St+St 2-2021

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Entdeckt Studie

Soziale Ungleichheit in deutschen Städten – ein Einblick in neue Studien

Im Rahmen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung „Lebenslagen in Deutschland“ sind eine Reihe interessanter Studien als Begleitforschung zum aktuellen Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erschienen. Nicht alle können hier vorgestellt werden, unter folgendem Link sind die Veröffentlichungen zum Armuts- und Reichtumsbericht downloadbar: https://www.armuts-undreichtumsbericht.de/DE/Service/Studien/studien.html Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch einige Veröffentlichungen über den Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und der Verbreitung des Corona-Virus in deutschen Städten. Zwei Studien sollen hier vorgestellt werden. Darüber hinaus hat die Wissenschaftsstadt Darmstadt ihren neuen Sozialatlas veröffentlicht.

Soziale Lagen in multidimensionaler Längsschnittbetrachtung Auf der Basis des sozioökonomischen Panels (SOEP) haben Olaf Groh-Samberg, Theresa Büchler und Jean-Yves Gerlitz eine neue Analyse vorgestellt, die mit mehr Indikatoren als bisherige Studien zur Armuts- und Reichtumsermittlung in Deutschland arbeitet: „Das Konzept der multidimensionalen Lagen verbindet Informationen zu Einkommen, Vermögen, Wohnen und Erwerbsarbeit. Die multidimensionalen Lagen bilden damit die Gestalten materieller Lebensbedingungen und deren Ungleichheit in Deutschland ab. Es werden sechs Lagen unterschieden, die sich im Hinblick auf ihre Einkommens- und Lebenslagen systematisch entlang einer vertikalen Achse der sozialen Schichtung unterscheiden: Die Lagen der Armut, der Prekarität, der

unteren Mitte, der Mitte, des Wohlstands und der Wohlhabenheit.“ (Groh-Samberg u. a., Seite 1) Die Studie stellt eine Typologie sozialer Lagen für Deutschland vor, die Informationen zu Einkommen, Vermögen, Wohnen und Erwerbsarbeit über einen Zeitraum von fünf Jahren erfasst. Die Autorin und die Autoren kommen zu folgender Feststellung: „Analysen zur Entwicklung sozialer Armut seit 1984 verweisen auf eine deutliche Polarisierung sozialer Lagen. Die Risiken bzw. Chancen sozialer Lagen sind dabei ungleich zwischen Bevölkerungsgruppen verteilt und sie sind mit ungleichen gesellschaftlichen Teilhabechancen verbunden, die sich mit den sozialen Lagen auseinanderentwickelt haben. In Deutschland ist es über die letzten 30 Jahre zudem zu einem systematischen Rückgang der Aufstiegsmobilität aus unteren sozialen Lagen der Armut oder Prekarität gekommen.“ Zwischen einer Lage der Armut, in der Menschen dauerhaft mit geringen Einkommen auskommen müssen und mit schwierigen Lebenslagen zu kämpfen haben, und einer Lage des Wohlstandes, in der dauerhaft hohe Einkommen mit privilegierten Lebenslagen zusammentreffen, lassen sich – nach Analyse der Autorin und der Autoren – Lagen der Prekarität, der unteren Mitte, der Mitte und des Wohlstands unterscheiden. „Zudem finden wir dynamische bzw. inkonsistente Zwischenlagen zwischen Armut und Mitte sowie zwischen Wohlhabenheit und Mitte.“ Aus Stadtforschungssicht sind die verwendeten Indikatoren von Interesse: Nicht nur die „klassischen“ Indikatoren wie Einkommen, Wohnraumversorgung etc. sind von Interesse, sondern auch die Daten nach sozialen Lagen, z.B das Bildungsniveau, der Gymnasialbesuch 12–15-Jähriger, berufsqualifizierende

Abschlüsse 25–30-Jähriger, die subjektive Gesundheitszufriedenheit, Beeinträchtigung durch Lärmbelästigung, der Besuch populärkultureller oder hochkultureller Veranstaltungen und die Häufigkeit ehrenamtlichen Engagements. Die Ergebnisse wurden neben den Ergebnissen aus der Forschung des sozialökonomischen Panels durch Interviews ermittelt. Ferner stellen die Verfasserin und die Verfasser eine deutliche Zunahme regionaler Ungleichheiten zwischen ländlichen und städtischen Regionen fest: „So sehen wir für die Fünfjahresperiode 1993/97 noch relativ gering ausgeprägte Ungleichheiten mit etwas geringeren Anteilen privilegierter Lagen in Gemeinden unter 5.000 Einwohner*innen und einer etwas stärkeren Polarisierung der sozialen Lagen in größeren Städten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen.“ (S. 102) Die lesenswerte Studie ist aus stadtforschericher Sicht von besonderer Qualität und Tiefe der Argumentation und sollte für Forschungsarbeiten in der eigenen Kommune als Ideengeber genutzt werden.

Link zur Veröffentlichung: Olaf Groh-Samberg, Theresa Büchler, Jean-Yves Gerlitz (15.02.2021): Dokumentation zur Generierung Multidimensionaler Lagen auf Basis des Sozio-Oekonomischen Panel, Bremen. https:// www.socium.uni-bremen.de/ueber-das-socium/ mitglieder/olaf-groh-samberg/aktuelles/

STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2021

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