Lufthansa Magazin

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MEDI A COVERAGE 2014 LUFTHANSA MAGAZI N


world Barbershops

Scharfe Messer, sanfter Schnitt

Eine Oase für Kerle: Im New York Barbershop bekommt Mann, was er braucht: eine frische Rasur, einen neuen Haarschnitt und ein Glas Whisky

Old School, aber nicht old fashioned: Mit der Retro-Welle zelebrieren Barbiere die Rückkehr einer traditionellen Herrenkultur. Zu den Meistern des alten und ehrbaren Handwerks gehört ein Team von Feinschnittern aus Rotterdam Text Harald Braun

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Lufthansa Exclusive 4/2014

Fotos Sabine Braun

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och, doch, auch jenseits von Eisschnelllaufbahnen gibt es Champions aus den Niederlanden. Robert Lagerman, 57, ist einer, ganz offiziell. Fester Händedruck, wacher Blick, klassischer Anzug: Wer ihm außerhalb seines Ladens begegnet, dürfte ihn für einen Banker halten – ganz kalt. Lagerman ist der Boss des New York Barbershop in Rotterdam, einer Firma, die seit 1884 nun schon in der vierten Generation von der LagermanSippe geführt wird. Und die im vergangenen Herbst in Madrid mit dem Preis „Best Barbershop International“ ausgezeichnet wurde. Ein Coup. Wie man Weltmeister der Barbiere wird? Lagerman lächelt fein, deutet auf seine Mitarbeiter und grinst. „Jedenfalls nicht, indem man sich darum bemüht. Wir machen unseren Job jeden Tag mit Herzblut – und wir folgen keinen schnellen Trends.“ Er betont „Trends“ so verächtlich, als wollte er eine heiße Kartoffel auf den Tisch spucken. „Den Spaniern gefiel unser Mix aus handwerklichem Können und dem Konzept des Ladens.“ Nachvollziehbar. Der Shop im Souterrain des historischen New York Hotel in Rotterdam gleicht einem Filmset. Ein Barbershop aus den dreißiger Jahren dürfte genau so ausgesehen haben. Abzüglich der Schwarz-Weiß-Fotos von zeitgenössischen Stars wie Schauspieler Matt Damon oder Feyenoord-RotterdamKicker Graziano Pellè an der Wand, die schon hier zu Gast waren. Gleich hinter dem Kassentisch hängt ein Bild der „Sopranos“ mit den Unterschriften der gesamten Besetzung. Kein Zufall, eher eine programmatische Ansage. In der erfolgreichen Serie trafen sich die Jungs in ihrem Barbershop in New Jersey, wenn sie etwas Ernstes zu besprechen hatten, unter sich. „Bei uns ist das eine reine Männerveranstaltung“, sagt Lagerman, „wir bedienen keine Frauen.“ Nicht mal seine Gattin Anne betritt den Laden, obwohl sie von zu Hause aus die ganze Logistik organisiert. „Wir bieten einen Rückzugsort für Männer, die mit ihren Freunden in Ruhe eine gute Zeit verbringen wollen. Manche kommen in Gruppen, fahren Stunden, nur um hier mal ungestört abzuhängen.“ Und um fachgerecht bedient zu werden natürlich. Fachgerecht heißt hier: kein Schnickschnack. Haare färben, föhnen, ondulieren? Um Gottes willen. Mit einem normalen Friseur möchten Lagerman und seine Leute nicht verglichen werden: „Wir rasieren traditionell mit dem Messer, wir schneiden Haare. Und zwar so, wie wir das für richtig halten.“ Die Kundenwünsche? Lagermans Augen lachen. „Werden registriert. Und dann machen wir ein Angebot, das unsere Gäste nicht ablehnen können.“ Wichtig: Gäste, nicht Kunden. Gäste, denen man Kaffee anbietet, Bier oder Whisky. Gratis natürlich. Das belgische Starkbier Duvel ist ein Sponsor des Hauses, ebenso die amerikanische Whiskymarke Jack Daniel’s. Letzteres passt auch prima zum Erscheinungsbild der schneidenden Truppe. Hans, Ivan und Pascal sehen aus, als hätte Lagerman sie beim örtlichen Motorradklub angeheuert. Pascal, 40 Jahre alt, gelernter Grafikdesigner, eine Menge Tattoos an beiden Armen, legt am Wochenende in Burlesque-Bars auf. Als Friseur sieht er sich keineswegs – der Job in einem Barbershop allerdings passt perfekt zu seinem Lifestyle. Paradox? Möglicherweise. Das korreliert allerdings mit einem weltweit spürbaren Trend. Die fachgerechte Nassrasur in 25


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30 Minuten Wellness für die Gesichtshaut: Der „Italian Shave“ beinhaltet eine Massage, eine feine Rasur mit dem Messer und allerlei duftende Tinkturen

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einem Barbershop erlangt mehr und mehr den Status einer Wellness-Behandlung für Männer, quasi Yoga für die Gesichtshaut. Jahrelang boten in Deutschland bloß türkische Friseure solch eine Prozedur an, eher nebenbei, für wenig Geld. Inzwischen etablieren sich Barbershops an Orten, die man mit gehobener Lebensart verbindet. So eröffnete 2013 im feinen Hotel Steigenberger Frankfurter Hof der Gentlemen Barber Shop, ausgestattet mit viel Holz und Leder, geführt von Master-Barber Mounir Damlkhi aus Syrien. Und im Berliner Beauty-Tempel „Wheadon“ kümmert sich seit Februar 2013 der in New York ausgebildete Will Exposito um die exklusiven Wünsche stilbewusster Herren. Er durfte für Magazine wie Gala Men dann auch schon mal Bartträger wie Handball-Nationaltorhüter Silvio Heinevetter mit dem Rasiermesser malträtieren. Ganz sanft natürlich, wie das bei Wellness-Behandlungen auch von Männern geschätzt wird. In Rotterdam versucht Lagerman derweil, sich nicht von flüchtigen Trends aus der Ruhe bringen zu lassen. Er verweist darauf, dass er und seine Leute den Barbershop im New York Hotel schon seit 1993 nahezu unverändert führen. Ein Flatscreen etwa, der unablässig über die neuesten Entwicklungen an der Börse informiert, käme ihm trotz seiner einschlägig interessierten Klientel niemals ins Haus. Stattdessen umschmeichelt lässiger Jazz von Miles Davis bis Nat King Cole die 60 bis 80 Personen, die momentan täglich durch seinen Shop geschleust werden. Neu ist allerdings, dass Lagerman freie Termine manchmal erst zwei Wochen später herausgeben kann, weil der Andrang zuletzt so groß geworden ist. Und neu ist auch, dass sich schon Zwölfjährige von ihrer Mutter zum Barber Shop bringen lassen. Der Grund dafür: Feyenoord Rotterdams Stürmer Lufthansa Exclusive 4/2014


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Wie die Großen: Seit Feyenoords Fußballstar Graziano Pellè sich als Kunde des New York Barbershop geoutet hat, fragen auch Zwölfjährige nach Terminen für das Herrenritual newyorkbarbershop.nl

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Graziano Pellè ist in den Niederlanden – vor allem abseits des Plat zes – eine bewunderte Stil-Ikone. Seitdem der hübsche Italiener öffentlich bekannt machte, dass er sich seinen messerscharfen Gel-Haarschnitt stets im New York Barbershop verpassen lässt, hat der Laden noch mal ganz neue Kunden gewonnen. Ihren Erfolg nehmen die Jungs mit den Messern zwar erfreut zur Kenntnis, doch ihr Leben ändert er nicht: „Wir machen nicht gleich sieben neue Läden auf, nur weil wir das im Moment könnten“, sagt Lagerman, „das würde auch gar nicht zu uns passen. Wir wollen hier nur weiter ganz entspannt in angenehmer Atmosphäre leben.“ Er sagt ausdrücklich „leben“, nicht arbeiten. Zu diesem Leben gehört auch, dass sie jede Gelegenheit nutzen, um durch Europa zu touren und ihre Fertigkeiten mit Kollegen zu teilen. Im März etwa reisten Lagerman und seine Leute nach Barcelona, um dort ein paar Trainingseinheiten vor einem ausgesuchten Fachpublikum zu absolvieren. Vermutlich werden sie ihren legendären „Italian Shave“ vorgeführt haben, ihre Paradedisziplin am Messer. Diese Rasur dauert 30 Minuten und wird mit heißen und kalten Tüchern, einer Gesichtsmassage, feinen Sichelmessern und allerlei Tinkturen zelebriert: Ein Rasier-Ritual wie eine Meditation, das mit 42 Euro allerdings auch seinen Preis hat. Andererseits: Wer kann schon von sich behaupten, er sei mal von einem Weltmeister rasiert worden?

DIE BESTEN BARBIER-ADRESSEN IN DEUTSCHLAND Gentlemen Barber Shop im Steigenberger Frankfurter Hof, Am Kaiserplatz, 60311 Frankfurt; thespa.steigenberger.com Wheadon Berlin, Steinstraße 17, 10119 Berlin; wheadon.de Brants Barber & Shop, Flughafen München, Terminal 2, Ebene 04 Pier Nord; brants-barber.de Lufthansa Exclusive 4/2014


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