REPORTAGE | Ice Ultra
hin und her gewuselt, die Lebensmittel nochmals durchgeplant, alles Nötige in den kleinen Laufrucksack gestopft, geschultert, gewogen, wieder herausgeholt und neu gepackt. Etwas neidisch blicke ich auf den Schinken und die Datteln der Südländer. Bis endlich alles passt, vergehen Stunden.
Grenzerfahrung am Polarkreis
Am nächsten Tag findet das Briefing statt. Im Anschluss wird das Equipment aller Läufer akribisch gecheckt. Wenn die Pflichtausrüstung fehlt, drohen satte Zeitstrafen oder die Disqualifikation. Ich werde später merken, dass einige Starter die Regeln nicht ganz so genau nehmen und im Laufe des Wettkampfs unerlaubterweise Ausrüstung im Campbag verschwinden lassen, wie zum Beispiel Datteln.
von Michele Ufer
Wir blicken erwartungsvoll, aber auch ein wenig unsicher nach draußen. Hier und da jaulen die Motoren der zahlreichen Schneemobile auf, die teils mit vollgepackten Anhängern vor der Hütte auf die Abfahrt warten. Es schneit. Es hat die ganze Nacht geschneit. Und auch die Tage zuvor. Außerdem sind die Temperaturen für diese Jahreszeit untypisch. Es ist zu warm. Das Thermostat misst minus 5 Grad, normal wären minus 25 Grad.
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o kann ich vor laufender Kamera durchs Kältekammer flitzen, zwischendurch für einige Interviews stoppen, meine Ausrüstung auspro-
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bieren und wertvolle Tipps vom Sportkollegen Rainer Kauczor erhalten, der bereits zweimal bei Marathons im kühlen Sibirien an den Start ging. Meine Herausforderung nennt sich Ice Ultra. Das ist ein Rennen, bei dem Mitte Februar nördlich des Polarkreises in vier Etappen 230 Kilometer zurückgelegt werden. Die persönliche Ausrüstung sowie die komplette Verpflegung müssen während des Events von den Athleten selbst transportiert werden. Lediglich der dicke Schlafsack und die Camp-Bekleidung werden zum nächsten Zielabschnitt befördert. Per Flieger geht es nach Lulea, einer kleinen Universitätsstadt in Nordschweden. Am Flughafen steigen wir
um in einen Reisebus, der uns fünf Stunden weiter in Richtung Norden fährt. Nun bekommt man ein erstes Gefühl für die Weite Lapplands, und eine gewisse Ruhe kehrt ein. Zwischendurch hüpfen wir für ein Foto-Shooting am Polarkreis aus dem Bus, außerdem kommen wir am 2.500-Seelen-Ort Jokkmokk, unserem späteren Ziel, vorbei. Irgendwo in der weißen Weite wird dann eine Ansammlung von Holzhütten erreicht. Das ist unser erster Übernachtungs- und der morgige Startpunkt. Gemeinsam wird das Gepäck ausgeladen, und wir teilen uns auf mehrere Mehrbettzimmer auf. Ich geselle mich zu den spanischen Teilnehmern. Die Stimmung ist sehr lebendig. Es wird
RUNNING | 4/2014
Um 12.30 Uhr laufen wir noch alle locker flockig und unter großem Jubel los. Ohne Schneeschuhe unter den Füßen. Das Gelände auf den gut 46 Kilometern ist anspruchsvoll und sehr hügelig. Dichte Wälder wechseln sich immer wieder mit größeren Freiflächen und gefrorene Seen ab, die überquert werden müssen. Hier greift der Wind an und sorgt selbst bei weniger extremen Temperaturen für einen ordentlichen Wind Chill. Am ersten
FOTOS: WWW.MARTINPALDAN.COM
Was tun, wenn der heimische Winter einfach ausfällt, man aber dennoch irgendwie sein Equipment für arktische Wetterverhältnisse und bis zu minus 40 Grad testen und auswählen muss? Ganz einfach: Der Autor freut sich über die Einladung eines TV-Senders zum Drehtermin in einem riesigen Kühlhaus. Zwischen haushohen Regalen voller Tiefkühlspinat kommen wir bei minus 28 Grad dem Klima am Polarkreis recht nahe.
Diese Kombination hat es in sich. Was die Atemwege freut, wird die Füße und Beine in der nahen Zukunft ärgern. Die zur Pflichtausrüstung gehörenden Schneeschuhe sollen eigentlich nur zur Sicherheit mitgeführt werden. Da es die kommenden Tage und Nächte weiterhin Neuschnee gibt, wird ein Voranarbeiten ohne Schneeschuhe kaum möglich sein. Eine gewaltige Strapaze für diejenigen, die dies nicht gewohnt sind.
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