Lokal Spezial 2016

Page 24

24 BESTE BOHNEN

Fotos: Lothar Veit

verfügbar ist.“ Dann beginnt die Industrie nämlich doch zu tricksen und mischt eben Pflanzenfaserreste und Stöckchen ins Kaffeepulver, um dem Kostendruck standzuhalten. Einen ähnlichen Druck hatte auch Nils Boese irgendwann in der Manhattan Bar verspürt – ohne bei der Qualität Abstriche zu machen. Aber er sagt heute: „Ich habe selbst zu viel Lebenszeit damit verschenkt, dass ich immer verfügbar war.“ Seine derzeitige Bar macht er nur auf, wenn er Lust hat. Ansonsten jettet er durch die Welt. Kürzlich war er in New York, als nächstes stehen Beirut, Israel und vielleicht Hawaii auf dem Reiseplan. Der Hildesheimer ist globaler Markenbotschafter für Jägermeister und erzählt den New Yorkern und Hawaiianern etwas über Qualität und Geschmack des KultLikörs aus Wolfenbüttel. „Ein cooler Job. So cool, dass ich ihn mir nicht hätte ausdenken können.“ Thorsten Tessmer hat den 45-Jährigen deshalb schon länger nicht mehr gese-

Handverlesene Bohnen: Thorsten Tessmer und Manuela Pein vom „Kleinen Röstwerk“ überprüfen den Röstvorgang.

hen. Auch der einzige Hildesheimer Kaffeeröster kennt Boese natürlich, Firma Tessmer hatte den Kaffee-Enthusiasten als Schulungsleiter engagiert. Thorsten Tessmer betreibt „Das kleine Röstwerk“ im Umgestülpten Zuckerhut am Andreasplatz und das Café im Pfeilerhaus nebenan. Auf seiner Internetseite läuft als erstes ein Film ab: Irgendjemand schleift einen Sack Kaffeebohnen die Treppen hoch in die zweite Etage des Zuckerhuts, wo die Röstmaschine steht. Oft genug ist dieser Jemand der Chef persönlich. Der 40-Jährige wirkt für diese Tätigkeit vergleichsweise schmächtig. „Wenn ich das noch ein paar Jahre maEin guter Espresso ist che, sieht mein nicht nur nach dem Oberkörper anEssen ein Hochgenuss. ders aus“, sagt er

vergnügt. Einmal die Woche kommt eine Lieferung mit elf Säcken, jeder wiegt 70 Kilo. Im „Kleinen Röstwerk“ ist alles Handarbeit. Die Röstmaschine röstet immer nur sieben Kilo bei jedem 16- bis 22-minütigen Durchgang. Per Hand sortiert Tessmer schwarze Bohnen aus, die nicht in den Kaffee gehören. 15 verschiedene Rohkaffees bezieht er. Einer davon stammt von der „Finca Rosenheim“ aus Peru. „Wir achten darauf, wo er herkommt“, sagt Tessmer, der selbst schon oft in Peru gewesen ist. „Wir kennen die Familie, ich habe mir den Anbau angeguckt.“ Dass der Kaffee „fair gehandelt“ ist, steht auf seinen Verpackungen nicht extra drauf. „In der Plantage wird nach den Methoden des fairen Handels gearbeitet, aber die Zertifizierung ist zu teuer“, sagt Tessmer. Der 40-Jährige, der gemeinsam mit seinem Vater die in Peine ansässige Coffeeservice Tessmer

GmbH leitet, hat den Zuckerhut 2014 gepachtet. Er hatte sich sofort in das ungewöhnliche Fachwerkhaus verliebt. Neben den sortenreinen Kaffees bieten er und Geschäftsführerin Manuela Pein hier im Ladengeschäft und im Café am Pfeilerhaus auch eine „Hildesheimer Mischung“ (etwas milder) und die „Röstwerk-Edition“ (etwas kräftiger) an. Wie sich die Mischung zusammensetzt, verraten sie nicht. „Das ist natürlich Betriebsgeheimnis“, sagt Manuela Pein. Wem das blumige Barista-Vokabular fehlt, der sollte einen Blick in die „Röstwerk“-Karte werfen. Hier gibt es etwa den „Brazil Cerrado Yellow Bourbon“ (mild, leicht nussig, süß) oder den „Ethiopia Yirgacheffe“ (klassisch, ausgewogen, Noten von Jasmin, Bergamotte und Limette). Wer seine Gäste beeindrucken will, sollte schon mal ein paar Sorten auswendig lernen. Lothar Veit Lokal spezial 16.17


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.