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MEDI A COVERAGE 2014


NZZ am Sonntag

20. Juli 2014 Das Magazin für Lebensart

Rotterdam erfindet sich neu

Gute Laune für unterwegs: Streaming ist die neue Art, Musik zu hören

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Ferien in der eigenen Küche: Gaumenkitzel ausdemSüden Frankreichs

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Stilradar 4 Hat das Stil? 5 Wein-Keller 12 Wanderung 22 Sonntagsausflug 23


Reisen

Modernes Holland Nach dem Krieg musste Rotterdam quasi neu erfunden werden. Wer jetzt hinreist, staunt ob all des architektonischen Elans

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m Frühjahr 1940 war alles weg. Der alte Stadtkern mit seinen kunstvollen Backsteinhäusern – zerfetzt von einem giganti­ schen Luftangriff der Deutschen, die Hollands zweitgrösste Stadt und den wichtigsten Hafen Europas dem Erdboden gleichmachten. Nach dem Krieg gab es zwei Möglichkei­ ten: restaurieren oder neu erfinden. Die Rotterdamer entschieden sich für Letzteres, und das mit einer Konsequenz, die noch heute anhält. In Rotterdam denkt man vor­ wärts, selbst wenn wirtschaftliche Zeiten zu Mässigung mahnen. Ein Sprichwort sagt, hier würden Hem­ den gleich mit aufgerollten Ärmeln verkauft. Bis 2040 soll sich die innerstädtische Wohnbevölkerung verdoppeln, und darauf wird hin­ gebaut. Anders lassen sich jüngste Investoren­Bauprojekte wie Rem Koolhaas’ vertikale Stadt «De Rot­ terdam» auf dem Wilhelminapier oder die grosse Markthalle mit integrierten Apartments vom Büro MVRDV nicht erklären. Ginge es nach den Architekturbüros, die sich hier niedergelassen haben, so würde das neue Rotterdam niemals fertig. Es gibt Städte, in die man sich auf Anhieb verliebt, Amsterdam etwa. Und es gibt Orte, die man schön fin­ den will, weil sie anders sind als das landesübliche Bild und um den Mut der Menschen, die sie gebaut haben, zu honorieren. Das trifft auf Rotter­ dam zu. Also läuft man umher und sucht sich einen Fleck, an dem man sich sagt: «Hier ist es besonders.» Warum man diese Orte suchen muss? Weil die Stadt, neben den vielen architekto­ nischen Perlen, die sie 16 | NZZ am Sonntag | 20. Juli 2014

beherbergt, vor Hässlichkeit strotzt: trostlose, provinziell wirkende Ein­ kaufsstrassen, Bürotürme, die so aussehen, als seien sie nur um der Höhe willen gebaut worden; modi­ sche Fassaden, die vielleicht einen Moment lang in den achtziger Jah­ ren einmal avantgardistisch wirkten und jetzt bloss das Auge beleidigen. Wie Piet Bloms lustige Würfelhäuser – mutig, aber will man wirklich mit derart schiefen Wänden leben? Diese Frage werden sich auch die Bewohner der luxuriösen Apart­ ments in den oberen Geschossen der neuen Markthalle stellen müs­ sen – denn die nach innen gewandte Seite neigt sich jeweils im Winkel des Torbogens, der die Halle bildet. Wer schwindelfrei ist, geht trotzdem ans Fenster, wo er der nächsten Sinnesprüfung ausgesetzt wird: dem laut Urheber Arno Coenen welt­ grössten Kunstwerk, einem 11 000 Quadratmeter grossen, knallbunten Wandgemälde, auf dem sich Gräser, Früchte und Blumen über die Innenfläche des Gebäudes ziehen. Sei’s drum, es gibt ja noch eine zweite Fensterfront, und die gibt den Blick über Rotterdams Innen­ stadt frei. Die Laurenskerk aus dem 16. Jahrhundert ist zu erkennen, die Lijnbaan (Europas erste Fussgän­ ger­Shoppingmeile nach Plänen von Jacob Bakema aus den 1950er Jah­ ren) und die Zentralbibliothek – ein mit seinen nach aussen verlagerten Versorgungsrohren an das Cen­ tre Pompidou erinnernder, ter­ rassenförmiger Bau, ebenfalls nach Plänen von Bakema und 1981 von Hans Boot fertigge­ stellt. Bakemas Idee des «wachsenden Hauses»

Links: Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas. Rechts: Das Bahnhofs­ gebäude von Rotterdam.


20. Juli 2014 | NZZ am Sonntag | 17

FOTOS: CLAIRE DROPPERT/CLAIRONLINE, DOMENICO STINELLIS/KEYSTONE


Reisen

Ganz oben: Die Markthalle im Laurens-Quartier hat das Zeug, das neue Wahrzeichen der Stadt zu werden. Oben: Die Kubuswohnungen von Piet Blom trumpfen mit Eigenwilligkeit auf. Rechts: Koolhaas’ Projekt «De Rotterdam», Erasmusbrücke und Stadtzentrum.

FOTOS: OSSIP VAN DUIVENBODE / OMA, TS VISUALS / SPECIALIZED HARD SUBSTRATE PRINTING COMPANY / WWW.TSVISUALS.NL, SUEDPOOL/VISUM, PD

war stilprägend für die moderne niederländische Architektur der 1950er und 60er Jahre. Für Woh­ nungsbauten bedeutete das, dass ein Bauprojekt, ausgehend von einem in Serienproduktion geschaf­ fenen, standardisierten Hauskern, erweitert werden kann. Obschon keine Wohnarchitektur, beschreiben auch das Konzept der Lijnban und die Bibliothek diesen wachsenden, sich ins Stadtbild integrierenden, offenen Charakter eindrucksvoll.

Gebäude von Architektur-Stars

In den frühen neunziger Jahren be­ gann man in Rotterdam die alten Hafengegenden wiederzuentdecken und entwickelte für den Wilhelmi­ napier – einen kleinen Landsplitter auf der Südseite der Maas – eine Vi­ sion namens «Manhattan aan de Maas» (Maas­Manhattan). Ende des 19. Jahrhunderts wurden von hier die Auswanderer nach Nordamerika verschifft – warum nicht hundert Jahre später etwas mitbringen vom amerikanischen Traum? Die erste Verbindung vom Stadtkern zum frü­ heren Hafengebiet bildet seit 1996 die Erasmusbrücke, eine elegante, dynamische Konstruktion von Ben van Berkel, die seitdem ein Wahrzei­ chen der Stadt ist. Vor allem auf und rund um den Wilhelminapier herum haben in der Folge internationale Architekturstars wie Renzo Piano, Alvaro Siza, Norman Foster oder Mecanoo neue Hochhäuser entwor­ fen. Monumentale Lagerhaus­Riegel und spektakuläre Neubauten wech­ 18 | NZZ am Sonntag | 20. Juli 2014

seln einander ab. Die gebauten Su­ perlative sind hier zu Hause: Das höchste Bürogebäude der Nieder­ lande, der «Maastoren» – ein Ent­ wurf des niederländischen Büros Dam & Partners mit einer Natur­ steinfassade, die von Dunkelgrau nach Weiss verläuft –, steht hier ebenso wie das höchste Wohnhoch­ haus, «New Orleans» genannt, ent­ worfen vom Portugiesen Alvaro Siza und inspiriert von der Zwanziger­ Jahre­Hochhausarchitektur der USA. Gegenüber wächst gerade das Mega­Gebäude «De Rotterdam» vom Office of Metropolitan Archi­ tecture 149 Meter in die Höhe. Be­ reits Mitte der neunziger Jahre von Rem Koolhaas als vertikale Stadt mit Hotel, Shopping, Parkhaus, Woh­ nungen und Büros unter einem Dach geplant, sah es nach 2001 so aus, als sei der Bau, der mit seiner feingliedrigen Aluminiumpfosten­ riegel­Konstruktion an ein zer­ stückeltes und zusammengeschobe­ nes World Trade Center erinnert, den Nachwirkungen von 9/11 zum Opfer gefallen. Den Namen «De Rotterdam» hat das Gebäude vom Flaggschiff der Holland­Amerika­Lijn übernom­ men, das damals von der Spitze des Piers in Richtung New York auf­ brach. Ironischerweise sei es der Finanzkrise von 2008 und den in der Folge sinkenden Konstruktionskos­ ten zu verdanken, dass die Bauar­ beiten weitergehen konnten, so Koolhaas bei der Gebäudeeröffnung im November 2013. Büroimmobilien

sind keine Mangelware in Rotter­ dam, und so sind die Investoren froh, dass in wenigen Wochen ein Teil der Stadtregierung die Büro­ etagen des mittleren Towers be­ zieht. Anderswo werden dafür wie­ der Flächen erst einmal leer stehen.

Ein Hochhaus namens «Boston»

Je nachdem, von wo aus man «De Rotterdam» betrachtet, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Die Ver­ schachtelung der drei (oder sind es vier?) Türme und die schmalen Rit­ zen dazwischen bewirken, dass das Gebäude wie ein gigantischer Riegel aussieht oder wie etwas Zerglieder­ tes, Vielteiliges; ein Dreimaster, der nie mehr vom Hafen ablegen wird. Wer an Bord geht, soll bleiben. Der­ weil geht das grosse Bauen auf dem Wilhelminapier weiter. Vizebürger­ meister Ronald Schneider, bei der Stadt Rotterdam für Stadtentwick­ lung und Integration zuständig, weiss, welche Projekte anstehen: «Es gibt verschiedene Orte auf dem Pier, die noch transformiert werden. Eben wurde beschlossen, mit ‹Bos­ ton› und ‹Seattle› zwei neue Hoch­ häuser zu bauen, und dem alten Lagerhaus ‹Pakhuismeesteren› ge­ genüber von ‹De Rotterdam› soll ein zweites Leben gegeben werden.» Wenn es so kommt wie geplant, ist der Wilhelminapier schon bald nicht mehr bloss das Anhängsel im Süden der Innenstadt, sondern der Mittelpunkt des neuen Rotterdam, der «Kop van Zuid» – der Kopf des Südens. Marie-Sophie Müller

AufeinenBlick MUSEEN Witte de Withstraat: Rotterdamer Kunst- und Kulturmeile. Het Nieuwe Instituut: Archiv, Museum und Experimentierort rund um das Thema Architektur. Museumpark 25 Kunsthal Rotterdam: Entwurf von Rem Koolhaas. Ab 13. September grosse Rudolf-Steiner-Ausstellung. Westzeedijk 341; www.kunsthal.nl Boijmans Van Beuningen: Kunst von Bosch, Rembrandt bis Dalí. Museumpark 18; www.boijmans.nl RESTAURANTS/BARS Lux: Rem Koolhaas’ Lieblingsitaliener. S’Gravendijkwal 133; www.restaurantlux.nl Hotel New York: Hotel, Restaurant und Bar an der Spitze des Wilhelminapiers. Koninginnenhoofd 1; www.hotelnewyork.nl Bird: Sonntagsbrunch mit Musik. Raampoortstraat 26; www.bird-rotterdam.nl HOTELS Nhow Hotel: Mit der besten Aussicht im «De Rotterdam»-Hochhaus. Ab 125 Euro, Wilhelminakade; www.nhow-rotterdam.com Suitehotel Pincoffs: Schönes Boutiquehotel mit Wassertaxi-Anlegestelle. Ab 115 Euro, Stieltjesstraat 34; www.hotelpincoffs.nl Tulip Inn Rotterdam: Schöner Blick auf die Erasmusbrücke. Ab 95 Euro, Willemsplein 1; www.thonhotels.com


GPS Rotterdam

Architektur-Tour Jongkindstraat

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Wo sich namhafte Baumeister in einer Stadt verewigen, gibt es etwas zu sehen. Diese Adressen sind einen Halt wert

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8 Haus Sonneveld

Dieses Wohnhaus von Brinkman & van der Vlugt von 1933/34 kann als Teil von Het Nieuwe Instituut besichtigt werden. Jongkindstraat 12; www.nai.nl

9 Erasmusbrücke

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1 Rotterdam Centraal

Das Gebäude der Fachoberschule für Schifffahrt und Transport liegt am Waalhaven.

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Diese 802 Meter lange und 139 Meter hohe Hängebrücke von Ben van Berkel wird auch «Der Schwan» genannt. Ihr Baubeginn war 1989, eröffnet wurde sie im September 1996 von Königin Beatrix.

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4 Scheepvaart- en Transport College

Das von Benthem Crouwel, Meyer & van Schooten und West 8 entworfene Bahnhofsgebäude (Eröffnung: 2014) stellt das neue Tor zur Stadt dar.

Seit 2005 liegt der Hauptsitz der STC-Gruppe in diesem unverkennbaren 16-stöckigen Gebäude von Neutelings Riedijk Architecten. Soerweg 31

2 De Bijenkorf, Marcel Breuer

5 De Lijnbaan

Bei seinem «Bienenkorb» (erbaut 1957) integrierte Breuer mit sechseckigen Travertinplatten die Wabenstruktur in den Fassadenentwurf. Coolsingel 105; www.debijenkorf.nl

Von Jacob Bakema erbaut, wurde die erste Fussgänger-Einkaufsstrasse Europas 1953 eröffnet.

6 Markthal Rotterdam

Gigantische Torkonstruktion von MVRDV, die im Oktober 2014 eröffnet werden wird. Ecke Binnenrotte/Blaak

3 Würfelhäuser, Piet Blom

Diese kuriosen Häuser, die aussehen wie Bäume, stammen aus den achtziger Jahren. Die Hausnummer 70 kann von der Öffentlichkeit besichtigt werden. Overblaak 70

7 Witte Huis (1898)

Europas erster Wolkenkratzer! Geldersekade 1C

10 De Rotterdam

Das neue Wahrzeichen des Kop-van-Zuid-Areals von Koolhaas’ Architekturbüro OMA. Hotel, Parkhaus, Büros, Wohnen, verteilt auf zusammenhängende, fast 150 Meter hohe Türme. Wilhelminakade

11 New Orleans

Mit 158 Metern der höchste Wohnturm der Niederlande; von Álvaro Siza Vieira, 2010 eröffnet. Otto Reuchlinweg

12 Van Nelle Ontwerpfabriek

Der zwischen 1923 und 1931 erbaute und von Leendert van der Vlugt entworfene Firmensitz des Tee-, Kaffee- und Tabakproduzenten Van Nelle gehört seit Juni 2014 zum Unesco-Weltkulturerbe. Van Nelleweg 1

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5-Sterne-plus-Schiff <wm>10CAsNsjY0MDAx1TUyMjIwNAMA5ylqdg8AAAA=</wm>

Antarktis-Expedition

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23. Nov. bis 15. Dez. 2014

Reinhold Messner Antarktisdurchquerer

Ueli Heiniger Moderator

Thomas Bucheli Meteorologe SRF1

Benno Lüthi Pinguinforscher

Informationen und Unterlagen: Background Tours, Neuengasse 30, 3001 Bern Tel. 031 313 00 22, info@background.ch, www.background.ch Königspinguin


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