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ega·li·ta·ris·mus Eine egalitäre Gesellschaft bezeichnet eine soziale Gruppe, Gemeinschaft oder Gesell schaft, bei der grundsätzlich alle Mitglieder den gleichen Zugang zu den zentralen Ressourcen haben und kein Mitglied dauer haft Macht über Andere ausüben kann. Das Andere, das Fremde löst schon immer Misstrauen aus – aber nur weil jemand außerhalb der Norm agiert, ist der dann automatisch krank? Wer definiert was krank oder abnormal ist? In dieser Ausgabe nähren wir uns dem Thema Homosexua lität über den britischen Filmemacher Derek Jarman und seinen Film „The Last of England“. Viel Spaß beim Lesen.
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Impressum Verlagsort und Jahr St. Pölten, WS 2019/20 Redaktion und Layout Sarah Wehinger Lektorin Eva Wehinger Bilder Sarah Wehinger, Home-Movies von Christian Vallini Kamera Canon EOS 100D, Objektiv EF28-70mm Druck Xerox Produktionsdrucker Herstellungsort NDU, St. Pölten Erscheinungsweise unregelmäßig Schrift Aestetico und Skolar Papier Munken Kristall Rough, 120 gm², Cover 300 gm² 2
Herzlichen Dank für die Hilfe an Aidan Swanton und Marcus Ludl
Chris Lippard, Guy Johnson, „Fires were started“
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Derek Jarman
On December 22, 1986, finding I was body positive, I set myself a target: I would disclose my secret and survive Margaret Thatcher. I did. Derek Jarman
Konzept Ausgangspunkt der Arbeit war der Film „The Last of England“. Die Bedeutung dieses Filmes erschließt sich einem nicht sofort. Damit dies möglich wird, war es mir wichtig auch die Persönlichkeit Jarmans, seinen Werdegang und seine Entwicklung aufzu zeigen und wann immer möglich in den Kontext des Filmes und der damaligen Zeit zu stellen. Wenn man schon in der außer ordentlichen Position ist, einen Regisseur zu haben, der seine Gedanken über sein Leben, die gesellschaftliche Situation und den Film selber niederschrieb, war es für mich essentiell seine Aussagen und Gedan ken in die Arbeit einfließen zu lassen.
Schwerpunkt – Einleitung
Derek Jarman’s films, paintings and words display his refusal to accept his sick ness as a position of powerlessness.
Als junger Mann hörte ich immer nur Schimpfwörter, Schwuchtel, Tunte, solche Sachen. Man muss sehr stark sein, dem entgegenzu treten. Die Liebe hat viele Gesich ter, sie lässt sich nicht von den Gesetzen der Menschen definieren.
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Aufgenommen an einem kalten Winter morgen im November 2019. Das erste Mal in diesem Jahr hat der Frost die gesamte Vegetation mit Raureif bedeckt.
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Er wurde am 31.01.1942 in Northwood, Middlesex, England geboren und verstarb am 21.02.1994 an Aids. Er „zählte zu den Großen des derzeitigen britischen Kinos“, war „ein apokalyptischer Visionär“, „ein stoischer Hedonist“ und „ein Hymniker des gelebten Lebens“. (Scherer 1996, 8) Seine Mutter wurde in Kalkutta geboren und kam mit ihren Eltern nach Northwood. Jarmans Vater stammt aus einer englischen Familie, die im späten 19. Jahrhundert England verlassen und nach Neuseeland ausgewandert ist. In den zwanziger Jahren kam Jarmans Vater nach England und meldete sich bei der Royal Air Force. Wegen den folgenden Krisen- und Kriegsjahre kehrte er nicht nach Neuseeland zurück und lernte 1939 Jarmans Mutter kennen. (Frey 2008, 14)
Buchempfehlung In „Derek Jarman. Be wegte Bilder eines Malers“ wirft der Autor Martin Frey einen Blick auf die Persönlichkeit Jarmans, sowie seine Super-8-Filme, Home Movies und das Kino der kleinen Gesten.
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Kindheit in Ruinen? Wenn sich Jarman an seine ersten Jahre erinnert, sind es „vor allem Lärm von Kampfflugzeugen, Bomben und Sirenen, die in den Ruinen des Krieges heulten, welche in der Erinnerung noch präsent sind.“ (Frey 2008, 15) Wegen der Arbeit des Vaters führte die Familie ein unstetes Leben und musste immer wieder zu unterschiedlichen RAF Stützpunkten mitziehen. So bekam Jarman von klein auf ein strenges militärisches Umfeld zu spüren, nicht zuletzt wegen der strengen, von ihm als nahezu tyrannisch und patriarchal-autoritär empfundenen Vaterfigur. Was laut Jarman später dazu führte, eine „extreme Aversion gegen jegliche Form von Autorität und Patriotismus“ (Frey 2008, 15) zu entwickeln. Der so von Anfang an erfahrene Kriegszustand, politisch wie auch teilweise innerfamiliär, kommt auch in „The Last of England“ zum Ausdruck, sowohl durch die Verwendung von Filmmaterial des Vaters,
Derek Jarman
der ein leidenschaftlicher Hobbyfilmer war, als auch durch Szenen in denen ein gesellschaftlicher Krisenzustand dargestellt wird. Um das Verhältnis zu seinem Vater besser einordnen zu können, hilft folgende Aussage, die Jarman 1992 in einem Interview getätigt hat. Dieses wurde erst 2009 ver öffentlicht: „Er wurde oft sehr böse mit mir, zwang mich zu essen, warf mich durch Fenster. Die Gewalt war sehr physisch. Das kam wohl vom Krieg, von der extremen Situation in der er gewesen war. Es wurde mit der Zeit weniger, aber im Hintergrund blieb es immer da. Meine Beziehung zu ihm erholte sich nie davon.“ (Jarman in Issac, 2009: 08’50’’) Ein Gefühl des Miteinanders Die schon erwähnte Abneigung von Autorität und klassischen Lebensformen wurde auf diese Weise von Jarmans Vater gefördert, die Offenheit seiner Mutter aber, die ganz im Gegensatz zum reservierten und strengen Vater steht, hat sicherlich dazu beigetragen, dass Jarman trotzdem ein Gefühl des Miteinanders und der Gastgeberschaft erfahren und später in seinen verschiedenen Wohnungen, die fast immer gleichzeitig auch Atelier, kreativer
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Schaffens- und auch Drehort waren, gleichwohl so praktiziert hat. (Jarman 2010, 128) Dies wird noch mit folgender Aussage Jarmans, sowohl über seine Mutter als auch die Stimmung mit ihr zu Hause, untermauert: „She was an enthusiast, and had a vibrant, vivacious manner which made our home the ‚center‘– all kids played there, confided in her, and returned long after we left to discuss their problems.“ (Jarman 1984, 184) Die Aussage seiner Mutter, die Jarman im Buch „Kicking the Pricks“ festgehalten hat, lässt darauf schließen, dass sie sehr wohl über Jarmans Art zu leben Bescheid wusste und ihm nicht negativ gegenüberstand. „I cherish the moment when, over the kitchen sink, my mother said to my father: Thank heavens our children are not normal, they are so much more interesting than their friends.“ (Jarman 2010, 122) Aber doch nicht öffentlich! Problematisch war natürlich wie Homo sexualität in der Gesellschaft, der Politik und im alltäglichen Leben gelebt oder eben nicht gelebt wurde und es so gerade für junge Homosexuelle schwierig war, in einer Phase der eigenen Unsicherheit in der Öffentlichkeit überwiegend negative konnotierte Bilder zu erhalten. Gerade in den vierziger und fünfziger Jahren gab es zahlreiche negative Vorstellungen und restriktive Vorschriften, und wenn einmal
Derek Jarmans Leben
In my childhood there were no accessible patterns that were positive, everything was negative. I knew I was ‚queer‘, and I knew that was total ly unacceptable.
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Homosexualität im öffentlichen Diskurs thematisiert wurde, dann nur „unter negativen Vorzeichen: als Verbrechen und pathlogisches Phänomen, das sich durch Verführung gleich einer Infektionskrankheit weiterverbreiten würde“. (Frey 2008, 21)
Bei Peake steht: „He worried what people might think, once aksing Malcolm Leigh: When people see me in the street, do you think they can tell I’m gay?“ (Peake 1999, 185) Entscheidend für „The Last of England“ und den weiteren Lebensweg Jarmans war sicherlich, wie er mit der Information HIV-positiv zu sein, umgegangen ist. In seinem Werk „The films of Derek
Jarman“, welches sich nicht nur mit den Filmen, sondern auch der persönlichen Entwicklung von Derek Jarman befasst, schreibt der Autor Tony Peake folgendes: „In the interim, his diagnosis as HIV positive and his decision to be open about his disease, his ineluctable Englishness and the extraordinary grace and courage with which he faced death, led to this achieving iconic status in the eyes not only of his most obvious constituency, gay men, but of almost anyone with a care of the human spirit.“ (Peake 1999, 4) Tilda Swintons Eindruck Um einen abschließenden Eindruck von Jarman zu erhalten, bieten folgende Worte von Tilda Swinton einen schönen Abschluss. Die Schauspielerin war eine enge Freundin von Jarman, hat in vielen Filmen, auch in „The Last of England“ mitgespielt und einen Text über ihn geschrieben. Im Film „DEREK“ ist dieser Text von ihr eingesprochen worden.
Sie beschreibt sein Wirken so: „Zu einer Zeit, als einige verlangten isolierte Inselgemeinschaften für HIV-Positive zu gründen und andere nicht nur um ihr Leben fürchteten, sondern auch um ihren Arbeitsplatz, ihre Versicherung, ihre Freundschaft en, ihre Bürgerrechte. Als du so trotzig dein öffentliches Bekenntnis gabst, machtest du das mit so charakteristisch alles umfassender Großzügigkeit, dass du damit weit mehr bewirktest als mit all deinen Werken. Du zeigtest uns deinen Geist, deine Natur und ließest die Furchtlosigkeit eines Künstlers Wirklichkeit werden.“ (Tilda Swinton in Issac, 2009: 05’48’’)
Derek Jarmans Leben
Solche Aussagen, die für ein Individuum als permanente persönliche Angriffe zu verstehen sind, lösten nachhaltige Trauma aus und hätten natürlich nie getroffen werden können, wenn diese nicht auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung gestoßen wären. Auch die damaligen Gesetze in Großbritannien unterstützten solche Standpunkte beziehungsweise ermöglichten diese erst. Im Jahr 2019 mögen die vorher aufgeführten Aussagen auf großes Unverständnis stoßen, doch zur damaligen Zeit waren diese nicht die Meinung einiger weniger Individuen, es war die damals vorherrschende Meinung in der Gesellschaft, unterstütz durch eine rechtliche homosexuell feindliche Rechtsprechung. Und auch wenn Jarman in seinen späteren Jahren offen mit seiner Sexualität und seiner HIV-Infektion umgegangen ist, bedeutet dies keinesfalls, dass es keine Situationen des Zweifels oder der Unsicherheit gab. Folgende Bege benheit illustriert dies gut.
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Reaktion C Wenn ich solche Aussagen zu hören bekomme, dann bin ich einfach nur entsetzt wie engstirnig, be schämend und „sau depad“ manche Menschen sind. Solche Ansichten gehören nicht mehr, bzw. hätten auch nie gehört, in unsere moderne Welt! Leute, die solche Ansichten teilen sind für mich einfach nur ab artig und von Grund aus traurig, weil jene in meiner Vorstellung ein so leeres Leben haben, was sie dadurch zum „Aufpäppeln“ versuchen, indem sie andere Menschen schlecht machen und dadurch in irgendeiner kranken Art und Weise bestätigt finden. Oder – was noch viel trauriger ist – sie haben selbst nie erfahren, was es heißt zu lieben und geliebt zu werden.
Statement und Reaktionen
Reaktion A Die Wortwahl der Autorin wäre selbst in weit weniger sensiblen Bereichen für viele Menschen überspitzt. Die Gleichsetzung von Anstand und Religion ist mittlerweile nicht mehr weit vertreten, daher wirkt die gesamte Aus sage generell befremdlich 2019. Man hätte wohl auch ohne Zeitangabe auf ein Zitat aus der Vergangenheit getippt.
Reaktion B Wie kann man nur so abschätzend über etwas völlig Selbstver ständliches sprechen? Hat sich diese Barbara Cartland nicht mit unserer Geschichte auseinander gesetzt und mitbekommen, dass Homosexualität früher ja etwas völlig Selbstverständliches war, was Menschliches, was Normales. Da stellt sich die Frage: wie konnte sich diese Sichtweise nur so umdrehen? Es wird Zeit, dass wir wieder entspann ter miteinander umgehen. Jeder soll doch bitte lieben, wen er will.
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Ab 1836 wurde die Todesstrafe auf Analverkehr zwischen Männern nicht mehr vollstreckt, aber erst im Jahre 1861 in England gänzlich abgeschafft und durch Zuchthaus für zehn Jahre bis lebens länglich abgeändert. Eine gesetzliche Änderung, die ab 1885 jegliche homosexuellen Handlungen, die in der Öffentlichkeit aber auch im Privaten vollzogen wurden, kriminalisierte, führte zu einer Reihe von Verhaftungen und zu Prozessen. Das wohl berühm teste Opfer dieser neuen Regelung war Oscar Wilde, der wegen Unzucht angeklagt und dafür zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt wurde. (Jarman 1996, 12,13) Dieser sagte 1898: „It is not so much public opinion as public officials that need education.“ (Wilde, zitiert nach Weeks 2014, 29) Erst 1967 wurde dieses Gesetz abgeschafft, nachdem bereits zehn Jahre davor ein Komitee unter Sir John Wolfenden einen Bericht zu homosexuellen Straftaten und Prostitution fertiggestellt hat. (Jarman 1996, 37) Dass die Erkenntnisse von Wolfenden dann auch in ein Gesetz gefasst wurden, ist auch dem liberalen Demokraten Roy Jenkins zu verdanken, dem es ein
tion geschlagen. Der Daily Mirror schrieb: „Um 5 Uhr 50 heute früh nimmt nach einer Nacht zweifelhafter Witze und persönlicher Konfrontationen eine gesellschaftliche Revolution ihren Anfang.“ (Jarman 1996, 76) Dies ist durchaus so zu verstehen, dass die Wichtigkeit dieser Entscheidung manchen Leuten schon bewusst geworden war. Jarman empfand diesen Erlass aber nur bedingt hilfreich und schrieb darüber in „Auf eigene Gefahr – Vermächtnis eines Heiligen: „Ich war damals 16. Öffentliche Erklärungen wie diese waren kein Trost, weil legal oder illegal ich auf jeden Fall für diese Leute ein Problem war, nicht angepaßt und gesellschaftsschädigend.“ (Jarman
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1996, 38)
Ab wann bessert es sich wirklich? Dies zeigt deutlich, wie vorhin schon erwähnt, dass eine Besserung für Homosexuelle im täglichen Leben erst dann stattfinden kann, wenn nicht nur die entsprechenden Gesetze erlassen, sondern auch die öffentliche Meinung und eigentlich die gesamte Grundhaltung der Gesellschaft im jeweiligen Land auch dazu kongruent ist. „Die neuen Formen der Sexualpolitik der 1960er und 1970er Jahre haben zu einer Kluft zwischen der Erforschung von Sexualität und unserem Verständnis sexueller Gleichberechtigung beigetragen, die bis heute fortbesteht.“ (Weeks 2014, 27)
Dies hing und hängt auch heute noch stark damit zusammen, wie Homosexualität gesehen wird. Denn erst 1973 hat die American Psychiatric Association die Zuordnung von Homosexualität als Geistes krankheit aufgehoben und bezeichnet sie bis 1987 als „unter ihrer Orientierung leidend“. Erst 1984 wurde im Europapar lament beschlossen, Homosexualität nicht mehr den Geisteskrankheiten zuzuordnen. Es dauert bis 1992, dass die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität nicht
Law and Order, Aids und Politik
Anliegen war eine klare Grenze zu schaffen, inwieweit der Staat in das persönliche Leben eines jeden eingreifen darf (Plummer 1999, 135). So waren Handlungen im Privaten zwischen Erwachsenen über 21 nicht mehr strafbar, was aber immer noch nicht bedeutete, dass es Homosexuelle zu einem besseren Ansehen und zu weniger, vor allem auch in Zeitungsartikeln, offen geäußerter Anfeindungen seitens der Gesellschaft führte. Auch kann nicht von einer Akzeptanz in der Bevölkerung gesprochen werden. Das Gesetz hatte heftige Gegner, doch nach einer Marathonsitzung im Unterhaus gab sich dann die Opposi-
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Die neuen Formen der Sexualpolitik der 1960er und 1970er Jahre haben zu einer Kluft zwischen der Erforschung von Sexualität und un serem Verständnis sexueller Gleich berechtigung bei getragen, die bis heute fortbesteht. Derek Jarman
mehr als Krankheit klassifiziert. (Frey 2008, 21) Was eine solch falsche (Vor-)Verurteilung und Stigmatisierung für Homosexuelle bedeutet haben mag, ist wahrscheinlich unmöglich nachzuvollziehen. „Über hundert Jahre lang hatten einzelne Männer und Frauen mit homosexuellen Neigungen mühevoll ein Selbstverständnis aufgebaut, das sich mit ihren sexuellen und emotionalen Bedürfnissen und Wünschen verband. Trotz der Existenz von Netzwerken, Subkulturen, Freundeskreisen und ersten sozialen Einrichtungen war es im Grunde genommen ein individueller Kampf, den jede Menge verinnerlich ter Selbsthass […], Angst vor dem Gesetz und vor sozialer Ächtung charakterisiert.“ (Weeks 2014, 30) Das Wissensvakuum um Aids „Anfang der achtziger Jahre betrachtete man es nicht mehr als Verbrechen, wenn zwei Männer Sex miteinander hatten. Mit HIV wurde das anders.“ (Jarman 1996, 109)
Es ist sehr schwer vorstellbar, was es speziell für Homosexuelle, aber auch für die Bevölkerung im Allgemeinen bedeutet haben mag, von einer immer bedrohlichen Krankheit bloß eine wage Kenntnis, gepaart mit einer Unmenge an teils widersprüchlichen Information, aber nichts Konkretes zu haben. Jarman schrieb dazu: „In den von Aids-Virus bestimmten Jahren 1986/87 war Sebastiane für Jarman eine ständige Erinnerung an die noch in den Siebzigern als offen empfundene Stimmung“ (Scherer 1996, 13) Was deutlich zeigt, dass seit 1967 eine Verbesserung stattgefunden hat. Als klar 20
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Für diese Arbeit ist aber entscheidend, wie sich die Situation für Homosexuelle unter der Regierung Thatchers entwickelt hat, denn wegen der damals oftmals radikalen praktizierten Lösungsansätze kam es, nachdem – wie in den vorherigen Absätzen geschildert – sich die Lage für Homosexuelle langsam etwas zu verbessern begann, wieder zu einem
massiven Einschnitt, besonders im öffentlichen Leben und ganz allgemein in der Öffentlichkeit. (Brüggemeier 2010, 312–314) „Indeed in the 1970s, it was prominent Tories – amongst them Margaret Thatcher, Keith Joseph and Enoch Powell – who supported a relaxation of the law on homosexuality on the basis of their libertarian politics. By the later 1970s, this was beginning to shift, however.“ (Cook 2007, 186) Ihre Arbeit hat zu einer radikalen Transformation nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft Englands geführt. (Quart 2006, 17) Dazu passt auch folgender Auszug: „Thatchersim (sic!)… has used its moral agenda as one of the principal areas where … identities are defined – the respectable normal folk who people the fantasies of the new right in relation to current debates around abortion, child abuse, sex education, gay rights and AIDS. It is above all trough this moral agenda that the new right has become a cultural force.“ (Plummer 1999, 136)
Diese Veränderungen in der britischen Gesellschaft geschahen auf kultureller Ebene, auch in den bisherigen sozialen Strukturen. Die von Frau Thatcher vorangetriebenen Ansichten veränderten sowohl die Position von Institutionen wie der Kirche, wie auch die moralischen Werte in Großbritannien. (Quart 2006, 29)
Law and Order, Aids und Politik
zu werden begann, dass Aids nicht einfach so von der Bildfläche verschwinden würde, verschloss die Gesellschaft größtenteils die Augen. Von der Regierung eingeleitete Inserat-Kampagnen waren informationstechnisch zu wenig explizit um wirklich einen Nutzen zu haben. Dieses Vakuum an vertrauenswürdigen Quellen und gesicherten Informationen führte dazu, dass Homosexuelle und Lesben Selbsthilfeorganisationen bildeten, die nicht Informationen zum Thema HIV und geschütztem Geschlechtsverkehr lieferten, sondern auch aktiv HIV-positive Personen unterstützen. (Jivani 1997, 186–187, 190) Diese Verschärfung des gesellschaftlichen und politischen Klimas kam in England durch Thatcher, die 1979 an die Macht kam. Ohne eindeutiges theoretisches und politische Konzept, insbesondere wenn es sich um konkrete Umsetzungspläne handelte, kristallisierte sich heraus, dass Thatcher den staatlichen Einfluss im Bereich Wirtschaft zurückdrängen, ansonsten ihre Macht in der Regierung aber ausbauen wollte. Dies führte unter anderem zu einem Anstieg der Inflation, einer drastischen Erhöhung der Mehrwertsteuer und schließlich zu einem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit, die eine Spaltung des Landes zur Folge hatte.
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history in Buch „A gay s k oo C att coverage In M lesen: „Press zu t is “ … in Brita e 1980s was d AIDS in th an en m y of ga and overtly , sensational ic et h at ap m unsy r: „The clim ,“, und weite ic ob h ga op hom us for y ess pernicio el th er ev n te was unabated.“ g continued in h as b ay G men. (Cook 2007,
204-205)
von einem hörte man at n o M en d „Fast je im Sterben annten, der ek B er od d Freun noch immer en war; und rb o st ge er lag od erüchte. Es nen – nur G io at rm fo In keine zu vielen ylnitrit, von m A m vo t Abart der komm n, es ist eine te k ta on K n d sexuelle itis; nieman er der Hepat welgte h sc te h Syphilis od ec ie neue R d ] [… . . as w en Clause 28 wußte et schiedete d b ra ve d n u im Blut enden?“ ihr, soll das Wo, glaubt , 138) (Jarman 1996
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Die Situation verschärft sich Und das war erst der Beginn, eine drastische Verschlimmerung der Situation, als 1988 die sogenannte Clause 28 parlamentarisch verabschiedet wurde. Die extrem vage Ausformulierung dieses Beschlusses brachte extreme Gefahren mit sich. „Lawyers advising gay organizations said that the law was so open-ended that it could also be used to shut down gay clubs and bars or bookstores – anything that required a licence from the local council“ (Jivani 1997, 196)
Die Clause 28: 1) Einer kommunalen Behörde ist es untersagt: a) Die Homosexualität vorsätzlich zu fördern oder Material zu verbreiten, das der Förderung der Homosexu alität dient. b) I n öffentlichen Schulen einen Unterricht zu fördern, in dem die Homosexualität als positive familienähnliche Beziehung darge stellt wird.
Und auch konkrete Ziele standen hinter diesem Gesetz, was durch diesen Abschnitt aus dem Buch „Queer in Europe“ deutlich hervorgeht: „As part of the New Right agenda in the 1980, Section 28 sought to impose on local authorities a particular view of sexualities, repressing and restricting the emerging public debate. In context of schools it was hoped that ‚family values‘, including heterosexual marriage, would be buttressed by outlawing the ‚promotion‘ of ‚the acceptability of homosexuality as a pretended family relationship‘.“(Nixon 1999, 42) Auch Jarman empfand die Situation als immer schlimmer werdend. 1992 sagte er „Die Sexualität gab uns eine Richtung. Wir wurden ständig angegriffen. Und als Thatchers „Revolution“ Fuß fasste, wurden Menschen wie ich wieder mehr und mehr zurück in die Heimlichkeit gezwungen.“ (Jarman in Issac, 2009: 36’24’’)
2) Nichts unter Punkt 1 Genanntes darf so ausgelegt werden, daß dadurch irgend etwas verhindert würde, was der Behandlung oder Vermeidung der Ausbreitung von Krankheiten dient. 3) In gerichtlichen Verfahren, die aus der Anwendung dieser Bestimmung ent stehen, muß das Gericht hinsichtlich der Absicht der kommunalen Behörde jene Schlüsse ziehen, die sich auf grund der vorliegenden Beweise ergeben.
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Nichts anderes als eine Verschärfung der Lebensumstände, besonders wegen der Problematik Aids, war für Homosexuelle die Folge. Diese Umstände führten zu einer Änderung in der allgemeinen Wahr nehmung und wie unter anderem auch Kinder darüber informiert wurden. Was akzeptabel war und was nicht wurde so neu definiert. Auch indem eine extreme Pauschalierung forciert wurde, weil es viel einfacher war einen Stereotypen des ungesunden, sündigen, destruktiven Homosexuellen zu zeichnen. Reduziert auf ihre Sexualität, wurden Homosexuelle stigmatisiert und in gewisser Weise entmenschlicht, zu einer Gruppe zusammengefasst, die eigene Persönlichkeit, Gefühle und sonstige Ansichten komplett zur Nebensache degradiert wurden. Es lässt sich eben einfacher gegen ein klar umrissenes Feindbild, eine klar definierte Gruppe hetzen, egal ob von Seiten der
Derek Jarman
Zeitungen, oder beispielsweise der Kirche. (Nixon
1999, 48, 49) „It is easier to attack the other, than admit
that this structure is relatively vulnerable, ultimately self-defeating and itself dependent on the other for ist own selfdefinition.“ (Nixon 1999, 49)
Widerstand regt sich Eine Folge, mit der die Regierung in dieser Form wahrscheinlich nicht gerechnet hatte, waren beginnende Proteste. „Innerhalb eine Jahrzehnts, mit dem Einsetzen der HIV/AIDS-Epidemie, sollte klar werden, dass es beim Kampf von Schwulen, wie wichtig auch immer die sexuelle Freiheit war, um mehr gehen musste als nur darum. Es ging auch darum, sich gegen Vernachlässigung und kulturelle Gleichgültigkeit von Seiten des Staates zur Wehr zu setzen, und es ging um Fürsorge, wechselseitige Verantwortung, Beziehung, Liebe: diese Dinge zu erproben konnte in der Tat radikal sein.“ (Weeks 2014, 33)
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Die schnellen Schnitte im Film und die teils abgehackten und neu zusammengesetzten Szenen sind der Versuch Jarmans, die Dekonstruktion seines Lebens, aber auch der Gesellschaft unter Thatcher, zum Ausdruck zu bringen. Auch zieht Jarman in „The Last of England“ Parallelen zwischen der britischen Politik und dem deutschen Regime im Zweiten Weltkrieg. (Krewani 2016, 181, 184, 185) Des Weiteren zeigt Jarman dann in „The Last of England“ in seiner philosophischen Aufarbeitungsweise wie die Regierung unter Thatcher Personen für ihre eigene Notlage verantwortlich macht. „In place of England’s green fields, oaks, flowers and literary heritage stand the ruins of modernity. Thatcher’s economic policies in the eighties led not only to the destruction of traditional England, but even modern factories and housing projects degenerated into slums and then ruins. These are the settings for Jarman’s film.“(Pencak 2002, 144) In diese Welt taucht Jarman in „The Last of England“ ein und lässt einen Protagonisten durchwandeln 15 Jahre später 2003 wurde die „Clause 28“ aufgehoben, was aber nicht zwingend bedeutet, dass in weiten Bereichen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert eine Akzeptanz vorherrscht. Solche Vorbehalte äußerte auch 2008 Patricia Morgan vom „right-wing Christian Institute“ als es darum ging, dass auch im Sexualkundeunterricht über Homosexualität gesprochen wurde: „The proposal is that primary school classrooms should be turned into gay saunas. This is about homosexual practice in junior schools. The idiots who repealed Section 28 should consider that this is where it has got them.“ (Morgan, zitiert nach Nixon 1999, 51)
Law and Order, Aids und Politik
Und als Margaret Thatchers „Revolution“ Fuß fasste, wurden Menschen wie ich wieder mehr und mehr zurück in die Heimlichkeit gezwungen.
Jarmans Gefühl der eigenen Machtlosigkeit, nachdem er seine eigene HIV-Infektion entdeckt hat, deckt sich auch mit dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Politik Thatchers. Diesen Zustand untermauert Jarman deutlich, indem er viele Szenen für „The Last of England“ in den verflossenen Hafenvierteln Londons ansiedelt, die auf Bestreben der Regierung in teure Wohnsiedlungen verwandelt werden sollten.
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Law and Order, Aids und Politik
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Scherer und Vogt fassen die Essenz von Jarmans Arbeit, aber weil so eng verknüpft auch seines Lebens, sehr treffend zusammen: „Homosexualität und Kunst als die treibenden Kräfte; fröhliche Teamarbeit beim Filmemachen; Film vor allem als Prozeß, weniger als Produkt; hohes Maß an Improvisation; experimentell bestimmte Arbeit; betont subjektivistisch; antinaturalistischer Stil; filmische Traumsprache; traditionsbewußte Themen; ästhetische formulierte Hand zu Magie und Ritual; Zivilisationskritik.“ (Scherer 1996, S. 9) Oder auch Lippard, wenn er schreibt: „Derek Jarman’s films, paintings and words display his refusal to accept his sickness as a position of powerlessness“ (Lippard 2006, 312) Diese angeführten Punkte treffen in hohem Maße auch auf „The Last of England“ zu. Kicking the Pricks Während des Drehs zu „The Last of England“ führte Jarman ein Tagebuch und veröffentlichte diese Aufzeichnungen unter dem Titel „Kicking the Pricks“: es entstand so ein autobiographisch gefärbtes Werk. Jarman hat sich stets dagegen gewehrt, einer konkreten Bewegung oder einem konkreten Genre zugeordnet zu werden.
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Für seine Filme ist daher eine Kategorisierung nur schwer möglich, auch wenn sich gewisse Einflüsse verschiedenster Bewegungen erkennen lassen. Diesem Umstand ist sicher geschuldet, dass Jarman nicht nur Filme produzierte, sondern seine berufliche Laufbahn eigentlich in der Welt der Malerei und der Bühnenbilder begonnen hat, woher er seine eigene Inspiration für die Inszenierung zog.
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Feature Filme Jarmans Interesse in seinen Feature Filmen galt vor „The Last of England“ vor allem historischen Figuren und Themen sowie Gedichten. So nahm er sich Shakespeares Sonetten in „The Angelic Conversation“ an, befasste sich in „Jubilee“ mit der Figur der Königin Elizabeth I oder produ zierte eine Filmbiografie über den italienischen Maler Michel angelo Merisi da Caravaggio. „In der freien und – im positiven Sinne – rücksichtslosen Be arbeitung von historischen bzw. klassischen Stoffen (z.B. The Tempest, War Requiem), Mythen (z.B. Sebastiane) oder Persön lichkeitsbildern (z.B. Caravaggio, Wittgenstein) legt er durch bewußtes Ignorieren tradierter Konventionen immer wieder neue, bisland verschwiegene Schichten und Tabuzonen frei.“
Martin Frey bringt diese Feststellung in seinem Werk „Derek Jarman. Bewegte Bilder eines Malers – Home Movies, Super-8-Filme und andere kleine Gesten“ sehr gut auf den Punkt. „In einer permanent als feindlich empfundenen Umgebung hat Jarman selbst nach und nach einzelne Inseln individueller Strategien entwickelt, die ich als Strategie des Autobiografischen und Strategie des
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(Frey 2008, 39)
Verlassener Ort Der herumliegende Bauschutt, die herausgerissenen Linien des Tennis platzes und die BrauntÜne geben diesem Bild eine trostlose Anmutung.
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Benennens bezeichne. Jene des Malers wurde dabei zur ersten erprobten Form und war ursprünglich vor allem die Möglichkeit des Rückzugs in einen selbstgeschaffenen Freiraum. […] Beate Generation, Allen Ginsberg, Rauschenberg, Hockney und Klein, vor allem aber auch erste Reisen nach Amerika zeigten nachhaltige Resonanz.
Verschiedene Einflüsse Seine Begeisterung ging so weit, dass er die erste Zeile von Ginsbergs Howl in „The Last of England“ aufgenommen hat. (Peake 1999, 97) Als die Malerei in den 1970er Jahren für Jarman begann, leerer und eintöniger zu werden, fand er in der handlichen und unkompliziert zu bedienenden Nizo Super 8-Kamera eine passende Ausdrucksweise, um seine Freiheiten zu erweitern und so jetzt mittels Tricks und Effekten auf Zelloid zu malen. (Scherer 1996, 12)
Ein wichtiges Charakteristikum der Home-Movies ist das Zufällige und man benötigt eine gewisse Offenheit gegenüber Unvorhersehbarem, was einen
speziellen Reiz auf Jarman ausübte. „I shot them, then funded them; […] This way of working connects me with my original roots as a Super 8 film-maker. DIY school of home movies. The key to developing this work was the music video which was a phenomenon of the late 70s and 80s […]“ (Jarman 2010, 184) Die Verwendung der Super-8 Kamera ermöglichte ein prozessorientiertes Arbeiten und bot einen großen experimentellen Freiraum, nicht nur in der rein praktischen Handhabung während eines Filmdrehs, sondern auch eine Unabhängigkeit von Institutionen, was ihm, der große Aversionen gegen Autoritäten hegte, nur zugute kam. (Frey 2008, 129) Seine erste Begegnung mit dieser Kamera war wirklich zufällig. Er sagte im Interview von 1992: „Ich weiß nicht mehr in welchem Jahr es war, aber jemand schickte einen Theaterschüler zu mir, der brachte eine Super-8-Kamera mit ins Studio und lieh sie mir. Und ich ging im Studio herum und filmte alles. Um es zu dokumentieren. […] (Jarman in Issac, 2009: 20’18’’)
Filmen mit Super-8 Jarman schrieb dazu in „Kicking the Pricks“ über die Entscheidung, auch „The Last of England“ mit Super-8 zu filmen: „[…] the Super 8 camera is free. 35 mm is chained by money to the instituations. It could have been shot on 35 mm, but economics have gutted mind from the format.“ (Jarman 2010, 169)
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In allen Arbeitsbereichen manifestiert sich eine vielschichtige Auflösung von Grenzen: Techniken der Collage, assoziative Elemente des Fragmen tarischen und damit einhergehende offene Erzähl formen werden zu elementaren Mitteln der Mitteilung in seinen Bildern, Filmen und Texten.“ (Frey 2008, 28) Dieses Interesse an Ginsberg, der selber offen mit seiner Sexualität umging, und der Beat Generation beruht auch auf deren Einstellung zu Themen wie Kapitalismus oder der Militär industrie. Letzteres Thema war natürlich durch Jarmans Vater stark vorbelastet.
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Für wen filmen? Ein konkretes Zielpublikum für Jarmans Filme, aber auch speziell bei „The Last of England“, auszumachen erweist sich als schwer. Dieser Film kann, wenn überhaupt, nur durch mehrmaliges Ansehen und erklärendes Recherchematerial verstanden werden, welches es zum Zeitpunkt als der Film erschien sicherlich noch nicht in dem Ausmaße vorhanden
Diese intuitive Bedienung ermöglichte für ihn auch eine ähnliche Impulsivität, wie er sie beim Malen empfand – die Kamera wurde so zu seinem Pinsel, den er in sein Leben integrierte, um seinen Alltag damit festhalten zu können, die Barriere zwischen alltäglichen und künstlichen Situationen wurde aufgehoben. Auch der Umstand, dass „The Last of England“ ohne vorher festgelegtes Drehbuch gefilmt und erst später zu dem Film, so wie wir ihn heute kennen, zusammengesetzt wurde, zeigt, dass Jarman der Prozess wichtiger als das fertige Kunstwerk war.
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Filmen mit Freunden Auch zeichnete Jarman aus, dass er sich nicht als klassischen Regisseur verstand und entgegen der normalerweise vorhandenen Hierarchien im Filmbusiness rebellierte. Dreharbeiten bezeichnete er als Partys mit Freunden und oftmals waren auch seine Freunde an den Dreharbeiten beteiligt und standen vor der Kamera, was den Home-Movie-Anspruch noch weiter unterstreicht. Erschwerend für das Verstehen von „The Last of England“ mag hinzukommen, dass damals wie auch heute, Jarman seine Filme oftmals ohne ein mögliches Zielpubli kum im Kopf zu haben konzipiert hatte. „Nicht der Film hat das Publikum zu finden, sondern das Publikum den Film“, merkt dazu Martin Frey an. (Frey 2008, 130-132) Und in „Kicking the Pricks“: „I would never say I making the film for an audience: that’s very dishonest. It would be true to say I am making this film for myself with my collaborators, we are the community.“ (Jarman 2010, 197)
war, wie es nun beim Erstellen dieser Arbeit vorliegt. „The thing about the audience seems to me all wrong. In a sense I don’t want an audience. I wish they’d all go away and do it them selves, which would allow the whole thing to collapse. No one should demand an audience whatsoever“. (Frey 2008, 132)
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Jahr: 1987 Material: gefilmt mit Super-8, auf Video überspielt, Blow-up auf 35 mm, Farbe und s/w 87 Minuten Drehorte: London, Liverpool, New York Regie: Derek Jarman Kamera: Derek Jarman, Christopher Hughes, Cerith Wyn Evans, Richard Heslop. Straßenunruhen gedreht von Tim Burke … Schnitt: Peter Cartwright,
Was thematisiert Derek Jarman in „The Last of England“ wirklich? „The Last of England wurde gedreht, bevor ich erfuhr, dass ich HIV-positiv bin. Aber als er fertig war, wusste ich es schon. Aber alle waren HIV-positiv zumindest in meiner Welt, von dem Moment an, als das Virus 1984 isoliert wurde.“ (Jarman in Issac, 2009: 05’48’’)
Angus Cook, John Maybury, Sally Yeadon Musik: Simon Turner Darsteller: Gerrard McCart hur, Gay Gaynor, Matthew Hawkins, Spencer Leigh, John Phillips, Mark Adley (Spring) … Sprecher: Nigel Terry Produktionsfirma: Anglo International Films für British Screen, Channel Four Tele vision, ZDF Filmmaterial aus den zwanzi ger Jahren von Harry Puttock, aus den vierziger Jahren von
Davor hatte er sich wenig konkret zur politischen Situation geäußert, doch im Laufe der letzten Jahre musste er immer öfters beobachten, wie Menschen aus seinem Bekanntenkreis und auch enge Freunde an den Folgen einer HIV-Infektion starben, daher war das Thema Aids für ihn zur damaligen Zeit omnipräsent. Dazu sagt Jarman: „Seit ,Caravaggio‘ sah ich eigentlich dauernd Freunde sterben. Ich weiß nicht, wie viele. Vielleicht 20. Ziemlich viele. Das hat alles verändert.“ (Jarman in Issac, 2009: 54’36’’) und „Auch ohne Test wusste man, dass man wahrscheinlich positiv war. Und selbst wenn man es nicht war, war es fast jeder, den man kannte. So war die Stimmung damals.“ (Jarman in Issac, 2009: 54’20’’)
Lance Jarman
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So werden in „The Last of England“ Homosexualität im Allgemeinen und die Unterdrückung und Ungleichbehandlung Homosexueller während der Ära Thatcher beleuchtet. Der Film entstand nämlich „an der Schnittstelle von Margaret Thatchers zweite auf ihre dritte Amtsperiode – in einer Zeit in der die repressiven Elemente ihrer Law-and-Order-Politik und deren Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Strukturen im Allgemeinen und den Kultur- und Sozialbereich im Besonderen immer deutlicher spür bar wurden.“ (Frey 2008, 28)
(Frey 2008, 29)
Das Gesamtergebnis sah Jarman als visuelle Umsetzung persönlicher Befindlichkeiten an und konnte so seinen inneren Zustand – der sich durch den Tod des Vaters und die Nachricht, dass er HIV-positiv war, doch massiv verändert hatte – nach außen pro jizieren. Folgende Aussagen von Jarman legen dar, wie er sein Werk sah: „The Last of England is not as manipulativ as a conventional feature; you know – jump here, be frightened here, laugh. Traditional features manipulate the audience. Apart from being
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stuck with my film for 85 minutes, my audience have much greater freedom to interpret what they are seeing, and because of the pace, to think about it. I have my own ideas but they are not the beginning or the end. The film is the fact – perhaps in the end the only fact – of my life.“ (Jarman 2010, 193) „The Last of England is structured in a very different way: dream allegory. In Jubilee the past dreamed the future present. The Last of England is in the same form, though this time I have put myself into the centre of the picture. Here the present dreams the past future.“ (Jarman 2010, 188) Auf die Frage, ob die Beziehung zu seinem Vater „The Last of England“ beeinflusst hat, antwortete Derek Jarman: „Yes, he created my aversion to all authority, to the extrem patriotism with which he fought the war, which bounced back and destroyed our tranquility.“ (Jarman 2010, 179) Durch den ganzen Film hindurch ist eine deutlich negative Grundhaltung sowie eine desillusionierende Stimmung spürbar. In einem Interview auf diese Negativität angesprochen meinte Jarman: „They [Anm. Filme wie Jubilee und Sebastiane] are the hope, the activity is the hope. I don’t think I should project false hope if I don’t feel it.
Einblicke in „The Last of England“
Es ist keine klare Handlung zu erkennen, es werden unterschiedliche Orte und Begebenheit gezeigt, oftmals mit vielen Überblendungen und schnellen Schnittfolgen. Im Wesentlichen sind sie nur durch ihre Bildsprache miteinander verbunden. Unter anderem ist ein verlassenes Lagerhaus, zerstörte Gegenden durch die Personen klettern, maskierte Personen mit Waffen, zusammengedrängte und bewachte Leute oder eine männliche Person verkleidet mit Rock und Hörnern beim Tanzen zu erkennen. Jarman wollte so beim Betrachten des Filmes neue unentdeckte Bilder entstehen lassen, die man oft erst beim zweiten oder dritten Mal wirklich erkennt, weil so viele verschiedene Bilder auf einen einstürmen und es zu einer visuelle Reizüberflutung kommt. Dies meint auch Martin Frey in seinem Buch „Derek Jarman – Bewegte Bilder eines Malers“ wenn er schreibt: „Die kaleidoskopartig, in extrem rascher Abfolge montierten Szenen von The Last of England […] lassen beim jeweiligen Betrachter des Filmes neue, bislang unentdeckte Bilder entstehen und vermitteln sich beinahe ausschließlich auf Gefühls- und Assoziationsebenen.“
Filmmaterial und Besonderheiten Der Film wechselt zwischen schwarzweißen Aufnahmen und Aufnahmen in Farbe. Außerdem „integriert Jarman zahlreiche Sequenzen aus dem Bestand der elterlichen und großelterlichen 8-mm-Filme und gewährt damit sehr persönliche Einblicke in seine eigene (Familien-)Geschichte.“ (Frey 2008, 10)
Der Film wurde auf Super-8-Film aufgenommen. Die Schauspieler und Helfer waren Jarmans Freunde, da er es bevorzugte gemeinsam mit vertrauten Personen an einem Projekt zu arbeiten. Wie bei vielen seiner Filme gab es kein Drehbuch. „Das Filmen ohne Drehbuch, das ebenfalls in den frühen Home-Movies seinen Ursprung hat, erfordert darüber hinaus eine extreme Offenheit für das Zufällige und seine unvorhersehbaren Ergebnisse, die Kamera wird zu einem Teil des alltäglichen Lebens.“ (Frey 2008, 11). Dieser Umstand führte aber auch dazu, dass Jarman erst in der Postproduktion eine Struktur im Material finden musste. Dazu war es nötig, es immer wieder durchzugehen. Der so entstandene Schnittrhythmus erinnert stark an Musikvideos. Erst im März 1987 wurde das Material auf 35 mm Film umkopiert. (Peake 1999, 385, 386)
ent time, in g in a differ in v li n ee b e found If I had I might hav , re u lt cu t don’t think a differen hope. But I r fo s n o as more re e. I think of ity is negativ negative, I that negativ ist! If I were m ti op an suicide!“ myself as , committed ed p op st e would hav , 109). (Jarman 2010
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Home-Movies Auch in den gewählten Home-Movie-Szenen ist keine direkt zusammenhängende oder durchgehende Handlung erkennbar, sondern besteht vielmehr aus einer Abfolge von unabhängigen Szenen, die im Wesentlichen nur durch ihre Bildsprache mitein ander verbunden sind.
Home-Movies haben für Jarman eine besondere Bedeutung und boten ihm Fluchtmöglichkeiten aus einer Realität, die geprägt war von einem „gewalttätigen Schul- und Lebensalltag“. (Frey 2008, 24) Jahre später bieten eben jene Bilder die Möglichkeit eines erneuten Eintauchens in diese Kindheitserin nerungen und stehen für Jarman symbolisch für eine sichere Zuflucht in jene Vergangenheit dar. „I think why I like The Wizard of Oz so much is that at the end we return HOME, after hazardous adventures. There’s no place like the HOME-movie.“ (Jarman 2010, 108) In dieser Aussage kann man klar
Warum „The Last of England“? Das Thema der Emigration und seiner persönlichen Familiengeschichte kommt nochmals deutlich bei der Wahl des Filmtitels zum Ausdruck, da sich „The Last of England“ auf das gleichnamige Bild von Ford Madox Brown bezieht. Auf diesem Bild ist die Abreise des präraffaelitischen Bildhauers Thomas Woolner nach Australien abgebildet.
Dazu schrieb Jarman: „Suddenly one day I remem bered the painting of the emigrants leaving the white cliffs behind for a life in the new world. My great-grandparents had done that. Left their farm in Middle Combe, Uplowman, Devon, to go to New Zealand. I have an extraordinary picture of them taken in the 1850s. I decided on The Last of England.“ (Jarman 2010, 190-191) Diese Wichtigkeit der Immigration für Jarman liegt vielleicht auch darin begründet, dass sein Vater, der in Neuseeland geboren wurde und zuerst dort gelebt hat, wieder nach Großbritannien zurückgekehrt ist und bedingt durch dessen Arbeit bei der RAF Derek Jarman von klein auf durch verschiedene Länder zog, um schließlich nach Großbritannien zurückzukehren. Das Leben auf den RAF-Stützpunkten kann als Leben in der Fremde angesehen werden und Jarman selber schrieb in „Dancing Ledge“: „Growing up on RAF stations and at boarding school in the 1950s, one was extremely isolated.“ (Jarman 1984, 50) Technische Details und das Kino der kleinen Gesten Abgesehen von den vorhin schon beschriebenen Besonderheiten von „The Last of England“ (das Filmen ohne Drehbuch, die Verwendung von Home- Movies …) wird, wenn man den Namen Jarman hört, auch immer wieder der Begriff „Kino der kleinen Gesten“ genannt. Über diese Technik schrieb Jarman: „The single frame makes for extreme attention, a concentration that is voyeuristic. Time seems
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I think why I like The Wizard of Oz so much is that at the end we return HOME, after hazar dous adventures. There’s no place like the HOME-movie. Jarman 2010, 108
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die Bedeutung dieser Home-Movies erkennen, da sie „sinnbildlich zu einem Fenster des Rückzuges, der inneren Emigration, mit Ausblick in eine vergangene, scheinbar friedliche Zeit, in der es noch Hoffnung gab“ werden. (Frey 2008, 29)
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suspended. The slightest movement is ampliefied. This is the reason I call it a cinema of small gestures.“ (Jarman 2010, 146) Kurz auf den Punkt gebracht, sind darunter technische Entwicklungen von Jarman zu verstehen, welche durch Doppel- und Mehrfachbelichtungen eine offene filmische Versform ermöglichen und durch Aufnahmen in Slow Motion einen eigenständigen Rhythmus bieten. (Frey 2008, 50) Die Kombination von Single Frame, auch als Stop Frame oder Stop Motion in der Literatur bezeichnet, und Slow Down kommen in „The Last of England“ zum Einsatz. Da diese Techniken einen entscheidenden visuellen Einfluss auf den gesamten Film haben, folgt hier die technische Erklärung dieses Verfahrens in den Worten von Martin Frey, aus dem Buch „Derek Jarman – Bewegte Bilder eines Malers“, da Frey es schafft, die Komplexität des Verfahrens
mittels eines Beispiels sehr verständlich darzu legen: „Jarman filmt mit seiner Nizo 480 im Single-Frame-Modus Einzelbilder mit einer Abfolge von 3-6 Bildern/Sek. anstelle der üblichen 24 Bildern/Sek. Wird ein solcherart aufgenommener Film mit herkömmlicher Geschwindigkeit projiziert, wäre ein Zeitraffereffekt die Folge, der Bildablauf würde wesentlich […] beschleunigt erscheinen. Ein spezieller Bolex-Projektor ermöglicht es ihm jedoch, die in Zeitraffer aufgenommenen Super-8-Filme, statt mit 24 Bildern/Sek., im Slow-Down-Modus mit einer reduzierten Projektionsgeschwindigkeit von ca. 3 Bildern/Sek. zu projizieren. Diese Kombination von Singel Frame bei der Aufnahme und Slow Down bei der Projektion stellt ein annähernd normales Tempo wieder her und bringt dabei jene Serie von abgesetzten Einzelbildern hervor, die zugleich in Slow Motion ineinander überzugleiten scheinen […]“ (Frey 2008, 127)
Entscheidend für das „Kino der kleinen Gesten“ ist zudem, dass sich Jarman keiner technischen Geräte wie Optical Printers oder der Möglichkeit einer digitalen Nachbearbeitung bediente. „Alle entsprechenden Effekte entstehen sowohl während der originären Aufnahme als auch bei der Projektion und dem erneuten Abfilmen. Wie Jarman selbst immer wieder beschreibt, setzt er dabei diverse farbige Filter ein oder experimentiert mit dem Weißabgleich der Videokamera, um die Farbgebung des Films zu beeinflussen und zu verfremden“ (Frey 2008, 128)
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Die so entstandene Stimmung Durch ein „Blow up“ des Filmmaterials auf 35 mm konnten nicht nur Effekte erreicht werden, die ansonsten in der Produktion ein Vermögen gekostet hätten, es konnten gefilmte Szenen in einer stark verdunkelten, mysteriösen Stimmung dargestellt werden, auch wenn die originale Aufnahme bei Sonnenlicht stattfand. (Jarman 2010, 185) Dies führt, nicht zuletzt auch in der gewählten und analysierten Szene, zu einer ganz bestimmten, schummrig schmutzig und düster wirkenden Anmutung, was noch durch die rötliche Einfärbung und den hohen Anteil an dunklen Stellen im Bild unterstützt wird.
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Lyrik im Film
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Entscheidend für den ersten Teil des Filmes, zu der die gewählte Szene gehört, ist zweifelsohne die Figur Spring. Des Weiteren sind die von Nigel Terry aus dem Off gesprochenen Texte entscheidend für die Charakteristik des ersten Teils. Text 1 entstammt zwei Gedichten, den Anfang findet man als Text unter dem Titel „4 am“, der zweite Teil ist unter dem Titel „Imperial Embers“ ebenfalls in „Kicking the Pricks“ zu finden, wo er auch den schlussendlich verwendeten Filmtitel am Schluss integriert. „4 am“ und „Imperial Embers“ Imprisoned memories prowl thro’ the dark. Fuck it. They scatter like rats. Dead souls … rat a patta patta into the silence. Ashes drift in the back of the skull. A goblin parts the curtains with a slant-eyed chuckle. Panic. I blink as he vanishes into the shadwos, hint of prophetic cats-eyes. The dust settles thick, so by five when I stagger to the freezing bathroom I leave footprints for other to excavate. They say the Ice Age is coming, the weather’s changed. The air stutters tic tic tic tic, tattle of death-watch beetle on sad slate roofs. The ice in your glas is radioactive, Jonny. Outside in the leaden hail, the swan of Avon dis a syncopated death. We pull the curtains thight over the dawn, and shiver by empty grates. The household gods have departed, no one remebers quite when. Poppies and corncokle have long been forgotten here, like the boys who died in Flanders, their names erased by a late frost that clipped the village cross. Spring lapped the fields in arsenic gren, the oaks died this year. On ever green hill mourners stand and weep for The Last of England.(Dillon 2004, 167) (Jarman 2010, 167,189)
Der Inhalt des zweiten Textes ist auf der Seite 58 zu finden. Interessanterweise ist dieser Text als einziger nicht in „Kicking The Pricks“ zu finden. Der dritte Text findet sich nur leicht verändert auch im Buch „Kicking the Pricks“ unter dem Titel „Evasion“ (nächste Seite.) 50
The sad old Emperor bent beneath his black top hat smiles in the deathly sunlit silence. The Lady next door to me says „There he is! There’s Hirohito and his Empress Nagasake.“ Look! Jonny look! They’re playing the funeral march fort he Royal Doulton. He stole the patterns way back when you were a little boy, no one cared much. Now you see it, no you don’t. England had it years back, us kiddies weaned on food parcels from uncle Randy in the wild west, choc-full o’comix and buble gum. I grew up in the wind of change ma’am! Quite! Quite blew away my reason. His father’s father’s father’s presentation clock, a black marble mausoleum ticked out my childhood. 101 years of middle class assurance. The bomb dropped with regular monotony, leaving us waiting – the frosty heart of England blighted each spring leaf, all aspiration withered in the blood. In the silence of an English suburb power and secrecy dwell in the same house, while far awasy in the big city the A to Z champed a grid on despair. (Dillon 2004, 172-173), (Jarman 2010, 179)
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Akustik im Film Die meiste Zeit kommt „The Last of England“ tatsächlich ohne Text aus – die Schauspieler hört man nie direkt sprechen. Interessant ist, dass alle vier gesprochenen Texte aus dem Off im ersten Teil des Filmes vorgetragen werden und so auch durch die Tonalität des Sprechers Nigel Terry geprägt werden. Die einzigen weiteren gesprochenen Texte sind eingespielte Radioslogans und Aufnahmen von Reden Adolf Hitlers und Winston Churchills, wobei die Stimmen, die scheinbar aus dem Radio dringen, wesentlich dazu beitragen den Film im Jetzt verorten zu können und den ganzen Film wieder in einen kontemporären Kontext setzt, im Gegensatz zu den vergangen Reden. Die Verwendung von Hitlers Rede, in der er ganz klar erkennbar ist, kann als offene Provokation gegen Thatcher gesehen werden. Dazu schreibt William Pencak: „ (Anm. Hitler) he is an actor, his speeches substituted for Thatcher’s racist, anti-gay, and anti-welfare state policies to call attention to the fact that repression has become respectable – it need not wear a military uniform and rarely raises ist voice“ (Pencak 2002, 146)
Lyrik im Film
„Winds of Change“ Das vierte und als letztes vorgetragene Gedicht wurde im Buch „Kicking the Pricks“ unter dem Titel „The Winds of Change“ veröffentlicht:
The Last of England works with image and sound, a language which is nearer to poetry than prose. It tells its story quite happily in silent images, in contrast to a wordbound cinema.
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„Evasion“ se u see in tho o y o d t a h W rs? I ask. heavy wate om ureaucrat fr b a t u b g in Noth isoning the o p y r t is in the m with a new buttercups defoliant. t I hear? What’s tha shwin on his r e G f o d n o The s ter. Where’s hope? ghetto blas e lies have it h w ? e le t ls t e li t The Wha e ff beyond th o r . e g h in d t t ie li r r p a c The atom s . ? g bage patch erin b p a is c h w e h t And her? e They’ve murdererd h t m o fr g n spilli Half-truths ase. Yes. minister’s c light. And Tomorrow? n u s e h t in n cancelled Wriggling e e b ’s w ? g ro r in Tomo ey say What are th of interest. k c la e o t m o g S . owin s o comment graffiti year All’s well, n e h . t t n w e a il s s u Yo of them are n Road, and o t s u E e . h t rd e gua ago on Ah here’s th it; sword? didn’t believe s a p e h t the ’s t Wha o you need d f . o N ro p IO t S a A EV Wh n ng up like a li r ? u e e ’s s ld u r o o y w o What else d f? e h t autumn lea through g w it in w o fl s ie L ming to blo o c ’s . y m r r e o t ib s The id, and br r. national gr en? into the final winte h t l a m r o n All’s days Yes. Can’t you feel the shorter? are getting , 171 Dillon 2004 , 159 10 Jarman 20
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Imprisoned memories prowl thro’ the dark. Fuck it. They scatter like rats. Dead souls … rat a patta patta into the silence. Ashes drift in the back of the skull. A goblin parts the curtains with Zudem gibt es noch folgenden Dialog zwischen einer trauernden Frau und einem a slant-eyed chu maskierten Terrorist: Trauernde Frau: „Is it loaded?“ ckle. Panic. Maskierter Terrorist: „Yes, ma’am.“
Trauernde Frau: Did you enjoy the Falklands?“ Maskierter Terrorist: „Yes, ma’am.“ Trauernde Frau: „Preparing for the next one?“ Maskierter Terrorist: „Yes, ma’am.“ Trauernde Frau: „It’s going to be a big one, isn’t it?“ Maskierter Terrorist: „I hope so, ma’am.“ Trauernde Frau: „Keep up the good work.“ (Dillon 2004, 176-180)
Wenn man sich die gewählten Texte, die ausgesuchten Persönlichkeiten, welche die Reden halten, und auch den letzten Dialog betrachtet, ist immer wieder unterschwellig und doch eindeutig eine Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Situation und an autoritären Regimen spürbar. Allein durch eine gezielte Wortwahl, oder den Einsatz von Hitlers Stimme lassen beim Zuseher, mich eingeschlossen, gewisse Stimmungen aufkommen.
Lyrik im Film
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t n e m e t Sta erklärte n e r h a J f n „Vor fü - p o s i t iv V I H , h c i l t ich öffen e. I c h s s e r P r e d zu s e i n . I n hin das o w , t h c i n wusste ieb, r h c s e b h c I rde. f ühren wü b t h a t t e, a h e g x e S wie ich oulevard B r e d n i h worauf ic nmordes e s s a M s e d presse urde. bezichtigt w
e Erklärung 4’’ , also fand di c, 2009: 54’5 en sa m Is om in en an Jarm 1992 aufg iew wurde Anm.: Interv 1987 statt
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Reaktion B Diese Zitate sind ein Sinnbild dafür, wie unaufgeklärt die Menschen in Bezug auf AIDS damals waren bzw. wie gern man die Krankheit damals mit Homosexualität in Verbindung gebracht hat, um den Hass der Be völkerung zu schüren. „Massenmord“ ist einfach lächerlich und reißerisch ausgedrückt, da es heute Wege und Möglichkeiten gibt mit der Krankheit verantwortungsbewusst zu leben (und zu lieben).
Dass die Boulevardpresse nicht sensibel mit Menschen umgeht und nicht von Mit gefühl geprägt ist, sondern hetzerische Texte kommuniziert, liegt in ihrer Natur. Aber diese Unterstellung, dass jemand bewusst andere mit HIV infiziert, ist mehr als rufschädigend. Denn Mord, hat immer was mit Absicht zu tun.
Statement und Reaktionen
Reaktion C
Reaktion A Als hätten Menschen, die sich in ihrem Leben mit AIDS auseinander setzen müssen, nicht schon genug Schwierigkeiten zu bewältigen, mei nen andere ihnen nochmals einen Tritt versetzen zu müssen. Ich kann mir nicht vorstellen was in Menschen vorgeht, die so handeln. Warum macht man andere, die schon am Boden sind, noch kleiner als sie sich ohnehin schon fühlen?! In meinen Augen muss man so eine gewaltige Portion an Selbstverachtung und Unsicherheit in sich haben, um so zu handeln. Es wäre wahrscheinlich auch naiv zu glauben, dass dies ein Einzelfall gewesen ist, beziehungs weise so etwas nicht mehr vor kommen kann. Es ist schlimm wie sich Menschen durch Unwissenheit und Angst in Monster verwandeln können, vor allem in Situationen, wo Unterstützung und Akzeptanz am meisten gebraucht wäre!
ger
Wehin tos  Sarah Text und Fo
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r o m A d n u Spring a i n m O t Vinci nd nahe am u iv s n e t in xtrem t, Eine Szene, e urch den Tex d h c li k c ü r d in Geschehen. E Eindringen in E . ik s u M durch die dramatisiert iduums. iv d n I s e d e r s phä in die Privat
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Ton in dieser Szene Wenn die gewählte Szene bei 00:06:41 beginnt, hört man noch den Sprecher Nigel Terry einen Text vortragen. Der Anfang dieses Textstückes ist bei 00:05:15. Die abschließenden Sätze fallen in die analysierte Szene. Alle vorkommenden Texte wurden von Jarman zusammengestellt und enthalten Fragmente aus T. S. Eliot's „The Hollow Men“ und Allen Ginsberg's „Howl“.
Vorgeschichte zur ausgewählten Szene Fast alle Szenen sind zu Beginn dunkel – dominante Farben sind schwarz und weiß, Grauabstufungen und ein dunkles Rot. Zu Beginn des Films spritzt sich der Darsteller Spring (gespielt von Mark Adley) Drogen und geht durch einen Hinterhof, während eine schreibende Person gezeigt wird, die in ein Buch schreibt. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass es sich um den Regisseur handelt, der hier als Schauspieler agiert. Dann beginnt eine Stimme aus dem Off zu sprechen und es folgen schnelle Schnitte und sehr kurze Szenen mit unterschiedlichem Filmmaterial, auch eine erste Home-Movie-Sequenz ist dabei. Anschließend wird derselbe Darsteller gezeigt, wie er auf dem Bild „Amor Vincit Omnia“ von Caravaggio herumspringt, herumrollt, erneut Drogen nimmt, mit einem Leuchtfeuer im Hinterhof herumgeht. Schließlich ist Spring in der von mir ausgewählten Szene zu sehen, wie er in einer zuerst verwackelten Bildsequenz nochmals auf dem Gemälde herumtritt, um dann Sex mit dem Bild zu haben. Da man keine genaueren Details sieht, könnte es auch sein, dass er auf dem Bild masturbiert. Oftmals wurde das Filmmaterial in „The Last of England“ durch Überblendungen stark verändert. Es folgen oft sehr schnelle Schnitte und in extrem rascher Abfolge montierte Szenen und eine Vermischung und Wiederholung verschiedener Orte und Personen ist zu erkennen.
Hier der gesamte Textabschnitt (der hervorgehobene Teil des Textes kommt in der Szene von 00:06:41 bis 00:06:58 vor): My teacher said, there are more walls in England than in Berlin, Jonny. What were we to do in those crumbling acres, die of boredom? – or recreate ourselves, emerging from the chrysalis all scarlet and turquoise, as deathsheads from gyp plants, moths of the night, not your clean-limbed cannon fodder for the drudgy nine-to-five, sniffing glue instead of your masonic brandies. We fell off the cogs of misfortune, out to lunch in 501s, notching up the pricks in the disco, we heard prophetic voices. I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving, hysterical, naked, not with a bang, but a whimper. And gathered everything you threw out of your dream houses, treasured your trashcans, picking through the tatters of your lives, we jumble the lot and squat in your burnt out hearths. Your world, beavering away at its own destruction, serviced the profit machine, and creaked to a halt, not with a bang. Even our protests were hopeless, neat little marches, down blind alley, all around malevolent bureaucracies mutated large as dinosaurs, a thin yellow pus drained through exhausted institutions. Citizens stood mute, watching children devoured in their prams, and all you did in the desperation was celebrate the Windsors yet again, old cows staggered to the slaughterhouse to emerge as roast oxen.
Filmszene Dauer: 00:06:41 – 00:07:26, 45 Sekunden
Die Szene spielt in einem verlassenen Gebäude. Da in den Einstellungen davor und auch in der Totale dieser Szene keine Decke zu sehen ist, würde ich auf eine verlassene Halle mit vormaliger industrieller Nutzung schließen, da solche Gebäude die nötige Höhe aufweisen. Aus Jarmans Aufzeichnungen in „Kicking the Pricks“ ist bezüglich der Drehorte folgendes zu entnehmen: „Much of the film was shot on these locations: the old Spillers buildings at Millenium Wharf, the Royal Victoria docks, and of course Liverpool […].“ (Jarman 2010, 200) Die gesamten nächsten 45 Sekunden sind in ein rötliches Licht getaucht und oftmals sehr dunkel, es gibt einen starken Hell-Dunkel-Kontrast. Eine Tageszeit kann nicht eindeutig festgestellt werden. Wie durch die auf Seite 43 beschriebene Technik, entstand eine stark verdunkelte, mysteriöse Stimmung, auch wenn die originale Aufnahme bei Sonnenlicht stattfand. Die Schatten in der Szene sind zwar recht hart, aber ob diese von einer fast senkrecht stehenden Sonne oder einer künstlichen Lichtquelle stammen, kann nicht erkannt oder mit absoluter Sicherheit gesagt werden.
Schnittgeschwindigkeit Die Szene dauert insgesamt 45 Sekunden. Es gibt insgesamt 3 Schnitte innerhalb der Szene. Zeitlich beginnen wir bei 8 Sekunden, dann folgt der erste Schnitt. Die nächsten Einstellungen dauern dann 7 und 6 Sekunden, was zusammen
In der Einstellung Nummer 4, 3. Schnitt endet der gesprochene Text und ab 00:07:02 setzt dann die Violinensonate von Bach ein, was zu einer Dramatisierung der Stimmung innerhalb der analysierten Szene führt. (Dillon 2004, 170)
21 Sekunden ergibt.
Spring und Amor Vincit Omnia
Eigene Übersetzung der unterstrichenen Stelle: Die Bürger standen stumm da, beobachteten, wie Kinder in ihren Kinderwagen verschlungen wurden und alles was du in deiner Verzweiflung getan hast, war die Windsors erneut zu feiern, alte Kühe stolperten zum Schlachthaus, um als gebratene Ochsen hervorzukommen. Gerade der letzte Absatz bezieht sich direkt auf das Haus Windsor, das britische Königshaus. Der Inhalt des Textes kann als Kritik sowohl an der Bevölkerung gesehen werden, welche gewisse Entscheidungen der Obrigkeit stillschweigend akzeptiert und noch weiterhin unterstützt, als auch an dem Königshaus selber, da dieses tatenlos zusieht wie die Regierung unter Thatcher Entscheidungen trifft.
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Analyse der Szene Die gewählte Szene verstört und überrascht, man erwartet nicht eine solch intime Handlung in der Öffentlichkeit zu sehen. Die verwackelte, in der Hand gehaltene Kamera, die immer wieder extrem nahe an den Körper des Schauspielers herangeht, sich schon fast unangenehm nahe an dessen Gesicht befindet, gibt dem Zuseher das Gefühl dabei zu sein, wie gewisse Grenzen der Intimität überschritten werden, ohne etwas dagegen machen zu können. Man wird dazu gezwungen in den persönlichen Bereich von Spring einzudringen. Dabei fühlt man sich absolut unwohl, man wird zum Voyeur.
Manchmal nützen subtile Andeutungen nicht und es ist nötig – wenn man eine klare Aussage treffen möchte – dies auch in aller Deutlichkeit zu tun. Dies tut Jarman hier sehr deutlich. Er will nicht, dass man sich abwendet. Die teils bildfüllenden Aufnahmen lassen es auch nicht zu, den Blick auf etwas anderes in der Szene zu richten. Die gewollte Wirkung auf den Betrachter ist eindeutig. Unterstützt wird das Ganze durch die gezeigte Trostlosigkeit an diesem Ort. Dies kann durchaus als Symbol für die damalige politische Situation verstanden werden, unter der Homosex uelle in der damaligen Zeit zu leben hatten. Die Wahl dieses Bildes, auf dem sich Spring vergnügt, hat wesentlich dazu beigetragen, die gewünschten Inhalte zu transportieren, denn die Entscheidung „Amor Vincit Omnia“ von Caravaggio zu verwenden, unterstützt Jarmans Anliegen und die Botschaft die er damit senden will, da man Caravaggio eine homo sexuelle oder bisexuelle Neigung nachsagt. 60
Da vor der gewählten Szene in der die sexuellen Handlungen geschehen – hierbei ist es unbedeutend ob als Geschlechtsverkehr oder Masturbation verstanden – Spring nicht gerade zimperlich mit dem Bild umgeht und auf ihm herumtrampelt und springt, werden auch all die angestauten Emotionen, die Frustration ob der eignen Situation Jarmans, aber auch die aktuelle politische Situation in die Beziehung und Handlung zwischen dem Schauspieler und dem Bild beziehungsweise dem darauf abgebildeten Jüngling transportiert. In dieser Szene erfolgt die Politisierung zwar auch durch die Andeutung einer sexuellen Handlung zwischen zwei männlichen Personen, noch verschärft durch den Umstand, dass die Person auf dem Bild sehr jung ist, aber eben auch stark durch den zu Beginn eingesprochenen Text. Würde der Ton wegfallen, fehlt der direkte Bezug zur Regierung oder Politik. Anders ist dies in einer zweiten Sexszene, die sich eindeutiger auf Großbritannien und sicherlich auch die Regierung unter Thatcher bezieht – da sie sich auf einer Flagge Englands abspielt, hier sind wir auf der visuellen Ebene sehr viel eindeutiger und klarer – auch für einen unaufmerksa-
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men Zuseher würde sich ein Bezug zu England und der Politik erschließen. Diese angesprochene Szene beginnt bei 00:43:03 und endet bei 00:46:20. Ein Soldat oder möglicherweise auch ein Terrorist, ganz sicher aber eine angezogene, maskierte Person liegt auf einer britischen Flagge, eine zweite Person kommt dazu, zieht sich aus und ab 00:44:16 beginnen die beiden sich im Zuge sexueller Handlungen auf der Flagge zu winden.
Somit passen die Szenen, in denen er sich Drogen spritzt, zu seiner Person, und auch eine eigene homosexuelle Neigung stimmt mit der gespielten Person überein. Beziehungsweise könnte man hier fragen, inwieweit er eine Figur oder doch nur sich selber spielt. Als passiver Charakter oder wenn man so will „Gegenspieler“ kann das Bild „Amor Vincit Omnia“ von Caravaggio angesehen werden. Diese Replik wurde eigentlich schon von Christopher Hobbs für den Film „Caravaggio“ gemalt und Jarman hat sie in „The Last of England“ einfach nochmals verwendet. (Peake 1999, 368) Dillon schreibt dazu: „Spring performs, whatever else one might say, a love-hate relationship with this painting and presents in himself a figure of both sexual desire and destruction.“ (Dillon 2004, 168) Durch die klar widersprüchlichen Handlungen, auf der einen Seite die Gewaltanwendung (das Herumspringen auf dem Bild, die angedeuteten Schläge etc.), auf der anderen Seite der sexuelle Akt, zeigt sich was er auf der einen Seite begehrt, auf der anderen aber abzulehnen versucht. Vielleicht hat Jarman damit den Kampf eines jeden Homosexuellen mit seiner Sexualität und Identität gemeint. Jarman schrieb folgendes über den Charakter Spring: „The destruction of the painting was important, Spring reproduces his assault. Caravaggio was unleashing animal passions, that cupid is destrucitve; Spring is a sly cupid destroying Caravaggio in his turn: destruction is destroyed. He’s flying, he’s another faery.“ (Jarman 2010, 207)
Dillon 2004, 169
Der Vergleich der handelnden Charaktere „Spring“ und „Amor Vincit Omnia“ Der Charakter Spring, gespielt von Mark Adley, ist in der analysierten Szene der aktive und bestimmende Part. Adley, der ansonsten auch Spring genannt wurde, hatte in der Vergangenheit schon mit Drogenmissbrauch zu tun und eine Affäre mit Jarman. (Peake 1999, 368)
Spring und Amor Vincit Omnia
[…] Jarman himself reads Spring merely as a figure of destruc tion, Spring is more than that; he is a poetic, creating figure in this first part of the film, not a mere example of urban decay.
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Bevor es zur gewählten Szene kommt, sind beide Akteure schon in Einstellungen zu sehen gewesen. Gerade Spring hat schon verschiedene Handlungen im Film ausgeführt.
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Spring hat bis zur analysierten Szene neun Auftritte alleine, mit insgesamt 88 s Spielzeit. Er ist also häufiger als das Bild zu sehen. Unter anderem trägt er ein Lagerfeuer durch die Docks, spritzt sich Drogen, raucht und hustet.
Zweimal sind Spring und das Bild schon gemeinsam vor der gewählten Szene zu sehen. Diese Einstellungen dauern immer einige Sekunden (54 s und 19 s) Spring tobt auf dem Bild herum, tritt auf dieses ein, deutet Schläge an und wälzt sich darauf herum.
„Amor Vincit Omnia“ ist
In der analysierten Szene sind sowohl Spring als auch das Bild zu sehen. Sie dauert 45 s.
Spring und Amor Vincit Omnia
alleine nur 3 s zu sehen.
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Beispiel einer Kurzbeschreibungen aus der Szenenanalyse „Spring und Amor Vincit Omina“
00:02:06 – 00:03:00
54s
Zuerst findet eine stark verwackelte Kamerafahrt über das Bild statt, dann springt Spring auf dem Bild herum. Es folgt eine Nahaufnahme des Gesichts des Jünglings auf dem Bild. Spring springt weiter, tritt, beginnt einen Stock zu schwingen, mit dem er auch auf das Bild einschlägt. Dann folgt ein rhythmisches Eintreten auf das Bild, meistens mit dem linken Fuß. Schließlich sieht man eine Nahaufnahme vom Bild und Springs Füßen, die darauf herumspringen.
00:04:47 – 00:04:52
5 s
Spring sitzt, den Rücken an eine Stein mauer angelehnt, am Boden und bindet sich ein Tuch um den linken Arm. Er zieht es fester an und klopft mit der rechten 00:03:52 – 00:04:14
22 s
Spring, erstmals nicht oberkörperfrei, zündet eine Leuchtfackel an und beginnt herumzulaufen. Man erkennt Bruchteile der Umgebung. Es liegt Schutt herum, man kann desolate Wände und Fenster 64
erkennen – eine trostlose Umgebung
Hand auf den linken Arm.
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„I cherish t the momen the when, over k, my kitchen sin to mother said Thank : r e h t a f y m r heavens ou not e r a n e r d il h c y are normal, the
ore so much m than interesting s.“ their friend , 122 Jarman 2010
ger Wehin tos Sarah Text und Fo
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m e d f u a n Actio k c a J n o i Un dramatische h c r u d lt a m r Unte n zwei Persone n u n n e t e r t Musik nteraktion. I in r e d n a direkt mitein der, mit sich n a in e it m n . Sie ringe der sie leben in lt e W r e d selber und 68
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Filmszene Dauer: 00:43:02 – 00:46:22, 3 min 20 s
Schnittgeschwindigkeit Die längste Einstellung ist zugleich auch die Erste mit 34 Sekunden, die Kürzeste dauert 3 Sekunden. Summiert man die ersten drei Einstellungen nehmen diese ca. 1/3 der gesamten Szene ein. Was auffällt ist, dass immer wieder Einstel lungen mit sehr ähnlicher Länge aufein anderfolgen (3/4/4 s, oder 12/16/14 s).
Es findet eine Interaktion zwischen Personen statt. Zuerst ist nur eine liegende Gestalt zu sehen. Dann betritt eine weitere Person (nicht Spring) die Szenerie, beginnt sich auszuziehen, trinkt aus einer Flasche und lässt sich neben der liegenden Person nieder. Während dieser Vorgänge reagiert die liegende Person nicht. Diese ist komplett bekleidet, auf dem Kopf trägt sie eine Maske – die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen Soldaten handelt, da in den vorherigen Szenen schon Soldaten in derselben Montur gezeigt wurden, und so eine starke Symbolik in die Szene gebracht wird. Eine politische Note gibt Jarman auf visueller Ebene dieser Szene sofort durch das Tuch, welches im Zimmer über einen nicht näher definierbaren Unterbau ausgebreitet ist – es handelt sich um die Nationalflagge des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Somit findet durch die Handlung der Akteure, welche als ein gemeinsames Ringen, aber auch als sexueller Akt angesehen werden kann, nicht nur eine direkte Anspielung auf das Thema Homosexualität statt, es wird auch eine Verbindung zum Militär und über die Flagge zur Regierung Großbritanniens und somit zur Politik und deren Figur Margaret Thatchers geschaffen. Im Vergleich zur ersten analysierten Szene wurde diese Szene nicht mit einem rötlichen Farbstich versehen. Ausgeleuchtet wird die Szenerie mit Kunstlicht, was zur Folge hat, dass in manchen
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Für die einfachere Unterscheidung der beiden Akteure wird von der maskierten Person immer als „Soldat“ gesprochen, die Person die danach in die Szene schreitet, wegen seines offensichtlichen Zustandes als „Angetrunkener“, ohne damit eine Wertung vornehmen zu wollen.
Ton in der Szene Während der gesamten Szene spielt Musik, aber nicht so laut, so dass man die Geräusche im Raum auch hört. Das reicht vom Trinkgeräusch bei Minute 00:43:14 und 00:44:04, bis hin zu den Glasflaschen die durch die Bewegungen auf der Flagge verrutschen. Von den Schauspielern hört man zunächst gar nichts, sie erzeugen lediglich die Geräusche durch ihre Berühr ungen und das Aneinanderreiben und Bewegen auf der Flagge. Ihre Atmung ist aber sehr wohl zu hören, besonders ab 00:45:35. Bei Minute 00:46:04 entweicht einem der Schauspieler, vermutlich dem Angetrunkenen, ein Stöhnen.
Die Musik kann als klassisch bezeichnet werden, man hört eindeutig Streichinstru mente. Das Tempo der Musik bleibt die ganze Szene über gleich.
Action auf dem Union Jack
Einstellungen ein extremer Hell-Dunkel Kontrast entstand, besonders da die angestrahlte Haut des Angetrunkenen sich vom dunklen Hintergrund und dem dunklen Körper des Soldaten abhebt.
Intro
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Der Soldat und der Angetrunkene Beide Akteure versuchen beim Ringen nach oben zu kommen, um die Oberhand über das Geschehen zu haben. Dies zeigt sich zeitlich wie folgt: der Angetrunkene befindet sich 71 Sekunden oben, der Soldat etwas weniger, nämlich 47 Sekunden. 81 Sekunden lang findet keine direkte körperliche Interaktion zwischen den beiden Akteuren statt.
00:43:03 – 00:44:14
71s
Intro: Sie berühren sich nicht
00:44:14 – 00:45:09
55s
Angetrunkene oben
00:45:09 – 00:45:39
30s
Soldat oben
00:45:39 – 00:45:55
16s
Angetrunkene oben
00:45:55 – 00:46:12
17s
Soldat oben
00:46:12 – 00:46:22
10s
Outro: Sie berühren sich nicht
Action auf dem Union Jack
Outro
17s
16s
30s
55s
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Thought I hardly think a painting makes a suc cessful object of desire. And the sex scene: I don’t think of it as a love scene – has a drunken impotence about it which I like; safe sex can be awfully drab if you’ve experienced sodomy. I’m not certain that I want comfortable sex ual encounters, deep down it all seems too cosily suburban and fits too nicely – that’s the right word – into the chintzy Englishness of it all. The sex in my life
Analyse der Szene „Union Jack“ Die gesamte Szene wurde, wie auch der Rest des Filmes, mit einer Super-8-Kamera gefilmt. Man spürt auch in den meisten Einstellungen, dass die Kamera von einer Person direkt in der Hand gehalten und bedient wird. Einerseits weil die Kamera immer wieder wackelt und auf sehr natürliche Art den Bewegungen der Schauspieler folgt, andererseits weil sie sich ihnen immer wieder extrem nähert. Ähnlich wie bei der Szene „Spring und Amor Vincit Omnia“ wird immer wieder sehr nahe an die Körper und Köpfe der Akteure herangegangen was auch hier dazu führt, dass man sich ob der intimen Handlung als Voyeur zu fühlen beginnt. Bei den Szenen, die aus Vogelperspektive gefilmt wurden, scheint die Kamera auf einer Vorrichtung, die eine gewisse Stabilität in der Bildführung gibt, aber trotzdem eine Neigung zulässt, montiert gewesen zu sein.
Bis es zu dem Gerangel mit deutlich sexuellen Konnotationen kommt, gibt es ein 71 Sekunden langes Intro, welches als Vorspiel angesehen werden kann. Diese Langsamkeit macht diese Szene besonders aus. Aufgewühlt von den vielen schnellen Schnitten, den rötlich überlagerten Einstellungen und den überlagernden und flackernden Bildern überrascht diese Pause des visuellen Feuerwerks und schafft die gewollte Aufmerksamkeit für das, was dann folgt. Dieses bewusste Innehalten gibt dem Gezeigten noch mehr Gewicht und räumt der Botschaft den benötigten Platz ein. Die Anspielung auf England wird durch die Flagge deutlich transportiert. Dass dann zwei Männer die gezeigten Handlungen auf der Flagge vornehmen, bringt nicht nur das Thema
Die beiden Charaktere gehen oftmals nicht gerade zimperlich miteinander um, ihre ineinander verschlungenen Körper und ihre Bewegungen erinnern an ein Ringen, nur um was? Jarman bietet dazu natürlich keine direkte Auflösung, interessant ist aber das Ende der Szene, als der Soldat in einer ähnlichen Position wie zu Beginn der Einstellung regungslos und alleine auf der Flagge liegt, so als ob nichts geschehen wäre. Ist also nichts geschehen? Man könnte das Ganze so deuten, dass die Szene so nie passiert, sondern Wunschdenken gewesen ist. Hat sich die Person, die in die Szenerie geschwankt ist, bewusst Mut angetrunken um den Schritt zu wagen, die eigenen Neigungen auszuleben? Die groben Bewegungen können für die Unsicherheit in dieser Situation stehen, das Stöhnen des Angetrunkenen für das Lustempfinden. Für Jarman war das Thema Sex immer mit einer gewissen Aggressivität und Rohheit verbunden, das Ringen kann wohl auch als Ringen mit sich selber und seiner eigenen Identität verstanden werden. Dazu passen folgende Aussagen: „Ich glaub auch heute noch, daß jede sexuelle Befreiung nur dann möglich ist, wenn sie persönlich ist. Man muß darum kämpfen draufzukommen, wer man ist.“ (Jarman 1996, 86)
In „Kicking the Pricks“ findet sich ein Interview, in dem Jarman gefragt wird, ob die Liebeszene auf der Flagge ein bewusstes Echo der vorhergehenden Interaktion von Spring mit dem Bild ist. Jarman antwortet darauf: „It could be seen that way. Thought I hardly think a painting makes a successful object of desire. And the sex scene – I don’t think of it as a love scene – has a drunken impotence about it which I like; safe sex can be awfully drab if you’ve experienced sodomy. I’m not certain that I want comfortable sexual encounters, deep down it all seems too cosily suburban and fits too nicely – that’s the right word – into the chintzy Englishness of it all. The sex in my life has been hamstrung. […]“ (Jarman 2010, 194) Steht diese Szene also für eine Rebellion gegen die englische Prüderie und die heteronormativen Standards, denen Jarman entkommen zu versucht? Vielleicht zeigt er uns zumindest, wie viele Graustufen es auch im Bereich der Sexualität gibt. Auch wenn am Ende der Szene das Genitale des Angetrunkenen zu sehen ist und man die gesamte Handlung als homoerotisch bezeichnen kan, bleibt sie dennoch wage und weniger konkret. Gerade wenn man an Jarmans Film „Sebastiane“ denkt, weiß man aber, dass Jarman nicht davor scheut Männer komplett nackt zu zeigen. Dies hat er hier die meiste Zeit aber vermieden und sich stärker auf den Oberkörper und die Köpfe der Schauspieler konzentriert. Hier mischt sich zu den sexuellen Begierden auch eine gewisse Rohheit und Brutalität, was als ein Ringen der Homosexuellen mit sich selbst und den eigenen Gefühlen verstanden werden kann.
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Action auf dem Union Jack
Homosexualität sehr deutlich zum Ausdruck, sondern schafft durch die Flagge als Unterlage eine direkte Verknüpfung mit dem Staat und so auch mit der Politik unter Margaret Thatcher. Eine weitere Verbindung zum Staat wird durch die Kleidung des als „Soldaten“ definierten Person geschaffen. Die Uniform schlägt eine Brücke zum Militär und zu strengen Hierarchien und Strukturen. Auch die „Clause 28“ hat zu neuen Strukturen in der Gesellschaft geführt.
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r e d h c i e l Verg g n i r p S „ Szenen t i c n i V r und Amo d n u “ a i n m O “ k c a J n o „U n i
to Text und Fo
ehinger s Sarah W
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chieden, s r e v k c li B n te : auf den ers n e n e z S i e w Z emeinsam G r a a p in e s en gibt e hen Themen auf den Zweit ic le g n e d n o n Dritten v keiten, auf de e Analyse. geprägt. Ein
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Erste Anspielungen Durch die Verwendung der Nationalflagge des Vereinigten Königreichs Großbri tannien und Nordirland – in der Szene „Union Jack“ –, welche über einem nicht näher erkennbaren Gebilde aufgebaut ist, gibt es in dieser Szene eine direkte Anspielung auf das Britische Königshaus und die Regierung in Großbritannien, nicht zuletzt durch die Figur des Soldaten. Der Soldat, welcher dem Militär zugehörig ist und gehorchen muss, kann eine weitere Anspielung auf blinden Patriotismus geben und möglicherweise auch eine Brücke zu seinem Vater und seinen Erlebnissen auf RAF-Stützpunkten schlagen.
Der Umgang miteinander Jarman hat über die Handlung mit dem Bild gemeint, dass er diese nicht unbedingt als Liebesakt bezeichnen würde, ebenso wenig wie die Szene auf der Union Jack. Und es stimmt auch, dass beide Szenen wenig Zärtlichkeit verspüren lassen, gerade auch wenn man sich anschaut, wie Spring das Bild „Amor Vincit Omnia“ vor der gewählten Szene behandelt hat und wie die beiden Schauspieler in der zweiten Szene miteinander umgehen. Dazu schreib Dillon: „Instead of an erotic, ideal, preconscious monumental space, we find ourselves in an utterly fallen, almost unconscious place, one essentially devoid
of eroticism. We hear a couple of grunts or moans on the sound track, which round the figures into a sexual sound-space for a moment, but the scene is surely anything but erotic, since these characters seem far more dead than alive.“ (Dillon 2004, 177) Da sich die Situation unter Thatcher besonders durch die „Clause 28“ verschlechterte, sagte Jarman in einem Interview 1992, dass „Menschen wie ich wieder mehr und mehr zurück in die Heimlichkeit gezwungen“ werden. (Jarman in Issac, 2009: 36’24’’) Diese Aussage finde ich dahin gehend spannend, da beide Szenen in einer verlassenen Lagerhalle oder aufgegebenen Produktionsstätte gedreht wurden. Vergleich der beiden Szenen
Die erste gewählte Szene enthält ebenfalls eine solche Anspielung, wenn nicht visueller, sondern nur auf audiovisueller Ebene (Text auf Seite 58). Bildliche Hinweise sind definitiv deutlicher und einprägsamer und machen eine Ein ordnung und ein Verständnis für den Zuseher einfacher.
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er Öffenten also in d d n fa en m ten Die Aufnah em geschütz , nicht in ein att st sont , ei an k ch li dio von Jarm tu S im er an Rahmen od Welt. Zwar in der realen en ß er u d ra , d rt n O der senen rweile verlas che einem mittle ruktion, wel st on ek D ie d t aber ganz gu nen, wieder h andere Sze rc u d ch au sich vermag. spiegeln zu pring auf dem zene liegt S S en nem st er er In d en Unrat, ei sich zwisch es nch el efi b w , Bild rahmen em Fenster n ei d orgt n ts u n en dort Reife urde es auch w t ch als ei , ll so ie det. V irkt also lassen. Es w ge len ck al rü H zu oder en der Durchstreif m ei b g n en ri ob Sp ist. Dageg ild gestoßen h auf dieses B rstützt durc n Szene, u te te ei zw e ie fg d wirkt n extra au tung, wie ei die Ausleuch in. bauter Schre eiden sich ht untersch ic S er ch is grundsätzAus film erten Szenen si y al an en die beid iedliche Farb ie untersch ung m m ti S lich durch d gesamte ie d e ch el w g gebung, berlagerun Durch die Ü nia“ m O t ci beeinflusst. in Amor V d n u g n ri p el sind in „S ieden dunk und versch „Union In . ar nur Rottöne erkennb e ch ei er B e e Rot vor, abgestuft falls die Farb en eb t m zene ist in Jack“ kom ent. Diese S in m ro p so aber nicht erlagerung. ht, ohne Üb re d ge e rb Fa tsphäre a in den Keine Priva gt die Kamer n ri d en n ze r In beiden S Schauspiele Bereich der en der ch li in n t sö is per selber eraführung l am K ie v ie l, D ie . ein aber v erten Szene si y uch al A . an ig en d erst t stän Bild wackel as d , ir er w ig h ig unru sehr flüss ahrten, die ik af et er h st am -Ä K die Super-8 azu bei, die d en ag tr , ken
Much of the film was shot on these locations: the old Spillers buildings at Millenium Wharf, the Royal Victo ria docks, and of course Liverpool.
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Jarman 2010, 200
n nach Auße en Das Innere Szenen ein e d ei b n le el st h ic m Für ikt dar, be neren Konfl gewissen in Persönlich auf Jarmans d en m eh zugn ber seine Aussagen ü keit, seine erknüpften die damit v d n u ät it al Sexu t zuletzt er auch nich ab , n ge n ru Erfah n. Jarman he Situatio sc ti li o p ie d durch e Art und e ganz eigen in se f au s hat die ch über das rückt und si Weise ausged Flagge, die avaggio, die ch Bild von Car en, aber au g des Soldat , rt ie re Verkleidun k en ion Symbolik in en aft die Filml ocat h sc ot ger seiner B n io it die er als Trä os p om schlüssige K eine für ihn . Sozusagen te n n o k ellen zuammenst ittel zum Elemente M waren diese rückt in den die Botschaft Zweck und d. Vordergrun
Vergleich der beiden Szenen
ne anderen Sze tzen. In der tü rs te n es u , er zu atisch amera viel st rwirkt die K s einer natü au r immer nu t h ic t n d am ir w t. Insges on aus gefilm llichen Positi aus der Voge d n lungen si el st in . E f en d n fü en wor aufgenomm perspektive
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t n e m e t a t S
ht agenda g i R w e N e h As part of t ught o s 8 2 n o i t c , Se in the 1980 orities h t u a l a c o l n to impose o f sexualio w e i v r a l a particu icting r t s e r d n a sing ties, repres ate. In b e d c i l b u p g the emergin oped h s a w t i s l choo context of s uding l c n i ‘, s e u l a v that ‚family ould w , e g a i r r a al m he t e r o s e x u utlawing o y b d e s s e be buttr cepta c a e h ‚t f o ‘ tion the ‚promo y as a t i l a u x e s o m bility of ho nship‘. o i t a l e r y l i fam pretended ’54’’
sac, 2009: 54
Jarman in Is
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Reaktion A Wie kann man nur Sexualität als Teil der Gesetzgebung sehen? Ich bin da fassungslos, wenn ich so was lese. Ich wette es gibt jede Menge Homo sexuelle, die in ihrer Partnerschaft Kinder haben und mit diesen wesent lich liebevoller umgehen, als dieses klassische christliche Familienbild. Eine heilige Familie existiert sowieso nicht, denn es kommt immer auf die individuellen Menschen an. Was bilden sich die alle ein? Sexualität gehört einfach nicht in ein Gesetz. Reaktion C Ich will mir gar nicht vorstellen wie es damals gewesen sein muss sich zu outen bzw. sich mit der Frage seiner Sexualität auseinandersetzen zu müssen, da das öf fentliche Bild zu Homosexualität als krank und verdorben stigmatisiert war. Daher finde ich es auch nicht verwunderlich, dass es Personen gab, die sich erst in der späten Hälfte ihres Lebens geoutet haben um nicht (von Fremden oder auch Freun den und Familie) verteufelt zu werden. Ich glaube, dass sich mittlerweile viel geändert hat, wobei Outing immer schwer ist und es immer Zweifel gibt wie Personen damit umgehen können. Jedoch ist es beruhigend zu wissen, dass sich bei einer so persön lichen Entscheidung der Staat/Gesetzgeber nicht mehr einmischt.
Reaktion B Wenn ich über dieses Thema „Gesetze und Homosexualität“ nachdenke, dann komme ich immer und immer wieder zu dem Schluss, wie traurig es eigentlich von Grund auf ist, dieses Thema überhaupt zu haben. Es ist nicht wegzudenken in einer Art und Weise, aber warum? Die Liebe zwischen Gleichgeschlechtlichen hat genau den selben Stellenwert wie jede andere Art von Liebe. Das Streben nach Glück ist ein Men schenrecht und das setzt für mich Liebe und Beziehungen zu anderen Menschen voraus – ganz egal wel cher Hautfarbe oder whatever! Jeder weiß, dass Schwule und Lesben früher nicht anerkannt wurden – in manchen Aspekten heute noch umstritten sind – aber wie blöd sind Menschen, die meinen sie müssen andere manipulieren, unterdrücken und Verbote erlassen, um der Homo sexualität Einhalt zu bieten. Das kranke System Staat meint, es muss sich überall einmischen – wo es im Grunde kein Fünkchen Mitsprache recht besitzen sollte.
Statement und Reaktionen
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Man könnte bei einer ersten Betrachtung des Filmmaterials glauben, dass alles ein lose zusammengestückeltes Sammelsurium an flüchtigen Eindrücken ist, filmisch festgehalten durch die verwendete Super-8-Kamera. Doch wie schon gezeigt wurde, schafft es Jarman in dieser rasanten Reise, doch immer wieder Kontinuität einfließen zu lassen. Etwa durch den Charakter Spring, der gerade zu Beginn des Filmes immer wieder vorkommt. Aber auch die beiden analysierten Szenen in dieser Arbeit enthalten einerseits eine teilweise thematische Übereinstimmung, als auch einige auf filmischer Ebene umgesetzte Parallelen. Des Weiteren kommen andere Motive, wie die Soldaten, Lagerhallen …, in keiner erkennbaren Reihenfolge immer und immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen und Blickwinkel vor. So wird, trotz der vielen hektischen Schnitte und Überblendungen, eine gewisse Kontinuität geschaffen. Ebenso greift Jarman als gestalterisches Element auf den Einsatz von Home-Movies zurück. Eine seiner präzisen Aussagen über sie ist wohl: „There’s no place like the Home-Movie“ (Jarman 2010, 108). Dieser Ausspruch unterstreicht klar die wirkliche Bedeutung für Jarman, denn sie erinnern ihn stark an positive Erinnerungen in seiner Kindheit.
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Nun stellt sich die Frage, was hinter der Verwendung dieser Aufnahmen in „The Last of England“ stecken mag. Sind sie in diesem konkreten Fall bloße Platzhalter für die Vergangenheit seiner Familie, Kindheitserinnerungen und ein wohl recht sorgenfreies Leben? Dieser Gedanke mag einem zuerst schlüssig erscheinen, insbesondere wenn man
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davon ausgeht, dass die Verwendung von Home- Movies eine einmalige Angelegenheit war. Doch bei genauer Recherche finden sich von Jarman gedrehte Musikvideos, die teilweise sogar die gleichen Home-Movies enthalten. Kein Genre ist sein Genre und Musikvideos „Zeit seines Lebens hat sich Jarman jedoch Zuord nungsversuchen, im Besonderen sein filmisches Werk betreffend, vehement verwehrt. Im Mittel punkt stand stets der Wunsch nach visueller Umsetzung einer Mitteilung, das adäquate Medium wurde auf der Suche nach der jeweils entsprechenden Form der Umsetzung ausgewählt.“ (Frey 2008, 10) Eine Beschlagwortung z.B. als „Avantgardefilmer“ hat ihm nicht gepasst. Für ihn stand die Idee im Vordergrund, ganz gleich ob Film oder Musikvideo.
Wenn man einen ersten Blick auf „The Last of England“ wirft, kommt das Gefühl auf, dass der Ton eine sehr wichtige Rolle spielt und gewisse Szenen stilistisch an seine davor und auch zur gleichen Zeit produzierten Musikvideos erinnert, auch wenn, wie vorher schon dargelegt, es ihm stets wichtig war zu betonen, dass der Inhalt die Darstellung vorgab. Es finden sich zum Beispiel in einem Musikvideo für „The Smiths“ (The Queen is Dead, 1987) Ähnlichkeiten mit der stilistischen Umsetzung in „The Last of England“. (Scherer 1996, 22)
„Videoclips waren in den achtziger Jahren eines der Felder, auf denen mit neuen Formen experimentiert wurde“ (Scherer 1996, 21). Durch Veränderungen in der Unterhaltungsindustrie Anfang der achtziger Jahre, nicht zuletzt durch den Musiksender MTV, gewannen Musikvideos auch in der Musikbranche immens an Bedeutung. Jarmans unkonventionelle und improvisierte Art zu arbeiten und seine Fähigkeit auch mit rohem und schwierigem Material umzugehen, hat ihn zu einem idealen Kandidaten gemacht. Diese Möglichkeit Geld zu verdienen, konnte Jarman nicht abschlagen. (Peake 1999, 312) So entstanden ab 1983 unter anderem folgende Musikvideos: Steve Hale „Touch the Radio, Dance!“, Wang Chung „Dance Hall Days“, Carmel „Willow Weep for Me“, Jordi Call „Catalan“, Marc Almond „Tenderness is a Weakness“ (Peake 1999, 312) Ein besonderer Dreh war für Jarman mit den Pet Shop Boys und Neil Tennant: „Die Pet Shop Boys haben mich gerettet. Neil Tennant verstand mich immer sofort. ‚It’s a Sin’ ist mit das Beste das ich je gemacht habe.“
So finden sich dort „Bildmaterial unterschiedlicher Herkunft und Ästhetik: Aufnahmen in Farbe neben s/w-Bildern, Zeitraffer mit Wackelkamera neben Aufnahmen in Normalgeschwindigkeit, die Bilder werden eingefärbt […].“ (Scherer 1996, 22, 23)
So ist es auch nicht verwunderlich, wenn nicht nur Home-Movies den Weg in seine Musikvideos gefunden haben, sondern auch andere Bilder wiederverwendet wurden, wie man hier ganz gut sehen kann.Und da bei diesen beiden Videos ebenfalls Home-Movies verwendet wurden, werfen wir einen Blick darauf, wie diese integriert wurden.
Alles nur Zufall?
(Jarman in Issac, 2009: 51’43’’)
Die Verwendung der gleichen Stilistik in mehreren seiner Projekte könnte man Jarman jetzt vielleicht als Einfallslosigkeit und Bequemlichkeit auslegen, doch für mich zeigt der Einsatz der gleichen Techniken, dass sich Derek Jarman eben verschiedene angeeignet und so weit adaptiert hat, um die gewünschten Aussagen treffen zu können. Aber auch, dass Jarman durch die immer wiederkehrende Verwendung gewisser Motive (Orte, zerstörte Gebäude, Natur-Bilder) eine eigene nach seinen Vorstellung konnotierte Symbolik erschaffen hat, derer er sich immer wieder bedienen konnte, um den Inhalt auszudrücken.
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Say Goodbye ry Time We ve E – x o n n nie Le r klaren Bot Beispiel: An it einer seh m ch ei gl t inn of HIV more cases Der Song beg ennox: „The L ie s of Aids n n se A ca n the less schaft vo ow n t en v re eaus in e can p blickt gerad infection w future“. Sie e th st danach in er , en useher an well be se Z en d t ek ir also d die Kamera, ong. S er beginnt d läche, rojektionsf vor einer P t eh er st p n ör ri f ihren K Die Sänge er Filme au d ie w Somit . er m en t werd auf der im ter projizier in er ah d e en ch zwisch d und die Flä Verbindung e n ei l, an ia rm er dmat erschafft Ja tzlichen Bil men d dem zusä n u n ovie Aufnah ri M ge eän S il aus Hom te ß “, d ro G an gl m En welches zu „The Last of egensatz zu G it anderem Im m t. ie h n te n bes Sequenze ie ov M ed den Aufwo die Hom werden, wir rt ge sie la er b ü l eingeräumt, Bildmateria mehr Raum h ic t tl h eu ic d N ch ter. nahmen au nd prominen ich länger u tl dkörper im en m es re w F d sin oder gar e ch rü rb te n sen. nur kurze U lich Teil des ndern wirk so , en eh ch Ges en ox fast in d Annie Lenn et d in w e h n sc e kei Oftmals ver wenn gerad dern, oder, il B n äche. Viele te sfl er on zi proji Projekti er d ß ei W dem ch nicht in laufen, mit ies finden si ov M eom nH en aber doch der gezeigte dere komm an “, d an gl f En erek und „The Last o sieht man D 15 1: 0 eo id sikv ideo sieht vor. Im Mu . Dasselbe V n te ar G im 07:38. ester seine Schw “ bei Minute d an gl n E of Last man in „The milie, Derek ie Video: Fa ov M eom fzeit: tte H Garten, Lau Es ist das dri im r te es w ch von Vater iner S -Film, color, spielt mit se m -m 8 : ft n u , Herk 6 Sekunden
Hall Days ng – Dance u h C g an ome-MoW Beispiel: at Jarman H h eo d vi k si m Mu ie Lennox Auch in diese wie bei Ann ch li n h Ä . e unden über den Blu vies eingeb ieder zuerst w er er ab , m et im d e n ngeble werden si Musikern ei en er d d r or te V in sonen im Screen h mit den Per t harte h ic ch n au ll Fa es rch gibt u in diesem d en ch is w terschied lagert. Z s und im Un grund über ie ov M edas den Hom nd sie nicht Schnitte zu goodbye“ si y sa hier e n w e en m d aterial, m d zu „Every ti il B e d n ht dominiere en einer nic zusätzlich ch Aufnahm au mit e an ad rm ar Ja P tung oder verwendete al st an er V heint ierbaren er wie es sc genau defin mern in ein im w ch S d Tänzern un na. sionalen Are überdimen en n analysiert in der zweite ie der w t ik en ol in b m er Sym Ähnlich pro d hier mit d ir w “, ick er Ja n der am Szene „Unio m Falle mit tet, in diese ei b ar ieler Kleider ge sp ge Flag die Schau em d in ch Au ischt mit kanischen. tragen. Gem en rb en Fa en nd euge zu seh in den passe Kampfflugz en en d e in s, grafi Home-Video den Choreo reng wirken st ilitärische er d m e d n n u ei sind, as Ganze d t m om ek eb nden dieser Parad an die tanze de weil Jarm ra in Reihen ge it g, m n tu 10 Anmu iel bei 03: sp ei B m zu ann hung setzt. Personen d itärs in Bezie il M es d en erson sitzenden P
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Ohne eine komplette Biografie über ihr Leben geben zu wollen, sind einige Punkte doch entscheidend, um später mit Derek Jarman überhaupt einen Vergleich anstellen zu können. Diese Punkte sollen hier aufgearbeitet werden. Um sie kurz und präzise zu charakterisieren, passt folgender Text auf dem Cover ihres Buches gut: „Amanda Palmer ist Sängerin, Musikerin, Aktivistin, Regisseurin und Bloggerin und wurde zunächst mit dem Punk-Kabarett-Duo The Dresden Dolls bekannt. Sie ist Fellow am Berkman Center für Internet & Society der Harvard Universität und machte 2012 mit der bisher erfolgreichsten Kickstarter-Kampagne der Musikgeschichte Furore, bei der sie 1,2 Mio. Dollar sammelte“ (Palmer 2015) Schon mit „The Dresden Dolls“ bauten Amanda Palmer und ihr Bandpartner Brian Viglione eine sehr persönliche Beziehung zu ihren Fans auf. „Nach jedem Konzert in jeder Stadt hingen wir noch herum und signierten unser Merchandise, PinkDots-Style, es war eine logische Folge davon, dass sich unsere Fans anfangs mit unseren Freundeskreisen vermischt haben. (Palmer 2015, 138)
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Und weiter: „Manchmal bewahrt mich die Autogrammschlange vor dem Alleinsein. Manchmal erinnert mich die Autogrammschlange daran, dass es bei diesem Job nicht um mich geht, sondern um alle.“ (Palmer 2015, 146) Diese tiefe Verbundenheit hat sich Amanda Palmer erhalten. Nicht nur durch ihre Kickstarter-Kampagne, sondern auch über Patreon. (Grob umschrieben sind Kickstarter als auch Patreon Plattformen, über die Firmen wie
As the artist the song holds an entire mea ning to you Palmer in Power, 2019: 11’16’’
auch Privatpersonen Künstler/innen und deren Projekte unterstützen können.) Vor der Zeit mit Plattformen wie Kickstarter und Patreon ging der Kontakt vor allem über ihren Blog und E-Mail-Listen. Genau darüber wurden auch die ersten Freiwilligen für ihr erstes Musikvideo angeworben. (Palmer 2015, 168) Als Amanda Palmer von ihrer Plattenfirma rausgeworfen wurde, schreib sie einen Blogbeitrag und schrieb einen Song, in welchem sie dies verarbeitete. Im Stile von Radiohead stellte sie diesen Song als Gratis-Download zur Verfügung und ließ es ihren Fans frei, wie viel sie bezahlen wollten. (Palmer 2015, 178, 195, 196) Damit schlug sie erstmals den Pfad, den sie seit damals nicht mehr verlassen hat, ein, in dem sie quasi den imaginären Hut aufgestellt hat. „Ich wollte die Leute nicht dazu zwingen, mir zu helfen. Ich wollte es ihnen ermöglichen.“ (Palmer 2015, 196)
In dem Nachwort zu ihrem Buch „The Art of Asking“, schreibt Jan Ian Swiss: „So leidenschaftlich die Zuneigung von Amandas Freunden und Fans für sie sein mag, einige außerhalb dieser Kreise können nicht verstehen, wie sie tickt. Als die Medien sie um eine Erklärung für ihren Kickstarter-Erfolg baten, hatten sie Antworten bezüglich Business- Plänen und Social-Media-Strategien erwartet. Dort sind die Antworten allerdings nicht zu finden. Ihre Fans begreifen, dass Amandas Beziehung zu ihnen untrennbar mit ihrer Kunst verknüpft ist. Ihre bemerkenswerte Musik ist das künstlerische Endprodukt […]. Die sozialen Medien sind kein trennbarer Teil von ihr. Sie machen sie aus – genau wie ihre Songs sie ausmachen, ihre Musik sie ausmacht, ihr Blog, ihre Kommunikation […]“ (Palmer 2015, 425, 426)
Gefragt, wie Amanda Palmer mit Feedback und auch Kritik ihrer Fans, die scheinbar so viel direkten Einfluss auf ihr Leben zu haben scheinen, umgeht. Sie sagt, dass sie sich ihnen verpflichtet fühlt, aber nicht auf eine negative Art und Weise, sie probiert nur immer so authentisch wie möglich zu sein. (Power, 2019: 14’40’’) Und abschließend, als die Sprache auf Patreon kommt, macht Amanda klar, dass diese Plattform ihr den Druck nimmt, ständig nur an die Verkaufszahlen denken zu müssen und sie stattdessen auch Unterstützung für Projekte erhält, die sie sonst nicht hätte realisieren können. Für sie ist das ein Traum. (Power, 2019: 18’00’’) Diese Freiheit lässt sie mehr wagen, mehr ausprobieren und hat sie wahrscheinlich auch zu einer besseren und authentischeren Künstlerin gemacht.
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If you’re a good artist it doesn’t matter how direct your songwriting is, it means an immense amount to you, whether or not you understand „exactly“ what I’m talking about. […] I mean something to you as the writer. Palmer in Power, 2019: 10’10’’
Amanda Palmer
Amanda Palmers Anliegen Für Palmer steht im Vordergrund, ehrlich und authentisch zu sein. „Die Beziehung zu meinen Fans ist wie eine Freundschaft. Über die Jahre habe ich eine ganze Menge Schlamassel fabriziert: versehentlich doppelt gebuchte Shows, fünf oder sechs Monate zu spät verschickte Alben […] Ich habe mich schon haufenweise entschuldigt. Doch den Kodex der Aufrichtigkeit und des beständigen und direkten Kontakts darf ich nicht brechen. Man kann fast alles wieder hinbiegen, indem man authentisch kommuniziert.“ (Palmer 2015, 336, 337)
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„There Will Be No Intermission“ und Amanda Palmers jetzige Sichtweise Im Interview zu Beginn ihrer Tour meinte Palmer, angesprochen auf den Umstand, dass sie so viel Persönliches mit Fremden teilt, dass es natürlich auch beängstigend sein kann intime Dinge zu teilen. Auch weil diese Show mehr als nur bloße Unterhaltung ist. Der Albumtitel sagt aus, dass das Leben nie aufhört zu sein, es gibt keine Unterbrechung, keine Pause vom Leben. (Power, 2019: 22’28’’) Wenn Palmer darüber nachdenkt auf der Bühne extrem intime Dinge zu sagen, verspürt auch sie Unsicherheit und Ängstlichkeit. „I’m scared and I think that’s a good like I think the fact that I’m kind of scared is a really good sign here […] It’s a scary show, like scary for me. It’s scary to get onto a stage and not just entertain people.“ (Palmer in Power, 2019: 02’44’’) Dieser Anspruch, nicht nur zu unterhalten, sondern auch die eigene Haltung und sich selber auf der Bühne zu präsentieren, benötigt gewiss diese Offenheit, die Palmer ihren Besuchern entgegenbringt. Ohne diese radikale Ehrlichkeit würden die Botschaften zu schnell hinter nichtssagenden Floskeln verschwinden. Das wird klar, wenn Palmer sagt: „My stage show is just like unapologetically balls-out. I talk really graphically about getting abortions. I talk about having a miscarriage alone. I stop and slow down and tell the stories and talk about how it felt and the songs are all woven in there. I mean it’s a really beautiful show, it’s like a piece of theatre. (Palmer in Power, 2019: 03’07’’)
Dieser Show-Ansatz unterscheidet sich doch sehr von der heutigen Musikindustrie. Doch Palmer betont, dass es wichtig ist nicht nur das Eine oder das Andere zu haben. Es braucht sowohl Fiktion, als auch die ungeschönte Wahrheit. (Power, 2019: 04’56’’) Das unterstreicht Palmer, wenn sie sagt: „I don’t think I would want to live in a world that only had one. […] We need the whole spectrum.“ 96
(Palmer in Power, 2019: 05’15’’)
Die Bedeutung des Albums Wenn man Amanda Palmer in diesem Interview sprechen hört, merkt man ab der ersten Minute, wie wichtig dieses Album für sie ist, welche Gewichtung sie dem Thema Ehrlichkeit gibt und wie sehr dieses Werk auch dazu dient, ihre eigene Rolle als Künstlerin auszuloten und zu hinterfragen. Offenheit und die damit verbundenen Grauzonen scheinen sie zu faszinieren und rücken in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Dazu sagt sie: „The challenge of my career that sort of keeps calling me is you know in the places I go where I’m afraid, otherwise I get bored and I just feel like I keep being called to figure out how much more honest I can be, like without totally losing control of the plot.“ (Palmer in Power, 2019: 05’48’’). Diese Ehrlichkeit und teilweise auch Verletzlichkeit bringt Palmer näher an ihre Fans, oder wie sie lieber sagt, ihre „Community“. Denn auch gerade die Songs, die wirklich mit einer Botschaft versehen sind, sprechen die Menschen auf einer ganz anderen Ebene an. (Power, 2019: 06’10’’). Als Künstler muss man diese Nähe und diese Offenheit natürlich auch wollen und so ist es für jeden entscheidend sich klar zu werden, was für eine Art Künstler man sein möchte, ohne dass eine Wertung vorgenommen werden muss – die eigene Haltung muss einfach mit den Aussagen auf der Bühne kongruent sein, um authentisch auf das Publikum zu wirken. Und so hat Amanda Palmer für sich folgendes erkannt: „You can be an entertainer and simultaneously annihilatean audience with the truth and what they need to hear maybe.“ (Power, 2019: 07’45’’).
Aktuelles Album erschienen: 8. März 2019 Label: 8ft. Records, Copy right: 2019 Amanda Palmer under exclusive licence to Cooking Vinyl Limited Gesamtlänge: 1:17:53
Gerade während diese Zeilen geschrieben werden, befindet sich Amanda Palmer auf ihrer Tour in Irland. Sie wurde in die „The Late Late Show“ eingeladen und wollte besagten Song spielen. Sie sandte ihnen diesen Vorschlag, erklärt den Inhalt und warum sie es für passend hielt: Amanda Palmer war selber in Irland, als sich die Irländer Anfang des Jahres 2019 für eine Legalisierung der Abtreibung im eigenen Land ausgesprochen haben. (Palmer, 2019) Was dann passierte, beschreibt sie wie folgt: „I heard back a few days later: the song was lovely but
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Amanda Palmer
„Voicemail for Jill“ Warum wurde für diese Arbeit gerade dieser Song ausgesucht? Es gibt nicht eine Antwort, es sind mehrere Gründe. Jeder der Songs im Album „There Will Be No Intermission“ spricht ehrlich und offen Themen an, die in der aktuellen Musikszene wenig Beachtung finden. Doch ein Song wie „Vociemail for Jill“, wo klar und ohne Umschweife Abtreibung thematisiert wird, ist doch etwas Besonderes.
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didn’t quite fit, could I play something else? I pushed back and said that yes, of course I could, but that I felt strongly that this was the song that made sense. Could we discuss it? No.“ (Palmer, 2019) Im weiteren Verlauf des Artikels schreibt Palmer, dass auch sie nicht gänzlich ausschließen kann, dass es andere Gründe gibt, doch die fehlende Bereitschaft für ein Gespräch und die Information, dass kein Auftritt zu einem anderen Termin möglich ist, spricht für sich. (Palmer, 2019) Dieser Vorfall zeigt gut, wie sensibel gewisse Thematiken auch dann bleiben, wenn die rechtliche Grundlage mittlerweile geschaffen wurde. Auch Jarman hat in seiner Jugend erfahren, dass es nicht ausreicht, wenn sich nur Gesetze ändern. Er schrieb: „Ich war damals 16. Öffentliche Erklärungen wie diese waren kein Trost, weil legal oder illegal ich auf jeden Fall für diese Leute ein Problem war, nicht angepaßt und gesellschaftsschädigend.“ (Jarman 1996, 38) Genauso spricht Palmer in ihrem Song ein Thema an, das in der Gesellschaft polarisiert und zu starken Kontroversen führt.
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Umgang mit dem Thema Abtreibung Wichtig dabei ist zu verstehen, warum Amanda Palmer dieses Thema aufgegriffen und in dieser Ausdrucksweise ausgearbeitet hat. Sie selber spricht auch in ihrer Show sehr offen darüber, dass sie das erste Mal mit 17 Jahren eine Abtreibung hatte und noch zwei weitere folgten. Ebenso eine Fehlgeburt und schließlich die Geburt ihres Kindes. Folgende Aussage mag vielleicht die Frage aufwerfen, warum sie diesen Song geschrieben hat. „I don’t like singing about abortion. I don’t like writing about it. And like most people, I don’t even like talking or thinking about it.“ (Palmer, 2019)
Aber es war ihr definitiv ein Anliegen, Abtreibung und der Umgang damit in der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen. 20 Jahre nach ihrer ersten Abtreibung hat sie es geschafft. „I was finally able to pen a song that seemed to give the topic the emotional justice and nuance it deserved.“ (Palmer, 2019) Ein so sensibles Thema anzugehen ist sicher nicht einfach. So beschreibt Amanda Palmer selber den Song: „The song, ‚Voicemail for Jill‘, is a
simple concept: a long voicemail is left by a woman for her friend, Jill, who is on her way to an abortion procedure. We don’t know why Jill is going, or what exactly happened; we don’t know whether Jill is married, single, a schoolgirl or an older woman, Catholic, Buddhist, or whether she needs this abortion for life-saving medical reasons. All the song tells us is that going to an abortion, for any reason, can be an unfathomably lonely and
email ic o V „ , g n o The s simple for Jill“, is a long concept: a left by is il a m e ic vo r her a woman fo who is friend, Jill, to an on her way cedure. o r p n io t r o ab why w o n k ’t n o We d or what , g in o g is l Jil pened; exactly hap het w w o n k ’t n we do arried, her Jill is m hoolgirl c s a , e l g n i s man, o w r e ld o n or a u d d h i st , B , c i l o h t a C she or whether
Amanda Palmer
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abor needs this -saving tion for life sons. a e r l a ic d e m lls us e t g n o s e h All t g to an in o g t a h t is for any abortion – n be an a c – n o s a e r ly lonely b a m o h t a f un cated and compli .“ […] experience Palmer, 2019
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ne gewisse ine Texte ei se h rc u d ation übt, Jarman e song ischen Situ h it ol „T p ] er [… d .“ ce wenig WerKritik an d experien ildmaterial just B It . re h te complicate ac ei re w p kennen. lässt das es, it doesn’t influssung er nely. It ee B lo e ig b takes no sid en n w ca d ßer Raum tung un n happen. It to dass ein gro en t, p n ap ei h says: This ca m le ge p t peo d, damit amit is . Wherever schaffen wir ey still D ge th on y, ti ll can be hard ta ra re o m iederfür Interp olitically or ugh lber darin w ro se th er g h in se be aligned p u go Z lves Personen sich jeder find themse die beiden on. ti n or en ab W sometimes . of n ce n der finden kan ted experie tck“ miteinan the complica ted, compar ne „Union Ja or ze p S p alysier su er an n d u zu in in an rsuchen ve an ) m 19 And usually n 20 , e, mer ringen, kan silence.“ (Pal ssagen wollt mentalized an damit au rm Ja irken w as w en n en ne auf ei er ze d S rt ie A d r se u n ie d as sagt oder auch t könnte man ge stellen: W rei. ra F tf ie er d w ch Unaufgereg ch si er au lassen und r aus? nennen od als Betrachte Umsetzung retation h rp ic te m r In r fü fü as d chkeit so berühDiese Mögli um besonders, so t ex T samten Alb n le se mit dem ge re Paralle macht die te es t ei is w e d ch n n li u ei n Äh on“ sehe ich o Intermissi o bwo h l rend. Darin e Will Be N alnd“, denn er g „Voicemail n E „Th g f o on t S as d mit dem zu „The L n te re t er lv stel g gelingt es wie auch Son m ch il F “. ll Ji for dem man si schaffen, in zu m it au R m g en ein hen Zugan künstlerisc igt. über einen en beschäft en Thematik ch li aft h sc ll gese
Vergleich Derek Jarman und Amanda Palmer Die Notwendigkeit der Wahrheit und Ehrlichkeit, von der Amanda Palmer in dem vorher zitierten Interview spricht, ist eine von vielen Gemeinsamkeiten, die sie mit Jarman zu haben scheint.
Denselben Weg beschreitet Amanda Palmer mit modernen Mitteln. Zuerst über einen Blog und E-Mail-Listen, dann auch mit Hilfe von Kickstarter und jetzt über die Plattform Patreon. Sie lässt Ideen ihrer Fans in ihre Songs einfließen, lädt sie zu speziellen Konzerten ein oder lässt sie in einem Musikvideo mitspielen – wohl die Situation, welche dem „Filmen mit Freunden“ am nächsten kommt. „The more I’ve toured and also just the more I’ve lived you start to realize that everybody on any given day sitting in the subway ever face you see every person is going through an immense amount at any given time“ (Power, 2019: 21’40’’)
The more I’ve toured and also just the more I’ve lived you start to realize that every body on any given day sitting in the subway ever face you see every person is going through an im mense amount at any given time“ Power, 2019: 21’40’’ Amanda Palmer
Beide stellen Gemeinschaft in den Vordergrund. Einerseits Jarman, wenn er davon spricht, dass Dreharbeiten für ihn Partys mit Freunden waren und viele ihn nicht nur nebenbei, sondern auch aktiv vor der Kamera als Schauspieler unterstützt haben. Auch mit vorhandenen klassischen hierarchischen Gebilden im Filmbusiness konnte er nicht viel anfangen. Es war ihm sehr wichtig, in jeder Phase des Filmes selber mitzuarbeiten. Seine verschiedenen Studios waren immer sein Lebensmittel punkt, aber auch ein Ort für die Gemeinschaft.
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You don’t need to offer the right explanation You don’t need to beg for redemption or ask for forgiveness And you don’t need a courtroom inside of your head Where you’re acting as judge and accused and defendant and witness
So wie Amanda Palmer in ihrem Leben und ihrer Karriere einige Tiefschläge erlebt und verkraften musste, so hat auch Jarman einige Schicksalsschläge erlebt. Und gerade wenn man in der Öffentlichkeit steht, kann eine gelebte Offenheit über sehr persönliche Themen auch Folgen nach sich ziehen. „Vor fünf Jahren (Anm.: Interview wurde 1992 aufgenommen, also fand die Erklär ung 1987 statt) erklärte ich öffentlich, HIV-positiv zu sein. In der Presse. Ich wusste nicht, wohin das führen würde. Ich beschrieb, wie ich Sex gehabt hatte, worauf ich in der Boulevardpresse des Massenmordes bezichtigt wurde. (Jarman in Issac, 2009: 54’54’’)
Beide verbindet, dass sie nicht der Norm entsprechen. Nicht dem klassisch definierten Rollenbild, sei es, weil Palmer laut und mutig Themen anspricht, die ansonsten gerade in der Öffentlichkeit
Auszug aus „Voicemail For Jill“
wenig populär sind. Oder in Bezug auf Jarman, der sich wenig um Konventionen scherte und das aussprach was er dachte. In Interviews, aber auch extrem offen und ehrlich in all seinen Aufzeichnungen und Büchern. Eine Offenheit, die vielleicht auch verstörend wirken kann, vor allem weil man es einfach nicht erwartet. „Ich will dich ficken. Okay.“ (Jarman 1996, 10) Vielleicht war es gerade in den 80er und 90er Jahren aber wichtig, nicht nur solche Dinge zu schreiben um diese der Gesellschaft mitzuteilen, sondern auch für Homosexuelle in ihrer Findungsphase
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oder auch später, damit sie sahen, dass jemand offen und ehrlich gewisse Themen anspricht. Auch Palmer schlägt einen offenen Weg ein und meinte im Interview Anfang 2019: „My stage show is just like unapologetically balls-out. I talk really graphi cally about getting abortions. […] (Power, 2019: 03’07’’) Der leichtere Weg wäre den Weg des Mainstream zu gehen, doch durch solche Aussagen merkt man, dass dies keine Option für beide gewesen ist. Warum nicht der „leichte“ Weg? Ich denke, weil beide aus einer tieferen Intention heraus ihre Werke, sei es bei Palmer das Komponieren eines Songs wie „There Will Be No Intermission“, oder bei Jarman ein homoerotischer Film wie „Sebastiane“, oder eine kritische Auseinandersetzung mit Politik und Homosexualität unter Thatcher in „The Last of England“, gemacht haben. Für eine wirklich von Diversität geprägte Film- und Musikindustrie sind solche Leute entscheidend. Künstler, die bereit sind ihr Innerstes nach außen zu kehren und wirklich Themen in ihren Werken unterbringen, die ihnen am Herzen liegen. Jeder würde gerne in einer Welt leben, in der jeder so akzeptiert wird wie er selber ist, mit seinen Stärken, seinen Schwächen, seinen „Fehlern“ und seinen Eigenheiten. Warum fällt es dann in der Gesellschaft so vielen schwer, dieses Recht auch allen anderen Individuen zuzugestehen? Die gesamte Gesellschaft oder auch die öffentliche Meinung zu ändern, ist kein einfaches Unterfangen und kann nur gelingen, wenn eine Veränderung in den Köpfen der Menschen einsetzt. Künstler wie Derek Jarman und Amanda Palmer, die gesellschaftskritische Themen interpretieren, künstler isch aufarbeiten und dem Publikum servieren, tragen zu einer solchen Veränderung wesentlich bei, da erst durch ihre Arbeit Thematiken wie Homosexualität, Abtreibung … in die Öffentlichkeit getragen werden.
Amanda Palmer
It’s a strange grief but it’s grief Look at all the women in the street You know the statistics, Jill Even though they may not help Isn’t it amazing How we can never tell Who is in an identical hell …
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Film als Magazin Wie übersetzt man die Anmutung eines Filmes, gerade bei einem so vielschichtigen und vielfältigen wie „The Last of England“, adäquat in ein starres Medium wie Print? Durch verschiedenes Bildmaterial wurde versucht sowohl dem Ausdruck des Filmes, als auch dem Inhalt und den damit ver bundenen Aussagen gerecht zu werden.
6 Anmutung 2 Zerstörung und Hoffnungslosigkeit werden im Film gezeigt, unter anderem mit Hilfe eines Blumenkohls. Da ich auch selber wenig mit diesem Gemüse anfangen kann, wurde es einer Dekonstruktion unterzogen, das Ergebnis, durchaus zufällig, steht für die Vielschichtigkeit des Themas und die innerliche Spaltung. 104
Durch die Kreise werden neue Blickwinkel ermöglicht und ein Pendant zu den Überlagerungen im Film geschaffen. Um Jarmans Leidenschaft, der Malerei sowie seiner Arbeitsweise, der nachträglichen Bearbeitung, Rechnung zu tragen, wurde nach dem Druck des Magazins individuell Farbe aufgetragen.
Anmutung 1 Genauso wie Jarman die verwackelten Home-Movies seiner Familie in den Film integriert hat, habe ich hier Screenshots von digitialisierten Aufnahmen meiner Familie verwendet. Die Rasterung und Überlagerung steht für Jarmans Spiel mit der Super-8-Kamera und den verwende ten Farbüberblendungen.
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Im Mittelpunkt stand stets der Wunsch nach visueller Umsetzung einer Mitteilung, das adäquate Medium wurde auf der Suche nach der jeweils entsprechenden Form der Umsetzung ausgewählt.
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Anmutung 3 Die analysierten Szenen spielen in den verlassenen und verfallenen Hafendocks Londons, die eigentlich unter Thatcher in moderne Wohnvierteln umgewandelt werden sollten. Als Pendant dazu wurde ein aufgelassener Tennisplatz in St. Pölten herangezogen. Vefall, Zerstörung bzw. ein Brachliegen an Möglichkeiten, Gefühlen und Tatsachen. Besonders passend, da auch wie bei den anderen beiden Motiven für mich ein persönlicher Bezug besteht. Ich liebe den Tennissport und konnte, seit ich in St. Pölten bin, fast täglich beobach ten, wie dieser Ort immer mehr und mehr verwahrlost und die Natur sich beginnt den Platz zurückzuerobern.
Film als Magazin
Frey 2008, 10
Bücher
ill_egalitarismus: Ausgabe 1 – Homosexualität
Literatur Brüggemeier, Franz Josef: Geschichte Grossbritanniens im 20. Jahrhundert. München (Beck) 2010. Cook, Matt: A gay history of Britain: love and sex between men since the Middle Ages. Oxford (Greenwood World Publ.) 2007. Dillon, Steven: Derek Jarman and Lyric Film. Texas (University of Texas Press) 2004. Frey, Martin: Derek Jarman – Bewegte Bilder eines Malers. Wien (Norderstedt: Books on Demand) 2011. Jarman, Derek: Auf eigene Gefahr. Vermächtnis eines Heiligen. Wien (PVS-Verlag) 1996. Original: „At Your Own Risk“, 1992 Jarman, Derek: Dancing Ledge. London (Quartet Books) 1984. Jarman, Derek: Kicking the Pricks. Minnesota (University of Minne sota) 2010. Ursprünglich erschienen als Jarman, Derek: The Last of England.
Jivani, Alkarim: It's not unusual: a history of lesbian and gay Britain in the twentieth century. Bloomington, Ind. [u.a.] : (Indiana Univ. Press) 1997. Krewani, Angela: Opposing That cherism: Filmic Apocalypse as a Political Strategy in 1980s Britain. In Ritzenhoff Karen A. (Hg.); Krewani Angela (Hg.): The Apoca lypse in Film. Dystopias, Disasters, and Other Visions about the End of the World. Maryland (Rowman & Littlefield) 2016. Lippard, Chris; Johnson, Guy: Private Practice, Public Health: The Politics of Sickness and the Films of Derek Jarman. In Friedmann, Lester D.: Fires were started. British Cinema and Thatcherism. London (Wallflower Press) 2006. Nixon, David; Givens, Nick: Queer in England: The Comfort of Queer? Kittens, Teletubbies and Eurovision. In Downing, Lisa; Gillett, Robert: Queer in Europe, contemporary case studies. Farn ham (Ashgate) 1999. Palmer, Amanda: The Art of Asking. Wie ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und lernte, mir helfen zu lassen. Köln (Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG) 2015. Palmer, Amanda: Singing About Abortion Isn’t Quite Allowed Yet. But it should be. 2019 [online]
England (Constable and Company Ltd.)
https://medium.com/@amandapalmer/
1987
what-happens-when-you-try-to-playyour-abortion-song-on-irish-television-
106
453a8da7eb0f [24.10.2019]
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Peake, Tony: Derek Jarman. London (Little, Brown) 1999.
Plummer, Ken: The Lesbian and Gay Movement in Britain: Schisms, Solidarities, and Social Worlds. In: Duyvendak, Jan Willlem (Hg.); Barry D., Adam (Hg.); Krouwel, André (Hg.): The global emergence of gay and lesbian politics: national imprints of a worldwide movement. Philadel phia (Temple Univ. Press) 1999.
Filme
Pencak, William: The films of Derek Jarman. North Carolina (Mc Farland & Company, Inc., Publishers) 2002. Jarman, Derek: The Last Of England. [DVD] England. 1988 Julien, Issac; Rose, Bernard; Jarman, Derek; Swinton, Tilda: Derek. [DVD] Deutschland. 2009 Power, Tom; Palmer, Amanda: Amanda Palmer tackles abor tion, miscarriage and suicide on new ‚unapologetically balls-out feminist album. [online Text und Video] https://www.cbc.ca/radio/q/
Quart, Leonard: The Religion of the Market: Thatcherite Politics and the British Film of the 1980s. In Friedmann, Lester D.: Fires were started. British Cinema and Thatcherism. London (Wallflower Press) 2006.
friday-march-8-2019-yeardley-smithamanda-palmer-and-more-1.5047401/ amanda-palmer-tackles-abortion- miscarriage-and-suicide-on-newunapologetically-balls-out-feministalbum-1.5047589 q studio (Toronto) 2019
Weeks, Jeffrey: Sexuelle Gleich berechtigung : Gender, Sexualität und homosexuelle Emanzipation in Europa. Göttingen (Wallstein) 2014.
[21.10.2019]
Musikvideos
Scherer, Christina; Vogt, Guntram: Derek Jarman. In: Felix, Jürgen (Hg.); Giesenfeld, Günter (Hg.); Heller, Heinz-B (Hg.); u.a.: AUGEN-BLICK Marburger Hefte zur Medien wissenschaft. Heft 24. Marburg (Schüren-Presseverlag) Dezember 1996.
Annie Lennox - Every Time We Say Goodbye (Red Hot & Blue) [online Musikvideo] https://www.youtube.com/ watch?v=q_efac2Ajkc [10.10.2019]
Wang Chung - Dance Hall Days [online Musikvideo] https://www. youtube.com/watch?v=V-xpJRwIA-Q [10.10.2019]
mus ill_egalitaris Sarah Wehinger – WS 2019/20