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Das Auge ist ein Muskel
Elena Filipovic – Das Auge ist ein Muskel
Elena Filipovic im Interview über das Jubiläum 150 Jahre Kunsthalle Basel, was ihr Hoffnung gibt und warum sie sich ganz gerne in eine wohlige Decke auf ihrem Sofa im Kleinbasel einwickelt.
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Interview Dieter Bopp
Sie bezeichnen sich als globale Nomadin. Wo finden Sie ein Zuhause – oder brauchen Sie keines?
Ich habe schon an vielen Orten gelebt, das stimmt, aber ich habe jeden dieser Orte zu meinem eigenen gemacht, das ist sehr wichtig für mich. Als Direktorin der Kunsthalle Basel bin ich viel unterwegs, das gehört zu meinem Job. Ich besuche Künstler:innen in ihren Ateliers auf der ganzen Welt, halte Vorträge, nehme an Veranstaltungen teil und bin Mitglied diverser Kunstkommissionen und Jurys. Ich mache das alles mit grosser Freude und leidenschaftlichem Engagement. Aber am wohlsten fühle ich mich daheim, entweder warm in eine Decke gewickelt mit einem Buch und umgeben von den Dingen, die ich liebe, oder beim Kochen für die Menschen, die ich liebe. Seit mehr als sieben Jahren ist nun Basel dieser Ort, an dem ich mich sehr wohl und zuhause fühle.
Kann auch Kunst ein Zuhause sein?
Das ist eine wunderbare Frage, weil Kunst in all dem, was ich soeben beschrieben habe, eine wichtige Rolle spielt. Ich lebe inmitten von Werken, die mich an prägende Begegnungen mit Künstler:innen erinnern. Sie geben mir Geborgenheit, sie rufen mir ihre Entstehungsgeschichten in Erinnerung – aber sie fordern mich auch jeden Tag aufs Neue, und das ist in meinen Augen eine wichtige Funktion von Kunst. Deshalb begleiten mich meine Kunstwerke immer mit, wenn ich den Ort wechsle, wie bei einem Wanderzirkus.
Gibt Ihnen die Kunst auch Hoffnung?
Ja, die Kunst und die Künstler:innen geben mir tatsächlich Hoffnung. Wir leben gerade in sehr unsicheren Zeiten, mit einer Pandemie, einer Klimakrise, dem Auseinanderbrechen des Sozialstaats, mit existenzieller Unsicherheit für viele Menschen, einem grassierenden Rassismus und mehr. Es gibt unzählige Gründe für Angst und Stress, und dennoch stellen sich viele Künstler:innen gerade diesen Themen mit enormer Sensibilität, Einfallsreichtum und Intelligenz. Sie müssen ja nicht über unsere Zeit berichten oder nach gründlicher Untersuchung ein Urteil fällen, sondern sie sollen einen prüfenden Blick auf unsere Situation werfen und daraus ihre ganz eigenen, noch nie dagewesenen Formulierungen entwickeln, um uns dabei zu helfen, die Welt um uns herum zu erfassen und zu verstehen. Solange wir grosse Künstler:innen und Denker:innen haben und ihre Inputs auch schätzen, solange haben wir meiner Meinung nach auch die Stimmen und Werkzeuge, um selbst mit dunkelsten Zeiten irgendwie zurande zu kommen.
Welche Hoffnung setzen Sie in Ihre eigene Arbeit?
Ich bin als Leiterin einer international renommierten Kunstinstitution wahnsinnig privilegiert. Die Kunsthalle Basel ist nicht nur eines der weltweit ältesten Häuser für zeitgenössische Kunst, sondern hat in ihrer Ausstellungsgeschichte auch mit bemerkenswerter Konsequenz eine beeindruckende Qualität aufrechterhalten. Immer wieder wurde hier später legendären Figuren der Kunstgeschichte Raum gegeben, etwa Francisco Goya, Paul Gauguin, Pablo Picasso, Jackson Pollock, Sophie TaeuberArp, Jenny Holzer, Cindy Sherman, Maurizio Cattelan … eine lange Reihe von Künstler:innen, die hier vor ihrem Durchbruch richtungsweisende Ausstellungen hatten, zu einer Zeit, als sie teils noch unvertraut und radikal wirkten und nicht gerade wie Senkrechtstarter auftraten. Wobei ich es erstaunlich finde, dass die weltweite Bedeutung dieser Institution in Basel offenbar wenigen Menschen bewusst ist. Um deshalb Ihre Frage nach der Hoffnung zu beantworten: Meine Hoffnung war vom Moment meiner Ankunft in der Kunsthalle an, dass ich es schaffen würde, dieses kunsthistorische Erbe zu würdigen und es weiterzuführen mit den zeitgenössischen Künstler:innen, die in der Kunstgeschichte von morgen ihren Platz haben werden. Auch aus diesem Grund möchte ich den Rang der Institution in der ersten Reihe der internationalen Kunstszene sichern, so wie es seit den Anfängen der Kunsthalle Basel der Fall war.
Wie gelingt Ihnen das?
Natürlich hoffe ich für diesen Erfolg auch darauf, dass viele Basler:innen voller Mut und Neugierde in Ausstellungen von Künstler:innen kommen, von denen sie noch nie gehört haben, und geduldig lange vor Werken verweilen, die ihnen auf den ersten Blick unzugänglich und ungewöhnlich erscheinen. Denn das ist meine Aufgabe: das Publikum in Kontakt mit Unbekanntem zu bringen! Obwohl das Ungewohnte auch Angst machen kann, hoffe ich eher darauf, dass die Basler:innen mit Stolz und Begeisterung die Chance ergreifen, hier vor allen andern den nächsten Picasso zu entdecken – wie dieses Jahr mit Pedro Wirz, Alia Farid, Michael Armitage, Berenice Olmedo oder Daniel Turner.
Je eingehender wir etwas betrachten und je mehr Zeit wir damit verbringen, desto besser verstehen wir es und desto mehr können wir damit anfangen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Auge ein Muskel ist! Ich möchte dem Publikum die Kunsthalle Basel als Fitness-Studio zum Trainieren dieses wichtigen Muskels ans Herz legen. Aus dem gleichen Grund, wie ich Ausstellungen mache, schreibe ich auch: um den Menschen ihre Scheu vor der Beschäftigung mit Kunst zu nehmen. Denn ich glaube fest daran, dass eine Gesellschaft ohne Kultur in jeder Beziehung verarmt ist.
In diesem Jahr feiern Sie zwei wichtige Geburtstage, sowohl für die Kunsthalle Basel, die 150 Jahre alt wird, und für Ihre eigene Karriere. Sind solche Geburtstage wichtig? Und wie würden Sie sie am liebsten feiern, mit viel Lärm oder lieber im kleinen Kreis mit Freund:innen?
Im Fall der Kunsthalle gefällt mir die Vorstellung, wie sich vor 150 Jahren Künstler:innen und Kunstliebhaber:innen hier in Basel zusammenschlossen, um eine Kunsthalle zu errichten. Die Kunsthalle Basel war die erste ihrer Art in der Schweiz! Eine absolut verrückte Idee, dass der Kunstverein die Einnahmen der Basler Fähren sammelt und daraus einem Architekten den Bauauftrag erteilt und Mitglieder noch dazu einen Teil der Baukosten berappen! Und zur Eröffnung am 26. Mai 1872 organisierten sie einen fantastischen Cortège, an dem alle mitmarschierten (vermutlich eher mittanzten). Er führte vom Café Spitz, ihrem Vereinslokal, zur Kunsthalle. Hier weihten sie die neuen Räume und dann das Restaurant ein und feierten bis in die Morgenstunden. Wir sind immer noch am Planen, wie wir dieses wichtige Jubiläum gestalten wollen.
Ich finde es bemerkenswert, dass das Restaurant Kunsthalle ebenfalls 150 Jahre alt ist. In seiner ersten Ausprägung war es vor allem eine Kunstkantine, in die alle, die hier eine Ausstellung vorbereiteten, zum Essen kamen. So ist’s auch heute noch. Mir gefällt die Idee, dass
ich an einem Ort esse, wo auch Pablo Picasso, Sophie Taeuber-Arp, Alberto Giacometti, Miriam Cahn, Jean Tinguely, Sam Francis, Barbara Kruger und das ganze Who’s who der Kunstwelt assen. Ich bringe immer noch jede:n Künstler:in, die hier eine Ausstellung vorbereiten, ins Restaurant, damit sie in Gesellschaft all der freundlichen Kunstgeister an diesem historischen Ort sitzen und essen können.
Sie haben schon angedeutet, dass ich wie die Kunsthalle Basel einen runden Geburtstag feiere. Mein Geburtstag fällt auf Mitte Juni in die Art-Basel-Woche, und ich bin dann immer umgeben von Künstler:innen, Freund:innen und lieben Menschen. Ich sage oft im Spass, dass es nett ist von der Art Basel, für mich eine so grosse und lange Geburtstagsparty zu organisieren!
Wenn Sie Ihr Wirken an der Kunsthalle vom Ende her betrachten: Wie wird es gewesen sein und was werden Sie erreicht haben wollen?
Dieser historischen Perspektive der zukünftigen Generationen kann man schon beim Stellenantritt in einer so ehrwürdigen, 150-jährigen Institution kaum entkommen. Ich bin die erste Frau an der Spitze der Kunsthalle, und die grösseren und kleineren Neuerungen, die ich eingeführt habe, vor allem betreffend Inklusion, Gendergleichheit und Diversität, werden ein Erbe meiner Arbeit sein, auf das ich besonders stolz bin.

Elena Filipovic
Seit 2015 leitet die Kalifornierin Elena Filipovic als erste Frau überhaupt die Kunsthalle Basel. Sie ist Autorin und Herausgeberin verschiedener Publikationen, ist Kunstkritikerin und Kuratorin. Vor ihrem Engagement in Basel kuratierte sie in Brüssel am WIELS Contemporary Art Centre.
Die 1872 vom Basler Kunstverein eingeweihte Kunsthalle Basel bietet eine Plattform für unerprobte Ideen und experimentelle Praktiken im Herzen der Stadt.
Elena Filipovic repräsentiert Ramstein Optik in der aktuellen Plakatkampagne.
Der Basler Kunstverein, der Träger der Kunsthalle Basel, ist sogar noch älter als das Haus selbst. Aber vor 150 Jahren entwickelte eine Gruppe von Basler:innen diese visionäre Institution, die auf der gemeinsamen Verantwortung für das kulturelle Leben der Stadt aufbaute. Der Verein mit seinen Mitgliedern spielt immer noch eine zentrale Rolle, wenn es um die Unterstützung künstlerischer Visionen und Experimente durch die Kunsthalle geht. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass Leser:innen, die auch nur ein wenig kulturell interessiert sind, sich für unser Programm erwärmen und Mitglied oder Freund:in des Basler Kunstvereins werden. Der Beitrag ist nicht hoch, aber er bringt so viele Vorteile – und gibt das wohltuende Wissen, dass Sie der 150-jährigen Institution helfen, die Kunstgeschichte der nächsten 150 Jahre mitzugestalten. Ich verspreche allen, die sich als Mitglied oder Freund:in engagieren, dass ihnen künftige Generationen danken werden.