The Red Bulletin Juli 2014 - AT

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Die WM ist das harteste Turnier.

Sie ist so kurz, du darfst dir keinen Fehler erlauben. Du musst von der ersten bis zur letzten Sekunde alles geben.“ Es könnte passieren, dass Sie bei der WM gegen einige Teamkollegen von Barça spielen. Sprechen Sie mit denen über so was? Wir scherzen rum, klar. Jeder von uns sagt: „Wir ­gewinnen die WM!“ Wir wissen, dass die WM für uns alle ziemlich schwierig wird. Deshalb machen wir Witze. Ich habe mit Messi rumgeblödelt und ihm schon mal gesagt: „Diesmal gehört der Pott uns!“ Wie kam es zu Ihrer Social-Media-Kampagne ­#somostodosmacacos („Wir sind alle Affen“) gegen Rassismus? Das Bild von Ihnen und Ihrem Sohn mit Bananen ging um die Welt … Rassismus ist eine Sache von Hirnlosen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, aus anderen Spielen, wie es sich anfühlt, von Rassismus betroffen zu sein. Also wollten wir etwas dagegen tun. Ich sprach mit meinem Vater und mit ein paar Leuten, die für uns arbeiten, und wir entwarfen diese Kampagne. Die war quasi startklar, dann passierte dieser Zwischenfall mit Dani Alves (Barça-Teamkollege, hob eine Banane, die man während eines Matchs nach ihm geworfen hatte, einfach auf und aß sie; Anm.). Ich dachte, das ist der richtige Moment, um die Kampagne zu starten. Sie stehen mit Ihren Fans über Social-Media-Plattformen in engem Kontakt, aber die Fans verlangen Ihnen auch eine Menge ab. Stört Sie das? Nicht wirklich. Was mich stört, ist, wenn man vor meinem Privatleben nicht haltmacht. Ich verstehe, dass die Fans gerne alles wissen wollen, aber wenn’s um mein Privatleben geht, bin ich wie jeder andere. Das soll meine Sache sein und bleiben. Diego Maradona hat sich nach den Tagen vor dem Ruhm zurückgesehnt. Geht es Ihnen auch so? Nein. Ich verstehe aber, worum es ihm geht. Es ist schwierig für mich, Dinge zu machen, die eine ­normale Person macht. Zum Beispiel kann ich nicht mit meinem Sohn in Santos an den Strand gehen. ­Unmöglich. Wir hätten sofort eine Menschenmenge um uns, die Leute würden Fotos machen und alles. Auf der Straße erkennt mich ein Brasilianer aus einem Kilometer Entfernung. Dann kommt er angerannt und brüllt „Neymar, Neymar!“. Hier in Barcelona sind die Leute relaxter, mehr in die Richtung „Neymar, dürfte ich ein Foto mit dir machen?“. Fehlt Ihnen dieses normale Leben? Man vermisst es natürlich, mit seinem Kind an den Strand gehen zu können, ganz normale Sachen zu machen. Ich glaube, das ist, was Maradona gemeint hat. Aber ich beklage mich nicht darüber, denn ein berühmter Fußballer zu werden ist das, worum ich Gott gebeten habe. Ich habe immer zu Ihm gesagt: Ich möchte als Fußballer so gut werden, dass ich meiner Familie alles geben kann, was sie will. Da gehört die

Kehrseite dazu. Wenn ich mit fünfzig Leuten reden muss, rede ich eben mit fünfzig Leuten. Sobald ich auf die Straße gehe, muss ich mich daran erinnern, dass ich Neymar bin, dass das jeder weiß, dass ich mich entsprechend verhalten muss. Aber zu Hause bin ich der Neymar, den die Familie kennt. Zu Hause bin ich nicht mal „Neymar“. Da bin ich „Juninho“. Sprechen wir über die brasilianische Nationalmannschaft, die Seleção. Wer wählt die Musik in der Umkleidekabine aus? Mal der, mal der. Die Stereoanlage ist da, und jeder kann sich einen Song aussuchen. Am häufigsten ­spielen wir Pagode, Funk, Sertanejo. Auf meinem Weg zum Stadion höre ich immer Gospelmusik aus dem Kopfhörer. Bevor wir rausgehen, spielen wir in der Kabine einen Pagode-Song über die Stereoanlage, laut. Wir stehen da, scherzen rum, die Egos bleiben draußen vor der Tür. Wir wissen, wir haben nur ein Ziel, und das ist ein gemeinsames Ziel. Brasiliens Nationaltrainer Felipe Scolari gewann die WM 2002. Was erzählt er darüber? Er sagt, dass die WM das härteste aller Turniere ist. Weil sie ein so kurzes Turnier ist, darfst du dir keine Fehler erlauben. Du musst von der ersten Sekunde an alles geben. Und er spricht häufig darüber, wie phantastisch es sich anfühlt zu gewinnen. Wie unterscheidet sich das Spiel Brasiliens vom Spiel Barcelonas? Taktisch und technisch ist es sehr ähnlich. Mit weniger brasilianischem Ginga bei Barcelona? Mit ein bisschen weniger, ja. Während des Confed-Cups im Vorjahr gab’s in Brasilien Proteste gegen Korruption, den Zustand des öffentlichen Diensts und die Kosten der Stadien. Auf einem der Banner war zu lesen: „Ein Lehrer ist mehr wert als Neymar.“ Was sagen Sie dazu? Lehrer sollten genauso viel verdienen wie Leute in anderen Berufen. Auch wie Fußballer, denn man ­vergisst so leicht, dass vielleicht fünf Prozent von uns mehr verdienen als die anderen. Ich stimme voll zu, dass wir alle für eine bessere Welt mit Bildung, ­Gesundheit und Sicherheit kämpfen müssen. Soll auch während der WM protestiert werden? Solange es ohne Gewalt passiert, sehe ich kein Pro­ blem darin, dass Leute für ein besseres Brasilien kämpfen. Ich stehe auf ihrer Seite. Aber wir sollten die WM genießen, denke ich. Wir haben die Gelegenheit, der Welt zu zeigen, was für ein Gastgeber wir sind, und wir sollten vor allem zeigen, was toll ist an Brasilien, nicht nur die schlechten Seiten. Wird Brasilien Weltmeister? Das wünsche ich mir mehr als alles andere. www.neymaroficial.com

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