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LESESTOFF. Fünf Geschichten mit knallharten Helden – unsere Buch- empfehlungen für die kalten Tage
ACTION-THRILLER Der unbarmherzige Samariter
US-Thrillerautor Gregg Hurwitz hat mit Evan Smoak einen Helden erschaffen, der es gnadenlos krachen lässt. Doch das ist gar nicht so einfach, wie es klingt.
Text JAKOB HÜBNER
An den richtig harten Typen haben sich schon viele Autoren die Zähne ausgebissen. Dabei möchte man ja meinen, es wäre eine vergleichsweise leichte Übung, einen Helden für einen Actionthriller zu erschaffen. Man nehme einen kantigen Kerl, tunke ihn tief in eine elitäre militärische Vergangenheit, füge eine großkalibrige Knarre hinzu, einmal durchladen, und los geht’s! Aber so funktioniert das nicht.
Tatsächlich sind sogenannte „One Man Army“ Thriller eine ziemlich heikle Herausforderung, da sie sich formal auf einem extrem schmalen Grat bewegen.
Anders gesagt: Die Lächerlichkeit ist dabei immer nur einen Schritt weit entfernt.
Die Kunst besteht darin, eine notwendigerweise überzeichnete Figur mit genügend Tiefgang auszustatten, um sie in einem realistischen Setting zu verankern. Gelingt das nicht, wird sie zur Karikatur.
Auf der anderen Seite lauert der heimtückische PsychoTreibsand. Denn kaum eine Romanfigur ist nervtötender als ein Actionheld, der ständig erklärt werden muss. Das geht gar nicht. Man nimmt so ein Buch ja schließlich nicht aus dem Regal, weil gerade kein Dostojewski zur Hand ist. Nein, ein guter Thrillerheld ist wie ein gutes Steak, nur umgekehrt: innen scharf angebraten und außen blutig.
Evan Smoak ist so ein Typ. Er war einst Teil eines streng geheimen USRegierungsprogramms, in dem Waisenkinder rekrutiert und zu hocheffizienten Killermaschinen ausgebildet wurden. Ausgestattet mit wasserdichten Identitäten und nahezu grenzenlosen finanziellen Mitteln, räumen die „Orphans“ dort auf, wo dem Staat die eigenen
Erster Absatz aus „Rache der Orphans“
Das RoamZone ans Ohr gepresst, trat Evan rasch durch die Tür seiner Penthousewohnung im Apartmenthochhaus Castle Heights. Das Handy mit dem Gehäuse aus gehärtetem Gummi und dem Display aus Gorilla Glass war so widerstandsfähig wie ein Hockeypuck und im Prinzip nicht zurückzuverfolgen. Jeder Anruf auf 18552NOWHERE wurde digitalisiert und über ein Labyrinth von verschlüsselten VPNTunneln über das Internet verschickt. Erst nachdem er per Software von Vermittlungsstelle zu Vermittlungsstelle einmal rund um den Globus geleitet worden war, kam er auf dem RoamZone an. Evan meldete sich immer mit demselben Satz. Brauchen Sie meine Hilfe?
Gesetze im Weg stehen. Als jedoch sein ehemaliger Ausbildner und Mentor in Ungnade fällt, steigt Evan aus und verschwindet vom Radar. Er leidet unter schlechtem Gewissen und sehnt sich nach Buße. Er wird zum „Nowhere Man“, einer Art unsichtbarem Schutzengel für Menschen, die in Not geraten sind, sich aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht an die Polizei wenden können. Aus dem Sünder wird ein Samariter – allerdings einer ohne jede Barmherzigkeit, dafür aber mit einer spezialangefertigten Wilson Combat im KydexHüftholster.
In der „Orphan“Zentrale haben sie freilich wenig Freude mit einem freischaffenden Profikiller aus den eigenen Reihen und blasen zum großen Halali – allen voran die emotional nahe am Gefrierpunkt angesiedelte Candy McClure, die mit Evan noch eine ganz persönliche Rechnung offen hat …
Der USAmerikaner Gregg Hurwitz, 48, ist nicht nur als Romanautor und Comictexter (Marvel, DC) sehr erfolgreich, sondern auch als Drehbuchschreiber. Das merkt man. Seine EvanSmoakReihe – „Orphan X“ (2016), „Projekt Orphan“ (2017), „Die Rache der Orphans“ (2018), „Die Spur der Orphans“ (2019) und „Das Vermächtnis der Orphans“ (2021) – kommt wie ein Hollywood Blockbuster daher und überzeugt mit einem wirklich guten Spannungsbogen. Hurwitz hat ein feines Gespür dafür, wann er das Visier runterklappen und Vollgas geben muss und wann er Tempo rausnimmt, um den Leser mit ein paar Hintergrundhappen zu füttern.
Das ist umso bemerkenswerter, als der Autor quer durch alle fünf Bände mit zwei parallel laufenden Storys jongliert – auf der einen Seite der jeweilige Auftrag des „Nowhere Man“ und die interne Jagdgesellschaft der „Orphans“ auf der anderen. Die beiden Handlungsstränge kommen einander zwar nur selten in die Quere, aber wenn, dann mit mächtig Zunder.
Stilistische Brillanz darf man sich von einer Romanserie dieser Gattung natürlich nicht erwarten, wohl aber eine präzise sprachliche Fokussierung auf das Wesentliche: Spannung bis zum Abwinken.
GREGG HURWITZ „Evan Smoak“-Reihe
Deutsch von Mirga Nekvedavicius
HarperCollins
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