B U L L E VA R D
ZAHLEN DES MONATS
ADAMS ERSCHAFFUNG
Im November 1512 wurde Michelangelos weltberühmtes Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle enthüllt. Bekanntester Ausschnitt: „Die Erschaffung Adams“. Zahlen über Menschen, Finger und Gehirne.
Michelangelo Buonarrotis Deckengemälde stellt neun Szenen der Schöpfungsgeschichte dar und misst 520 Quadratmeter, was der Größe von zwei Tennisfeldern entspricht. Zur Zeit seiner Entstehung war es das größte Deckenfresko der Welt. Als Maltechnik wählte der zu Projektbeginn 33-Jährige die schwierigste überhaupt: „buon fresco“ – mit wasserlöslichen Farben auf feuchtem Putz. Obendrein war Michelangelo ein Kontroll-Freak: Seine Helfer ließ er bloß kleine Figuren und Hintergründe malen, Farben mischen und Gerüste umbauen – der Meister arbeitete in 20 Meter Höhe.
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Das Gehirn ähnelt der Blase um Gott (u.).
3000
Michelangelo erhielt 3000 Dukaten für das Deckenfresko. Das entspricht heute einer Summe von zwei Millionen Euro, damals war es das Dreißigfache des Jahreseinkommens eines angesehenen Künstlers. Allerdings zahlte Michelangelo selbst einen hohen gesundheitlichen Preis: Albträume quälten ihn, weil der Papst oft monatelang zahlungssäumig war. Außerdem litt er unter Kopf- und Rückenschmerzen wegen der Belastung. In einem Sonett über diesen malerischen Kraftakt schrieb er: „Der Bart starrt himmelwärts, und das Genick fühl ich am Buckel … Mein Pinsel tropft, die Kleckserei macht mir aus dem Gesicht ein Mosaik.“
Das Zentrum des Freskos bilden die Hände Gottes und Adams. Ironisches Detail: Zwei Finger in diesem Ausschnitt stammen eigentlich gar nicht von Michelangelo selbst. 1565, ein Jahr nach dessen Tod, beauftragte Papst Pius IV. den Maler Domenico Carnevale damit, Adams Zeige- und Mittelfinger neu zu malen, da diese infolge eines Risses an der Decke abgebröckelt waren. Die Tatsache, dass der Papst einen unbekannten Künstler diese Arbeit erledigen ließ, zeigt, dass „Die Erschaffung Adams“ in Michelangelos Zeitalter noch nicht als zentrales Fresko-Meisterwerk betrachtet wurde.
Die Erschaffung Adams
Fingerkontakt am Filmplakat von „E. T.“
4.440.000
Papst Julius II.
Anfang des 16. Jahrhunderts wurde Michelangelo als neuer Star von Roms Kunstszene gefeiert. Das rief Neider auf den Plan, allen voran Raffael. Er war es, der Papst Julius II. empfahl, Michelangelo mit dem Fresko zu beauftragen. Sein tückischer Plan: Entweder würde sein Rivale scheitern – schließlich war Michelangelo in erster Linie Skulpteur –, oder die Arbeit würde ihn überfordern, so dass er auf Jahre diskreditiert wäre. Raffaels Plan ging nicht auf. In 41 Monaten hatte Michelangelo das Fresko fertig. Nach der Fertigstellung wurde der Künstler „Il Divino“ („der Göttliche“) genannt.
4,44 Millionen Besucher pilgern jährlich in die Sixtinische Kapelle. Gerade diese Beliebtheit ist es, die Maurizio De Luca, Chefrestaurator der Vatikanischen Museen, zur Verzweiflung treibt: Bisher wurde alle zwei Jahre der Staub mit Pinseln von der Decke entfernt, das reiche aber nicht mehr. Der hohe Andrang ist zu viel für die Belüftungsanlagen – Atem und Körperwärme erzeugen Feuchtigkeit und setzen den Kunstwerken zu. Ein erster Lösungsansatz: Die Öffnungszeiten wurden ausgedehnt, damit sich das Publikum besser über den Tag verteilt.
Raffael Michelangelo im Alter von 55 Jahren
Die Sixtinische Kapelle
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1990 stieß der Gehirnforscher Frank Meshberger beim Blättern in einem Kunstbuch auf ein interessantes Detail: Das angewinkelte Bein eines Engels sieht aus wie die Hirnanhangsdrüse, der Schal unter Gottes Umhang ähnelt der Schlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt. In einer Studie zeigte Meshberger: Die rechte Seite des Freskos entspricht bis ins Detail dem Längsschnitt der sechs Gehirnbereiche. Die Enthüllung löste wilde Spekulationen aus: Wollte Michelangelo andeuten, dass Gott nur in unseren Köpfen existiert? Ist das sogenannte „Easter Egg“ eine versteckte Kritik am Vatikan? www.museivaticani.va
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TEXT: FLORIAN OBKIRCHER. BILDER: PICTUREDSSK.COM (3), THE KOBAL COLLECTION, DDP, GETTY IMAGES, LAIF
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