Nr._14_-_04.08.2006

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Sonderdruck aus „Der Landwirt“ Nr. 14 vom 4. August 2006 Suppl. S.I.A.P. 50%

Raiffeisenverband Südtirol M 49. Jahrgang

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Bozen, 4. August 2006

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„Die Langsamkeit als Wert spüren“ Sommergespräch mit Heiner Nicolussi-Leck, Obmann des Raiffeisenverbandes Heiner Nicolussi-Leck aus Pfalzen wurde bei den heurigen Jahresvollversammlung des Raiffeisenverbandes für weitere drei Jahre in seiner Funktion als Obmann bestätigt. Der Brunecker Rechtsanwalt, Vater von drei Kindern, nutzt die Sommermonate dazu, sich auf innere Werte zu besinnen. Frage: Wo verbringen Sie heuer Ihren Urlaub? Heiner Nicolussi-Leck: Wie in den letzten Jahren auch, werde ich meinen Sommerurlaub in zwei Teile teilen. Eine Woche verbringe ich bei den Hochschulwochen in Salzburg. Heuer stehen die Hochschulwochen unter dem Motto „Gott im Kommen“. Anschließend werde ich meine Fußwanderung nach Santiago de Compostela, den sogenannten Jakobsweg, in Nordwest-Spanien wieder aufnehmen. Heuer werde ich von Figeac in Richtung Pyrenäen aufbrechen. 1300 Kilometer habe ich in den letzten Jahren bereits zurückgelegt. Die Hälfte, weitere 1300 Kilometer liegen noch vor mir. Was bedeutet Ihnen dieser Pilgerweg nach Spanien? Es tut der Seele, dem Körper und Geist einfach gut. Es braucht natürlich einige Zeit, bis man alles hinter sich lassen kann, den eigenen Rhythmus findet und die Langsamkeit als Wert spürt. Ich habe das Gefühl, dass es in einem betet, ohne dass man dies beabsichtigt. Diese Reise gibt mir neue Energien und Kräfte, die mir die Arbeit das Jahr über erleichtern. Es ist eine Erfahrung, die ich möglichst vielen Menschen wünschen kann. Gehen Sie allein? Wir sind eine kleine Gruppe von Bruneckern, wobei sich die

Zusammensetzung jedes Jahr ändert. Das Raiffeisen-Genossenschaftswesen gründet auf der christlich-sozialen Bewegung. Wie christlich und sozial ist der Raiffeisenverband heute? Die Grundlagen und Werte der Raiffeisengenossenschaften haben heute nach wie vor ihre Gültigkeit. Die Frage muss aber lauten: Wie christlich ist die Gesellschaft heute insgesamt? In Südtirol gibt es eine breite Mehrheit getaufter Christen, dennoch leben nicht alle danach. Dies spiegelt sich in der Raiffeisenorganisation auch wieder. Doch man kann ohne Abstriche behaupten, dass sich der Raiffeisenverband an den Grundwerten F.W. Raiffeisens, die aus einer angewandten christlichen Lebenspraxis stammen, orientiert und wir unser Handeln an den Grundsätzen der christlichen Soziallehre ausrichten. Wir haben in Südtirol einen bestimmten Wohlstand erreicht, der sich auch in den Erfolgszahlen der Raiffeisen-Genossenschaften niederschlägt. Man hört aber auch kritische Stimmen, die an der Sinnhaftigkeit zweifeln. Grundsätzlich entsteht keine Kritik grundlos. Es muss etwas geben, was die Menschen berührt und Unbehagen erzeugt. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Kritik objektiv haltbar ist. Führungskräfte in den Genossenschaften können Entscheidungen treffen, die bei erster Analyse falsch erscheinen, aber beim zweiten Betrachten, klug und als Zukunftsperspektive angedacht sein können, die aber dem einzelnen Genossenschaftsmitglied in seiner Tragweite nicht bewusst sind. Grundsätzlich aber gilt es festzu-

Verbandsobmann Heiner Nicolussi-Leck auf dem Weg zu dem Wallfahrtsort Santiago de Compostela im spanischen Galicien. Dabei durchquerte er das Berner Oberland; hier knapp acht Fussstunden vor Interlaken.

halten, dass Genossenschaften nicht nur in Zeiten der Not, sondern auch in Zeiten des spürbaren Wohlstandes, ihre Funktion erfüllen und ihre Berechtigung haben. Wir müssen uns nur vorstellen, wenn es sie nicht geben würde, was dann geschehen würde. Ohne Genossenschaften würde die Welt anders aussehen und wenn wir den Blick weiten, dann sehen wir, dass es neue Sparten gibt, wo genossenschaftliches Denken und Handeln gefragt ist. Ich bin überzeugt, dass es in Zukunft viele neue Genossenschaften geben wird, die neue Bedürfnisse abdecken. Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf die Genossenschaften? Genossenschaften brauchen sich vor der Globalisierung nicht fürchten, dennoch dürfen wir nicht abstreiten, dass es in diesem Prozess Gewinner und Ver-

lierer gibt. Letztere werden sich in Zukunft genossenschaftlich organisieren, um ihre Existenz zu sichern. In dem Sinne sind Genossenschaften aktueller denn je. Der europäische Integrationsprozess schreitet voran. Welche Rolle kann das Genossenschaftswesen in der europäischen Hauptstadt Brüssel spielen? Wird hier genügend Lobbyarbeit gemacht? Wir haben drei Entscheidungsebenen, auf die wir einwirken können: das Land, der Staat und Europa. Auf allen drei Entscheidungsebenen werden Bestimmungen erlassen, die auch das Genossenschaftswesen betreffen. Der Raiffeisenverband ist dazu verpflichtet, eine gedeihliche Entwicklung der Genossenschaften zu ermöglichen, sie zu begleiten und in jeglicher Hinsicht zu fördern. Südtiroler Landwirt

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