Rückblicke - 25 Jahre Kurt Weill Fest Dessau

1993 2017 Rückblicke – 25 JahrE Kurt Weill Fest Dessau

Editorial

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25 Jahre Kurt Weill Fest in Dessau!

Mit Enthusiasmus, Mut und Engagement Thomas Markworth

Ehrenamtlicher Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft e.V., Dessau

Mit viel Enthusiasmus und Mut der damaligen Macher des Festivals quasi aus dem Nichts als Veranstaltung eines verlängerten Wochenendes in 1993 gestartet, besteht das Kurt Weill Fest im 25. Jahrgang aus nahezu 60 Veranstaltungen mit einem 17tägigen Rahmenprogramm an 26 Spielstätten.

Das Festival geht zurück auf die Idee der Kurt Weill Foundation for Music

tials betrachtet und vorangebracht hat.

Sie verloren niemals aus dem Blick, dass die beste Begründung für die Etablierung eines Festivals dessen Qualität sein muss. Dabei zugleich einem als wesentlich empfundenen Vermittlungsauftrag nachzukommen, ist für das Fest mehr als nur eine Pflicht. Mit der Entwicklung des Kurt Weill Fest und vor allem der dritten Intendanz verbunden ist die Aus-

Das Festival geht zurück auf die Idee der Kurt Weill Foundation for Music in New York, die dem Fest seitdem als ein fester, freundschaftlich verbundener und zugleich fördernder Partner zur Seite steht in New York, die dem Fest seitdem als ein fester, freundschaftlich verbundener und zugleich fördernder Partner zur Seite steht. Ohne die vielen ehrenamtlich engagierten Mitglieder der KurtWeill-Gesellschaft, angefangen über deren 1. Präsidenten Wolfgang Laczny und dem Mitinitiator und Weill-Experten Dr. Jürgen Schebera, bis hin zu den Mitgliedern der heutigen Gremien Kuratorium, Wissenschaftlicher Beirat, Künstlerischer Beirat und Präsidium, wäre ein solcher Erfolg nicht denkbar. Die Verleihung des mit 15 000 € dotierten Ehrenamtspreises der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Juli 2016 an die Kurt-Weill-Gesellschaft drückt dies recht gut aus. Zudem hatte und hat das Kurt Weill Fest das Glück, mit ihren bisherigen Intendanten Andreas Altenhof, Clemens Birnbaum und Prof. Michael Kaufmann jeweils eine künstlerische Leitung an seiner Spitze zu haben, die jede auf ihre besondere Weise sehr engagiert und kreativ das Festival stets unter dem Gesichtspunkt eines weiter­entwicklungsfähigen Poten-

bildung eines erstaunlich großen Netzwerkes mit anderen Kultureinrichtungen, Künstlern sowie öffentlichen und privaten Förderern. Wir sind stolz, froh und dankbar zugleich, dass die Künstler gern zu uns kommen und unsere Förderer seit Beginn so zuverlässig und partnerschaftlich an der Seite des Kurt Weill Fest stehen. Für das damit dem Festival und den Verantwortlichen entgegengebrachte Vertrauen sind wir sehr dankbar. Diese Dankbarkeit empfinden wir insbesondere auch gegenüber dem Publikum des Kurt Weill Fest. In den letzten acht Jahren durften wir jedes Jahr mehr Besucher als im Vorjahr begrüßen.

Ohne ein treues Stammpublikum von nah und fern, eine bewusste Neugier auf Kultur, eine große Offenheit für die Themen der Zeit und insbesondere ohne unsere rund fünfhundert Mitglieder der Kurt-Weill-Gesellschaft als Botschafter und Multiplikatoren, wäre der Erfolg des Kurt Weill Fest ebenfalls nicht denkbar. Ein Dank gilt schließlich auch den Medien, die uns stets kritisch und aufmerksam verfolgen.

Prof. Dr. Walter Londong, unser langjähriger Vizepräsident, hat es dankenswerterweise übernommen, die „Rückblicke – 25 Jahre Kurt Weill Fest“ zu gestalten. Er hat Persönlich­keiten hinzugezogen, die mit ihrer Fachkunde jeweils besonders mit der Gründungsphase oder der Entwicklung des Festes verbunden sind. Prof. Dr. Kim Kowalke, Präsident der New Yorker Kurt Weill Foundation, erzählt u.a. über seine erste Reise nach Dessau schon in 1985 und betont, dass aufgrund des Kurt Weill Fest heute Kurt Weill in ganz Deutschland deutlich häufiger gespielt wird.

Prof. Dr. Guy Stern aus Detroit erzählt im Interview u.a. über seine langjährige Freundschaft mit Lotte Lenya und seine ersten Gespräche in Dessau. Andreas Altenhof vermittelt Eindrücke von den Anfangs­schwierig­keiten und Erfolgen aus Sicht des ersten Intendanten. Der Kritiker Andreas Hauff, er begleitet das Fest seit 1994, schreibt über seine persönlichen Reflexionen zur Entwicklung des Kurt Weill Fest seit Beginn. Prof. Dr. Nils Grosch beschreibt die Arbeit des Wissenschaftlichen Beirates, dessen Symposien und Publikationen zu Weill.

Dr. Jürgen Schebera betont in seinem Beitrag die musikgeschichtliche Bedeutung Kurt Weills. In seinem Beitrag zu den „Entdeckungen“, ein Format des Studium generale zum Weill-Fest, zieht Prof. Dr. Matthias Henke als Kurator ein persönliches Resümee.

Wenn das Kurt Weill Fest anlässlich seines 25jährigen Bestehens einen Wunsch frei hat, dann bleiben Sie uns bitte alle, die Sie Anteil an dem Erfolg des Kurt Weill Fest haben, auch in Zukunft mit Interesse und Wohlwollen zugetan.

Ihr

Thomas Markworth

Kurt Weills Heimkehr nach Dessau

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Kurt Weills Heimkehr nach Dessau* Ein Blick zurück auf ein Vierteljahrhundert Kim H. Kowalke

Präsident und geschäftsführender Vorstand der Kurt Weill Foundation for Music Inc., New York

Im November 1981 hatte ich nur widerstrebend dem Wunsch von Lotte Lenya an ihrem Totenbett zugestimmt, ihre Nachfolge als Präsident der New Yorker Kurt Weill Foundation for Music anzutreten. Während meiner ersten Deutschlandreise in Sachen Weill war ich zum ersten Mal Ende April 1985 in Dessau.

Am Westberliner Theater des Westens besuchte ich eine Neuinszenierung von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und das Original der Kurt-Weill-Revue Von Bilbao, Youkali und Alabama. Die Inszenierung von Mahagonny war dramaturgisch und musikalisch enttäuschend, während sich die Revue (unter der Regie und Choreographie von Helmut Baumann und Jürg Burth) als eine Offenbarung erwies – mit werkgerechten Darbietungen aus der gesamten

mit Dr. Jürgen Schebera, ein damals schon bekannter Wissenschaftler aus Leipzig, der über Brecht, Weill und Eisler forschte. Als er erfuhr, dass ich nach Berlin kommen würde, riet er mir zu einem Besuchsvisum für die DDR, damit ich zu einer DDR-Erstaufführung von Der Sil­ bersee nach Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) weiterreisen könnte. Schebera holte mich am Checkpoint Charlie ab, und wir fuhren in seinem Wartburg nach Leipzig.

Unterwegs hielten wir in Dessau und begannen unsere Besichtigungen im Stadtarchiv, in dem Dr. Ulla Jablonowski für uns eine Zusammenstellung faszinierender Dokumente und Fotografien mit Bezug zu Weill vorbereitet hatte.

Danach spazierten Schebera und ich zu einigen Weill-assoziierten Orten in der Stadt. In der Kurt-Weill-Straße bestand

Ich sagte zu Jürgen, das müsse ein gutes Omes dafür sein, dass Kurt Weill endlich wieder seinen Weg nach Dessau, seinem Zuhause finden sollte Bandbreite des Schaffens von Weill.

Obwohl Nicole Heesters als Star des Abends angekündigt war, haben ihr zwei junge, damals noch unbekannte Sänger die Schau gestohlen: zum einen der Bariton Steve Barton, der ein Jahr später die Rolle des Raoul im Phantom der Oper in London und New York gestalten sollte, zum anderen Ute Lemper, die den amerikanischen Weill fast so sprachgewandt und stilgerecht sang wie Barton.

Sie sollte zwei Jahre später in New York ihr Debüt bei einem Kurt Weill Festival geben.

Während der ersten turbulenten Jahre als Chef der flügge werdenden Weill Foundation korrespondierte ich häufig

er darauf, dass hier ein Foto vom Präsidenten der Weill Foundation gemacht werden müsse. Weiter ging’s zu ausgebombten Häusern, in denen die Synagoge und das Gemeindehaus gestanden hatten, als Weills Vater dort Kantor war, und schließlich in einen Park mit einer einzelnen Statue zu Ehren eines „Helden der Kunst“ – nicht etwa Weill, sondern Brecht, der ironischerweise keinerlei Beziehung zur Stadt Dessau hatte!

Als wir einen großen Platz überquerten, kam uns ein Mann mit einem herumspringenden Bobtail entgegen. „Mein Gott, das ist ja Wooly!“ rief ich, weil der Hund genauso aussah wie Weills geliebter Hund, den er nach der Premie-

re von Lady in the Dark von Moss Hart geschenkt bekommen hatte. Ich sagte Jürgen, dies müsse gewiss ein gutes Omen sein, dass Kurt Weill endlich wieder seinen Weg zurück nach Dessau, „nach Hause“ finden würde. Tatsächlich feierte das Landestheater Dessau im folgenden Dezember Weills 85. Geburtstag, indem es zum allerersten Mal Auf­ stieg und Fall herausbrachte. Es war erst die vierte Produktion eines Bühnenstückes von Weill in seiner Heimatstadt (Der Protagonist im Jahr 1927 und Die Drei­ groschenoper in 1931 und 1982). In der DDR war Weill in der Tat so etwas wie ein „Fremder im eigenen Land“, ein „verlorener Sohn“, der auf eine dauerhafte und umfassende „Heimkehr“ wartete.

Natürlich waren der Fall der Berliner Mauer im November 1989 und die Wiedervereinigung Deutschlands im folgenden Jahr die Schlüsselereignisse in diesem schwierigen Prozess. Zwischen diesen beiden geschichtsträchtigen Begebenheiten wurde das größte Festival zu Ehren von Weills Leben und Werk in Nordrhein-Westfalen, mit Zentrum in Düsseldorf, veranstaltet – zum Gedenken an seinen 90. Geburtstag und seinen 40. Todestag. Gleichzeitig mit der Festival-Eröffnung fand in Duisburg das internationale wissenschaftliche Symposium „Kurt Weill und das verlorene Vaterland“ statt, an dem Weill-Wissenschaftler und Enthusiasten aus aller Welt teilnahmen, zum ersten Mal auch Kollegen aus der DDR. Es hätte kein gewichtigeres Symbol für die einsetzende „Heimkehr“ von Kurt Weill nach Deutschland geben können als diese Veranstaltungen und der publizierte zweisprachige Band mit vielen wissenschaftlichen Beiträgen, der dies schon im Titel dokumentierte: „A Stranger here myself – Kurt Weill Studien“ (Olms Verlag 1993). Schließlich war es jetzt * Übersetzung: Walter Londong

Kurt Weills Heimkehr nach Dessau

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Der 36jährige Präsident der New Yorker Kurt Weill Foundation, Prof. Dr. Kim Kowalke, bei seinem ersten Dessau-Besuch im April 1985

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Wolfgang Laczny (re.), Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft, begrüßt Prof. Dr. Kim Kowalke (Weill Foundation) im Februar 1997.

Im Hintergrund: Andreas Altenhof und Dr. Joachim Lucchesi (partiell verdeckt).

de Gruppe in Dessau gab, die die Gründung eines Richard Wagner Festivals befürwortete – entschieden hätten, den Versuch eines „Bayreuth Kurt Weills“ zu unternehmen. Solch ein Vorhaben bedürfe allerdings der Unterstützung von bestehenden Kultur- und Bildungseinrichtungen in Dessau und in den Nachbarstädten sowie von privaten Sponsoren, des Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt, vielleicht sogar der Bundesregierung. Zum Jahresende hatte die Foundation die Gründung eines jährlichen Kurt Weill Festival mit internationaler prominenter Beteiligung in Dessau befürwortet, einen detaillierten Plan für ein solches Festival vorgelegt sowie finanzielle und künstlerische Unterstützung zugesichert.

möglich, Kurt Weill im kürzlich wiedervereinigten Deutschland aufzuführen, über ihn zu forschen und zu debattieren.

Plötzlich war Weills vollständige Rückkehr in sein Heimatland nur noch eine Frage der Zeit.

Innerhalb von zwei Monaten nach der deutschen Wiedervereinigung reisten die beiden in Deutschland geborenen, jü­dischen Vizepräsidenten der Foundation, Prof. Dr. Guy Stern und Lys Symonette, nach Dessau, um ein Interesse an der Etablie­ rung eines Kurt Weill Fest herauszufinden. Lys Symonette war unter ihrem Mädchennamen Bertlies Weinschenk (Künstlername: Lys Bert) von 1945 bis 1950 Weills musikalische Assistentin am Broadway gewesen, und Guy Stern war Germanistik-Professor an der Wayne State University. Nach anfäng-

lich „vorsichtig enthusiastischer“ Reaktion des Oberbürgermeisters Dr. Jürgen Neubert, von Manfred Jendryschik, Leiter des Dezernats für Bildung, Kultur und Tourismus, und von Günter Ziegler, Amtsleiter des Kulturamtes der Stadt

Anfang 1992 hielt die Kurt Weill Vereinigung ihr Gründungstreffen ab und wählte Schebera zu ihrem ersten Vorsitzenden. Ende 1991 war Johannes Felsenstein zum Intendanten, später zum Generalintendanten des Landestheaters ernannt worden. 1992 wurde Andreas Altenhof mit der Betreuung des Weill-Projektes im Kulturamt beauftragt. Als Symonette und Stern im April 1992 erneut nach Dessau kamen, um konkrete Pläne zu verabreden, legten sie Wert auf die Feststellung, dass sich ein derartiges Festival höchste künstlerische Standards vornehmen und die volle Unterstützung des Landestheater bekommen müsse.

Schließlich sei Weill in erster Linie ein Komponist des Musiktheaters gewesen.

Jeder war allerdings der Meinung, dass

Anfang 1992 hielt die Kurt Weill Vereinigung ihr Gründungstreffen ab und wählte Dr. Schebera zum ersten Vorsitzenden Dessau, kehrte Professor Stern für ein zweites Treffen im August nach Dessau zurück. Er berichtete dem Kuratorium der Foundation, dass die Offiziellen der Stadt – obwohl es eine konkurrieren-

die Zeit zu kurz sei, um ein wirklich großes Festival zu veranstalten; deshalb sollte mit einem „Auftakt“ begonnen werden, der sich schließlich zu einem alle zwei Jahre stattfindenden Festival

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(immer um die Zeit von Weills Geburtstag im März) entwickeln sollte. Diese ehrgeizigen Pläne wurden der Presse mitgeteilt.

Nach dem im März 1993 durchgeführten „Auftakt“ besuchten Andreas Altenhof und Günter Ziegler das Weill-Lenya Research Center in New York. Sie kehrten mit einer Sammlung von Partituren, Aufnahmen, Büchern und Fotokopien für das Kurt-Weill-Zentrum nach Dessau zurück, das im September offiziell eröffnen sollte. Trotz bester Intentionen und Anstrengungen aller Beteiligten wurde bald klar, dass dieses gewaltige Vorhaben weder einfach noch unverzüglich zu realisieren sein würde – besonders in einer ökonomisch notleidenden, kulturell für viele Jahre isolierten Region, ohne irgendeine Tradition, Kurt Weill aufzuführen, und mit nur sehr limitier-

um ein höheres künstlerisches Niveau der Aufführungen zu erreichen, Strategien zu entwickeln, die eine mehrjährige Programmplanung und Förderungs­ absicherung erlaubten und – am wichtigsten – ein Engagement des Anhaltischen Theaters sicherzustellen, um es zu einem verlässlichen Partner des großen Vorhabens zu machen. Ich notierte mir, dass „eine lokale Unterstützung und Begeisterung spürbar ist und das Festival jetzt eine höhere musikalische Qualität anstreben muss“. Letztere hatte ich bei der von mir besuchten, ansonsten überzeugenden Produktion von Der Silbersee vermisst. Mit diesen Gedanken bot ich den Organisatoren an, der Foundation einen Vorschlag zur Gehaltsfinanzierung eines partnerschaftlich auszuwählenden künstlerischen Direktors des Weill-Festes zu unterbreiten – in der Hoffnung,

1997 notierte ich mir: „Unterstützung und Begeisterung sind vor Ort spürbar.

Das Weill Fest muss sich nur noch um eine höhere musikalische Qualität bemühen“ ter Kenntnis vom Umfang seines theatralischen und musikalischen Œuvres.

Deshalb besuchten Stern und Symonette die Feste während der ersten Jahre weiter, um mit ihrem Rat zu Seite zu stehen. Darüberhinaus gab die Foundation Zuschüsse, um ausgewählte Aufführungen und Events zu unterstützen.

Meine eigenen Verpflichtungen als hauptamtlicher Hochschulprofessor ver­ hinderten meine Teilnahme bis 1997. Ich erinnere mich lebhaft, dass ich, damals vom Dessauer Bahnhof kommend, als erstes ein großes Banner über dem Eingang des imposanten Theaters gesehen habe, auf dem nicht das Kurt Weill Fest, sondern ein Verdi-Fest angekündigt war, das Felsenstein in offensichtlicher Konkurrenz angesetzt hatte. Gegenüber einer Gruppe von Offiziellen aus der Stadt und der Landesregierung, u.a. dem neuen Präsidenten der WeillGesellschaft, Wolfgang Laczny, und dem Oberbürgermeister Hans-Georg Otto, brachte ich meine Hoffnung zum Ausdruck, dass unsere Organisationen produktiv zusammenarbeiten sollten,

dass ein visionärer Leiter in der Lage sein sollte, das Niveau des Festes über das provinzielle Interesse und die lokale Anziehung hinaus zu verbessern.

1997 war ich auch Teilnehmer einer vom Wissenschaftlichen Beirat organisierten Konferenz, die bereits bei vorherigen Symposien während verschiedener Weill-Feste einige Bände mit Kurt Weill Studien veröffentlich hatte, die die lebhafte Diskussion über Weill in der Wissenschaftslandschaft der Nachwendezeit in Deutschland widerspiegelten.

Während meiner Treffen auf dieser Reise nach Dessau vereinbarten wir, dass die Foundation und das Weill-Fest im Jahr 2000 gemeinsam, anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Weill, den ersten Europäischen „Lotte Lenya Gesangswettbewerb“ veranstalten sollten, den ich im Jahr 1998 anlässlich des 100. Geburtstages von Lenya an der Eastman School of Music in Rochester, NY, gegründet hatte. Als Juroren für diesen in das Weill-Fest integrierten Wettbewerb gewann ich den britischen Dirigenten James Holmes und die legen-

däre Sopranistin Teresa Stratas. Obwohl danach kein Lenya-Gesangswettbewerb mehr in Deutschland stattfand, sind in jedem Jahr deutsche Sänger im Finale der „Lotte Lenya Competition“ in Rochester aufgetreten und haben mehrere höchste Preise nach Hause mitgenommen. Seit 2005, vermehrt seit 2010, haben ein Dutzend Gewinner der Lenya Competition Hauptrollen bei Aufführungen des Weill-Festes übernommen. Nicht zufällig nahm Michael Kaufmann 2010 zum ersten Mal beim Finale der „Competition“ in Rochester teil – begleitet von Dessaus Oberbürgermeister Klemens Koschig, dem Präsidenten Thomas Markworth und Präsidiums­ mitgliedern der Kurt-Weill-Gesellschaft.

Seit dem Jahr 2000 habe ich keines der fünfzehn folgenden Weill-Feste mehr besucht. In jenem Jahr wurde Felsensteins desaströse Inszenierung von Der Kuhhandel aufgeführt, die die enge Zusammenarbeit zwischen der Foun­ dation, dem Weill-Fest und dem Anhaltischen Theater gefährdete. Obwohl das Fest auch nach dem Wechsel von Andreas Altenhof nach Berlin in jedem Jahr weiter gefördert wurde, fanden keine bedeutsamen Konsultationen mehr statt – bis zur „Wachablösung“ im Jahr 2009, als André Bücker Felsenstein folgte und Michael Kaufmann das Amt des Intendanten des Weill-Festes übernahm. Schon bald nach seiner Ernennung besuchten Kaufmann und Markworth die Weill Foundation in New York, und wir vereinbarten, die enge Kooperation zu erneuern, die die ersten Jahre des Festes geprägt hatten. Die ersten drei fantasievollen Programme von Kaufmann ließen neue Hoffnungen auf ein höheres künstlerisches Niveau, ein breitgefächerteres Repertoire und werk­typischere Auf­führungen von Künst­ lern mit internationalem Renommee aufkommen. Berlin im Licht (2011), Hom­ mage á Paris (2012) und New York – New York! (2013) spiegelten das Thema Von Bilbao, Youkali und Alabama, der Revue des Theaters des Westens von vor 25 Jahren, wider und demonstrierten anschaulich, was im dazwischen­ liegenden Viertel­ jahrhundert erreicht worden war.

Weill ist kein Fremder mehr in seinem Heimatland! Er hat sich aus dem Schatten von Brecht heraus- und über

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Zusammentreffen von Vertretern der Kurt-Weill-Gesellschaft e.V. und der Kurt Weill Foundation Inc. for Music, New York, im März 1997 (von oben li. nach re.): Dr. Jürgen Schebera, Hubert Ernst, Prof. Dr. Kim Kowalke, OB Hans-Georg Otto, Andreas Altenhof, Wolfgang Laczny, Prof. Dr. Guy Stern, Dr. Erdmute Siegfried, Joachim Landgraf, Prof. Dr. Rolf Kuhn, Friedrich Kolbitz und Martin Stein

rator (John Adams hat z. B. erklärt, dass seine neue Oper „Gold Rush“ sein Tribut an Weill darstelle). Bei seinen jetzt jährlichen Besuchen des Weill-Fest hat das Ensemble Modern bewiesen, wie fragil Weills Stil ist und und wie groß die Belohnungen sind, seine Geheimnisse in transformativen Aufführungen zu entschlüsseln. All das hat zu einer „revisionistischen“ Sichtweise auf Weill beigetragen, einer Sicht, die Wahrnehmungsverzerrungen ersetzen kann, die sich aus einer geographisch zweigeteilten Karriere und einer ästhetischen/ linguistischen Abschottung seines Schaffens ergeben. In der Tat erlaubt solch ein Blick ein neues Gefühl der Einheit, die erkannt werden muss und die erlaubt, Weill wieder komplett zu gestalten: gleichzeitig populär und ernsthaft, zentraleuropäisch und amerikanisch, deutsch und jüdisch.

Die Dreigroschenoper und Mahagonny hinausbewegt. Produktionen von Street Scene, One Touch of Venus, Lady in the Dark, Down in the Valley, Love Life, The Firebrand of Florence und Johnny John­

len Serie der von der Weill-Gesellschaft herausgegeben Publikationen zu WeillStudien auf. Die Anzahl und Qualität deutschsprachiger Masterarbeiten und Dissertationen nahm sprunghaft zu.

Weill ist kein Fremder mehr in seiner Heimat und aus Brecht’s Schatten herausgetreten son erwiesen sich als aufschlussreich – nicht nur für das Dessauer, sondern auch für ein breites deutsches Publikum. Parallel zu den Aufführungen blühte die Forschung mit einer eindrucksvol-

Weills Name ist nicht mehr nur eine Fußnote in der Musiktheatergeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Bedeutende Komponisten beidseits des Atlantik reklamieren ihn heute als ihren Inspi-

Was Weill im September 1949 an seine Eltern schrieb, scheint jetzt nicht nur eine passende Beschreibung seiner Karriere, sondern auch die des Vierteljahrhunderts der durch das Kurt Weill Fest gestützten Weill-Produktion, -Rezeption und -Forschung zu sein: „Nach 25 Jahren schwerer, unermüdlicher Arbeit ... bin ich nun plötzlich zu einer Art Klassiker befördert worden, und man beginnt allgemein von der „historischen Bedeu­ tung“ meiner Werke zu sprechen“. Sieben Monate später war Weill tot, seine Hoffnung auf ein weiteres Vierteljahrhundert eines künstlerischen Lebens unrealistisch geworden. Meine Hoffnung ist, dass das Kurt Weill Fest, im Gegensatz zu seinem Namensgeber, noch lange bestehen und wachsen möge. In der Tat scheinen die Erwartungen an das Fest, die zur Zeit seiner Gründung vor fünfundzwanzig Jahren so unrealistisch erschienen, jetzt im nächsten Vierteljahrhundert erreich­bar zu sein und Dessau auch „Weills Bayreuth“ werden zu können.

Kurt Weill – Erneuerer des musikalischen Theaters

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Kurt Weill – Erneuerer des musikalischen Theaters Jürgen Schebera

Literatur- und Musikhistoriker aus Berlin

Die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts verzeichnet nur sehr wenige Komponisten, die ihre Schaffensintention so konsequent auf das Musiktheater und dessen Erneuerung ausgerichtet haben wie Kurt Weill – der freilich folgerichtig schon früh, nach seinen ersten gemeinsam mit Georg Kaiser entstandenen Operneinaktern, nicht mehr den traditionellen Begriff „Musiktheater“ verwendete, statt dessen von „musikalischem Theater“ sprach: „Ich entdeckte bald, dass die speziellen Erfordernisse des Opernhauses, seiner Darsteller und seines Publikums, mich zwangen, gewisse Elemente des herkömmlichen Theaters zu opfern. Es war zu dieser Zeit [1927], dass ich von einer besonderen Art des musikalischen Theaters zu träumen begann, in dem Drama und Musik, gesprochenes Wort, Song und Bewegung völlig vereint sein würden.“ Mehr als zwanzig Jahre hat der Komponist danach diesen Traum schrittweise in Realität umgesetzt, auf der jeweils sehr anders gearteten Bühnenszene Deutschlands, Frankreichs und der USA. Als Weill 1950 in New York viel zu früh gestorben war, vermerkte sein Komponistenkollege Virgil Thomson: „Alles, was Kurt schrieb, wurde in der einen oder anderen Weise historisch. Wahrscheinlich war er der originellste Einzel­ arbeiter im gesamten musikalischen Theater, international betrachtet, während des letzten Vierteljahrhunderts.“ Aus der konsequenten Hinwendung zum Theater resultiert die Kontinuität in Weills künstlerisch-ästhetischem Programm – über alle politischen „Stürme“ des Jahrhunderts hinweg, die auch ihn 1933 zum Verlassen Deutschlands zwangen. Doch er begriff sich dabei keineswegs als Emigrant, sah, nach zweijährigem Interludium in Paris und London, ab 1935 die USA nicht als zeitweiliges Gastland, sondern sehr bald als seine neue Heimat an. Was zugleich mit der Konse-

Dr. Jürgen Schebera beim Kurt Weill Fest 2014

quenz verbunden war, dass fortan seine innovatorischen Bestrebungen dem amerikanischen musikalischen Theater zu gelten hatten.

In Berlin hatte er sein Programm mit der Feststellung begonnen: „Wenn also der Rahmen der Oper eine Annäherung an das Zeittheater nicht verträgt, muss eben dieser Rahmen gesprengt werden“ (1927). Weill integrierte rhythmische Muster sowie Instrumente der Popularmusik in seine Bühnenpartituren, verabschiedete sich von der durchkomponierten Oper und schuf gemeinsam mit Brecht Werke eines neuartigen musikalischen Theaters – von der Dreigroschen­ oper bis Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny als opus magnum –, welche die Entwicklung des Genres im 20. Jahr­ hundert maßgeblich beeinflussen sollten. Gleichfalls eine Jahrhundertleistung: der dabei gefundene hinreißende, ganz und gar neuartige Weillsche Songstil.

In den USA setzte der Komponist sein Programm der Erneuerung fort, nunmehr auf der lebendigen Szene des Broadway. Wo bisher meist seichte Musical Comedy über die Bühne gegangen war, oft ohne durchgehende Handlung, entstand jetzt mit dem literarisch durchgearbeiteten Musical Play ein neues ernstzunehmendes Genre. Kurt Weill gehörte – neben Jerome Kern und Richard Rodgers – zu seinen Begründern. Wie in Berlin mit erstrangigen Textund Songautoren zusammenarbeitend, von Maxwell Anderson bis Ira Gershwin,

entstanden zwischen 1938 und 1943 mit Knickerbocker Holiday, Lady in the Dark und One Touch of Venus Werke, die dem Broadway neue Farbe und neues Gewicht gaben, sowohl inhaltlich wie musikalisch.

Nicht nur dass Weill sich erstaunlich rasch den amerikanischen Songstil erarbeitet hatte und einen erfolgreichen Hit nach dem anderen schrieb, er fügte auch als erster größere musikalische Zwischenspiele sowie Ballettszenen in seine Musical-Partituren ein, die er danach persönlich orchestrierte, um den beabsichtigten Orchesterklang zu erreichen.

Der Erfolg seiner Musical Plays ermutigte ihn dann zum nächsten ProgrammSchritt. 1945 notierte der Komponist: „Heute bin ich überzeugt, dass das amerikanische Publikum bereit ist, auf der Bühne des Broadway auch seine eigene Form von Oper zu akzeptieren.“ So entstand gemeinsam mit Elmer Rice und Langston Hughes die Broadway Opera Street Scene, erfolgreich uraufgeführt 1946. Nach Gershwins Porgy and Bess von 1935 war das der zweite „Meilenstein“ einer amerikanischen Oper.

Dass die Stadt Dessau sehr bald nach der deutschen Wiedervereinigung beschloss, ihren großen Sohn nunmehr kontinuierlich und angemessen zu ehren, ist längst im Ehrenbuch verzeichnet. 1993 fand das erste Kurt Weill Fest statt; die 25. Ausgabe steht jetzt bevor.

Mögen noch viele folgen!

Zum 90. Geburtstag des Komponisten erschien die Standardbiografie von Dr. Schebera

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“ Interview mit Prof. Guy Stern Michael Kaufmann

Intendant des Kurt Weill Fest Dessau (2009–2017)

Günther Stern (nach der Emigration 1937 in die USA: Guy Stern) ist der einzig Überlebende einer fünfköpfigen jüdischen Familie aus Hildesheim, der in den USA Romanistik und Germanistik studierte. Als amerikanischer Soldat wurde er in einer aus Emigranten bestehenden Spezialeinheit, den sog. Ritchie Boys, eingesetzt, die nach der Invasion an der französischen Atlantikküste deutsche Kriegsgefangene und Deserteure verhörte. Für seine Verdienste wurde ihm in den USA die Bronze Star Medal und im Januar 2017 der Ritterorden der französischen Ehrenlegion verliehen. Nach Beendigung des Studiums, Promotion und mehrjähriger akademischer Lehrtätigkeit war er Professor für Deutsche Sprache und Literatur an Universitäten in New York City, Cincinnati, Maryland und Detroit. Er war der Initiator der Lessing Society und hatte Gastpro­fes­ suren in Deutschland an den Universitäten in Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main, Leipzig, Potsdam und München inne. Als bedeutender Autor der Exilliteratur und Direktor des Holocaust-Museums in Detroit hielt er 1998 im Bonner Bundestag am sechzigsten Jahrestag einen Vortrag zur Reichs­ pogromnacht. In Deutschland wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz (1987), der Goethe-Medaille (1989) und der Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Hildesheim (2012) ausgezeichnet.

Der 95jährige Prof. Dr. Guy Stern war viele Jahre lang Lotte Lenyas persönlicher Vertrauter und wissenschaftlicher Berater. Seit 1981 ist er Vizepräsident der New Yorker Kurt Weill Foundation for Music und infolge seines mehrjährigen, persönlichen Engagements um die Gründung und Etablierung des Kurt Weill Fest ein uns freundschaftlich verbundener, aktiver und besonders geachteter Förderer der Kurt-Weill-Gesellschaft.

Das Interview mit Prof. Michael Kaufmann fand am 03. Juni 2016 anlässlich

der Verleihung seiner Ehrenmitgliedschaft durch die Kurt-Weill-Gesellschaft in Dessau statt, mit der er für seine persönlichen Verdienste um die Etablierung des Kurt Weill Fest geehrt wurde.

Michael Kaufmann: Wie kamst Du zur Kurt Weill Foundation Foundation, und wann hast Du Dich das erste Mal mit Kurt Weill beschäftigt?

Guy Stern: Oh, das war zu Lenyas Zeiten.

Michael Kaufmann: Wie bist du zum Kurt

Michael Kaufmann: Und wie habt ihr euch kennen gelernt?

Guy Stern: Ich war Dozent an der Columbia University und bin Lotte Lenya zum ersten Mal begegnet, als mein Kollege Gustave Mathieu und ich Briefe aus dem 18. bis 20. Jahrhundert suchten. Wir waren mit dem damals zur Verfügung stehenden Lesestoff für Studenten unzufrieden und beabsichtigten, Briefe in den Vordergrund zu stellen, die wohl authentischste Form der Literatur. Lord Byron hat in diesem Zusammenhang einmal augenzwinkernd gesagt: „Das Vergnü-

Weill Fest gekommen?

Guy Stern: Die Initiatorin und Verfechterin eines Kurt Weill Fest war Lys Symonette, das ist ganz klar! Um ihre Idee umsetzen zu können, hat sie sich 1990/91 mit Jost Steinhausen aus Düssel­dorf in Verbindung gesetzt, den sie nach dem zweiten Weltkrieg mit ihrem Mann kennengelernt hatte und mit dem sie beide befreundet waren. Randolph Symonette war damals als Opernsänger in Düssel­ dorf engagiert. Und diese alte Verbindung von Lys zu Jost war äußerst hilf-

Lord Byron sagte einmal: „Das Vergnügen beim Lesen alter Briefe ist, dass man sie nicht beantworten muss“ reich, um die Idee eines Kurt Weill Fest in Deutschland voranzutreiben. In einem der ersten Briefe (vom 1. Juni 1991) schrieb Jost an Lys: „Es wäre eine gute Idee, ein Weill-Festival in Dessau zu etablieren. Ich bin gerne bereit, dabei zu helfen und habe bereits Kontakt mit der Dessauer Verwaltung. Ich denke, dass dort ein Festival möglich wäre.

Durch das Festival könnte die Region um Dessau und Bitterfeld einen kulturellen, aber auch ökologischen Aufschwung erleben…“. Dies war das Saatkorn für das Festival! In den 1990er Jahren haben Lys Symonette und ich als Vizepräsidenten der New Yorker Kurt Weill Foundation den Austausch mit Dessau sehr stark unterstützt und vorangetrieben.

gen beim Lesen alter Briefe ist, das man sie nicht beantworten muss.“ Wir haben also Briefe unterschiedlichster Menschen gesammelt, z. B. vom jugendlichen Franklin D. Roosevelt an seine Mutter, den er unter Aufsicht seiner Gouvernanten in Deutsch schrieb, aber auch Briefe von Schopenhauer, Mozart, Heine und anderen. Dabei kam ich auf die Idee, Briefe eines modernen deutschen Komponisten zu suchen und habe dabei sofort an Kurt Weill gedacht. Also wendete ich mich an Lotte Lenya mit der Bitte um seine Briefe, um an „originales Material“ zu kommen und schmeichelte ihr damit, dass der Name Weills mit unserem Buch in die Welt getragen würde. Retrospektiv ist es natürlich kühn, nach Originalen zu fragen und – was für ein Wunder, was

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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Prof. Kaufmann und Prof. Stern nach der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft

für eine Sensation! – ein dickes Paket mit Originalbriefen zur Aufführung von Weills großer Oper The Eternal Road zu erhalten. Meinen spannenden Beitrag über Weill nannte ich „Ein Broadway­ drama wird geboren“. G. Mathieu und ich nannten unser auch in Deutschland erschienenes Buch „Brieflich erzählt“.

Michael Kaufmann: Das klingt fantastisch.

Wann war das ungefähr, und wie war der weitere Kontakt mit Lotte Lenya?

Guy Stern: Das muss in den späten 50er Jahren gewesen sein. Mein Buchartikel gefiel Lotte Lenya und ihrem zweiten Gatten, George Davis, offensichtlich sehr; deshalb haben sie mich immer wieder zurate gezogen und als Autor beauftragt. Zuerst habe ich wissenschaftliche Aufsätze zu Lotte Lenyas Aufführungen von Mahagonny und Die Dreigroschen­ oper in Berlin geschrieben, später die erste Übersetzung des Librettos von Mahagonny angefertigt. Durch diese Arbeit entstand ein sehr vertrauensvolles Band zwischen uns.

Michael Kaufmann: Dann wurde die Foun-

dation gegründet, mit der wir heute auf vielfältige Weise in Verbindung stehen und die unsere Arbeit fördert.

Guy Stern: Nachdem Lenya die Foundation gegründet hatte (mit ihr als Präsidentin), passierte ein Desaster, weil ihr damaliger

Berater Gelder zweckentfremdete. Lenya war dadurch sehr verunsichert und wollte eine bes­sere Absicherung des Erbes ihres Mannes. Nachdem sie die Doktor­arbeit von Kim Kowalke „Kurt Weill in Europe“ (1979) gelesen hatte, war sie sich sicher, dass er ein guter Präsident sein und Weills Interessen vertreten könne.

Da sie Kim nicht persönlich kannte, sollte ich als Vertrauensperson im Vorstand der Foundation sein. Außerdem war mei-

chen. Er war nach ihrer Entscheidung sehr betroffen und meinte: „Das Amt ist für mich eine sehr große Herausforderung“. Uns war klar, dass wir einen Neustart der Foundation in der Führung brauchten, weil sonst nichts zu gewinnen wäre. Wir beide haben uns sehr schnell auch in weiteren Bereichen verstanden. Damals begann ich, mir langsam die musikalischen Fertigkeiten im Notenlesen etc. für dieses Amt anzueig-

Für meine Eltern war „Die Dreigroschenoper“ ein wahrer Skandal. Ich spürte damals, dass Brecht und Weill für sie zu progressiv waren ne Kompetenz als Literaturwissenschaftler gefragt; es sollten nur qualitätsvolle Übersetzungen der Weill´schen Werke erscheinen.

nen. Heute, nach so vielen Jahren, fühle ich mich trotz allen Respekts gegenüber den Fachleuten auch im „Hafen“ der Musikwissenschaft sicher.

Michael Kaufmann: Du bist also gleich-

Michael Kaufmann: Ich finde es sehr spannend, dass ein Mann des Wortes, ein Literaturforscher, ein Germanist, in der Foundation eine wichtige Position innehat. Weill arbeitete fast ausschließlich mit den besten Textdichtern zusammen und hat sehr viel Wert auf Text und Libretto gelegt.

zeitig mit Kim Kowalke in die Foundation gekommen.

Guy Stern: Ich glaube, Lenya ernannte ihn

am selben Tag zum Präsidenten, als wir sie zum letzten Mal besuchten. Danach wollte sich Kim mit mir sofort ausspre-

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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Thomas Markworth, Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft, Professor Stern (mit Blumenstrauß u. Urkunde der Ehrenmitgliedschaft) und Peter Kuras, OB der Stadt Dessau-Roßlau (v.l.n.r.)

Guy Stern: Ich muss gestehen, dass ich

schlecht vorgebildet war und als Jugendlicher in Deutschland wenig Berührung mit den Werken von Weill und seinen Dichtern hatte. Ich erinnere mich heute, dass meine Eltern eines Tages völlig entsetzt von einer Vorstellung der Drei­ groschenoper nach Hause kamen. Für

sein. Die Dreigroschenoper war für mich – nicht zuletzt wegen des Urteils meiner Eltern – ein „schweinisches Stück“.

Durch meine literarische Beschäftigung mit Brecht bin ich dem Werk erst wieder in den USA begegnet. Mir gefiel das Stück sofort und über den Text gelangte ich zur Musik von Weill. In diesen

In einer Zeit in der man meint, irrational denken zu dürfen – siehe die aktuelle Situation in Amerika – bietet die Aufklärung die Grundlage, auf der wir uns vereinen können. meine Eltern war dieses Stück ein wahrer Skandal. Brecht und Weill waren einfach zu progressiv für sie!

Michael Kaufmann: Da gehst Du jetzt

weit zurück in der Zeit. Wohin begleiten wir Dich dabei?

Guy Stern: Es muss Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger Jahre gewesen

Jahren kam ich nach St. Louis, wo ich einer vollkommen neuen Welt begegnete: dem Jazz! Ich erinnerte mich noch an Deutschland und die „Entartete Musik“-Ausstellung mit dem Titel „Das verdächtige Saxophon“. Und dann dieser Klang in St. Louis! Ich war so begeistert, dass ich meinen ersten Vortrag gleich über den Jazz hielt. Dies war

mein Einstieg in die moderne Musik.

Für Weill war der Jazz sehr wichtig und spannend geworden. Die Dreigro­ schenoper war für mich ein einschneidendes, spätes Erlebnis; das Stück hat mich noch lange Zeit beschäftigt – bis heute.

Michael Kaufmann: Kaiser, Brecht, Anderson, Gershwin waren die Autoren, mit denen Weill gearbeitet hat. Bestand in diesen Kooperationen eine spezielle Faszination für dich als Literaturwissenschaftler – vor allem in der Verbindung von Sprache und der Musik Weills?

Guy Stern: Ja, sicher! Besonders in der Übersetzungsarbeit. Als Lenya aus Berlin von der allerersten Schallplattenaufnahme des Musikdramas Mahagon­ ny wiederkam, brauchten wir dringend eine neue Übersetzung als Beilage für die neue Schallplattenauf­nahme. Ich schrieb sie und war fasziniert von dieser spitz­ findigen Sprache, dem Doppel­ bödigen, Ironischen etc.

Michael Kaufmann: Und welche Position

hat eigentlich die Person Weill für dich?

Guy Stern: Thomas Mann hat einmal

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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gesagt: „Wir leben in einem Zeitalter der Auswanderung und der Flüchtlinge“. Für mich als Exilant war es wichtig, die verfemten Komponisten und Autoren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sie kritisch zu bewerten. Das war für mich der Beginn der Exilliteratur. Ich spürte, dass uns beide der Konflikt zwischen alter und neuer Heimat verbindet – selbst, wenn Weill in einem

Michael Kaufmann: War das für dich ein

Widerspruch, für den Kampf gegen Deine „deutsche Heimat“ ausgezeichnet zu werden?

Guy Stern: Nein, ich steckte in einer amerikanischen Uniform und war zu diesem Zeitpunkt ein amerikanischer Soldat. Im Krieg verschwendete ich nicht viele Gedanken an diesen inneren Konflikt. Wir kämpften bewusst gegen das Terror-Regime von Hitler und teilten das Bewusstsein, von dem Thomas Mann, wie ich glaube, schrieb: „Wir haben Deutschland nicht verlassen, Deutschland hat uns verlassen“.

Wir haben Deutschland nicht verlassen, Deutschland hat uns verlassen Interview mit dem Time Magazin einmal sagte, er wäre jetzt Amerikaner! In der Öffentlichkeit hat man ihn nie Deutsch sprechen hören. Er fühlte sich nicht mehr als Deutscher, weil die Nazis seine Heimat in etwas verwandelt hatten, das mit ihm nichts mehr zu tun hatte.

Erst später erzählte Lotte, dass sie und Kurt zu Hause auch Deutsch sprachen.

Mit manchen Gästen aus Deutschland und Österreich hat auch sie sich dem Deutschsprechen verweigert.

Michael Kaufmann: Auf einer Seite der

Deutschen Nationalbibliothek findet man einen Aufsatz zu Künstlern im Exil.

Der Aufsatz über Weill hat folgende Überschrift: „Ein Kantorensohn komponiert Musicals für den Broadway“.

Und darunter ein Zitat von Luciano Berio: „Obwohl Weill aus Nazi-Deutschland vertrieben wurde, erweckte er bei seiner Ankunft in den USA nie den Eindruck eines Deutschen oder Wiener Musikers, der glaubte, Amerika musikalisch erziehen zu müssen. Tatsächlich richtete er sich in den USA sofort sein zu Hause ein, glücklich und aus freien Stücken.“ Das betrifft Dich ja auch? Du musstest auch fliehen und warst heimatlos. Seid ihr euch da ähnlich? Du bist mit 15 Jahren weggegangen, bist mit 20 Jahren in die Armee eingetreten und wolltest gegen Nazi-Deutschland kämpfen.

Guy Stern: Sicher. Für mich war dieses Deutschland nicht mehr meine Heimat und ich wollte dagegen ankämpfen. Die gesamte Kompanie, in der ich diente, die Ritchie Boys, war voller Antifaschisten,

Guy Stern als Ritchie Boy (oben) und international bekannter, hochverehrter Professor für Germanistik

Pazifisten, Anti-Schicklgruber! Und ich war einer von ihnen. Bevor ich damals in den USA eingezogen wurde, habe ich mich schon freiwillig gemeldet. An unserer Uni gab es ein Plakat, das besagte, wenn du die Sprache eines Feindes sprichst, könnten wir dich bei der Navel Intelligence gebrauchen. Ich meldete mich und wurde 6 Monate später eingezogen. Nach meiner Grundausbildung kam ich zum Military Intelligence Training ins Camp Ritchie, Maryland, und diente mehr oder minder im Geheimdienst.

Michael Kaufmann: Mit dem Bronze Star hast Du eine der höchsten Aus­ zeich­ nungen des US-Militärs bekommen. Wie fühlt man sich in der Ausein­ andersetzung mit der Heimat, wenn man dafür eine Auszeichnung be­kommt? Ist man stolz oder traurig? 1987 bekamst du ja auch das Bundes­verdienstkreuz!

Guy Stern: Die Auszeichnung der USA be­ kam ich für die Entwicklung neuer Methoden von Kriegsgefangenen-Verhören.

Michael Kaufmann: Durch Moses Mendels­ sohn spielte die Aufklärung hier in Dessau eine große Rolle. Meiner Meinung nach war Kurt Weill – mit seiner Art zu arbeiten und seinen Fragen nach Individuum und Gesellschaft – auch ein Vertreter der Aufklärung.

Guy Stern: Unbedingt! Als Hauptbegründer und ehemaliger Präsident der International Lessing Society bin ich davon überzeugt, dass die Aufklärung uns weiterführt. In einer Zeit, in der man meint, irrational denken zu dürfen (siehe die aktuelle Situation in Amerika), bietet die Aufklärung die Grundlage, auf der wir uns vereinen können. Sie fordert Toleranz und Respekt. Leider müssen wir bis heute dafür kämpfen.

Michael Kaufmann: Und lebt das in Weill

weiter?

Guy Stern: Ja, in Weills Stücken lebt

dieser Grundton weiter. Die Vereinigung der Menschen, seine Werke sind sozialer Protest, soziale Stellungsdramen– nicht nur in Mahagonny, Drei­groschenoper und Street Scence. Auch wenn Weill sich im Exil anpassen musste, hat er stets soziale Fragen und Ständefragen aufgeworfen. Ob in Marie Galante, Street Scene, Happy End oder Lost in the Stars. All diese Geschichten erzählen von einer Ungerechtigkeit und der Ohnmacht des Einzelnen.

Michael Kaufmann: Hast Du ein Lieblings-

stück unter den Bühnenwerken von Kurt Weill? Oder musst Du als Repräsentant der Foundation neutral sein?

Guy Stern: Natürlich habe ich eins. Mir liegt besonders The Eternal Road am Herzen. Und zwar auch deshalb, weil es Lenya besonders wichtig war. Immer wollte sie die Wiederaufführung des

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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Werkes – trotz seiner komplexen Besetzung.

Michael Kaufmann: Was war Lenyas

Motivation für diese „Unterstützung“.

Guy Stern: Seit der Uraufführung in New

York 1937 war es für Lenya ein Meisterwerk der Kooperationen und des künstlerischen Zusammenwirkens von Max Rheinhardt, Franz Werfel, Kurt Weill, Meyer Wolf Weisgal u.a. Sie nannte das Stück ein Beispiel für Geselligkeit und religiösen Frieden, das nach ihrer Auffassung gerettet werden musste! Im Jahr 1999 habe ich mich für die deutschsprachige Erstaufführung in Chemnitz eingesetzt und diese vor Ort auch mitbetreut, aus der sich eine beachtete internationale Kooperation mit Theatern in Tel Aviv, New York und Krakau ergab; sie wurde auch auf der Expo 2000 in Hannover gezeigt. Damit habe ich zu einem nicht kleinen Teil zur „Renaissance“ des Werkes beigetragen.

Michael Kaufmann: Wir sind in Dessau

und beim Kurt Weill Fest sehr glücklich, dass wir 2014 die verkürzte oratorische Konzertfassung von Die Verheißung zur

Die beiden kennen sich erst seit 2010: Die Professoren Guy Stern und Walter Londong

sie sollten in die in die Synagoge eingeladen werden. Es war unglaublich, wie viele Menschen zu dieser Predigt gekommen sind. Es war so, als gäbe es umsonst warme Semmeln (lacht). Das damals kleine Gemeindehaus in Chem-

einen wichtigen Beitrag geleistet, dass Dessau erwacht und erblüht ist. Das wird mir besonders deutlich, wenn ich mich zurückerinnere, wie grau die Stadt war, als wir Dessau zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre besuchten. Leider haben manche der Vorstandsmitglieder der Foundation diese Entwicklung nicht miterleben können, die ich sehr bedeutsam fand. Ob es das „Bayreuth für Kurt Weill“ werden soll, wage ich zu bezweifeln. Das Anhaltische Theater ist ein großes, mit hohem Aufwand betriebenes Ensembletheater und manchmal gewiss kleinen Erträgen, aber die Arbeit ist unverzichtbar und kostbar, selbst wenn ein so starrer Apparat manchmal die Aufführung von Werken verhindert.

Ich erinnere mich an das problematische und jahrelang belastete Verhältnis zwischen dem Dessauer Intendanten Walter Felsenstein und der Weill Foundation, besonders bei seiner Aufführung des Kuhhandel. In der Situation wollte ich schlichten und erklärte Felsenstein im Detail die Probleme zwischen dem Text von Robert Vambery und seiner geplanten Inszenierung. Leider vergebens!

Michael Kaufmann: Denkst du, dass die-

Das Festival hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Dessau erwacht und erblüht ist

ser Konflikt aus dem Jahr 2000 immer noch eine Rolle spielt?

Guy Stern: Nein, nicht wirklich! Mir ist diese damalige Auseinandersetzung aller­dings immer noch sehr präsent.

Michael Kaufmann: Für einzelne Men-

Europäischen Erstaufführung bringen durften, die Ed Harsh für die Weill Foundation schuf. Ist diese „kleine Konzertfassung“ für Dich ein Fluch oder ein Segen?

Guy Stern: Schon während der Proben in Chemnitz merkte ich, dass dieses Werk unbedingt wieder belebt werden muss; selbst wenn vielleicht die große Fassung nicht gezeigt werden könne. Ed Harsh war damals auch an der Chemnitz-Produktion beteiligt, und es war unser aller Wille bei der Foundation, dass er diese Oratorien-Fassung schaffen solle.

Während meines Aufenthalts in Chemnitz habe ich versucht, dem jüdischen Leben mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. In einer Galerie zeigten wir z. B. jüdische Gemälde – passend zum Werk.

Für die Chemnitzer Bürger sollte auch der Rahmen des Stücks, die Predigt in der Synagoge, erlebbar gemacht, und

nitz war viel zu klein, und so gingen wir in die Karl Schmidt-Rottluff-Halle. Dazu eine kleine Anekdote: Es kamen ungeheuer viele Chemnitzer, und wir standen sehr, sehr eng beieinander. Als ich über die Schulter meines Vordermanns schaute, sah ich an der Wand das Bild einer doppelten Aktstudie von SchmidtRottluff. Heute wage ich zu behaupten, es war das erste Mal in der Geschichte des jüdischen Religionslebens, dass ein Akt in einem Gottesdienst eine Rolle spielte.

Michael Kaufmann: Als Vertrauter von Lotte Lenya, Vertreter der Foundation und Gründerhelfer von Dessau: Bist du mit der Entwicklung des Kurt Weill Fest in Dessau zufrieden?

Guy Stern: Ja, ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung. Das Festival hat

schen hier ist es immer noch ein spürbarer Bruch, der schon länger zu­rückliegt.

Wie lautet der Auftrag der Foundation an uns für die nächsten Jahre?

Guy Stern: Ich denke, es ist sehr gut, Weill in Dessau zu präsentieren, um seinen Weg in die Moderne aufzuzeigen. Michael, Du bist ein Beispiel dafür, wie man den roten Faden durch die Geschichte aufnimmt und den Menschen nahe bringt. Ihr bewegt euch heute auf einem sehr hohen Niveau, und es wäre schön, wenn auch die Zukunft von einem starken Bekenntnis zu Kurt Weill geprägt wäre. Mein Wunsch: Wieder mehr Bühnenwerke von Weill, vor allem die großen Broadway-Opern von Weill!

Michael Kaufmann: Vielen Dank für die-

ses äußerst informative Gespräch mit so vielen Details!

Das Kurt Weill Fest – „An American Dream“

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Die Dreigroschenoper war für mich ein einschneidendes Erlebnis; das Stück hat mich noch lange Zeit beschäftigt, und tut es auch bis heute.

Guy Stern

Lost in the Stars?

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Lost in the Stars?

Von der Wiederentdeckung eines verlorenen Sohnes Andreas Altenhof

Erster künstlerischer Leiter des Kurt Weill Fest (1993–2002)

Mit wuchtigen Schlägen kündigt am 4. März 1994 die Kammersymphonie Berlin unter Leitung von Jürgen Bruns im ehemaligen Festsaal der Junkerswerke die Ankunft von Charles Lindbergh auf dem Flughafen von Le Bourget an. Kammersänger Martin Petzold singt eindrucksvoll vom Kampf des Fliegers mit sich und den Elementen, kommentiert vom Chor des Gymnasiums Philanthropinum, der die schwierigen Passagen bewundernswert meistert. Nach dem Schluss­akkord kurze Stille. Dann bricht tosender Applaus los; die „Mitteldeutsche Zeitung“ berichtet von „kollektiver Begeisterung“. Die ebenfalls anwesende Lys Symonette, Vizepräsidentin der Kurt Weill Foundation, wird nach der Aufführung immer wieder sagen: „So hätte sich der Weill das vorgestellt“. Ich blicke die Chorleiterin Erdmute Geyer an und denke: „Ja, so kann es gelingen.“ Rückblende, Februar 1992, Kurt-WeillStraße: Die Schauspielerin Regula Steiner und der Autor dieser Zeilen stehen an der Kurt-Weill-Straße. Sie recherchieren für ihre szenische Performance

Ick sitz in D und esse Klops zum ersten Kurt Weill Fest und fragen einzelne Passanten, wer Kurt Weill gewesen sei.

Oftmaliges Kopfschütteln, zwei junge amerikanische Mormonen wissen mehr: „A Composer … and Mack the Knife.“ Reduziert auf wenige Werke, der „Schrägstrich-Komponist“ (Brechts) – das war das gängige Bild Weills in Dessau, aber auch deutschlandweit, obwohl es schon vor der Wende immer wieder einzelne Aktivitäten mit dem Ziel gegeben hatte, sich des berühmten Sohnes zu erinnern.

So hatten sich z. B. Wissenschaftler und Künstler immer wieder anlässlich der von der Musikschule veranstalteten „Dessauer Kolloquien“ mit dem Komponisten beschäftigt.

Mit der Wende war nun endlich der richtige Zeitpunkt für eine echte WeillRenaissance gekommen: die Stadt hatte sich durch die beharrliche Arbeit von Kulturdezernent Manfred Jendryschik und Kulturamtsleiter Günter Ziegler bereit erklärt, ihrem Sohn wieder einen gebührenden Platz im kulturellen Leben einzuräumen, die Kurt Weill Foun­dation

Aufführung des Lindbergflug im Festsaal der Junkerswerke beim zweiten Kurt Weill Fest (1994) mit dem Chor des Gymnasiums Philanthropinum, den Solisten und der Kammersymphonie Berlin

for Music, New York, wollte sich in Dessau dauerhaft engagieren, und es gab den festen Willen vieler WeillEnthusiasten – Künstler wie Zuhörer –, bei dieser Renaissance mitzuhelfen. Aus drei Komponenten sollte das Gesamtvorhaben bestehen: der Kurt-WeillGesellschaft als Sammelbecken aller Weill-Fans, dem Kurt-Weill-Zentrum als öffentlich zugänglicher Forschungs- und Begegnungsstätte sowie dem Kurt Weill Fest als großer Projektionsfläche seines Gesamtwerks und seiner Zeit.

Die Pflege des Weill’schen Erbes konnte nicht allein eine Aufgabe der Stadtverwaltung bleiben. Wir brauchten eine breite Allianz unterschiedlichster Akteure, auch um das stark mit seinem barock-musikalischen Erbe engagierte Land Sachsen-Anhalt zu überzeugen, Kurt Weill ebenfalls finanziell zu unterstützen. Dieses Netzwerk aufzubauen, betrachtete der frisch eingestellte „KurtWeill-Beauftragte“ (so die damalige offizielle Position des Autors) als eine seiner Hauptaufgaben: Im Zentrum sollte dabei die Kurt-Weill-Gesellschaft stehen, der Verein, der langfristig auch zum Träger aller Aktivitäten werden sollte. Dessen Präsidium war ein echter Glücksfall, da seine Mitglieder äußerst engagiert ihre berufliche Stellung und Kontakte in den Dienst der Sache einbrachten. So sicherte z. B. Regierungsdirektor Wolfgang Laczny den überlebenswichtigen schnellen Draht ins Kultusministerium, Sparkassendirektor Hubert Ernst wurde zum Architekten der beispiellosen Unterstützung durch die gesamte Sparkassen-Finanzgruppe, die WeillForscher Dr. Jürgen Schebera und Dr. Joachim Lucchesi sowie die Leiterin des Stadtarchivs Dr. Ulla Jablonowski halfen mit wissenschaftlicher Begleitung durch den Aufbau einer eigenen Schriftenreihe und die Organisation wissenschaftlicher Konferenzen. Musikschuldirektor Heinz Köthe ist es zu verdanken, dass

Lost in the Stars?

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Lys Symonette mit Claudio Sonder, einem Cousin Kurt Weills

die Musikschule immer wieder mit wichtigen eigenen Beiträgen die Kurt Weill Feste bereicherte (u.a. mit der Aufführung des Jasager 1993).

Wir brauchten ein Haus für den Heimkehrer, das war klar! Nur welches? Das ehemalige Kantorhaus stand nicht zur Verfügung. Allerdings erfuhr ich auf dem kurzen Dienstweg, dass das Museum für Naturkunde eine temporäre Bleibe in der Ebertallee 67 (ehem. Meisterhaus Schlemmer) gefunden hatte, um dort Tiere zu präparieren, und dass im Erdgeschoss noch Räume frei waren. Mit tatkräftiger Hilfe durch das Kulturamt, von Mitarbeitern des Museums (insbesondere Dr. Angelika Hesse) und der WeillGesellschaft konnte dann am 11. September 1993 das erste Kurt-Weill-Zentrum durch den damaligen Oberbürgermeister Dr. Jürgen Neubert eröffnet werden.

In den folgenden Monaten bemerkte ich die Verwandlung des benachbarten ruinösen Hauses in ein Schmuckstück.

Das Feiningerhaus wurde als erstes Gebäude der Meisterhaussiedlung saniert. Für mich war klar, dass diese Ikone der Moderne idealerweise durch unsere Aktivitäten mit Leben erfüllt werden konnte, ist doch Kurt Weills Leben

und Werk zutiefst vom Glauben an die neue Epoche mit ihren Möglichkeiten durchdrungen. Und wieder sind es die glücklichen Umstände jener Jahre und das gemeinsame an einem Strang zu ziehen, dass am 3. Dezember 1994 das Feiningerhaus als Kurt-Weill-Zentrum

alter wie neuer Weill-Enthusiasten zählen. Wir wollten dicht gefüllte Tage der Begegnung von Einheimischen und Gästen, egal ob Publikum oder Künstler.

Und – wo immer möglich – die Beteiligung des künstlerischen Nachwuchses, um das nahezu vergessene Werk wieder

Wir brauchten ein Haus für den Heimkehrer, das war klar! Nur welches? Das ehemalige Kantorhaus stand nicht mehr zur Verfügung eröffnet werden konnte. Tausende von Besuchern wurden seither durch die engagierte Führung von ehrenamtlichen Helfern unter der Leitung von Dr. Erdmute Siegfried nicht nur sachkundig durchs Haus geführt, sondern auch gleichzeitig mit dem „Weill-Virus“ infiziert.

Welche Zutaten brauchte es nun, ein überregional ausstrahlendes Festival zu entwickeln, das mehr ist als eine austauschbare Abfolge thematisch gebundener Events? Wir konnten auf die Authentizität der Geburtsstadt mit ihrer einzigartigen Tradition der Klassischen Moderne und die Begeisterung vieler

zum selbstverständlichen Teil des eigenen Repertoires werden zu lassen.

Kern des Weill’schen Œuvres sind Musiktheaterwerke, die vom fast Freitonalen des Protagonisten bis zum großen klassischen Broadwaymusical wie One Touch of Venus reichen. Die Unterstützung des Dessauer Theaters mit einer Eigenproduktion war deshalb äußerst wichtig, wenngleich das Haus bei gleichzeitig laufendem Spielbetrieb nicht mehr als einen Beitrag liefern konnte und (wie fast alle deutschen Stadttheater in dieser Zeit) keine für die Musicals erforderlichen Spezialisten im Ensemble hatte.

Lost in the Stars?

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Premiere von Happy End am 27.02.1998 in der Marienkirche Dessau mit Studierenden der Hoch­schule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ u.a. mit Nina Hoss u. Lars Eidinger (Inszenierung: Angelica Domröse)

Wolfgang Laczny und Andreas Altenhof (re.) im Gespräch

Hugo-Junkers-Museum zu den Klängen von My Ship aus einer alten Ju 52 stieg, wie die Schauspielerin Nina Hoss zusammen mit ihren Studienkollegen die Marienkirche in der Inszenierung von Angelica Domröse von Happy End in Bills Ballhaus verwandelte?

Oder an die Werke, die wir zum Teil als deutsche Erst- bzw. Uraufführungen erleben konnten: Love Life in Bitterfeld, die Orchesterstersuite E unter Victor Symonette in der Marienkirche?

Vielleicht können Sie sich auch an die Begegnungen mit herausragenden Künstlern erinnern: an Stefanie Wüst und ihr

des Werk wie z. B. die Aufführung von Kandinskys/Mussorgskys Bilder einer Ausstellung 1995. Und hoffentlich haben auch Sie jene wunderbare Frau erlebt, der Dessau, das Kurt Weill Fest so unglaublich viel verdankt: Lys Symonette.

Wir mussten also auch selbst produzieren und Gastspiele einladen. Dazu aber brauchten wir geeignete Räume, Künstler und – ganz prosaisch – viel Geld.

An geeigneten Theaterräumen standen eigentlich nur das (riesige) Anhaltische Theater und die (relativ kleine) Bauhausbühne zur Verfügung. Die Marien­kirche war eine Baustelle: eine leer geräumte Ruine mit einem neuen Dach, die Fassade nur teilweise mit Fenstern geschlossen. Diese räumliche Notsituation zwang uns zu mancher gewagten Impro­ vi­ sa­ tion, und so wurden der Kulturpalast Bitterfeld, der Saal des Kornhauses genauso

Wir konnten auf die Authentizität der Geburtsstadt Weills mit ihrer einzigartigen Tradition der Klassischen Moderne zählen Aufführungsstätten wie die alte Sparkasse, der Hauptbahnhof oder der eingangs erwähnte Festsaal der Junkerswerke (damals Kaserne). Diese Orte in theatralische Räume zu verwandeln, brachte einiges an Mehraufwand in Technik und Betreuung mit sich. Ich erinnere mich an nächtliche Putzaktionen im Kulturpalast Bitterfeld, improvisierte Vorverkaufskassen im Bauhaus und alternativen Wärmeschutz in der bitterkalten Marienkirche.

Diese Orte entwickelten aber auch eine besondere Ausstrahlung: Erinnern Sie sich noch an den Moment, als der Klarinettist Giora Feidman im

Kurzweil-Trio, die vor allem anfangs den unbekannten Weill in den Mittelpunkt ihrer Konzerte stellten; Jocelyn B. Smith, wie sie beim Kurt Weill Fest 1996 nach der kürzlich verstorbenen Gisela May auf die Bühne des Anhaltischen Theaters tritt, in farbenfrohe afrikanische Kleider gewandet, mit souliger Wucht Lost in the Stars singt und klar macht, dass Weills Musik im besten Sinne Weltmusik ist; an den wunderbaren Gregor Seyffert in seiner eindrucksvollen Version der Sieben Tod­ sünden gemeinsam mit dem CounterTenor Jörg Waschinski. In Erinnerung blieb bestimmt auch manch genreübergreifen-

Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem ersten Festival ist der Autor begeistert, wie selbstverständlich und weithin beachtet Dessau seinen großen Sohn feiert. Er ist seinem kleinen damaligen Team um die Produktionsleiterin/Dramaturgin Kerstin Schweiger und Dr. Erdmute Siegfried sehr dankbar, diese Entwicklung mit ermöglicht zu haben. Und er ist mehr denn je vom Sinn des Ganzen überzeugt: Kurt Weill selbst hat sich zu jenen Künstlern gezählt, „… die den Anschluss an irgendein Publikum aufnehmen, die ihr Schaffen in irgendein grösseres Geschehen einordnen, weil sie einsehen, dass über der künstlerischen auch eine allgemein menschliche, irgendeinem Gemeinschaftsgefühl entspringende Gesinnung für die Entstehung eines Kunstwerkes bestimmend sein muss.“* Muss Kunst nicht gerade heute diese von Weill so schön beschriebene integrative Kraft entwickeln, in einer Zeit, in der die Hassgesänge der Abgrenzung und des Ausschlusses immer lauter werden?

* Kurt Weill: Verschiebungen in der musikalischen Produktion, Beitrag für das Berliner Tageblatt vom 1. Oktober 1927, abgedruckt in: Kurt Weill – Musik und Theater, Hrsg Stephen Hinton und Jürgen Schebera, Berlin 1990

Dessau als neues Zentrum internationaler Weill-Forschung

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Dessau als neues Zentrum internationaler Weill-Forschung

Symposien und Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Beirates Nils Grosch

Lehrstuhlinhaber für Musikwissenschaft an der Universität Salzburg

im Musiktheater des 20. Jahrhunderts (Symposium: 2005/Publikation als Band 6: 2006), Die Rezeption des Broadway­ musicals in Deutschland (Symposium: 2008/Publikation als Band 8: 2012), Kurt Weill und Frankreich (Symposium: 2012/Publikation als Band 9: 2014).

Die Kurt-Weill-Gesellschaft rief bald nach ihrer Gründung einen wissenschaftlichen Beirat ins Leben (Andreas Altenhof, Dr. Guido Bimberg, Dr. Jürgen Lucchesi, Dr. Jürgen Schebera, Günter Ziegler), der im Jahr 1995 mit einer ersten wissenschaftlichen Konferenz in Erscheinung trat. Es ging damals darum, für die deutsche und europäische Weill-Forschung einen kommunikativen Knotenpunkt, eine Möglichkeit zur Vernetzung zu schaffen – sowohl unter­ einander als auch in Verbindung mit den Aktivitäten der Gesellschaft und des Kurt-Weill-Zentrums. Neben dem wissen­schaftlichen Austausch war und ist der Beirat ein Ansprechpartner bei der dramaturgischen und konzeptionellen Planung der Festivals und der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunktsetzung.

Er ist bis heute aktiv und besteht derzeit aus den Musik- und Kulturwissenschaftlern Andreas Eichhorn, Nils Grosch, Matthias Henke, Elmar Juchem, Joachim Lucchesi, Jürgen Schebera und Stefan Weiss.

und häufig durch das Festivalprogramm motiviert waren. So kamen Vorträge zustande und Vortragende zusammen, von denen zwar viele Weills Kompositionen thematisierten, viele sich aber auch aus ganz anderen Blickrichtungen dem jeweiligen Thema näherten, so dass

sich zahlreiche Möglichkeiten der Öffnung und des diskursiven Anschlusses ergaben. Die Themen der Symposien und der dazu erschienenen Buchbände waren: Komponisten in der Medien­ landschaft des Exils 1933–1945 (Symposium: 1997 / Publikation als Band 2: 1998), Street Scene. Der urbane Raum

Darüber hinaus konnten wir Autorinnen und Autoren gewinnen, aktuelle Resultate aus der Forschung ihrer Qualifikationsarbeiten in unserer Schriftenreihe zu präsentieren, so dass auch die Publikation dreier monografischer Schriften, zweier Dissertationen und einer Habilitationsschrift, darin Platz fanden: von

In der ersten Tagung wurden ausschließlich Beiträge unmittelbar zu Weill und seinen Kompositionen präsentiert, die zum überwiegenden Teil von Nachwuchswissenschaftlern noch in der Pro­ mo­ tions­ phase oder unmittelbar nach Abschluss der Dissertation stammten (auch ich war damals noch als Doktorand mit Weill befasst). Die Vorträge dieser Tagung wurden bereits im Jahr darauf als erster Band einer in Zusammenarbeit mit dem Verlag Metzler & Poeschel in Stuttgart neu gegründeten Reihe „Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau e.V.“ unter dem schlichten Titel Kurt Weill-Studien publiziert.

Kurt Weill „schaut“ auf Band 8 der Veröffentlichungen der Kurt-Weiil-Gesellschaft

Dr. Elmar Juchem referiert vor den Teilnehmern des Symposiums 2012

Weitere Tagungen folgten, deren Themenstellungen nunmehr nicht allein auf Kurt Weill fokussiert, wenngleich doch durch ihn und die in der Weill-Forschung virulenten Fragestellungen inspiriert

Zu Beginn ging es um eine Vernetzung zwischen deutscher und europäischer Weill-Forschung und einer Verbindung zu Kurt-Weill-Gesellschaft und Kurt-Weill-Zentrum

Dessau als neues Zentrum internationaler Weill-Forschung

Elmar Juchem zu Kurt Weill und Maxwell Anderson (2000), von Ricarda Wackers zu Kurt Weill und Yvan Goll (2004) sowie von Panja Mücke zu Medienwechsel und Collage bei Kurt Weill (2011). Im Jubiläumsjahr 2000 nahm der Beirat die kritische Ausgabe der nicht nur für die Weill-Forschung bedeutsamen Briefe, die Weill seit seinem 14. Lebensjahr an seine Eltern, Geschwister und weitere Mitglieder seiner Familie geschrieben hatte, in einer vorbildlichen Edition durch Lys Symonette und Elmar Juchem, in die Schriftenreihe auf. Die Schriftenreihe wurde 2004 vom Waxmann-Verlag in Münster übernommen.

Im Jahr 2016 konnte durch eine Zusammenarbeit mit dem im nieder­ österrei­ chischen Krems beheimateten Ernst Krenek Institut Privatstiftung ein Brücken­ schlag zwischen zwei Œuvres der im gleichen Jahr geborenen Komponisten Kurt Weill und Ernst Krenek, die viele künstlerische und biografische Parallelen aufweisen, durchgeführt werden. Das Symposium fand im Rahmen des Kurt Weill Festes in Dessau statt, der Tagungsbericht wird aber innerhalb der Ernst Krenek Studien erscheinen, so dass auch hier die Partnerschaft der beiden Institutionen und deren wissenschaftlicher Gremien sichtbar wird.

Alle Symposien sind durch Internationalität und Interdisziplinarität gekennzeichnet, neben der Musikwissenschaft als der ersten Ansprechdisziplin sind Literatur-, Kunst-, Geschichts-, Theater-, Filmwissenschaft und andere Fächer für die Weill-Forschung wichtige Partner, und die innovative Öffnung macht die Weill-Forschung auch innerhalb des Fachs Musikwissenschaft zu einer modernen und weithin sichtbaren Forschungsrichtung.

2017 finden die von Prof. Dr. Matthias Henke als Spiritus rector getragenen Workshops „Entdeckungen“ zum 17. Mal statt. Sie sind primär zur Vermittlung von Musik Weills und aus seinem Kontext und von Wissen darüber sowie zum Austausch zwischen Kunst, Forschung und interessiertem Publikum gedacht. Da sie als Studium generale konzipiert sind, sollen sie auch in Kommunikation mit musikalisch Interessierten treten (siehe hierzu den in in diesen „Rückblicke(n)“

abgedruckten Artikel von Prof. Dr. Matthias Henke „Die Entdeckungen – Brücken zum Kurt Weill Fest“).

Konzeption und Durchführung von Symposien, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Entdeckungen und der

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informierte Austausch mit der WeillGesellschaft, dem Weill-Zentrum und dem Kurt Weill Fest sind die Kerntätigkeiten des Wissenschaftlichen Beirates. Er erfüllt somit die Funktion einer Verbindung zwischen Wissenschaft und aktiver Kulturarbeit.

Die Weill-Forschung wurde auch innerhalb des Fachs Musikwissenschaft zu einer modernen und international sichtbaren Forschungsrichtung Publikationen der Kurt-Weill-Gesellschaft e.V. Band 1: Kurt Weill-Studien

hrsg. von N. Grosch, J. Lucchesi, J. Schebera

M&P Verlag f. Wissenschaft u. Forschung, Stuttgart 1996 Band 2: Emigrierte Komponisten in der Medienlandschaft des Exils 1933-1945

hrsg. von N. Grosch, J. Lucchesi, J. Schebera

M&P Verlag f. Wissenschaft u. Forschung, Stuttgart 1998 Band 3: Kurt Weill. Briefe an die Familie (1914-1950)

hrsg. von L. Symonette, E. Juchem

M&P Verlag f. Wissenschaft u. Forschung, Stuttgart 2000 Band 4:

Kurt Weill und Maxwell Anderson.

Neue Wege zu einem amerikanischen Musiktheater, 1938-1950 Elmar Juchem M&P Verlag f. Wissenschaft u. Forschung, Stuttgart 2000

Band 5: Dialog der Künste. Die Zusammenarbeit von Kurt Weill & Yvan Goll

Ricarda Wackers

M&P Verlag für Wissenschaft u. Forschung, Stuttgart 2004 Band 6:

Street Scene Der urbane Raum im Musiktheater des 20. Jahrhunderts hrsg. von St. Weiss, J. Schebera Waxmann Verlag, Münster-New York 2006

Band 7:

Musikalischer Film – Musikalisches Theater (Medienwechsel und szenische Collage bei Kurt Weill) Panja Mücke Waxmann Verlag, Münster-New York 2011

Band 8: Die Rezeption des Broadwaymusicals in Deutschland

hrsg. von N. Grosch, E. Juchem

Waxmann Verlag, Münster-New York 2012 Band 9: Kurt Weill und Frankreich

hrsg. von A. Eichhorn

Waxmann Verlag, Münster-New York 2014

25 Jahre Kurt Weill Fest

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25 Jahre Kurt Weill Fest Ein persönlicher Rückblick Andreas Hauff

Studiendirektor für Geschichte und Musik sowie Musikkritiker

Wer hätte es gedacht, dass sich aus den vorsichtigen Anfängen des Jahres 1993 ein dreiwöchiges Festival von internationaler Aussstrahlung entstehen würde! Welch eine Entwicklung in einem Vierteljahrhundert! Zugegeben: das erste Kurt Weill Fest 1993 in Dessau habe ich schlicht verpasst; das Internet als öffentliches Medium steckte noch in den allerersten Anfängen, und ich erfuhr erst im Nachhinein davon.

logisches, sondern eher zeitdiagnostisches Bewusstsein sprach, und wie sehr er es darauf anlegte, die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Und ich empfand es als Schmerz und Schande, dass Weill wie viele andere bedeutende deutsche Künstler vor den Nationalsozialisten fliehen musste – ein Verlust, von dem sich auch die einst so lebendige deutsche Musikkultur, wenn überhaupt, nur sehr mühsam erholte.

Kurt Weill war einer meiner Studienschwerpunkte an der Mainzer Universität: An ihm hatte mich fasziniert, wie ein junger Komponist in den 1920er Jahren seinen eigenen Weg zwischen der ernsten und der leichten Musik suchte, wie er auf seine ganz persönliche Weise den Sound der 20er Jahre einfing und prägte, wie er die Zusammenarbeit mit kongenialen Schriftstellen suchte und mit ihnen aufregendes Musiktheater konzipierte. Mich beeindruckte außerdem, wie stark aus diesen Bühnenwerken ein gesellschaftskritisches, aber nicht ideo-

Die Meldung über die geplante Gründung der Kurt-Weill-Gesellschaft in Dessau las ich rechtzeitig. Als frischgebackener Lehramtsanwärter (mit den Fächern Musik und Geschichte) und Musikkritiker bei der (damals noch überregional wichtigen) „Frankfurter Rundschau“ fuhr ich von Mainz „in den fernen Osten“ nach Sachsen-Anhalt – mit dem Nachtzug nach Leipzig und von dort mit der Regionalbahn weiter nach Dessau; meine spätere Ehefrau begleitete mich. Wir kamen unter in einer recht improvisiert wirkenden Pension im

Kurt Weill Fest 2002: Die Bürgschaft im Anhaltischen Theater Dessau mit Gast Philip Lima, Frauenchor und Jana Frey (Alt) (Inszenierung: Jonahan Eaton, Musikalische Leitung: GMD Golo Berg)

Dessauer Süden, die wir mit der Straßenbahn erreichten. Und dann liefen wir zu Fuß durch das Dessauer Stadtzentrum, dem der 2. Weltkrieg und der sozialistische Wiederaufbau übel mitgespielt hatten, bis hin zum Ort der Versammlung, dem Palais Dietrich. Gegenüber fielen uns die Ruinen des alten Kristall­palastes ins Auge, der einst eine zentrale Rolle für städtische Kultur und Unterhaltung spielte. Dass er ein Vierteljahrhundert lang immer weiter verfallen ist, schmerzt mich jedes Jahr aufs Neue.

Im Palais Dietrich trafen sich am 11. September 1993 engagierte Dessauer Bürger, Weill-Freunde und Weill-Experten aus der Region und von außerhalb zur gut vorbereiteten Gründungsversammlung. Die New Yorker Kurt Weill Foundation war vertreten durch ihre Vizepräsidentin, Weills langjährige Assistentin Lys Symonette. Sie blieb dem Weill-Fest bis zu ihrem Tod 2005 verbunden und half auch in Dessau mehrmals mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen bei Einstudierungen. Lys Symonette war in Mainz als Bertlies Weinschenk geboren und hatte wie Weill ihrer jüdischen Herkunft wegen Deutschland verlassen müssen.

Das Haus ihrer Kindheit am Mainzer Fischtorplatz steht heute noch.

Ich erinnere mich noch gut an das Festival-Café 2000, als Andreas Hillger, damals Redakteur bei der Mittel­ deutschen Zeitung, und ich mit ihr auf dem Podium saßen und über die Entstehung und Bedeutung von Kurt Weills Oper Die Bürgschaft sprachen, die der amerikanische Regisseur Jonathan Eaton am Anhaltischen Theater inszeniert hatte; am Pult der Anhaltischen Philharmonie stand damals GMD Golo Berg. Weill hatte das Stück in den Jahren 1931/32 nach dem Ende seiner engen Zusammenarbeit mit Brecht geschrieben; sein Mitarbeiter bei der Konzeption war der Bühnenbildner

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die Landespolitik es augenscheinlich wieder einmal an Vernunft mangeln ließ. Im Stadtpark entdeckte ich eines Tages das Denkmal für den Dessauer Dichter Wilhelm Müller, dessen Zyklen Die schöne Müllerin und Die Winterreise Franz Schubert so großartig vertont hat. Gehörten diese beiden nicht zum Horizont des jungen Weill, und wäre das kein Thema fürs Weill-Fest? 2015 war es dann tatsächlich so weit, und das Weill-Fest ging unter dem Motto vom „Lied zum Song“ genau an dieser Stelle auf Spurensuche.

Down in the Valley (2014): Anhaltische Philharmonie unter Antony Hermus, den Solisten Katharina Ruckgaber und Virgil Mischok sowie den „Fürstsingers“ des Gymnasium Philanthropinum Dessau

Caspar Neher, der sowohl mit Brecht als auch Weill eng befreundet war. Weill und Neher versuchten in der sich zuspitzenden Krise der Weimarer Republik – mit dem beängstigenden Aufstieg der Nationalsozialisten vor Augen –, anhand einer parabelartigen Erzählung das bürgerliche Opernpublikum mit literarischen und dramaturgischen Anleihen bei Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller und Richard Wagner zum Nachdenken zu bringen. Es geht in der Bürgschaft um eine aufziehende Diktatur, um Korruption, um SündenbockMechanismen und um Zivilcourage. Selten wurde beim Weill-Fest das Anliegen des Komponisten so deutlich, auf dem Theater zu den großen Fragen der Zeit Stellung zu nehmen.

Aber ich greife vor. 1993 war es noch lang nicht so weit. Dennoch machte mir der Aufenthalt in Dessau einen großen Eindruck. Wir Auswärtigen wurden in PKWs geladen, und der damalige Kulturdezernent Manfred Jendryschik fuhr uns über die Puschkin-Allee zu den Meisterhäusern. Andreas Altenhof, der erste künstlerische Leiter des Kurt Weill Festes und des neu gegründeten Kurt Weill Zentrums, empfing uns damals im Meisterhaus Oskar Schlemmer; erst 1994 zog das Weill-Zentrum um in das renovierte Feininger-Haus nebenan.

Und von der Ebert-Allee ging es weiter zum riesigen Anhaltischen Theater, wo wir Arila Siegerts Inszenierung von Kandinskys Der gelbe Klang und Weills Sieben Todsünden erleben durften –

und damit nachräglich noch einen Teil des Programms von dem damals noch „Aufbruch“ genannten Kurt Weill Fest, Anfang März 1993. Dass das legendäre Bauhaus noch existierte, arbeitete und sich wieder zu einer Art Denkwerkstatt für die Zukunft entwickelte, imponierte mir sehr. Die Stadt lebte trotz aller Wunden, die die Geschichte geschlagen hatte, trotz De­ industrialisie­ rung und Abwanderung nach der Deutschen Einheit, und zeigte ihren kulturellen Selbstbehauptungswillen.

Es ist erstaunlich, wie stark sich meine Erinnerung an der Topographie von Stadt und Region orientiert. In den ersten Jahren gab es traditionell eine Eröffnung in der zugigen Bahnhofshalle mit einem kleinen, am Straßentheater orientierten Programm. Von dort setzte sich dann ein Zug in Bewegung zur Friedensglocke am Rathaus, angeführt von Andreas Altenhof und dem Weill-Mobil, einem aus Metallstangen zusammengebastelten Ungetüm, das die Anfangs­ töne des Mackie-Messer-Songs spielen konnte. Es gab Aufführungen im etwas düster wirkenden Ratssaal, auf der Kulturbühne Karstadt im überdimensionierten Rathaus-Center oder auf der immer noch ganz modern anmutenden Bauhaus-Bühne. Wir erlebten intime Programme im Georgium, im Atelier

Bei Dessaubesuchen entdeckte ich Wilhelm Müllers Denkmal, dessen Texte beim Weill-Fest 2015 „Vom Lied zum Song“ thematisiert wurden Schon im nächsten Jahr war ich als Musikkritiker dabei, und von da an bis 2016 jedes Jahr für das eine oder andere Presseorgan. Stück für Stück, Jahr um Jahr entdeckten meine Frau und ich die Stadt. Wir klapperten die BauhausBauten ab, folgten Stadtführungen auf den Spuren des jungen Kurt Weill, entdeckten Schätze und Relikte des DessauWörlitzer Gartenreichs und besuchten die anschauliche Ausstellung im restaurierten Johannbau, die den schönen Titel trug „Schauplatz vernünftiger Menschen. Kultur und Geschichte in Anhalt und Dessau“. Und wir bangten mit um die Zukunft dieses Schauplatzes, wenn

des Kurt-Weill-Zentrums oder im Kornhaus an der Elbe, später auch im neu hergerichteten Alten Theater. Ich erinnere mich an verschlossene Türen vor einer Ausstellung am Wörlitzer Bahnhof, an die improvisierte Bühne im späteren Technikmuseum Hugo Junkers, an nächtliche Wege bei eiskalten Ostwind zu einem verlassen Lokschuppen – „Pionierzeiten im Wilden Osten“, dachte ich.

Hatte vielleicht der alte westdeutsche Kanzler Konrad Adenauer doch recht mit seinem Verdacht, Sibirien beginne gleich an der Elbe? Das Weill-Fest brachte uns auch in die Umgebung: In den Bitterfelder Kulturpalast, wo noch

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eine Büste Wilhelm Piecks stand, in den Spiegelsaal des Köthener Schlosses, wo vor der Bach-Büste immer die Kerzen brannten, ins ferne Bernburg an der Saale – und 2015 endlich auch in den restaurierten Wörlitzer Eichenkranz. Wie reich ist diese Region an Geschichte, wie voll von leidvollen Erfahrungen und mutigen Errungenschaften! Es lohnt sich, zwischen Leipzig und Berlin die Autobahn zu verlassen oder aus dem Zug zu steigen – Anhalt ist ein Ziel und nicht nur eine Durchgangsstation.

Unzählig, das heißt wirklich kaum aufzählbar, sind die Songprogramme bei den Weill-Festen; man meint, eigentlich sei das Repertoire lange abgesungen.

Aber es spricht für Weills Musik, dass ich bis heute immer wieder auf eine Interpretation des „Surabaya Johnny“ stoße, die mich spontan gefangen nimmt. Und es spricht für die Ausstrahlung des Festivals, dass Weill in Deutschland nicht mehr „wiederentdeckt werden muss“ – zumindest was das kleine Format der Lieder und Songs angeht. Anders stand und steht es mit den Bühnenwerken.

Nicht immer war das Anhaltische Theater willens oder in der Lage, ein WeillStück beizutragen, nicht immer ließ sich eine eigene Festivalproduktion auf die Beine stellen, nicht immer ergab sich ein passendes Gastspiel. Die Intendanten des Festes entwickelten sich zu wahren Virtuosen in der Disziplin, ein Programm um Kurt Weill herum zu konzipieren; Clemens Birnbaum prägte sogar einmal das Festival-Motto „Round about Weill“.

Dass dies immer wieder funktioniert, ist auch ein Vorzug, denn es zeugt von der grundsätzlichen Offenheit von Weills Komponieren und Denken. Man stelle sich einmal die Bayreuther Festspiele vor – mit einem Programm zwischen E und U, mit Landesjugend­jazzorchester und Kabarett, mit Wagners Zeitgenossen und Antipoden im Programm, mit seinen Vorläufern und mit weiterfühenden Kompositionsaufträgen (wie sie das Weill-Fest 2010 mit Moritz Eggerts Bor­ dellballade und Helmut Oehrings Die Wunde Heine realisierte). Undenkbar!

Wagner steht wie ein Monolith in der Gegend. Weill aber vermittelt durch seine Biographie, seine Kompositionen und Intentionen zwischen Kulturen und sozialen Schichten, zwischen Ländern und Sprachen. Ist es da erstaunlich, wie viele qualifizierte Künstler das inzwischen

One Touch of Venus (2010) mit Ute Gfrerer (Venus) u. Angus Wood (Rodney Hatch). Anhaltisches Theater Dessau. Inszenierung: Klaus Seiffert, Musikalische Leitung: James Holmes / Daniel Carlberg

hochprofessionell arbeitende Festival jedes Jahr und oft zum wiederholtem Male anzieht?

nigungsspirale des Alltags ist es für den Einzelnen eine Chance, zur Ruhe und wieder zu sich zu kommen.

Dass das Programm des Weill-Festes immer wieder eine Menge Instrumentalkonzerte beinhaltet, überrascht bei einem Komponisten, der sich selbst vor allem über die Theaterbühne definierte.

Aber es ruft auch eine vor 100 Jahren noch selbstverständliche Konzerttradi­ tion ins Bewusstsein zurück, die Basis und Hintergrund für Weills Komponieren lieferte. Heute werden mir die Vorzüge

Dennoch: Wer soll die deutschen Theater zu Weill-Aufführungen erwärmen – jenseits der beliebten Dreigroschen­ oper, von Mahagonny und den Sie­ ben Todsünden – wenn nicht das Kurt Weill Fest und das Anhaltische Theater in gemeinsamer Anstrengung? 2017 ist schon viel erreicht, und Weill, der in den USA ausdrücklich ein Heimweh nach Dessau verneinte, wäre sicher

Das Kurt Weill Fest als Stimulus für Weill-Aufführungen auf deutschen Bühnen dieser Institution von Neuem bewusst: Musik im Konzertsaal reisst einen nicht sofort in eine Handlung hinein, sondern gibt Fühlen und Denken frei. Es kommen Menschen als Hörer zusammen, die nicht sofort ihr Handy zücken, nicht sofort Position für oder gegen etwas beziehen, sondern sich auf etwas einlassen, sich schweigend und lauschend ihre Eindrücke bilden – bevor sie sich dann mit anderen austauschen und reagieren.

Ja, das Musikhören im Konzert bedeutet zwischen den durch die (a-)sozialen Medien geschürten Aufgeregtheiten und Hasstiraden geradezu eine Schule zivilen Verhaltens. Und inmitten der sich immer noch verschärfenden Beschleu-

gerührt, zufrieden und ein wenig stolz, sich heute in seiner Heimatstadt so intensiv gewürdigt zu sehen. Aber wie antwortete er, der auf seiner Europareise nach dem 2. Weltkrieg Deutschland bewusst aussparte, noch vor seinem Tod in einem kurzen Fernseh-Interview, als man ihn auf eine eventuelle Rückkehr nach Deutschland ansprach? Wenn man in Deustchland seine amerikanischen Bühnenwerke aufführen wolle, würde er gerne kommen und helfen. Da bleibt noch einiges zu tun, auch wenn Die Verheißung und Braver Soldat Johnny beim diesjährigen Weill-Fest schon wieder einen kleinen Schritt nach vorne bedeuten.

„Entdeckungen“ – Brücken zum Kurt Weill Fest

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„Entdeckungen“ – Brücken zum Kurt Weill Fest Matthias Henke

Lehrstuhlinhaber für Historische Musikwissenschaft an der Universität Siegen

Als Michael Kaufmann vor einigen Jahren die Intendanz des Kurt Weill Fest übernommen hatte, bat er mich, die von ihm angedachten „Entdeckungen“ zu kuratieren. Ohne nur einen Moment zu zögern, sagte ich zu, einerseits weil mir sein Ansatz vernünftig erschien, ‚zwischendurch‘ einmal Flagge zu zeigen, also den jährlichen Weill-Fest-Rhythmus zu überbrücken, andererseits weil mir das Format gefiel: diese lockere Mischung aus Konzerten, Gesprächen, Vorträgen, bei denen gestandene Experten, das Publikum, Musiker und sogenannte Nachwuchswissenschaftler eine wunderbare Gemeinschaft bilden: so ganz im Sinn des Hallenser Philosophen Christian Wolff, Geselligkeit und Philosophieren zu verbinden.

In diesem Jahr (2017) standen die nunmehr 17. „Entdeckungen“ an, die im Januar traditionell in der Berliner Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt stattfinden, während bei den „Entdeckungen“ im November die Spielorte wechseln. So gastierten sie etwa in Dessau, Leipzig, Halberstadt oder Halle. Rückblickend

bedeutet das zunächst, rund 70 Referenten gewonnen zu haben, die sich auf Weill und seine Zeit einlassen mussten; dann die Organisation von drei Dutzend Konzerten (hier leisteten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kurt Weill Gesellschaft stets Vorzügliches), die Betreuung von etwa 60 Musikern sowie

Die Idee, bei den „Entdeckungen“ das Thema des jeweils folgenden Kurt Weill Fest in einem größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang aufzugreifen, ließ sich fast jedes Mal angemessen umsetzen. Nach einer Weile spürte ich, dass nicht nur die Besucher etwas von unserer Veranstaltung mitnahmen, son-

Die „Entdeckungen“ richten sich im Sinne eines Studium generale an ein interessiertes, aber nicht fachspezifisches Publikum die Einbindung von Kooperationspartnern, von denen hier stellvertretend der Deutschlandfunk, die Ernst-BlochGesellschaft, das Ernst Krenek Institut, die International Feuchtwanger Society, die Internationale Wilhelm-Müller-Ge­ sellschaft, die Universität Siegen, die Moses-Mendelssohn-Akademie oder jüngst das Stadtmuseum Halle genannt seien.

dern auch ich, der ‚Macher‘, auf mir neue Gedanken und Tatsachen stieß.

Und die „Entdeckungen“, die sich im Sinn eines Studium generale an ein interessiertes, aber nicht fachspezifisches Publikum richte(te)n, fingen an, meine wissenschaftliche Arbeit zu beeinflussen. Zwei Beispiele: Die Kooperation mit der Ernst-Bloch-Gesellschaft ist in der bekannten Freundschaft zwischen

ReferentInnen der „Entdeckungen“, Januar 2017, Landesvertretung Sachsen-Anhalt, Berlin.

Valerie Barth, Laura Willenbrock, Stefan Weiss, Hannah M. Kluge, Matthias Henke, Merle Clasen, Andreas Eichhorn, Antonia Teibler (v.l.n.r.)

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Traditionelle Abendkonzerte bei den „Entdeckungen XVII“ Ende Januar 2017 in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund Emily Wittbrodt & Fabia Mantwill (links) und Sabrina Ma (rechts)

druck, in denen an die Familie und an Lotte Lenya. In ersteren tritt er immer wieder als fürsorglicher Sohn oder verständiger Bruder in Erscheinung, der zu trösten, aber auch zu raten wusste.

Weill und dem Philosophen begründet.

Mehrfach nahmen sich die „Entdeckungen“ der beiden und ihrer Beziehung zueinander an – eine Beschäftigung, aus der die im letzten Jahr erschienene Publikation [Ton]Spuren. Ernst Bloch und die Musik hervorgegangen ist, die ich gemeinsam mit Francesca Vidal herausgegeben habe, der Präsidentin der Ernst-Bloch-Gesellschaft. Und weiter: Bei den ersten „Entdeckungen“, die in der Musikschule von Dessau stattfanden, stellte ich im Eröffnungsvortrag die Musikmäzenin Emmy Rubensohn vor, die wie Weill nach New York exiliert war und in ergreifender Weise über die öffentliche Abschiedsfeier des eben ver-

Auch der Kurator ließ sich von den „Entdeckungen“ zu weiteren wissenschaftlichen Arbeiten anregen storbenen Komponisten berichtete. Der fleißigen Briefschreiberin widmete ich eine Rundfunksendung (Erinnerungen an die Moderne – Die Musikmäzenin Emmy Rubensohn), die der Bayerische Rundfunk im Dezember 2016 ausstrahlte. Ihre umfangreiche Korrespondenz soll noch in diesem Jahr in meiner neuen Serie Si! Kollektion Musikwissenschaft erscheinen, kommentiert und durch Abbildungen ergänzt.

Die für mich persönlich wichtigste Entdeckung bei den „Entdeckungen“

aber ist die Entdeckung des Menschen und der Persönlichkeit Kurt Weills. Als Musikwissenschaftler, der sich schwerpunktmäßig mit dem 20. Jahrhundert beschäftigt hatte, war mir sein Werk schon ziemlich gut vertraut, bevor ich zum Team des Kurt Weill Fest stieß. Nun aber begann ich jemanden zu entdecken, der bei aller intellektuellen Schärfe, bei einer beachtlichen Allgemeinbildung, eine große Einfühlsamkeit und einen wunderbaren Sinn für Humor wie Sprachwitz besaß. Dergleichen kommt am besten in seinen Briefen zum Aus-

So wird er nach dem Ersten Weltkrieg nicht müde, seinen zu Depressionen neigenden Bruder Hanns aufzurichten und Perspektiven aufzeigen, z. B. in seinem Brief vom 27. Dezember 1918: „Mein lieber Hanns, Dein letzter Brief hat mir, offengestanden, nicht viel Freude gemacht. Wie kann man nur so schwarz sehen! Wir leben doch in der entsetzlichsten Übergangszeit der Weltgeschichte, da ist keine einzige Existenz gesichert, da kommt es in der Tat nur auf den Mann selbst an, [um] aus der erdrückenden großen Menge herauszukommen. Vielleicht ist das für mich leichter als für Dich; deswegen darfst Du aber nicht den Mut sinken lassen. […] Menschenskind, bedenke doch wie viel tausend Mal besser wir dran sind als Millionen.“ Kurt Weill an seinen Bruder Hanns, 27. Dezember 1918

Die Korrespondenz Kurt-Lotte aber ist kess und frisch, gelegentlich auch anarchisch oder experimentell – der Vergleich mit den Briefen Mozarts, dem großen Vorbild Weills, drängt sich auf … „Küßchen aufs Schnäuzchen dein Schnube“ Weill an Lenya, 20. Februar 1937

Entdeckungen bei den „Entdeckungen“!

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