VECTURA #17

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STANDPUNKT

JENSEITS VON FERNWEH

ALLER REISELUST ZUM TROTZ: WOHNMOBILE BERGEN ERINNERUNGEN, AUF DIE MANCHER, DER SIE ERLEBT HAT, GUT VERZICHTEN KÖNNTE

Text Wolfgang Peters

Es gibt Erlebnisse in jüngeren Jahren, die geben Wege vor, die man später geht und von denen keiner weiss, warum er auf ihnen unterwegs ist. Es sind diese Prägungen, von Eltern, Geschwistern, Freunden, von Büchern und Filmen und von Tieren, mit denen man aufwächst. Wir haben in der Familie immer eng mit Autos gelebt und bei mir haben diese Begegnungen vor allem das Mobilitätsverhalten entscheidend beeinflusst. Sowohl in positivem als in negativem Sinne, schwache Charaktere wie ich reagieren ja sehr nachhaltig auf äussere Einflussnahme. So bejahe ich grundsätzlich das Fahren in jedwedem Porsche. Ein Freund der Familie führte ein ganzes Leben mit den Fahrzeugen dieser Marke, das verbindet. So lernte ich zwar den Porsche lieben, entfernte mich jedoch aufgrund einiger unerwarteter und unschöner Ereignisse, womöglich vorschnell, von Wohnwagen und -mobilen. Und wies über viele Jahre hinweg den Aufenthalt in einem dieser Gefährte sofort, vielleicht etwas zu brüsk, zurück. Keine dieser Erscheinungen unserer grenzenlosen Mobilität konnte mich während meiner Zeiten der Abwesenheit von Altersschwierigkeiten überzeugen. Das hat sich jüngst geändert. Nun wird man im Alter in seinen Ansichten nicht immer nur strenger – bei mir tritt offenbar so etwas wie Altersmilde ein und nun betrachte ich die Wohnmobilbewegung mit mehr Nachsicht denn je. Womöglich war es dieser Mangel an Altersmilde, der mich vor Jahren dieser Form des Reisens abschwören liess. In dieser Zeit wählte ich mir gerne für Familie und Hund ein Wohnmobil für die angeblich schönste Zeit des Jahres. Es klingen doch auch verlockend die Worte der Freiheit und der Unabhängigkeit und vor den Sehnsuchts-Augen entstehen Bilder geordneter Einsamkeit: ein romantischer Sonnenuntergang, ein ruhendes Meer, das Tischchen am Strand mit zwei gut gefüllten Gläsern – Motive, die jeder gerne im Herzen trägt. Die Wirklichkeit freilich sah häufig anders aus. Schon die Präparierung des Fahrzeugs in der häuslichen Garageneinfahrt gereichte zu körperlicher Anstrengung. Vor dem Eintritt ins mobile Leben gibt es viel zu erledigen: Die Küche auf Rädern will mit Töpfen, Pfannen und Tellern bestückt werden. Fünf Reisende benötigen fünfmal Bettzeug, Handtücher, Toilettenartikel. Ein Grundstock an Lebensmitteln und Getränken (was, wenn es dort keinen Winzer gibt?) ist zu verstauen. Fahrräder sind zu verzurren, Tassilo will sein Surfbrett und Klara die Stofftiere mitnehmen. Stühle zum Klappen und der Tisch zum Schrauben für draussen. Ein Sonnenschirm. Und dann das Gestänge für die grosse Markise und die Luftmatratzen. Wo viel Platz ist, da wird viel gebunkert. Ich war durchgeschwitzt und urlaubsreif. Die grosse Freiheit ist der übliche Antrieb. Ob Wohnmobil oder Caravan – alle sind auf der Suche nach dem Ende der Städte. Wo, bitte, geht es zur Natur? Aufatmen ohne Krawattenzwang, stattdessen drei Wochen kurze Hosen und Hawaiihemd. Jetzt ran an die gute Luft, hörst Du das Meer? Oder rauf auf die Berge, auf der Alm, da schreit kein Kind. Hinter uns die zivilisatorische Sintflut, getrennte Müllsammlung, unnötiger Komfort, nun also endlich das einfache Leben in der Freiheit auf Abruf – doch ganz so einfach ist das nicht: 052 VECTURA #17

Wo ist der Wassertank und wie wird der gefüllt? Abwasser gibt es auch, ja, der Ablauf ist hier unten irgendwo, die Gasflaschen sind hoffentlich gefüllt, das Aufrufen des Heizprogramms ist anspruchsvoller als das schwierigste Sudoku und wie lange hält die Batterie, wenn die Satellitenantenne und der Flatscreen dranhängen? Der Abschied von der Reihenhaussiedlung ist ein Triumph. Und wir sind die Sieger. Auf der Autobahn treffen wir nur Sieger. Alle wollen das, was wir wollen, aber wir haben online am Strand reserviert. Nur das Verlängerungskabel an unserem Stellplatz ist etwas zu kurz. Dann wird alles dunkel, der nette Nachbar zieht zu später Stunde ohne Warnung meinen Stecker aus einem seiner Anschlüsse. Die törichte Verwechslung eines Reisemobil-Novizen. In der ersten Nacht auf dem Campingplatz an der Ostsee fallen kleine Wasserfälle vom Himmel. Regen auf dem Kunststoffdach klingt romantisch. Das Oberlicht leckt ein bisschen und die Markise haben wir am Abend natürlich nicht eingerollt, am Morgen hängt sie gefährlich durch. Wir holen sie runter, gefühlte tausend Liter Regenwasser stürzen auf mich, die erfahrenen Nachbarn fallen vor Lachen fast aus den Stühlen. Alles sehr komisch hier. Ich nehme ein Handtuch und stolpere über den Sandstrand zum Meer. Ja, der frühe Camper erfrischt sich mit einem Bad in den Wogen gern allein. Da liegen schon drei rostbraune Frauen hinter der Düne, sie tragen nur den milden Wind des Morgens und richten sich bei meinem Anblick etwas auf. Alles verrutscht an ihnen. Ich marschiere mit gesenktem Blick vorbei und eine brüllt mir nach: «Das heisst guten Morgen, junger Mann!» Das war zwar eine Schmeichelei, aber Urlaub mit dem Wohnmobil war erst mal gestorben. Es wurde dann doch noch ganz nett, denn wir entdeckten eine unterbesetzte Pension, fantastischer Blick aufs Wasser, reinliche Zimmer, herrliche Betten, wunderbare Bäder, eine schöne Stube mit Frühstück und gleich dabei ein hübsches Restaurant. Wir blieben zwei Wochen, kehrten gut eingefärbt zurück und erzählten mit grosser Begeisterung von unserem Urlaub mit dem Wohnmobil. Vielleicht liegt mein Problem im Charakter des Motorhomes. Es ist nämlich ein fauler Kompromiss. Einerseits wird Abschied genommen, in der Ferne locken das Neue und unbekannte Herausforderungen. Gleichzeitig trägt das Wohnmobil alte Gewohnheiten mit sich, Komfort fast wie daheim, alles ist wie sonst, nur komplizierter. Obendrein ist Urlaub auf Rädern keine billige Sache: Wer ein Wohnmobil kauft, der könnte für diese Summe viele Freizeitjahre im Hotel wohnen. Aber ums Sparen geht es den überzeugten Caravanern nicht. Sie wollen gerade diese Nähe zum Regen in der Nacht, zu den Grillfeuern der Nachbarn und zum Gedränge auf den Übernachtungsplätzen. «Es ist doch alles so schön hier», sagte der Nachbar und rief in die gute Stube hinein: «Ach Mutti, mach doch die Tür zu, ich kann das nicht ertragen, wenn Du mit den Kartoffeln und den Schnitzeln so schuftest.» Es ist doch alles so wie daheim. Nachsicht haben sie verdient, die Caravaner, das meint meine Altersmilde. Aber mitmachen muss ich nicht mehr. Dann lieber wieder auf die Berghütte. Ohne Strom und mit Wasser aus der Quelle.


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