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Interview mit Thomas Bösl
from my smile 01 2022
„Es geht voran!“
Lesen Sie im exklusiven Interview mit Thomas Bösl über seinen Optimismus für 2022 sowie über die großen Herausforderungen in der Touristik
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Wo stehen die Reisebüros nach zwei Jahren Pandemie? Thomas Bösl kann der Ausnahmesituation auch Gutes abgewinnen: Im Interview verrät der rtk Geschäftsführer, was ihm Hoffnung für 2022 macht – und was Reisebüros tun müssen, um vom Aufschwung zu profitieren.
my smile: Herr Bösl, wie ist die Lage nach fast zwei Jahren Pandemie?
Bösl: Seit Ende Dezember, Anfang Januar haben die Buchungszahlen deutlich angezogen, ohne dass wir dabei eine Hauptbuchungszeit wie vor Corona haben. An manchen Tagen liegen wir bereits wieder auf oder über dem Niveau von 2018/2019. Wir erwarten viel Last-Minute-Geschäft im Sommer, aber derzeit werden in erster Linie Reisen ab Mai gebucht, denn fürs kurzfristige Wintergeschäft fehlen oft Langstreckenangebote. Mit zunehmender Beruhigung der Pandemielage werden die Buchungszahlen für den Sommer weiter steigen, das haben wir bereits im April 2021 beobachtet.
my smile: Doch damals war die Situation eine andere …
Bösl: Stimmt, im Lockdown im Januar und Februar 2021 ging nichts, da gab es praktisch null Geschäft. Das muss man sich immer vergegenwärtigen, wenn man auf die aktuelle Lage schaut: Die Infektionszahlen sind zwar in diesem Winter auf dem Papier dramatisch und die ständig sich ändernden Einreisebestimmungen für die Reisebüros sehr anstrengend. Dennoch ist die Stimmung besser als vor einem Jahr. Der stationäre Vertrieb performt derzeit besser als viele Onliner, denn Reisebüros nehmen die verunsicherten Kunden an die Hand und bieten ihnen Mehrwert. Das müssen wir nur noch selbstbewusster kommunizieren!
my smile: Viele Reisebüros sehnen dennoch die Rückkehr zur Normalität herbei.
Bösl: Es bringt nichts, darauf zu hoffen, dass alles wieder so wird wie vor Corona. Einige Veränderungen werden sich nicht zurückdrehen lassen.
my smile: Zum Beispiel?
Bösl: Der Fachkräftemangel wird noch größer werden, das gilt übrigens global und auch für viele andere Branchen wie die Gastronomie und Hotellerie: Überall wird es immer schwieriger, motiviertes und qualifiziertes Personal zu finden. Das ist eine wichtige Aufgabe für eine große Organisation wie rtk: neue Ideen zu entwickeln, wie wir die Hürden senken, die Branche attraktiver machen, aber auch mit weniger Personal auskommen.
my smile: Die niedrigen Gehälter sind eine solche Hürde …
Bösl: Die Bezahlung ist ein wichtiger Faktor – und wir müssen natürlich aufpassen, dass die Margen nicht noch enger werden! –, aber sie ist beileibe nicht einzig entscheidend. Wir brauchen frische Ideen, zum Beispiel Work & Travel, also dass Auszubildende eine Zeit lang in einem Zielgebiet arbeiten können. Auch ist das Thema Nachhaltigkeit für die junge Generation besonders wichtig. In der Weiterbildung sind wir durch die digitalen Formate einen großen Schritt vorangekommen. Und man kann wieder Branchenkollegen aus aller Welt real auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette treffen, das ist eine echte Motivation. Es mag ein wenig verträumt klingen, aber Touristiker sind wie eine große Familie!
my smile: Und wie kommt man mit weniger Mitarbeitern aus?
Bösl: Indem man alles, was vor dem eigentlichen Kundenkontakt kommt, digitalisiert. Recherche, Kundendatenpflege, das ist alles technisch mit einem System wie TecOff Spider möglich. Der Kundenkontakt erfolgt dann über einen gut geschulten Mitarbeiter.
my smile: Wie ist denn die Resonanz der Reisebüros?
Bösl: Das Interesse ist groß. Aber viele denken immer noch, TecOff Spider sei ein großes Internetsystem, eine globale Lösung, quasi unsere Antwort auf andere Online-Portale – aber das ist es gerade nicht! Wir bewegen uns hier im hybriden Bereich: Es gibt immer eine Vernetzung mit dem lokalen Reisebüro, wir haben
Diese Hybridität können wir einfacher umsetzen als eine Online-Plattform, die den umgekehrten Weg geht und einen stationären Vertrieb aufbaut. Der Kunde möchte nicht im Call-Center landen, sondern den individuellen Expertentipp von seinem lokalen Berater. Wenn der dann noch seine Sprache spricht, womöglich sogar ein Freund oder Bekannter ist …
my smile: Sie sprachen die Notwendigkeit an, die Margen zu erhöhen. Da bietet sich der Kollektivvertrag von rtk an, der vor einem Jahr gestartet wurde.
Bösl: Ein einzelnes Reisebüro kann entweder gezielt auf große Veranstalter steuern, um einige Prozent mehr Provision zu erzielen, oder aber einen Spezialveranstalter buchen, mit dem es sich beim Kunden profilieren kann. Und bei den Spezialisten reden wir oft über echte Feinkostläden mit einem super Produkt, aber schwacher Technik. Der Kollektivvertrag löst diesen Konflikt auf und macht es möglich, Umsätze zu bündeln und sich dennoch im zunehmenden Produktwettbewerb durch Differenzierung zu behaupten.
my smile: Die Ertragslage lässt sich auch mit einem Service-Entgelt verbessern. Bösl: Immer mehr Reisebüros verkaufen QualityPlus-Pakete, die das Service-Entgelt mit Sonderleistungen koppeln. Die Kunden akzeptieren das, die wenden sich nicht ab. Deshalb sage ich: Bitte nehmt das Service-Entgelt – das muss zum Standard werden!
my smile: TecOff Spider, Kollektivvertrag, QualityPlus und alles in allem ein gestärkter stationärer Vertrieb – keine üble Bilanz nach zwei Jahren Corona. Wie geht es nun weiter?
Bösl: Ich bin nicht blauäugig, aber es gibt Anlass zu Optimismus: Es geht in die richtige Richtung. Sicher werden wir noch die eine oder andere Bodenwelle nehmen müssen, und es wird Rückschläge geben, aber: Es geht voran!
Das Gespräch mit Thomas Bösl wurde am 10. Februar 2022 geführt.