Anna Stern. Schneestill

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Vor den Fenstern schneite es in dichten Flocken, doch noch war von dem Wintersturm, der vorhergesagt worden war, nichts zu sehen. Im Bistro war es warm, vielleicht der schweren Vorhänge vor Fenstern und Türen wegen, die neben der Kälte wohl auch alle anderen Unannehmlichkeiten der Außenwelt auf Abstand halten sollten. Für die wenigen Gäste, wortkarge, einsame Männer, die alle Roels Großväter hätten sein können, schien abgesehen von den Kreisen, die sie mit ihren Gläsern auf die Tische zeichneten, jedoch ohnehin nichts zu existieren. Nur der glatzköpfige Wirt bewegte sich in diesem Lokal, wiegte sich auf seinen müden, vom langen Stehen angeschwollenen Beinen schwerfällig hin und her, wenn er nicht gerade einem Gast die Bestellung an den Tisch brachte. Jetzt stellte er ein weiteres Glas Bier vor Roel auf den Tresen und begann dann, in roboterhafter Manier mit einem schmutzigen Lappen über die Zapfhähne zu wischen. Roel beobachtete ihn einen Moment, folgte den langsamen, bedächtigen Bewegungen und registrierte die schlierigen Schatten, die der Lappen auf dem Chromstahl zurückließ. Als hätte er den Blick gespürt, sah der Wirt von seiner Arbeit auf und Roel direkt in die Augen. Verlegen strich sich dieser das Haar aus der Stirn, blätterte schnell wieder in dem alten Canard enchaîné, der vor ihm lag, und überließ sich, wie die anderen Männer auch, dem Treiben seiner Gedanken, die alles wie feuchter Nebel umgaben. Wie gerne hätte er sich mit jemandem unterhalten. Blöde Sprüche geklopft oder über Witze gelacht. Aber da war niemand, und je länger er hier saß, umso mehr 12


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