REPORTAGEN NR. 9

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REPORTAGEN #9

Walkie-Talkie. Das Internet schwankt, nebenan werden gerade die Clips von heute auf Youtube geladen. Hier angekommen sind wir (der Fotograf Thomas Rassloff «Rossi» und ich) vor ein paar Stunden. Gestern waren wir noch in Kilis in der Türkei, wo wir in einem runtergekommenen Hotel übernachtet haben und von wo wir heute Morgen mit einem Taxi an die syrische Grenze gefahren sind. Seitdem ich mich dazu entschieden habe, nach Aleppo zu fahren, habe ich ein mulmiges Gefühl – irgendetwas zwischen Spannung und Angst. Meine Erwartungen an diese Reise waren diffus. Ein Mix aus Bildern, die ich aus den Nachrichten kenne, Geschichten von in Deutschland lebenden syrischen Freunden, die den Geheimdienst fürchten und von unterirdischen Foltergefängnissen erzählen. Dazu Infos aus alten Reiseführern, die eine tourifreundliche Stadt versprechen. Ich bin Fotograf, und den Wunsch, einmal in eine Krisenregion zu fahren, habe ich schon seit Jahren. Dass es gerade jetzt Syrien geworden ist, war eine Verkettung von Zufällen. Die Ausreise aus der Türkei war easy. Danach erwartete uns ein zirka zwei Kilometer langer, mit Stacheldraht gesäumter Korridor durch verminte Felder. Es folgte der von der FSA (Free Syrian Army) kontrollierte syrische Grenzübergang. Ich sehe zum ersten Mal Gewehre und Männer in Tarnfleckkleidung. Unsere Pässe werden kontrolliert, unsere Namen im Computer eingegeben. Später erfahren wir, dass es schwarze Listen mit unliebsamen Journalisten gibt. Wieder auf der Strasse stossen wir auf einen Mini-Bus, vor dem schon zwei weitere westliche Journalisten warten. Mit ihnen werden wir den restlichen Tag verbringen (Victor Breiner, ein junger freier Fotograf, und der etwas über fünfzigjährige Reporter Peter Steinbach). Rossi kennt den Fahrer von seinem letzten Besuch in Syrien. Es gibt nur eine Handvoll Fahrer hier, die sich auf das Einschleusen von Journalisten spezialisiert haben. Die Fahrer kennen die Strassen, Dörfer und, was am wichtigsten ist: die vielen kleinen Sicherheitsposten entlang der Strecke nach Aleppo, die aus bewaffneten Jugendlichen bestehen und aus Bergen von Schutt, die nur langsam umfahren werden können. Wir steigen ein, fahren aber nur ein paar Hundert Meter und finden uns in einem Flüchtlingslager mit Hunderten weisser Zelte wieder. Der Fahrer verschwindet kurz, um keine Ahnung was zu erledigen. Wir sind umringt von Kindern, die aus dreckigen Plastikkörben gebastelte Bauchläden vor sich her tragen. Sie verkaufen Schokoriegel. Nach ein paar Minuten gehts weiter. 13


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