Respektive 01/2010

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ARBEITSBEGRIFF

I

rgendwann, nach ihren vielen Glanztaten, wurde die Moderne es müde, modern zu sein. Man verkündete freudestrahlend das Ende der Grossen Erzählungen. Damit war eine ganz besonders gemeint: die grosse Erzählung des Karl Marx. Jetzt galt neu das postmoderne Wissen, wie es einer seiner Propagandisten 1979 nannte, Jean-François Lyotard, und man bildete sich etwas darauf ein, nur noch kleine theoretische Brötchen zu backen. Einen umfassenden Erklärungsanspruch zu stellen, das galt plötzlich als naiv und

dilettantisch. Häme wurde über diejenigen ausgegossen, die daran festhielten. Ein anderer ihrer Protagonisten, Gianni Vattimo meinte gar, wenn sich die grossen Entwürfe alle als hinfällig erwiesen hätten, dann könnte man zum Beispiel geradeso gut wieder katholisch werden – und er wurde es auch, wenn ich mich richtig erinnere. Feyerabends ›Anything goes‹ war eigentlich anarchistisch gemeint, in der postmodernen Gestalt wird es jedoch zur ungewollten Rechtfertigung der jeweils gerade herrschenden Verhältnisse.

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