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Die Formulierung entscheidet
TARIFBINDUNG Aus der Tarifbindung raus und Verträge auslegen, wie man will. Das hatte ein Arbeitgeber im Sinn, der aus dem Unternehmerverband ausgeschieden war und dem Kläger das tarifvertraglich vereinbarte Zusatzgeld später nicht zahlen wollte. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter*innen legten die Verträge aus und entschieden zu Gunsten des Klägers.
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Seit 2018 gilt in tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie das ERA-Entgeltabkommen. Zeitgleich schlossen die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag über ein tarifvertragliches Zusatzgeld (T-ZUG) ab. Die Beklagte des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht hatte schon 2010 ihre Mitgliedschaft im Unternehmerverband gekündigt. Eine von ihr gewünschte Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit ließ sich damals mit der Gewerkschaft nicht durchsetzen.
Das Konzept hatte sich geändert
Das Unternehmen beabsichtigte, die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich mittels Individualvereinbarungen zu erhöhen. In einer Betriebsversammlung erläuterte der Geschäftsführer das künftige Konzept der Beklagten. Sämtliche Arbeitnehmer*innen erhielten im Nachgang ein ausführliches Informationsschreiben, womit die Geschäftsleitung ihnen bei einer Zustimmungsquote und Gesamtbeteiligung von mindestens 85 Prozent zur 38,5-Stunden-Woche eine jährliche Erfolgsbeteiligung und die weitere Anwendung der Tarifverträge zusicherte.
Das Unternehmen bot den Mitarbeiter*innen an, eine Zusatzvereinbarung zu unterschreiben, mit der die Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich von 35 auf 38,5 Stunden erhöht werden sollte. Weiter hieß es in dieser Vereinbarung: „Mit Ausnahme der Regelung zur Wochenarbeitszeit kommen alle Tarifverträge für die nordrhein-westfälische Metall- und Elektroindustrie, die mit der IG Metall abgeschlossen worden sind, weiterhin im Betrieb zur Anwendung. Auch zukünftige zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Entgelterhöhungen, werden unter Berücksichtigung der tariflichen Regelungen zum ERA ETV, in vollem Umfang an den Mitarbeiter weitergegeben.“
THOMAS HELLER vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht sagt dazu:
„Erwähnenswert finde ich insoweit, dass der Senat hier zur Begründung der dynamischen Bezugnahme in der Zusatzvereinbarung letztlich entscheidend auf den Text des Informationsschreibens abgestellt hat.“
Das neue Konzept schien aufzugehen
Neunzig Prozent der Belegschaft unterschrieb die Zusatzvereinbarung. Die Beklagte zahlte die Tarifentgelte, gab aber die T-ZUG-Zahlungen nicht weiter. Sie sei aus dem Unternehmerverband ausgetreten und müsse nach der Zusatzvereinbarung nur die Tarifentgelte mit den jeweiligen Erhöhungen zahlen, die es bereits zum Zeitpunkt des Austritts aus dem Unternehmerverband gegeben habe. Der Tarifvertrag T-ZUG gehöre nicht dazu. Diesen hätten die Tarifvertragsparteien erst später abgeschlossen.
Thomas Heller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht vertrat den Kläger vor dem Bundesarbeitsgericht. Er berief sich darauf, dass die Zusatzvereinbarung eine dynamische Verweisung auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie enthielt. Auf das Arbeitsverhältnis seien damit das Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung und auch künftige tarifvertragliche Entwicklungen anzuwenden.
Der Teufel steckt oft im Detail.
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht
Die Zusatzvereinbarung nehme ausdrücklich Bezug auf die jeweiligen Tarifverträge, so das Gericht. Sie sei nur hinsichtlich der Wochenarbeitszeit eingeschränkt. Darüber hinaus sollten alle Tarifverträge, die „mit der IG Metall abgeschlossen worden sind“, weiterhin im Betrieb zur Anwendung kommen. Das gelte auch für den zeitlich nach dem Austritt aus dem Unternehmerverband entstandenen Tarifvertrag T-ZUG. Der Arbeitgeber müsse dem Kläger das Zusatzgeld zahlen. v
Susanne Theobald, Redakteurin, Hauptverwaltung DGB Rechtsschutz GmbH
Bundessozialgericht, Urteil vom 27.4.2022 – 4 AZR 289/21