geschichten lesen, Geschichten, die so originell sind, dass ich sie auch euch, geneigte Leserinnen und Leser, nicht vorenthalten will. Und wer weiss, vielleicht stosst auch ihr beim Lesen auf die Wahrheit darüber, was sich an der Rosentalstrasse 9 abgespielt hat. Findet die zusammenpassenden Texte und ihr findet die Wahrheit.

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FRAU LAUTER

HERR BUSCH

FRAU SCHREIBER


LORENZ VOGEL, Student aus Leidenschaft und Raucher aus Gelegenheit, hatte eine feurige Ver­mutung zu den Vorgängen im Hause. Versteckt sich hinter dieser Maskerade die Lösung oder ist es doch nur viel Rauch um nichts? Herrn Buschs Beobachtungsnotizen Protokoll: Zu beobachten ist die Wohnung im Block an der Rosentalstrasse 9, zweites Obergeschoss links. Ziel: Herausfinden, wo der seltsame Gestank, das Ächzen und Klopfen ihren Ursprung haben. Montag, 7.11.2016, 6:20 Uhr – vor dem Block der Rosentalstrasse 9

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Das Licht in der zweiten Etage, linke Wohnung, geht an. Die Umrisse einer Frau erscheinen hinter dem Vorhang des Küchenfensters. Gleichzeitig geht die Eingangstür des Blocks auf und der Mann aus der Wohnung bringt Müllsäcke raus. Er stellt die Müllsäcke direkt neben die gemeinsamen Briefkästen, obwohl sie in die grosse Mülltonne am Strassen­ rand gehören würden. Bevor er wieder zurück ins Haus geht, macht er etwas Seltsames: Er nähert sich einem roten Lieferwagen, welcher vor dem Block vorfährt, blickt prüfend in die Führerkabine des Fahrzeugs und hebt dann einen seiner volltätowierten Arme, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen, worauf dieser den Wagen anhält – wobei kaum ver­ wundert, dass er dafür keines der dafür vorgesehenen Parkfelder benutzt – und den Mann einsteigen lässt. Als der Mann das Fahr­ zeug wieder verlässt, hat er ein unförmiges, glänzendes Paket unter einen seiner buntgemusterten Oberarme geklemmt. Diese Handlung muss aufgrund ihrer verdächtigen Natur ebenso protokolliert werden wie die ordnungswidrige und unsachgemässe Abfallentsorgung des Bewohners. Im Treppenhaus kreuzt sich der Weg des verdächtigen Müllsünders mit demjenigen einer alten Dame, welche ebenfalls im Block haust. Der Mann nickt der Alten kurz zu, doch diese eilt an ihm vorbei, wobei sie sich noch weiter in ihren grauen Mantel hüllt und den Augenkontakt mit dem Mann vermeidet. Ganz offensichtlich scheint die Dame durch die kriminell wirkende Präsenz des Mannes eingeschüch­


tert zu sein. Es stinkt fürchterlich im Block und die Luft im Treppenhaus ist verhangen. Die dunstige Qualität der Luft legt den Verdacht auf Rauch im Gebäude nahe. Doch innerhalb des Hauses zu rauchen, würde einen solch undenkbar unerhörten Regelverstoss gegen die Hausordnung darstellen, dass selbst der tätowierte Müllanarchist dafür als Verdächtiger ohne weitere Beweislage vorerst nicht in Frage kommt. Der Gestank hat eine unangenehm beissende Eigenschaft und erinnert wohl am ehesten an verbranntes Haar.

12:01 Uhr – Im Keller des Blocks der Rosentalstrasse 9 Eine weitere verdächtige Begebenheit lässt sich in der Rosen­t al­ strasse 9 ausmachen: Immer wieder ist ein dumpfes Knallen aus dem Untergeschoss des Hauses zu vernehmen, als ob jemand mit einem Metallgegenstand auf etwas einschlagen würde. Das Klopfen dringt deutlich aus dem Kellerabteil der zu be­­o­bach­ t­enden Familie. Es ist unklar, was hinter der verschlossenen Kellertür vor sich geht. Der Mann aus der Wohnung erscheint im Treppenhaus und macht sich abermals auf den Weg Richtung Erdgeschoss. Dort angekommen erwartet ihn erneut der rote Lieferwagen. Das selbe verdächtige Ritual, welches schon frühmorgens beobachtet wurde, spielt sich ab. Wieder verlässt der Mann das Fahrzeug mit einer auffälligen Fracht: Nun handelt es sich um ein rotes Damenkleid, welches er behutsam an einem Kleiderbügel ins Haus transportiert. Aus dem Keller­ geschoss kommt ihm die Dame in Grau entgegen. Er bleibt kurz stehen, sagt etwas zur alten Dame und zeigt dabei verlegen auf das Kleid, worauf er eilig weitergeht.

16:23 Uhr – Im Treppenhaus des Blocks der Rosentalstrasse 9 Der Gestank im Block ist immer noch präsent. Die Frau würdigt den vorbeigehenden Nachbarn keines Blickes, erwidert dessen Gruss nicht. Sie läuft ins Untergeschoss, in den Keller des Blocks. Dort beginnt sie, wie es scheint, ihre Wäsche zu waschen. Im Fenster der Wohnung des verdächtigen Mannes erscheint erneut eine Silhouette hinter dem Vorhang. Dem Umriss nach zu urteilen handelt es sich wieder um eine Frau, wenn auch um eine eher stark gebaute. Die Figur dreht und wendet sich mehr­

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mals, wobei sie immer in die gleiche Richtung schaut, teils geradeaus, teils einen Blick über die Schultern werfend, als ob sie sich in einem Spiegel betrachten würde. Plötzlich hebt sich der Vorhang – Vorsicht ist nun angesagt, um nicht entdeckt zu werden. Einblick in die Wohnung wird gewährt und ein ab­ sur­der Anblick bietet sich: Bei der mutmasslichen Frau handelt es sich um den verhassten Müllanarchisten, welcher nun sein Fenster öffnet. Er trägt das rote Abendkleid, das er, wie es scheint, im Brustbereich ausgestopft hat. Auf dem Kopf trägt er eine platinblonde Perücke aus seidigem, langem Haar. Wieder schaut er in den Spiegel, wobei er einen seiner massigen, volltätowierten Arme kokettierend in seine Hüften stemmt. Er scheint mit dem Anblick zufrieden zu sein und greift nach einer Packung Ziga­retten. Er steckt sich einen Glimmstängel zwischen seine rot geschminkten Lippen und zündet ihn an. Skandalös! Das muss der Hausverwaltung gemeldet werden. Durch dieses Verhalten gefährdet er die ganze Mitbewohnerschaft mit erhöh­ ter Brand­gefahr und Passivrauch. Wieder beginnt sich der unverantwortlich-pyromanische Crossdresser vor dem Spiegel zu drehen und zu posieren. Dabei geschieht das Unvermeidbare: Mit seiner Zigarette steckt er die Perücke in Brand und muss sie eilig auslöschen. «Nicht schon wieder!», hört man den Mann durch das offene Fenster schreien. Brennende Perückenhaare also. Das könnte des Rätsels Lösung sein.

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AMANDA WONG, PHZH-Studentin a.D. und olfaktorisch schon immer die Nummer 1, vermutet, dass zwei Provinz­ ganoven minderwertige Ware verticken und dabei durch den üblen Geruch behindert werden. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein?


A: Ja, bin ich. Vorhin hat Dollah zwei Kisten vorbeigebracht. B: Und? Gab es Probleme? A: Nein, nichts Nennenswertes. (eine lange Pause, Seufzen) Die Qualität lässt aber zu wünschen übrig. B: Ich habe Dollah noch gesagt, dass er diesmal bessere Ware auftreiben soll. Der Stümper haut uns doch übers Ohr. (Pause) Egal, sollen wir die Lieferung anschauen?

A: Gut.

(lange nichts) A: Hast du eigentlich die Abnehmer kontaktiert? Brauer? Chen? Und Sauter? Khasib hat sich schon gemeldet. Er will die Hälfte für sich. Abgepackt, versiegelt und er möchte es frisch. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass das ein zusätzliches Risiko für uns bedeutet. Ich habe den Preis dementsprechend erhöht. Weil wir müssten sie ja zuerst ausnehmen und dann abpacken. Khasib will seine Hände nicht dreckig machen, der heimtückische Fratzke. Als könnte er die Vorarbeit nicht jemand anderem überlassen. Bis wir mit allem fertig sind, ist uns der Vermieter schon längst auf den Fersen. Neulich ist er mir im Treppenhaus begegnet und hat mich gemustert. Sogar geschnüffelt hat der. Nicht mehr lange und dann kriegt der doch Wind davon. Gib mir mal das grosse Messer. B: Natürlich merkt der alte Knacker, dass was im Busch ist! Wer denn nicht?! Unsere Ware stinkt! Da hast du dein Messer. A: Nimm dir ein Paar Plastikhandschuhe und hilf mir. Nimm alles gleich raus, wäg es ab und pack es ein. B: Können wir nicht zuerst alles aufbrechen und dann gemeinsam portionieren? A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit! B: Aber ich will nicht immer die stinkende Drecksarbeit machen, während du nie etwas davon anfassen musst. A: Ach, halt die Fresse und fang endlich an! Ich bin schon bei der Dritten, während du rumlaberst und nichts tust!

( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: S chau dir die zweite Kiste an. Dollah hat uns tatsächlich eine andere Sorte untergejubelt. Die günstigste Sorte, der kleine Scheisser! Jetzt müssen wir halt die Ware mischen, wir haben keine andere Wahl. Khasib möchte die Lieferung noch heute … B: Aber was, wenn er es bemerkt? Es ist eine Sache, wenn die Ware qualitativ nicht so gut ist, wenn wir ihm aber gemischte Portionen liefern, dann ist das Betrug, nicht? A: Ja dann, dann müssen wir halt die ganze Sache abblasen, den anderen sagen, dass wir out-of-business sind und die Kosten selber übernehmen werden. Nein, natürlich nicht! Wir machen weiter wie bisher. Verwende weiterhin die gleiche Plastikfolie. Schau zu, dass du die Andersfarbigen gleichmässig unter den Quietschgelben verteilst, sodass diese nicht gleich sichtbar sind. Und mach grössere Portionen, dann fällt es weniger auf. Sonst kriegt Khasib schnell Wind davon. Dann können wir den Laden gleich heute noch dichtmachen. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und mach das, was ich dir aufgetragen habe. B: Im Sportgeschäft gegenüber habe ich Nasenklammern für Schwimmer gesehen. Wollen wir uns nicht zwei von denen beschaffen? Das macht uns die ganze Arbeit erträglicher und dann geh ich dir auch nicht mehr so auf die Nerven. Na? A: Na gut, ich komme mit. Aber nachher machen wir gleich weiter. Du weisst, Khasib will frische DURIANS! ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


NINA VOGT, Studentin, Förderin der Kultur und Freundin von Kulturpilzen, riecht, dass etwas faul ist in den Tiefen der Rosentalstrasse. Spriesst gar des Rätsels Lösung aus diesem Fungus der Verschwörung? Frau Schreibers Begegnung mit dem Verdächtigen Es passierte am 7. November, einem strahlend blauen Tag. Ich sass im Grossraumbüro und nippte an einer heissen Tasse Tee, mir war den ganzen Tag über schon kalt. Voller Unmut dachte ich an die kaputte Heizung in meiner Wohnung, doch meine Versuche, den Hauswart telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos. So machte ich mich genervt, müde und hungrig kurz vor 18:00 Uhr auf den Heimweg. Als ich eine halbe Stunde später die Haustür aufschloss, war es düster im Flur. Sofort stieg mir der absonderliche Geruch in die Nase, der bereits seit Tagen im Treppenhaus unseres Blocks hing. Als ich nun das Licht im Flur anzündete, trübte sich meine Sicht, die Luft war fast nebelartig verhangen. Erschrocken ertastete ich mir den Weg in den Keller, ich hatte mir in den Kopf ge­setzt, mich selber an der Heizung zu versuchen. Ich hörte menschliche Geräusche. An der Waschküche vorbeigehend, sah ich schemenhaft eine Person. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und konfrontierte diese auf die Vorfälle der vergangenen Tage. Ich sagte: «Haben Sie mich erschreckt, Herr Chnäuli!! Was machen Sie hier im Dunkeln, versuchen Sie eine Leiche zu verstecken?» Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie eine zweite Person aus dem Schatten heraustrat. Mir rutschte das Herz in die Hose. War ich dazu verdammt, in einem dunklen, muffigen Keller zu sterben? Ich wartete auf das gleissende Licht, darauf, dass sich mein ganzes Leben vor meinem geistigen Auge abspielen würde, darauf, dass ich meine erste weisse Weihnacht noch einmal durchleben würde, darauf, dass ich das Horror­ wochenende in Paris, bei welchem ich meinem Ex-Freund die Kante gab, ein zweites Mal durchstehen musste. Doch es blieb aus … Nach nicht enden wollenden Minuten hörte ich Herrn Chnäuli hämisch lachen. «Sie sind ein Dummchen! Was glauben Sie denn? Dachten Sie, ich würde Ihnen meinen Vorschlag­ hammer über den Schädel ziehen? Das ist wahrlich das Letzte, was ich möchte, mein geheimes Vorhaben könnte dadurch

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Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Es steht zu viel Geld auf dem Spiel, nicht wahr, meine liebe Therese.» Er sprach mit widerlich süsser Stimme zu seinem «partner in crime». Ein zweites Mal wurde mir angst und bang. Ich machte einen fluchtartigen Schritt Richtung Türe und keinen klaren Gedanken fassend, trat ich unerledigter Dinge so schnell wie möglich den Weg in meine Wohnung an. Verstört und durch den Wind setzte ich mich an den Küchentisch, der Hunger war mir nun gänzlich vergangen. Ich rief meine beste Freundin Hannah an, um das zuvor Erlebte mit jemandem teilen zu können. Entsetzt fragte sie mich: «Hast du die Türe abgeschlossen? Ruf die Polizei, das ist doch ein Psychopath!». Plötzlich versuchte ich sie zu beruhigen, statt umgekehrt. Von unten hörte ich einen Schrei und erkannte Frau Lauters knorrige Stimme. In was für ein Irrenhaus bin ich hier gezogen? Polternd stapfte eine Person durchs Treppenhaus. Bumm, bumm … bumm, bumm. Mir fiel vor Schreck der Hörer aus der Hand. Dumpf hörte ich meine Freundin vom anderen Ende der Leitung: «Helena? Helena, ist alles in Ordnung?» Gar nichts war in Ordnung, nicht mal in meiner eigenen Wohnung war ich sicher! Ich verbarrikadierte die Türe mit einem Stuhl. Doch das Ge­ räusch stoppte nicht, jemand klopfte mit einem schweren Gegenstand an meine Haustür. Eine mir nur allzu bekannte Stimme vermeldete: «Frau Schreiber, machen Sie die Türe auf, ich bin’s Anton, Anton Busch!» Erleichtert riss ich die Tür auf. Ungläubig wurde ich von meinem Nachbarn über die Vorkommnisse der vergangenen Minuten informiert. Als ich Hals über Kopf den Keller verlassen hatte, sei mir Herr Chnäuli hinterher gerannt. Er fiel jedoch glücklicherweise vor der Tür von Frau Lauter auf die Nase. Frau Lauter, die rüstige Renterin, wartete hinter dieser, hatte sie doch die Geschehnisse lauschend mitverfolgt. Ohne zu zögern riss sie die Tür auf und schlug mit ihrem Gehstock auf Herrn Chnäuli ein. Dieser konnte, dank der ruhmreichen Tat der Frau Lauter, in Gewahr­ sam genommen werden. Nach den polizeilichen Ermittlungen wurde klar, dass Herr Chnäuli illegale Gentech-Champignons gezüchtet hatte und sie anschliessend teuer verkaufte. Seine Komplizin, Therese Mai, half ihm, den Vertrieb der Champignons abzuwickeln und so die Tatsache zu vertuschen, dass diese nicht von biologisch


abbaubarem Ursprung waren. Der Keller des Mehrfamilien­ hauses an der Rosentalstrasse 9 diente der Champignonzucht, der Gestank rührte daher, dass die beiden immer Mist in den Keller schaufelten und diesen anschliessend verbrannten. So was Absurdes!

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ERIK ALTORFER, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Katzenfan, denkt, dass ein Kadaver der Grund für den Gestank sein könnte – und dass die trauernde Besitzerin spirituelle Hilfe sucht. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Das fragst du immer. B: Entschuldige. A: Komm endlich rein und lass uns beginnen. B: Gut. (lange nichts) A: Hast du eigentlich daran gedacht, wie wir das Unglück da unten lösen können? Weil wir müssten den Waschküchenschlüssel schon längst der Frau Isevic weitergeben. B: Natürlich. Du weisst, dass du dich auf mich verlassen kannst. A: Also? B: Ich habe Weihrauch dabei. Das funktioniert immer. Reinigt die Luft und verjagt die bösen Geister. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit! B: A ber was ist daran auszusetzen. Ist doch eine prima Sache.

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Schnell und günstig. Dazu noch effizient. ch, halt die Fresse und nerv nicht weiter. Ich muss mir A: A also doch selber überlegen, wie wir das lösen können. Ich will jetzt nicht noch das Geschwätz der Nachbarn ertragen müssen. Ich muss in Stille den Tod meines Schnuggels verarbeiten können.

( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Wir haben noch zwei Minuten. Das war die Isevic, sie macht sich erst einen Tee und dann kommt sie und holt den Schlüssel. Ich kenne das. Du gehst jetzt zu ihr hoch und verwickelst sie in ein Gespräch – und ich, Mensch! Ich nehm jetzt das After Shave von Kurt – da ist noch eine Flasche, die ich nie wegwerfen konnte. Damit sollte der Gestank …Oh Gott, ausgerechnet. Dass ich Schnuggel jetzt mit Kurt ein zweites Mal … B: Aber was, wenn das nur noch mehr Fragen auslöst bei den andern? A: Ja dann, dann müssen wir halt gute Antworten bereit haben. Oder sonst bleibt nur schweigen, das ist immer gut. Eine Halsentzündung, keine Stimme mehr. Ende der Durchsage. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und geh hoch. Sie hat den Tee schon fast ausgetrunken, da bin ich mir sicher. B: Auf deine Verantwortung. Ich komme dann nicht nochmal, um den Geruch deines Kurts zu beseitigen. A: L os jetzt! Und den Weihrauch kannst du hier lassen. ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


LORIS TRENTINI, angehender Sekundarlehrer und Hunde­ liebhaber, vermutet in Frau Schreibers Notizen eine blutige Manifestierung grenzenloser Liebe. Liegt des Pudels Kern in dieser tierischen Splattergeschichte? Frau Schreibers Begegnung mit dem Verdächtigen Es passierte am 7. November, einem strahlend blauen Tag. Ich sass im Grossraumbüro und nippte an einer heissen Tasse Tee, mir war den ganzen Tag über schon kalt. Voller Unmut dachte ich an die kaputte Heizung in meiner Wohnung, doch meine Versuche, den Hauswart telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos. So machte ich mich genervt, müde und hungrig kurz vor 18:00 Uhr auf den Heimweg. Als ich eine halbe Stunde später die Haustür aufschloss, war es draussen bereits stockdunkel, trotz des strahlend blauen Tages. Die Dunkelheit fiel auf, weil sie den Flur des Mehrfamilienhauses und meine Wohnung zu durchdringen schien. Auf dem Heimweg war mir die Dunkelheit noch nicht aufgefallen, ich hing meinen Ge­ danken nach und das grelle Licht in der Strassenbahn vertrieb jegliche Gedanken an die Abgründe des Lebens. Doch nun schärften sich plötzlich meine Sinne und es befiel mich ein Gefühl der Beklommenheit. Neben der Dunkelheit stieg mir ein beissender Geruch in die Nase, der bereits seit Tagen im Treppenhaus unseres Blocks hing. Als ich nun das Licht im Flur anzündete, trübte sich meine Sicht, die Luft war fast nebelartig verhangen. Erschrocken ertastete ich mir den Weg in den Keller, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mich selber an der Heizung zu versuchen. Ich hörte menschliche Geräusche. An der Waschküche vorbeigehend, sah ich schemenhaft eine Person. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und kon­ frontierte diese mit den Vorfällen der vergangenen Tage. Ich sagte: «Frau Müller, geht es Ihnen gut?» Obwohl ich sie fast nicht erkennen konnte, bemerkte ich sofort den grauen Mantel, den Frau Müller immer trug, sobald sie aus ihrer Wohnung trat, auch wenn sie nur in die Waschküche oder zum Briefkasten lief. Frau Müller sah mich kurz an, starrte danach aber nur noch auf den Boden. «Frau Schreiber, es geht mir furchtbar!» Ich zö­ger­t e, doch ich musste die alte Dame darauf ansprechen. «Frau Müller, ich mache mir grosse Sorgen. In den vergangenen

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Tagen hörte ich Geräusche aus Ihrer Wohnung, die mich an ein Tierheim erinnerten. Jaulende Hunde, die versuchen, ihre Schmerzen von der Seele zu schreien. Miauende Katzen, die verkümmert in ihren Kisten lagen, weil sie schon so lange keine Streicheleinheiten mehr bekommen haben. Diese Geräusche mischten sich mit einem immer wiederkehrenden Schluchzen. Waren Sie das?» In diesem Moment lief Frau Müller vor Scham rot an und erzählte mir, was sich in den letzten Tagen in ihrer Wohnung abgespielt hatte. Eigentlich hatte ich mich ja um die Heizung kümmern wollen, doch so weit kam es nicht mehr. Keinen klaren Gedanken fassend, trat ich unverrichteter Dinge so schnell wie möglich den Weg in meine Wohnung an. Verstört und durch den Wind setzte ich mich an den Küchentisch, der Hunger war mir nun gänzlich vergangen. Ich rief meine beste Freundin Hannah an, um das zuvor Erlebte mit jemandem teilen zu können. Entsetzt fragte sie mich: Carmen, was ist los? So erzählte ich ihr, was mir Frau Müller ein paar Minuten vorher erzählt hatte: «Hannah, meine 83-jährige Nachbarin, Frau Müller, eine liebenswerte und nette Person, immer freundlich grüssend im Treppenhaus, hat ihren Pudel, den sie seit sieben Jahren wie einen König verwöhnt, in der Waschküche gewaschen.» «Aber das ist doch vorbildlich, endlich Mal eine Hundehalterin, die sich um ihr Tier kümmert», hauchte Hannah voller Freude in die Leitung. «Hannah, du verstehst mich nicht, der Pudel war tot und blutüberströmt! Frau Müller wollte ihrem Liebling zum Geburtstag eine spe­zielle Überraschung bieten, sie hat ja sonst niemanden. Sie kaufte ihrem Schnuggel, wie sie ihn immer nannte, einen Kuchen und platzierte sieben Kerzen darauf. Der Hund hätte dann auf den Stuhl sitzen und die Kerzen ausblasen sollen. Keine Ahnung, wie sie sich das vorgestellt hatte. Doch der Kleine entdeckte einen Büchsenöffner auf dem Tisch und streckte seinen Hals nach ihm aus. In diesem Moment steck­t en die Kerzen sein Fell in Brand, sein ganzer Bauch war in Flammen. Das Viech jaulte vor Schmerzen und rannte wie wild in der Wohnung herum. Frau Müller wusste nicht, wie sie rea­ gieren sollte, und so brannte der Arme gute drei Minuten. Auch wenn sie das Fell dann endlich mit einer Decke löschen konnte, die Schmerzen mussten höllisch gewesen sein. Frau Müller traute sich aus Scham und aus Angst, man würde ihr den Hund wegnehmen, nicht aus dem Haus, schon gar nicht zum Doktor.


So musste der Arme die nächsten Tage in der Wohnung mit Brandverletzungen dahinvegetieren. Doch irgendwann hatte sie Mitleid mit ihrem Goldschatz. Sie wollte seinem Leiden ein Ende bereiten, wusste aber nicht wie. Sie hatte gehört, dass man Hunde ersticken könne, was sie dann auch machte. Doch es funktionierte nicht, einen halben Tag später kam der Hund wieder zu Bewusstsein und röchelte vor sich hin. Also nahm sie ihr bestes Küchenmesser und schnitt dem Hund die Kehle durch. Dies muss ein furchtbarer Anblick gewesen sein, das Blut spritzte ihr an die Hände, über ihre Kleider und auch über das Fell ihres Lieblings. Es war klar, dass sie den Hund so nicht in der Wohnung lassen konnte, er musste irgendwie weg. Also entschied sie sich, ihn zu waschen, bevor sie ihn mit dem Hackebeil zerkleinern wollte. Jetzt war auch klar, woher der beissende Geruch kam – aus der Waschküche von einem toten Hund, der seit Tagen leidend vor sich hingeröchelt hatte und vor ein paar Stunden von meiner liebsten Nachbarin getötet wurde. Waschen wollte sie ihn darum, weil er ein «Begräbnis», wie sie es nannte, in Würde und sauber verdient habe.»

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MICHAEL SASDI UND MARTINA MEIENBERG, unsere grossen Talente im gemischten Doppel, denken, dass die beiden Verdächtigen mit schauspielerischem Talent die Bespitzelung narren. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Nein, meine ausgestopfte Katze ist bei mir und schläft. B: Bist du die immer noch nicht los geworden? A: Nein, sie kann nicht loslassen. B: Dann wird’s Zeit, dass du da ein bisschen nachhilfst. Lange kann ich nicht mehr warten.

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A: Ja, ich lasse sie mal ein bisschen reflektieren. A: Gut.

(lange nichts) ast du eigentlich nichts zu tun? Es ist schon spät. Weil wir A: H müssten schon längst die Alte von drüben aushorchen. B: Natürlich, aber schaff zuerst die Katze weg. A: Meine Katze ist die Abhörwanze. Nicht kapiert, Alter? B: Deine Abhörwanze? Ein verdammter Schmarotzer ist sie. Mach sie kalt, aber schnell. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit! B: Aber das tu ich doch die ganze Zeit, weil du es nicht mehr kannst. Die Katze hat dir doch komplett das Hirn vernebelt. Fehlt nur noch, dass du sagst, dass du sie liebst. A: Ach, halt die Fresse und beiss dich in den Apfel, du Birne. Und ja, ich liebe sie, was dagegen, du Schnapsdrossel?

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( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte) A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Die Lieferung ist angekommen – mit dem Schlüssel der Omi. Alles klar? B: Aber was, wenn der DIE Verpackung gewählt hat, DIE, verstehst du? A: Ja dann, dann müssten wir halt den Diamantbohrer nehmen. Oder sonst sprengen wir die Wand weg. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und ich frage mich, weshalb ich immer solche Kraftausdrücke verwenden musst. B: Ich nicht. Seit du das Bett mit der Katze teilst, bist du unbrauchbar, vollkommen unbrauchbar. Und du willst eine Wand sprengen? A: Ich habe gopfverdammi so eine Wut im Ranzen, dass …


( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************

AMANDA WONG, ehemalige Schreibtutorin und voll­ berufliche Verschwörungstheoretikerin, vermutet einen Hort der Wollust hinter verschlossenen Türen. Liegen die Antworten in diesem suburbanen Sodom? Frau Schreibers Begegnung mit dem Verdächtigen Es passierte am 7. November, einem strahlend blauen Tag. Ich sass im Grossraumbüro und nippte an einer heissen Tasse Tee, mir war den ganzen Tag über schon kalt. Voller Unmut dachte ich an die kaputte Heizung in meiner Wohnung, doch meine Versuche, den Hauswart telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos. So machte ich mich genervt, müde und hungrig kurz vor 18:00 Uhr auf den Heimweg. Als ich eine halbe Stunde später die Haustür aufschloss war es unverhofft warm! Was war geschehen, seit ich am Morgen das Haus ver­ lassen hatte? Meine Brillengläser überzogen sich mit einer hauchdünnen Schicht kleinster Wasserteilchen und ich fühlte mich in die Masoala-Halle, die ich vor ein paar Tagen besucht hatte, zurückversetzt. Halb blind tastete ich mich vor und bekam das Treppengeländer zu fassen. Nebst meiner Blindheit, die der eines Maulwurfs glich, stieg mir nun schleichend dieser beissend schweissige Geruch in die Nase, der bereits seit Tagen im Treppenhaus unseres Blocks hing. Als ich nun das Licht im Flur anzündete, trübte sich meine Sicht, die Luft war fast nebelartig verhangen. Erschrocken ertastete ich mir den Weg in den Keller, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mich selber an der Heizung zu versuchen. Ich hörte menschliche Geräusche. An der Waschküche vorbeigehend, sah ich schemenhaft eine Person. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und kon­ fron­tierte diese mit den Vorfällen der vergangenen Tage. Ich sagte: «H-h-h-ha-hallo? Wer sind Sie?» Von wegen «mutig konfrontieren» – ich schiss mir fast in die Hose vor Angst. All die Tage immer wieder dieser beissende Geruch, dieses Klopfen und Ächzen. Nun, dachte ich, würde ich der Sache auf den Grund

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gehen können. In der Sekunde aber, in der die Person ins Licht trat, wusste ich bereits, dass etwas ganz und gar nicht in Ord­nung schien. Ein schlanker Mann mittleren Alters näherte sich. Nein, er trug kein Oberteil und auch keine Hose. Vor mir stand ein halbnackter Mann, spärlich mit einem Frottiertuch bekleidet und mit einer Designer-Hornbrille auf der markanten Nase. «Na, aber hallo, meine Liebe. Bist du auch hier für die …?» Hypnotisiert, seine schweissnasse Erscheinung betrachtend, «nicküttelte», also nickte und schüttelte ich gleichsam meinen Kopf. Wie der Wackel-Dackel auf dem Armaturenbrett meines Fiats. «Ähhh, w-w-wa-was meinen Sie?», fragte ich ihn. «Na na na, ohne Passwort geht gar nichts, ma chérie!» Er nahm tief Luft und gab einen entspannten Seufzer von sich. Um was für ein dämliches Passwort ging es da? «Ohne Passwort, kein Einlass. Ohne Einlass, kein Spass», belehrte mich der Typ süffisant. Himmelherrgott, um was für einen Einlass und Spass handelte es sich hier? Aus dem Kellerkorridor drang plötzlich eine gackernde Frauenstimme. Laut rief diese: «Ich brauch mal ’ne Pause, Honey.» «Fr-frau Lauter?», stotterte ich voller Überraschung. Wie bereits dieser Brillen-Tarzan kam mir meine Nachbarin mit einem Frottiertuch um ihre steifen Hüften entgegen. Obendurch war sie so freizügig, wie Gott sie geschaffen hatte. Hinter ihr sah ich, wie der neue Nachmieter aus dem 2. Stock links sich gerade eine Zigarette anzündete und die Kellertür hinter Frau Lauter gleich wieder schloss. «Mein liebes Kind, wer hätte das gedacht! Ich wusste gar nicht, dass Sie auch gerne auf …», setzte die schrulle Alte freudig an und warf Brillen-Tarzan verheissungsvolle Blicke zu. Keinen klaren Gedanken fassend, trat ich unverrichteter Dinge so schnell wie möglich den Weg in meine Wohnung an. Verstört und durch den Wind setzte ich mich an den Küchentisch, der Hunger war mir nun gänzlich vergangen. Ich rief meine beste Freundin Hannah an, um das zuvor Erlebte mit jemandem teilen zu können. Entsetzt fragte sie mich: «Hast du?!»

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GABRIEL MATEOS SÁNCHEZ, Tutor des Schreibzentrums, Rephlex-Redaktor und B-Movie-Geek, glaubt, dass zwei Delinquenten den Chihuahua einer älteren Mieterin entführt haben und sie damit erpressen. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Ja … also ich meine nein – sie lebt noch ein wenig. B: Nicht dein Ernst? D och, sorry Mann. Ich hab’s irgendwie nicht übers Herz ge­ A: bracht … Sie schaut mich mit ihren Hundeaugen so hilflos an. B: Ich hab dir doch gesagt, du sollst … Fuck, Mann! (Stille)

20 B: Gut. (lange nichts) ast du eigentlich die alte Fotze schon angerufen? Weiss A: H sie, dass ihr Schnuggelchen hier bei uns ist? Weil wir müssten doch spätestens morgen schauen, dass wir den Deal durchziehen können. Eigentlich hätte die ganze Sache ja schon längst steigen sollen. B: Natürlich hab ich angerufen, was glaubst du denn? Hab ihr gesagt, entweder sie bringt uns die fünfzig Riesen oder ihr geliebtes Schätzlein wird zu Pedigree verarbeitet. A: Hat sie’s dir abgekauft? B: Sie hat verdammt nochmal keine Wahl, die Schlampe. Sie hat ja den Brief mit dem verdammten Foto. Fuck, Mann, auf dem Foto sieht der Rottweiler scheiss furchteinflössend aus – die hat sich sicher in die Hosen gepisst, die Alte! A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit!


… aber … hö? Was meinst du? Ich check’s nich . B: Aber  A: Ach, halt die Fresse und schmeiss die Lasagne in die Mikrowelle.

( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Was siehst du? Hä, was verdammt nochmal siehst du da drau­ssen? Ich sag’s dir, du Mongo: Da draussen siehst du meinen Garten. Und weisst du, wer da draussen in dem Garten kacken geht? Ja, genau – Hektor, mein Rottweiler. B: Aber was, wenn sie ihn auf dem Foto wiedererkennt? A: Ja dann, dann müssen wir halt deine kleinen Eier ab­ schneiden, du Vollspasst! Wie kannst du so behindert sein und ihr ein Foto von Hektor schicken?! Ich bin der Denker von uns beiden – Ich: CHEF, du fucking nochmal: NIX! Das heisst: Du machst, was ich dir sage, du erbärmliches Stück Scheisse! Und ich habe dir nicht gesagt, ihr einen Brief zu schicken! Also mach jetzt verdammt nochmal, was ich dir sage! Oder sonst muss ich dich umlegen! B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und gib dem scheiss Köter endlich die Lasagne zu fressen. B: Hä? Ich dachte, wir wollten das Viech ertränken, die Kohle absahnen und uns dann verpissen? A: Aber der Chihuahua ist doch irgendwie süss. Findest du nicht? Können wir nicht die Kohle einstreichen und den Köter auf die Bahamas mitnehmen? ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


FABIO SCHMID, Student, Schreibtutor und Bademantelträger aus Überzeugung, meint die anrüchigen Geschehnisse mit sonderlichen Schweissabsonderungen erklären zu können. Herrn Buschs Beobachtungsnotizen Protokoll: Zu beobachten ist die Wohnung im Block an der Rosentalstrasse 9, zweites Obergeschoss links. Ziel: Herausfinden, wo der seltsame Gestank, das Ächzen und Klopfen ihren Ursprung haben. Montag, 7.11.2016, 6:20 Uhr – vor dem Block der Rosentalstrasse 9 Das Licht in der zweiten Etage, linke Wohnung, geht an. Die Umrisse einer Frau erscheinen hinter dem Vorhang des Küchenfensters. Gleichzeitig geht die Eingangstür des Blocks auf und der Mann aus der Wohnung bringt Müllsäcke raus. Er stellt die Müllsäcke direkt neben die gemeinsamen Briefkästen, obwohl sie in die grosse Mülltonne am Strassen­ rand gehören würden. Bevor er wieder zurück ins Haus geht, macht er etwas Seltsames: Er streckt sich und atmet stark ein und aus. Er berührt mit seinen Händen den Boden und streckt sich erneut. Es ist suspekt, warum er nur mit einem Handtuch unterwegs ist, denn es ist kalt draussen. Irgendetwas scheint hier merkwürdig zu sein, denn die besagte Person macht das Gleiche immerwieder, ja sogar täglich, manchmal auch spät am Abend. Es stinkt fürchterlich im Block und die Luft im Treppenhaus ist verhangen. Der Mann geht die Treppen hoch und geht zurück in die Wohnung. Die schrille Stimme der Frau verschwindet. Das Licht in der Küche geht erneut an und man kann die Umrisse zweier Personen erkennen. Sie streiten sich heftig. Gegenstände fliegen durch die Luft, Gläser klirren auf dem Boden, man hört beide Personen schreien. Nicht in unserer Sprache Unverständlich. 12:01 Uhr – Im Keller des Blocks der Rosentalstrasse 9 Der Lärm in der Wohnung ist verschwunden. Nun kommt er aber vom Untergeschoss, genauer: aus dem Keller. Ich gehe der Sache nach und begebe mich vor die Kellertür. Bevor ich aber

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genau inspizieren kann, muss ich sicher sein, dass ich nicht be­­obachtet werde. Die Luft ist rein, niemand ist dort. Durch Abhören der Türe ist zunächst nichts zu erkennen. Nun ist aber ein Klopfen hörbar. Es ist nicht sicher, ob es von einer Person kommt oder von etwas anderem. Das kleine Fenster in der Tür ist beschlagen, man kann nicht hindurchsehen. Das Klopfen dringt deutlich aus dem Kellerabteil der zu beobachtenden Fa­milie. Es ist unklar, was hinter der verschlossenen Kellertür vor sich geht. Der Mann aus der Wohnung ist ein seltsamer Kerl. Immer wenn man ihn grüsst, schaut er nur auf den Boden und geht an einem vorbei, ohne den Gruss zu erwidern. Irgendetwas muss schief gelaufen sein, denn so ein Verhalten ist definitiv verdächtig.

16:23 Uhr – Im Treppenhaus des Blocks der Rosentalstrasse 9

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Der Gestank im Block ist immer noch präsent. Die Frau würdigt den vorbeigehenden Nachbarn keines Blickes, erwidert dessen Gruss nicht. Sie läuft ins Untergeschoss, in den Keller des Blocks. Dort beginnt sie, die Tür zu ihrem Kellerabteil zu öffnen. Sie verschwindet dahinter und das kleine Fenster wird wieder undurchsichtig. Was geht da drin vor sich? Die Tür ist nicht abgeschlossen und lässt sich öffnen. Langsam, langsam! Die Türklinke ist warm. Sehr merkwürdig. Nun steht die Tür offen. Dampf kommt mir entgegen. Im Innern des Raumes sind zwei Personen erkennbar. Der besagte Mann und die besagte Frau. Sie sitzen nebeneinander. Nackt. «Heilige Scheisse! Haben Sie uns nicht etwa bald genug ausspioniert?!» , schreit der Mann. «Sind Sie verrückt?!», fragt die Frau schreiend. «Wir haben Ihr Gesicht schon immer am Fenster unserer Saunatür gesehen, Sie Perversling!» Der Moment ist beängstigend, ich fühle mich unwohl. Bin ich derjenige, der verrückt ist? Das könnte des Rätsels Lösung sein. *******************************************************************


ERIK ALTORFER, Schreibtrainer und Menschenversteher, denkt sich in eine labile Dreiecksbeziehung, die einen Aus­ weg sucht, ein. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Wie immer. B: Fangen wir an, wir haben nicht viel Zeit! A: Höre ich da einen Vorwurf? B: Wieder so empfindlich, darüber haben wir doch schon gesprochen. Also. A: Gut. (lange nichts) 24 ast du eigentlich Petra gestern getroffen? Weil wir müssten A: H ihr doch eigentlich sagen, das heisst, wir müssten es ihr längst gesagt haben, ja wirklich, sie ist uns schon längst doch nicht mehr geheuer, sie bläst sich auf wie ein Mafioso, der eigentlich eine alte Tunte ist, und überdies soll sie uns endlich die 500 Franken zurückzahlen. Oder findest du, wir sollten ihr schon wieder alles durchgehen lassen? B: Natürlich nicht, oder, naja, Mensch! Petra ist doch etwas Be­ sonderes, bisher war sie uns ja auch nützlich, ich weiss wirklich nicht, ob es schlau ist, voll in den Konflikt zu gehen … A: Sie weiss genau, wie sie dich manipulieren kann. Letztes Mal hatten wir einen klaren Plan verabredet und du bist voller Elan an die Sache gegangen – und rausgekommen ist – nichts, im Gegenteil, wir wurden wieder an den Anfang zurückgeworfen. B: Ich weiss genau, was ich an Petra habe, was wir an Petra haben. Ich ruf sie jetzt an und sie soll herkommen. Und dann klären wir das. Jetzt und für immer. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch!


Denk doch mal mit! B: Aber was? A: Ach, halt die Fresse und vor allem: halt dich an die Abmachungen! ( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Wir müssen jetzt wirklich vorsichtig sein und unsere Kon­ flikte vergessen. Vielleicht werden wir belauscht, vielleicht beobachtet. Sobald Ruhe ist, versuchst du durch die Garage nach draussen zu kommen. B: Aber was, wenn wir uns aus den Augen verlieren? Ich kann mich doch nicht einfach so allein auf den Weg machen. A: Ja dann, dann müssen wir halt doch Petra rufen. Sie kennt die Wege – und wenn sie in die Enge getrieben wird, kann sie sich immer wieder befreien – und zieht Vorteile aus jeder noch so brenzligen Situation. Oder sonst fackeln wir die Hütte hier ab und hauen ab nach Luxemburg. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und mach vorwärts. Luxemburg wartet nicht! Du bist so entscheidungsschwach. Du wolltest schon nicht nach Andorra, Malta und schon gar nicht nach Tunesien. Jetzt muss was gehen. B: Das Ausland. Das hab ich schon längst hinter mir. Wir müssen einen Weg finden, der ein Zurück ermöglicht, wir können nicht alle Brücken hinter uns abreissen. Und sowieso, du weisst, dass ich keinen Pass habe. Petra hat ihn mir abgenommen. A: Wir sehen uns in einer Stunde. Mit Pass. Alles klar?! ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


MONIQUE HONEGGER, Boss des Schreibzentrums und Ge­niesserin kindlicher Fantasien, schreckt nicht davor zurück, tief zu bohren, um der Sache auf den Grund zu gehen. Eine Ode an die Analphase oder doch die absolute Wahrheit? Da kommt man schon ins Grübeln  … Herrn Buschs Beobachtungsnotizen Protokoll: Zu beobachten ist die Wohnung im Block an der Rosentalstrasse 9, zweites Obergeschoss links. Ziel: Herausfinden, wo der seltsame Gestank, das Ächzen und Klopfen ihren Ursprung haben. Montag, 7.11.2016, 6:20 Uhr – vor dem Block der Rosentalstrasse 9 Das Licht in der zweiten Etage, linke Wohnung, geht an. Die Umrisse einer Frau erscheinen hinter dem Vorhang des Küchenfensters. Gleichzeitig geht die Eingangstür des Blocks auf und der Mann aus der Wohnung bringt Müllsäcke raus. Er stellt die Müllsäcke direkt neben die gemeinsamen Briefkästen, obwohl sie in die grosse Mülltonne am Strassen­ rand gehören würden. Bevor er wieder zurück ins Haus geht, macht er etwas Seltsames: Er rülpst und führt seinen Finger in die Nase ein, um ausgetrocknetes Nasensekret zu entfernen. In der Folge kehrt er näher zu den Müllsäcken zurück. Dort angekommen sinniert er darüber, in welchen der Müllsäcke er das entfernte Nasensekret einfüllen soll. Er kann sich nicht entscheiden. Daher tritt er samt Nasensekret ins Haus, bewegt sich in seine Wohnung. Kurz darauf eröffnen sich olfaktorisch neue Dimensionen: Es stinkt fürchterlich im Block und die Luft im Treppenhaus ist verhangen. Inwiefern ein Zusammenhang zwischen dem ausgeführten Nasensektretes und den Luftver­ hältnissen besteht, darf wohl gefragt werden. 12:01 Uhr – Im Keller des Blocks der Rosentalstrasse 9 Neben den Luftbedrohungen lassen sich vermehrt wieder die akustischen Immissionen beobachten. Nun zeigt es sich in einem rhythmisch, monotonalen, nach Lederkissen anmutenden

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Folgesignal: Das Klopfen dringt deutlich aus dem Kellerabteil der zu beobachtenden Familie. Es ist unklar, was hinter der verschlossenen Kellertür vor sich geht. Der Mann aus der Wohnung und seine wohl auch eigenartige Wegführung der Nasensekrete könnte im Kellerabteil sein, um zu versuchen, die Sekrete dort an einem alten Ledersofa abzuklopfen.

16:23 Uhr – Im Treppenhaus des Blocks der Rosentalstrasse 9

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Der Gestank im Block ist immer noch präsent. Die Frau würdigt den vorbeigehenden Nachbarn keines Blickes, erwidert dessen Gruss nicht. Sie läuft ins Untergeschoss, in den Keller des Blocks. Dort beginnt sie, ihr eigenes Nasensekret durch Eindringen ihres Fingers in die Nase zu entfernen. Es darf ver­­mutet werden, dass sie es auch in dem bereits er­­wähnten Ledersofa in besagten Kellerabteil ankleben wird. Die un­ gelöste Entsorgungsfrage von Nasensekret und der tabuisierte Umgang der HausbewohnerInnen mit diesem Thema könnten der Grund sein dafür, dass an der Rosentalstrasse die stark beeinträchtigenden olfaktorischen und akustischen Störungen nie enden werden. Es bräuchte eine Mieterversammlung, die sich auf den Umgang mit Popeln fokussiert, und mögliche Entsorgungswege diskutiert. Anschliessend würde eine sach­d ienliche Wegleitung entstehen, die weiteren störenden Immissionen für immer ein Ende machen würde. Das könnte des Rätsels Lösung sein. *******************************************************************

SARAH ZGRAGGEN, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Verehrerin von Captain Jack Sparrow, siedelt die Story in der Gamerszene an. Auch diese Welt kann ganz schön stressig sein, vor allem wenn es um die Suche nach dem verlorenen Schatz geht. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.)


A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Na, was denkst du denn! Klar, bin ich allein. B: Rasch, bleib nicht im Treppenhaus stehen. Nicht dass dich die alte Schachtel von nebenan noch sieht. Die schleicht in letzter Zeit ständig im Treppenhaus rum und steckt ihre Nase überall rein. Sogar in die Mülltonne vor dem Haus habe ich sie reingucken sehen. A: Die war schon immer eine ganz komische Mutter! Als ich noch hier wohnte, fragte sie mich doch allen Ernstes: «Wieso sitzen Sie immer so lange auf dem Klo?» Ich (völlig entgeistert): «Wieso wissen Sie, wie lange ich auf dem Klo sitze?» – «Weil ich höre, wann Sie spülen.» B: Oh Gott! Dann hört Sie uns bestimmt gerade reden! Mhm … Gut . (lange nichts) ast du eigentlich den Obermoz besiegen können? Weil wir A: H müssten doch endlich ins nächste Level kommen. Luc und Dömi sind schon längst beim letzten Oberbösen angelangt! B: Natürlich habe ich den Oberguru besiegt. Aber das hilft uns noch nichts. So lange wir nicht wissen, wo die Schatztruhe zu finden ist, haben wir nicht genug Münzen, um uns bessere Waffen zu kaufen. Mit unseren Säbeln können wir sie kein­ es­falls besiegen. A: Manno! Hättest du mir das nicht früher sagen können, dann hätte ich die Schatztruhe gesucht, anstatt zig UPs für den Oberboss zu vergeuden. B: Easy! Ich hab im Netz einen Code entdeckt, mit dem wir das Level abkürzen können. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit! B: Aber klar, geht das! A: Ach, halt die Fresse und game endlich!

( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte) A: Komm mal her!

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B: Ja, was ist denn? A: Mhm, vielleicht könnten wir doch den Code verwenden, um ein Level zu überspringen. Ich glaube nicht, dass wir das alleine schaffen … Und heute Abend treffen wir ja Luc und Dömi. Das ist dann echt peinlich, wenn wir immer noch auf der Suche nach der Schatztruhe sind. B: Aber was, wenn sie herausfinden, dass wir das Level gar nicht selber geschafft haben? A: Ja dann, dann müssen wir halt so tun, als wüssten wir nicht, von was sie reden. Wir stellen uns einfach dumm. Oder sonst lesen wir kurz im Internet nach, was uns in diesem Level erwarten würde. Dann können wir nachher so tun, als hätten wir alles selber geschafft. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und gib mir den Code! Wir müssen gleich los, also mach mal hinne! E asy, hei! Stress nicht rum. Also: 7E005E16. Hast du’s? B: Okay. Jetzt muss Link nur noch in die kleine Höhle im Norden. Dort sollte dann die Schatztruhe sichtbar sein. Lauf los! A: Hei, crazy! Link läuft viel schneller als üblich! Da sind wir ja zack-zack in der Höhle oben! Cool. ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


MARCEL FLÜTSCH, Immer-noch-Student, Musikfreund und Höhlenforscher, versetzt den Mieter Busch in Nostalgie. Aber kommt er dadurch der Lösung des Rätsels näher? Herrn Buschs Beobachtungsnotizen Protokoll: Zu beobachten ist die Wohnung im Block an der Rosentalstrasse 9, zweites Obergeschoss links. Ziel: Herausfinden, wo der seltsame Gestank, das Ächzen und Klopfen ihren Ursprung haben. Montag, 7.11.2016, 6:20 Uhr – vor dem Block der Rosentalstrasse 9 Das Licht in der zweiten Etage, linke Wohnung, geht an. Die Umrisse einer Frau erscheinen hinter dem Vorhang des Küchenfensters. Gleichzeitig geht die Eingangstür des Blocks auf und der Mann aus der Wohnung bringt Müllsäcke raus. Er stellt die Müllsäcke direkt neben die gemeinsamen Briefkästen, obwohl sie in die grosse Mülltonne am Strassen­ rand gehören würden. Bevor er wieder zurück ins Haus geht, macht er etwas Seltsames: Er öffnet erst seinen Gurt, dann den Reissverschluss seiner Hose und holt eine farbige Party­ girlande heraus. Diese hängt er über dem Haupteingang des Mehr­familien ­­­hauses auf. Herr Busch erkennt, dass die Girlande aus Buchstaben besteht, kann jedoch nicht ganz entziffern, was auf der Girlande steht, weshalb er seinen Mantel aufknöpft und aus der Innentasche einen Opernfeldstecher herausholt. Für einen kurzen Moment erinnert er sich an seinen 37. Geburtstag und daran, wie er erwartungsvoll das Paket seiner Mutter öffnete und etwas ratlos vor diesem goldenen, leicht angelaufenen kleinen Feldstecher stand. Herr Busch verscheucht den Gedanken schnell wieder und richtet den Feldstecher auf die Girlande. «F-O-T-Z- …» – Herr Busch errötet bereits ein wenig – «E-L-S» – seine Stirn legt sich in Falten – «C-H-N-I-T-T-E». Fotzel­ schnitte. Herr Busch verschwendet keine weiteren Ge­d anken an die seltsame Wortschöpfung und nimmt die Verfolgung auf. Er bückt sich unter der Girlande durch und betritt das Haus durch den Haupteingang. Es stinkt fürchterlich im Block und die Luft im Treppenhaus ist verhangen. Herr Busch hat ein un­

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behagliches Gefühl, obwohl er sich in seinem eigenen Block befindet. Zum ersten Mal in seinem Leben wäre er jetzt lieber mit seiner Mutter in der Oper, wie sie es sich schon so lange wünscht. Herr Busch beschliesst, sich an seine temporäre Einsatzzentrale – sprich an seinen Küchentisch – zurückzuziehen, um seine weiteren Investigationen zu planen.

12:01 Uhr – Im Keller des Blocks der Rosentalstrasse 9

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Kurz bevor Herrn Buschs Rösti goldbraun gebraten und somit ess­fertig ist, vernimmt er ein verdächtiges, dumpfes Klopfen von weit her. Das Klopfen dringt deutlich aus dem Kellerabteil der zu beobachtenden Familie. Es ist unklar, was hinter der verschlossenen Kellertür vor sich geht. Der Mann aus der Wohnung hat sich nicht mehr blicken lassen, seit er seine farbige Hosengirlande aufhängte. «Fotzelschnitte» geistert es Herrn Busch wieder durch den Kopf. Was es damit wohl auf sich hat? An der Kellertür ist ein Zettel angebracht. Darauf steht in grossen Lettern «Probe der Bremer Stadtmusikanten». Jemand hat mit Kugelschreiber zwei Buchstaben hinzugefügt. Herr Busch kann sich das Kichern knapp verkneifen und schafft es, seine professionelle Detektiven-Miene zu bewahren. «Bremer Stadtmuschikanten». Herr Busch schleicht sich wieder in seine Wohnung, holt den Opernführer hervor und beschliesst, nächste Woche «Madame Butterfly» zu besuchen. Weil der Titel so schön klingt. Insgeheim hat er auch gleich der schönen Nachbarin aus dem 2. Stock links den Codenamen «Madame Butterfly» gegeben. Kurz nach vier Uhr nimmt er seine Ermittlungen auf, begibt sich ins Treppenhaus und trifft sogleich auf Madame Butterfly, welche er überschwänglich begrüsst.

16:23 Uhr – Im Treppenhaus des Blocks der Rosentalstrasse 9 Der Gestank im Block ist immer noch präsent. Die Frau würdigt den vorbeigehenden Nachbarn keines Blickes, erwidert dessen Gruss nicht. Sie läuft ins Untergeschoss, in den Keller des Blocks. Dort beginnt sie, Instrumente aus dem Keller nach draussen zu tragen. Immer mehr Familienmitglieder kommen aus dem Kellerabteil hervor, jedes von ihnen mit einem In­s trument. So steht innerhalb einer Viertelstunde eine fünfköpfige Band


auf dem Vorplatz der Rosentalstrasse 9. Über der Bühne wurde ein Banner aufgebaut. «Der Bremer Stadtmuschikant and the Fotzelschnitten» steht da. Madame Butterfly stellt die Band vor. «Freuen Sie sich auf das folgende Konzert mit mir am Bass, meinem Mann am Schlagzeug, Rosalie an der Gitarre, Samantha am Saxophon und Annabelle am überfahrenen Frosch, den sie letzte Woche von der Strasse gekratzt hat. Er fügt sich perkussiv einwandfrei in unseren experimentellen Klangteppich ein.» Das könnte des Rätsels Lösung sein.

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ALEX RICKERT, Dozent und begeisterter Leser von Foto-Lovestorys, vermutet viel Drama in Frau Schreibers Clique. Wird sich die Geschichte klären, wenn sich der Hormonsturm gelegt hat? Frau Schreibers Begegnung mit dem Verdächtigen Es passierte am 7. November, einem strahlend blauen Tag. Ich sass im Grossraumbüro und nippte an einer heissen Tasse Tee, mir war den ganzen Tag über schon kalt. Voller Unmut dachte ich an die kaputte Heizung in meiner Wohnung, doch meine Versuche, den Hauswart telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos. So machte ich mich genervt, müde und hungrig kurz vor 18:00 Uhr auf den Heimweg. Als ich eine halbe Stunde später die Haustür aufschloss, war es im Treppen­haus wie immer richtig eklig. Die Schuhe klebten am Boden. Was war das? Bier? Cola? Urin? So schnell ich konnte, schloss ich meine Wohnungstüre im ersten Stock auf. Ich hörte eine Männerstimme in meiner Wohnung. Doch es war nicht Carl! Ich lauschte einen Augenblick. Die Stimme kam aus dem Bad. Dann begann der Typ zu stöhnen. Dieses Stöhnen kannte ich bestens. Es war Mirko! Meine Güte. Mit dem hatte ich letztes Jahr eine Affäre. Es war Amour Fou – aber er war wirklich verrückt. Was sollte ich tun? So leise ich konnte, verliess ich die Wohnung. Dort stieg mir ein Geruch in die Nase, der bereits seit Tagen im Treppen­haus unseres Blocks hing. Als ich nun das Licht im Flur anzündete, trübte sich meine Sicht, die Luft war fast nebelartig verhangen. Erschrocken ertastete ich mir den Weg

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in den Keller, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mich selber an der Heizung zu versuchen. Ich hörte menschliche Geräusche. An der Waschküche vorbeigehend, sah ich schemenhaft eine Person. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte: «Wer sind Sie? Was tun Sie hier?» Keine Antwort. Es war eine Frau, sie weinte. «Haben Sie keine Angst», sagte ich. «Was ist geschehen?» «Ich bringe ihn um», sagte sie. Meinte Sie Mirko, der in meiner Wohnung war? Sie war jung, vielleicht zwanzig. Sie war hübsch, leicht pummelig und wirkte naiv. Ich ging aufs Ganze und sagte: «Meinst du Mirko? Der war früher mal mit dieser Schlampe aus dem ersten Stock zusammen. Er ist wirklich ein Arschloch.» Dann brach es aus ihr heraus: «Ja, Mirko. Wir haben so ein Ding laufen. Wir brechen in die Wohnungen unserer Ex-Lover ein. Dann läuft’s. Wir treiben es, macht uns total scharf. Heute wollte er mit mir zuerst in die Waschküche. Mal was Neues, ich war aufgeregt. Als wir hier unten ankamen und anfingen, drehte er sich plötzlich um, steckte einen Stapel Papier in Brand, schloss mich ein und verschwand. So ein Arschloch. Danke, dass du mich herausholst aus dieser Hölle.» Das war zu viel. Ich lief, so schnell ich konnte, nach oben und sah noch, wie Mirko aus dem Haus verschwand. Keinen klaren Gedanken fassend, trat ich unverrichteter Dinge so schnell wie möglich den Weg in meine Wohnung an. Verstört und durch den Wind setzte ich mich an den Küchentisch, der Hunger war mir nun gänzlich vergangen. Ich rief meine beste Freundin Hannah an, um das zuvor Erlebte mit jemandem teilen zu können. Entsetzt fragte sie mich: «Wie kannst du so etwas tun? Liebst du Carl denn nicht? Was ist dieser Mirko für ein Typ, so ein Schwein. Was ist nur mit dir los? Ich kann es nicht fassen.» Das war das Letzte, was ich hören wollte. Ich sagte: «Leck mich!» und legte auf. Dann ging ich ins Bad, um zu schauen, ob Mirko mir ein Zeichen hinterlassen hatte. Auf dem Spiegel stand mit Zahnpasta hingeschmiert: Übermorgen 9h, Rotstrasse 48, 4. Stock rechts. Es wird dir gefallen. *******************************************************************


SELWYN MAHER, Noch-Student an der PH und Aerobic­ pionier, glaubt, dass die Akrobatikübungen von zwei rüstigen Rentnern den Grund für den Lärm im Haus darstellen. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: Das weisst du ja. B: Nein, wieso? A: Du weisst, wie die Dinge hier laufen. B: Ja, das weiss ich. Mach dir keine Sorgen. Ich mache nur Scherze. Sobald ich Alzheimer habe, weiss ich ja gar nicht mehr, wo du wohnst. A: Gut. (lange nichts) ast du eigentlich Hans mal gesehen? Weil wir müssten mit A: H ihm schon längst mal unsere Generalprobe durchführen, anstatt hier ständig schon bei der Aufwärmübung umzufallen. B: Natürlich, ich weiss. Aber wir sind halt nicht der Zirkus Knie. A: Ja, nur ein jämmerlicher Haufen betrunkener und von der Gesellschaft ausrangierter Pensionäre, die sich als Kunst­ akr­obaten nochmals was dazuverdienen möchten. B: Also ich habe grosse Ambitionen. Ich war neulich in Russland, und da haben sie eine Show geboten, ich sage dir. Die haben sich verrenkt und verbogen, unvorstellbar. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch! Denk doch mal mit! B: Aber, das ist es doch, was wir versuchen: Akrobatik, oder nicht? A: Ach, halt die Fresse und sieh’s ein. Unsere Bühne ist diese lächerliche versiffte Wohnung. Wir machen uns was vor, wenn wir denken, wir gehörten zu den Talenten. Wir haben nichts mehr zu bieten.

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( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Jetzt schau dir diesen Fleck hier an. Das ist bestimmt dein Schweiss. Du triefst wie ein Schwein. (Grunzt, wobei es eher wie ein Ächzen klingt.) Das ganze Treppenhaus riecht nach deinem alten Schweiss. B: Aber was, wenn du es bist, der hier abscheulich ist. A: Ja dann, dann müssen wir halt diese lächerliche Trainings­ gemeinschaft auflösen. Oder sonst holen wir Hans ins Boot und er soll diesen Streit hier schlichten. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und beginn wieder mit deinen Übungen. B: Was auch immer. Hast du eigentlich auch was von nebenan gehört? Es ist, als würde eine alte Frau … A: G enau … als würde eine alte Frau mit ihrem Hörgerät lau­ schen … und zwar genau an dieser Stelle und dieses Hörgerät würde dann immer wieder einen Aussetzer erleiden, wodurch dann ihre Daten verloren gehen und jemand anderes, irgend so ein hirnrissiges Arschgesicht, einen sinnlosen Bericht über uns zwei schreiben muss. Was für ein armseliges Arschloch. ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.) *******************************************************************


LAURA SÄGESSER, Studentin und ökologische Trend­­setterin, bezichtigt das Paar der Rosentalstrasse der dubiosen Me­t ho­d e der Restenverwertung. Doch wie steht das im Zusam­menhang mit dem rhythmischen Klopfen? Ein (kom)postmoderner Krimi. Herrn Buschs Beobachtungsnotizen Protokoll: Zu beobachten ist die Wohnung im Block an der Rosentalstrasse 9, zweites Obergeschoss links. Ziel: Herausfinden, wo der seltsame Gestank, das Ächzen und Klopfen ihren Ursprung haben. Montag, 7.11.2016, 6:20 Uhr – vor dem Block der Rosentalstrasse 9 Das Licht in der zweiten Etage, linke Wohnung, geht an. Die Umrisse einer Frau erscheinen hinter dem Vorhang des Küchenfensters. Gleichzeitig geht die Eingangstür des Blocks auf und der Mann aus der Wohnung bringt Müllsäcke raus. Er stellt die Müllsäcke direkt neben die gemeinsamen Briefkästen, obwohl sie in die grosse Mülltonne am Strassen­ rand gehören würden. Bevor er wieder zurück ins Haus geht, macht er etwas Seltsames: Er schaut in jeden einzelnen Schlitz der Briefkästen seiner Mitmieter und versucht, bei Familie Dürren die Tageszeitung herauszufischen. Als ihm dies nicht gelingen will, lässt er es bleiben und schlendert zurück in den Block. Kurze Zeit später ist der Mann neben seiner Frau am Fenster zu erkennen. Sie gestikulieren und diskutieren heftig, es lässt sich jedoch nicht sagen, worüber sie reden. Der Mann verschwindet im Keller und taucht kurz darauf wieder in der Wohnung auf. Es stinkt fürchterlich im Block und die Luft im Treppenhaus ist verhangen. Der Gestank scheint aus dem Keller zu kommen. Die Mieterin der Wohnung links verlässt das Haus, der Mann bleibt in der Wohnung und schaut laut TV. Sonst passiert nichts weiter Verdächtiges. 12:01 Uhr – Im Keller des Blocks der Rosentalstrasse 9 Es ist Mittagszeit und durch die Türen der Mieter des Mehr­

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familien­hauses dringt der Geruch von gekochtem Essen. Dazu gesellt sich der Gestank der letzten Tage, was eine merk­ würdige Mischung ergibt. Die Familie scheint nicht in der Wohnung zu sein, es ist still. Nur ein Geräusch stört die mit­­täg­ liche Idylle: Das seltsame Klopfen, welches seit mehreren Tagen unregelmässig, aber rhythmisch zu vernehmen ist. Das Klopfen dringt deutlich aus dem Kellerabteil der zu beobachtenden Familie. Es ist unklar, was hinter der verschlossenen Kellertür vor sich geht. Der Mann aus der Wohnung kommt fluchend aus dem Kellerabteil, schliesst die Türe hinter sich zu und schreitet Richtung Ausgang. Das Klopfen hört auf, der Gestank ist durch das Öffnen der Kellertüre jedoch stärker geworden. Der Mann kommt kurz darauf zurück und verzieht sich abermals in seinen Keller. Das Klopfen beginnt wieder – diesmal ist der Rhythmus anders als zuvor. Die Frau begibt sich ebenfall in das Keller­ abteil. Das Klopfen verstummt und stattdessen sind Fetzen eines Streitgespräches zu vernehmen. Das Paar kommt einige Minuten später aufgewühlt aus dem Raum und zieht sich in seine Woh­ nung im zweiten Obergeschoss zurück.

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16:23 Uhr – Im Treppenhaus des Blocks der Rosentalstrasse 9 Der Gestank im Block ist immer noch präsent. Die Frau würdigt den vorbeigehenden Nachbarn keines Blickes, erwidert dessen Gruss nicht. Sie läuft ins Untergeschoss, in den Keller des Blocks. Dort beginnt sie, nachdem sie ihre Kellertür auf­ geschlossen hat, grüne Kübel aus dem Keller zu räumen. Sie stapelt bestimmt fünf Stück im Flur des Kellergeschosses aufeinander. Sofort wird der bisher ständig präsente Geruch intensiver und beissender. Er wird fast unerträglich. Die Frau versucht, mit allen Kübeln auf einmal ins Freie zu flüchten. Auf halbem Weg gleitet ihr jedoch einer davon aus den Händen. Der Deckel springt ab, so dass sich der gesamte Inhalt auf dem Boden verteilt. Was zum Vorschein kommt, ist abscheulich: Verschimmeltes Obst und Gemüse, deren Verwesungsprozess schon weit fortgeschritten ist, sowie jegliche andere Art von Grünkompost. Schnell befördert die Frau allen Abfall wieder in den Kübel und rennt davon. Bei der ganzen Hektik hat sie vergessen, die Kellertüre hinter sich zu schliessen, so dass der Zugang nun frei ist. Bei näherem Betrachten des Kellerabteils


wird ersichtlich, dass Grünabfälle kompostiert wurden, um diese in einem ebenfalls im Keller angelegten Beet als Dünger zu ver­­ wenden. Das Obst und Gemüse ist jedoch so stark verwest, dass sich der Schimmel nicht nur auf den Lebensmitteln, sondern auch am Boden und an den Wänden ausgebreitet hat. Es stinkt fürchterlich. Auf einem Regal steht ein Buch: «Aufzucht von Pflanzen mit rhythmischen Klopfgeräuschen.» Am Boden liegt ein Hammer. Das könnte des Rätsels Lösung sein.

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MONIQUE HONEGGER, Schutzpatronin der Schreibenden und Grilleurin, die nichts anbrennen lässt, vermutet, dass die Verdächtigen den Braten riechen und schweigend Plastik knirschen lassen. Frau Lauters Abhörprotokoll vom 3.11.2016, ca. 23:45 Uhr ( Jemand klopft in einer offensichtlich vereinbarten Abfolge an der Tür des zu überwachenden Subjekts, woraufhin dieses die Tür öffnet.) A: Komm rein. B: Bist du allein? A: (Schweigt. Klopft auf Holz. Hustet.) B: Bist du allein? A: (Schweigt weiter, klopft auf Holz und es klirren Gläser, die einander berühren oder heftig gegeneinander berührt werden.) B: Bist du allein oder hast du die Sprache verloren? Oder soll ich dich was anderes fragen? – Gut: Bist du nicht allein? A: (Schweigt. Atmet leicht pfeifend ein und aus. Es knirscht nach Plastik, ein Messer wird gewetzt und das Pfeifen des Atems von A steigt um einen Viertelton.)

B: Gut.

(lange nichts) A: Hast du eigentlich mein Pfeifen vorher gehört. Weil wir müssten mehr schweigen. (Röchelt dabei.) Weisst du. Damit

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hätten wir schon längst beginnen müssen. B: Natürlich. Es ist ja nicht so, als ob du es mir nicht schon tausend Mal gesagt hättest, das mit dem Schweigen. Nochmals: Bist du allein? A: (Schweigt) B: Bist du nicht allein? Du bist nicht allein. A: Aber das geht doch nicht, du verdammtes Arschloch. Denk doch mal mit! B: Aber ich hab hier grad gar nichts zu denken. Ich frage. Darum geht es jetzt. A: Ach, halt die Fresse und hör mal. Ich glaube, sie lauscht. Frau Lauter will es lauter. Drum schweig ich. (A verlässt den Raum.)

( S chritte – es poltert – eine Türe wird zugeschlagen – wieder Schritte)

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A: Komm mal her! B: Ja, was ist denn? A: Komm, lass uns jetzt mal so voll schweigen, bis die Balken noch mehr krachen und Frau Lauter Ohren bis in die Karibik wachsen. B: Aber was, wenn Frau Lauter die Stille gar nicht bemerkt? A: Ja dann, dann müssen wir halt lauter schweigen. LAUTER SCHWEIGEN. Lauter. (Seine Stimme wird zunehmend lauter.) Oder sonst lauter mit dem Plastik knirschen. B: Bist du sicher? A: Ja. B: Ganz sicher? A: Klar bin ich ganz sicher, du Grosshirnkastrat! Und jetzt halt endlich die Fresse und schweig. Fühlst du, wie es die Zunge lähmt, wenn der Plastik knirscht? B: Ich fühle nichts. Ich frage mich immer noch, ob du allein bist. Oder eben ich frag es dich: Bist du allein? A: (Schweigt. Hustet. Knirscht Plastik.) ( Es sind nur noch diffuse Geräusche zu hören und bald darauf verlassen sie die Wohnung.)


Vielleicht denken Sie jetzt, liebe Leserin, lieber Leser: Hätte er diese Student­in­ nen und Studenten doch nur anständig bezahlt! Falls Ihnen nun der Kopf brummt und Sie vor Neu­­­gierde auf des Rätsels Lösung bren­nen: Verzagen Sie nicht. Irgend­ wo zwi­schen all diesen alternativen Fakten liegt die Wahrheit begraben. Die (Er-)Lösung ist zum Greifen nah. 

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Zücken Sie Ihr Smart­phone, scannen Sie den QR-Code und Sie bekommen Ant­wort auf all Ihre Fragen.


IMPRESSUM Die Texte entstanden anlässlich der Schweizer Erzählnacht 2016. Autorinnen und Autoren: Erik Altorfer, Marcel Flütsch, Monique Honegger, Selwyn Maher, Gabriel Mateos Sánchez, Martina Meienberg, Alex Rickert, Laura Sägesser, Michael Sasdi, Fabio Schmid, Loris Trentini, Lorenz Vogel, Nina Vogt, Amanda Wong, Sarah Zgraggen Herausgeber: Schreibzentrum PH Zürich Produktionsleitung: Erik Altorfer und Alex Rickert Redaktion: Peter Fäh, Laura Sägesser, Lorenz Vogel Mitarbeit: Joëlle Desole, Gabriel Mateos Sánchez, Nina Vogt, Amanda Wong Korrektorat: Daniel Ammann Gestaltung: Pia Fischer Illustrationen Porträts: Naomi Eggli Druck: OK Haller Druck AG © 2017 Schreibzentrum PH Zürich Auflage: 120 Exemplare


Lorenz Vogel, Fabio Schmid, Monique Honegger, Marcel Flütsch, Laura Sägesser Amanda Wong, Erik Altorfer, Michael Sasdi, Martina Meienberg, Gabriel Mateos Sánchez, Sarah Zgraggen, Selwyn Maher, Nina Vogt, Loris Trentini, Alex Rickert


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