PUBLIC 02/2015

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Foto: Studio Schramm

Hildesheim

Deichkind, Saufband mit Niveau

Deichkind im Interview

Party, Party, Party! Bei ihren berüchtigten Konzerten veranstalten Deichkind ein Remmidemmi wie sonst keine andere Band, ihr neues Album heißt schamlos „Niveau Weshalb Warum“. PUBLIC-Autor Olaf Neumann traf die Deichkinder Philipp Grütering, Sebastian Dürre und Henning Besser alias Kryptic Joe, Porky und La Perla in Hamburg zu einem Interview der anderen Art. Mit eurem Albumtitel „Niveau Weshalb Warum“ spielt ihr auf den Titelsong der Kindersendung „Sesamstraße“ an. Was habt ihr aus eurer Kindheit in die Gegenwart herübergerettet? La Perla: Alles. Deichkind ist identitätsstiftend. Das klingt vielleicht esoterisch, aber ich finde gerade diesen Aspekt spannend. Mich persönlich würde keine Band interessieren, die mich nicht dazu herausfordert, Dinge über mich selbst herauszufinden. Deichkind öffnet diesen Prozess nach außen und macht ihn im nächsten Moment schon wieder zu. Es gibt bei uns die private und die öffentliche Person und das Spiel dazwischen. Gerade das macht uns sehr viel Spaß. Die taz behauptet, Deichkind mache Musik, die man zuhause nicht hören müsse, sondern die nach draußen gehöre. Fühlt ihr euch verstanden? La Perla: Mir ist sehr wichtig, dass Deichkind von außen als eine Feier- und Saufband wahrgenommen wird. Ich habe selber Schwierigkeiten damit, mich manchmal so richtig gehen zu lassen, aber wenn es mir doch mal gelingt, ist es wirklich etwas Tolles. Mich regt es auf, dass vor drei Jahren die Feuilletons auf einmal behaupteten, Deichkind sei Kunst. Welche Referenzen die in unserer Musik auch entdeckt haben wollen: Wir fühlen uns missverstanden.

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Und deswegen habt ihr bei eurem neuen Album das Niveau wieder ein bisschen runter geschraubt? La Perla: Ja! Wir sind natürlich nicht ganz so dumm. Promotion, Marketing und Marktforschung sind bei uns große Themen. Das haben wir uns bei Firmen wie Mercedes abgeguckt. Selbst Quentin Tarantino macht Testvorführungen und lässt dabei das Publikum Bewertungsbögen ausfüllen. Und dann wird der Film nach den Bewertungen hin umgemodelt. Ihr handelt demnach nach demokratischen Prinzipien? La Perla: Richtig. Für mich ist Deichkind deshalb eine politische Band: Jeder darf mitmachen. Jetzt, wo uns so viele Leute bewerten, haben wir auch das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sind Deichkind nur Sprücheklopfer oder findet man bei euch auch eine Prise politisches Bewusstsein in Form von Gesellschaftskritik? La Perla: Ich möchte an dieser Stelle betonen: Deichkind ist lebensbejahend. Wir drücken eine Offenheit gegenüber anderen Menschen und Kulturen aus. Bei Deichkind hat mich immer das sehr unterschiedliche Publikum gereizt. Bei uns ist jeder willkommen: ob er nun musikinteressiert ist oder einfach nur saufen und Party machen will, um aus

dem Alltag auszubrechen. Man darf sich bei uns gern das Recht nehmen, mal nicht zu funktionieren und nicht so zu sein, wie das erwünscht ist. Ist Deichkind eine Band der Kompromisse? La Perla: Bei uns kommt man immer in Situationen, wo man eine Grenze überschreitet und dem Kollektiv vertraut. Ich persönlich war zum Beispiel jahrelang dagegen, dass Deichkind eine Saufband ist. Aber mittlerweile finde ich das richtig gut. Porky: Und wir Alkoholikertypen sind mittlerweile clean und wollen etwas anders machen. (lacht) La Perla: Alkohol trinke ich überhaupt nicht mehr, außer gestern, das hat mir überhaupt nicht gut getan. In Stimmung bringe ich mich, indem ich Witzeseiten lese. Ich habe ein großes Repertoire an Witzen, das ich ständig aktualisiere. Wenn ich kurz vor einem Auftritt die neuesten lese, komme ich richtig gut drauf. Zudem machen wir Lachyoga. Wollen eure Fans nachhaltige Kunst oder immer nur schnelle Befriedigung? La Perla: Sie wollen Party, Party, Party. Wir haben ja diese Marktforschung gemacht. Da will keiner Kunst. Die meisten wollen saufen und Mädchen. Wir dachten die ganze Zeit, wir könnten auf dem Kunstmarkt was holen, aber wir wollten

uns nicht von fünf, sechs Sammlern abhängig machen, sondern uns lieber auf das Demokratische der Popkultur einlassen. Lieber flexibel bleiben und auf kleine Kunden setzen. Auch wenn es allgemein mal nicht so gut läuft, werden die Leute immer noch nach Party verlangen. Das ist ein Dauerbrenner, da geht was. Wie wird die neue Show? La Perla: Wir haben zu einem vergünstigten Preis 5000 Smartphones gekauft und sie auf Kostüme genäht. Damit wollen wir diese ganze Konnektivität noch einmal übertreiben und aufzeigen, wie man morgen lebt. Müllsack war gestern, Deichkind ist endlich im Hightech-Jahrhundert angekommen. Die Kostüme hat ein sehr bekannter Designer aus Paris entworfen, der nicht namentlich genannt werden will. Wir glauben, dass die Leute in fünf Jahren wirklich so rumlaufen werden. Warum nur noch ein Handy, wenn man auch 40 haben kann, die an der Jacke kleben? Auf diese Weise verpasst man keine Twitter-Nachricht mehr. Unser Ziel war, dass die O2-World in Hamburg für unsere Bühnenshow zu klein wird. Und das ist jetzt tatsächlich passiert. Nun nehmen die extra für uns das Dach ab, um es 20 Zentimeter höher zu legen. Deichkind sind live zu erleben am 14. April in der Swiss Life Hall/H.

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