VECTURA #4

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RUBRIKEN Rückspiegel

Tag geborgen werden. Grundsätzlich brauchte man vor der GPSZeit (ab 1986) schon einiges Glück, um jeden Abend ins neue Lager zu finden. Zu unseren Teamkollegen, wenn man so sagen darf, gehörte auch Grand-Prix-Star Jacky Ickx mit seinem Beifahrer, dem französischen Schauspieler Claude Brasseur (Filmvater von Sophie Marceau in «La Boum», aber noch besser in seinen Cop-Rollen, dann auch als Mussolini, wofür er den idealen Schädel hatte). Ickx/Brasseur fuhren einen von Mercedes präparierten 280 G und wurden Fünfte. Auch wir, in unserer wohl angebrachten Demut, hatten unser Bestes gegeben, hatten Dakar erreicht und der Welt davon berichtet. Grösstes Missgeschick war die Plünderung des Autos auf dem Schiffstransport retour. Im Grazer Puch-Werk machten sie einen 10 000-Kilometer-Service und überliessen uns dasselbe Auto auch für die folgende Dakar, also 1983. Thierry Sabine, der legendäre Begründer der Rallye, war erst 33, als er am Morgen des sechsten Tages zum Halbkreis der 500 Kumpels sagte: «Am Abend werdet ihr mich hassen.» Es ging um die Durchquerung des Ténéré, eine 600-km-Etappe im grimmigsten Stück der Sahara, damals aberwitzig, heute völlig undenkbar. Wie wir’s geschafft haben (und 150 andere auch), ich kann’s nicht mehr sagen. Strahlende Sieger dieser Rallye waren Ickx/Brasseur auf Mercedes G. Es war der Höhepunkt im ersten Leben der eckigen Kiste aus Graz, noch ohne jede Elektronik in den Kraftschlüssen. Dass auch zwei patscherte Journalisten schon zum zweiten Mal

im Renntempo nach Dakar gefunden hatten, stiess bei Mercedes und Puch ebenfalls auf Wohlwollen, und wir wurden geradezu eingeladen, es noch ein drittes (und dann viertes) Mal zu versuchen. Zur Abwechslung wollten sie uns auf einem Vierzylinder sehen, also 230 GE, was vom Marketing her interessanter war als beim Schwungholen in den Dünen. Der Sechszylinder war ja doch das ideale Format für den G (bevor die modernen Diesel kamen, von Achtzylinder und V12-Overkill nicht zu reden, das gehört ins vierte, also aktuelle Leben des G). 1984 erlebten wir die ausuferndste aller Dakar-Strecken, mit weitem Bogen nach Süden, durch die Elfenbeinküste, Sierra Leone und Guinea. Wir brachten den G auch 1985 ins Ziel, hatten aber, speziell im Ténéré, das Gefühl, unser Konto bei allen Schutzengeln der beschleunigten Wüstentrips langsam zu überziehen. Die Dakar zeigte auch schon klare Ansätze, jenes Monster zu werden, das irgendwann nicht mehr in die afrikanische Dimension passen würde. Immer öfter wurden die Biwaks neben Landestrips eingerichtet, und nachts ging es zu wie in Heathrow. Der G war für Spitzenteams kein Sieganwärter mehr, nicht gegen hochbeinige Allrad-Porsches und Leichtbau-Pajeros. Da war aber der Ruf des Modells schon solide gefestigt, in der ganzen Welt der Hardcore-4x4-Fans, fernab jeder Mode. Wenn uns allerdings jemand gesagt hätte, dass dieses eckige Trumm ein Vierteljahrhundert später die hippste Erscheinung in Beverly Hills sein würde, hätte ich von Schlafsack zu Schlafsack gemurmelt: «Reinhard, die Wüste macht uns ja doch fertig. Versuch ein bissl zu schlafen.» herbst 2012 053


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