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29.07.2011

16:34 Uhr

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Kein geeignetes Steuerungsinstrument

Zu wenig Ärzte, zu viele Medizinstudenten von Nationalrat Hans Rudolf Gysin*

Studienplätze nur für die Besten In der Schweiz regelt seit 1998 (Humanmedizin; Veterinärmedizin 1999, Zahnmedizin 2004) der Numerus clausus den Universitätszutritt für Studierende der Medizin. Als Zulassungskriterium gilt ein Test, der weit mehr Fragen aufweist, als in

Nur die Allerbesten… In der Schweiz unterliegen die medizinischen Studiengänge (Human-, Zahn- und Veterinärmedizin) sowie Sport- und Bewegungswissenschaften einer Zulassungsbeschränkung (Numerus clausus / Eignungstest), die bei zu wenig Studienplätzen zum Tragen kommt. Die Aufnahmekapazitäten für das Medizinstudium werden jedes Jahr neu festgelegt. Der Numerus clausus wird aktiv, sobald die Zahl der Anmeldungen 120 Prozent der vorhandenen Studienplätze übersteigt. Dann wird an den Universitäten Basel, Bern, Freiburg und Zürich nach der Anmeldung zum Studium ein selektiver Eignungstest durchgeführt. In Genf und Lausanne werden die Studierenden ohne Test ins erste Studienjahr aufgenommen. Die Selektion erfolgt dort durch Prüfungen am Ende des ersten Studienjahres. Die Aufnahmekapazitäten der schweizerischen Universitäten nach Disziplinen für das Medizinstudium ab Herbstsemester 2012 werden diesen Herbst gesamtschweizerisch festgelegt. Für Medizinstudenten stehen insgesamt 1417 Plätze (Humanmedizin 1084, Zahnmedizin 183, Veterinärmedizin 150) zur Verfügung. Die Universität Basel bietet Platz für 130 Studierende der Human- und 40 der Zahnmedizin (Veterinärmedizin null).

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uf den ersten Blick ist das ein schwer verständlicher Widerspruch. In der ganzen Schweiz fehlen in Spitälern und Praxen Mediziner, weshalb bestausgebildete ausländische Ärztinnen und Ärzte vor allem aus dem nördlichen Nachbarland, aber auch aus Osteuropa und Asien, hierzulande offene Türen vorfinden. Gleichzeitig drängen Jahr für Jahr weit über tausend junge Leute in die Hörsäle der Universitäten, um das Medizinstudium aufzunehmen – aber sie stehen nach dem Eignungstest vor verschlossenen Türen, weil strenge Zulassungsbeschränkungen (Numerus clausus; siehe Kasten) dafür sorgen, dass die Zahl der Studienplätze und der Studierenden einigermassen «im Gleichgewicht» bleibt.

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der vorgegebenen Zeit gelöst werden können. Nur die Kandidaten, welche am besten abschneiden, erhalten ihren Studienplatz. Gleichzeitig fehlen der Schweizer Wirtschaft Fachkräfte, und Handlungsbedarf besteht vor allem im Gesundheitswesen. Eine Umfrage vom Februar 2010 zeigt, dass fast jeder zweite Schweizer Assistenzarzt wegen dieser Zulassungsbeschränkungen sein Diplom im Ausland erwerben musste. Der schweizerische Spitalverband H+, die Spitzenorganisation der öffentlichen und privaten Spitäler, Kliniken und Pflegeinstitutionen, geht davon aus, dass die Schweiz gut doppelt so viele Ärzte benötigt, wie derzeit ausgebildet werden. Es mangelt gewiss nicht an fähigen einheimischen Interessenten fürs Medizinstudium. Aber der Numerus clausus bewirkt eine künstliche Verknappung der Ausbildung. Es ist für Schweizer schwieriger geworden, den Arztberuf zu wählen, als für ausländische Studierende. Also die Zulassungsbeschränkungen abschaffen? Schneller gefordert als gemacht! Das Medizinstudium weist Merkmale eines wissenschaftlichen Studiums und einer Berufsausbildung analog einer Lehre auf. Für die praktische Ausbildung sind ausreichende Kapazitäten an den Universitätskliniken (Behandlungs- / Bettenkapazität, Patientenzahlen, Betreuungspersonal, Technik usw.) erforderlich. Diese können nicht beliebig erhöht werden, und eine

Man hat darum auch früher schon und ohne Numerus clausus die Zahl der Studierenden im Fach Medizin durch verschärfte Prüfungen oder Wartezeiten für Praktika «regulieren» müssen. Zulassungsbeschränkungen zu Studiengängen sind eine politische Notmassnahme, aber erfahrungsgemäss kein geeignetes Steuerungsinstrument, weil sie gerade im Medizinbereich als diskriminierenden Hürde für den einheimischen Nachwuchs wirken. Mögliche bessere Lösungen wären darum endlich in den Bereichen von Organisation und Gestaltung der Ausbildung zu suchen. Zulassungsbeschränkungen behindern aber sogar solche Reformen: Für «erfolgreich» abgewiesene Studieninteressenten braucht man schliesslich nichts vorzukehren... Das Hoffnungsvolle an diesem Problem: Das Medizinstudium erfreut sich weiterhin hoher Nachfrage. Gute Berufsaussichten, ein guter sozioökonomischer Status und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen machen den Arztberuf attraktiv. Man täte also gut daran, den Schwung zu nutzen und dem Nachwuchs den Bildungsweg so offen zu halten, dass der ganI zen Gesellschaft damit gedient ist.

WIRTSCHAFTSKOLUMNE

Überlastung des Praxisteils würde die Attraktivität der Universitätskliniken für Patienten mindern. Insbesondere für die klinische Ausbildung sind die Kapazitäten begrenzt.

* Hans Rudolf Gysin ist Direktor der Wirtschaftskammer Baselland und Baselbieter Nationalrat (FDP). Der Gast-Autor vertritt in dieser Kolumne seine eigene Meinung. 11


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