VECTURA #25 Auszug

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TITELSTORY

in spektakulären Autos zum Leben erwachen», doziert er und kehrt erneut den Konformisten raus, «ich bin entschlossen, das Potenzial des REN auch auf chinesischen Strassen zu nutzen.» Und wir bekommen eine Lektion über die Freiheiten einer chinesischen Elite, die strenge Regeln der Volks­republik zumindest zeitweise ausser Kraft zu setzen vermag. «Ich kenne Autobahnen in China, auf denen man richtig schnell unterwegs sein kann», lächelt Matthew, «notfalls auf der Standspur.» Enthusiasten-Clubs für Supersportwagen zählen zu den am schnellsten wachsenden Vereinen in China. Wer mindestens einen Bugatti, Ferrari, Lamborghini, Bentley, Pagani, Koenigsegg, Porsche oder ein US-Muscle-Car besitzt, kann Mitglied werden, beispielsweise im SCC Sportscar Club Beijing. Der Club mit 15 Filialen im Lande zählt aktuell 500 Mitglieder, die rund 700 Sportwagen einbringen. Matthew gehört dazu. Auch zum besonders elitären Beijing FFF Super Car Club. Seine selbst­gestellte Aufgabe lautet, diesen Club mit dem ersten Supersportwagen made in China zu beglücken – mit seinem Techrules REN. Zehn Exemplare vertrage dieser Club. «Ich kenne mindestens sechs Mitglieder, die sofort kaufen würden», weiss er. Matthew ist ein Getriebener. Geradezu besessen von seiner Mission, verbringt er mehr Zeit am Computer als an den Lenkrädern seiner Fahrzeuge oder den Futternäpfen seiner Tiere. «Ich verlasse mein Büro selten vor Mitternacht», erklärt er und schliesst sich nach dem Mittagessen für 20 Minuten ein. Wir denken an die Matratze vor seinem Schreibtisch und sinnieren über die Kraft des Powerschlafs. Wie sehr ihm Tiere zu mentalem Ausgleich verhelfen, lernen wir am Spätnachmittag. Eine knappe Autostunde vom Stadtzentrum entfernt liegt der Beijing International Equestrian Club, ein Reitstall für chinesische

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Kader. Matthew hat ihn aufwendig renovieren lassen, um seine Freunde zum Sporttreiben zu animieren. Doch leider sei vielen der Weg hierher zu weit, bedauert er. Dass dagegen der internationale Reitsportverband FEI (Federation of Equestrian Sport International) die Anlage als Trainingslager nutzt, ist Matthew Bestätigung für ihren professionellen Zuschnitt. Manchmal lädt er Geschäftspartner zu Meetings hierher ein. Im Hauptgebäude stehen Konferenzräume zur Verfügung, auch ein Restaurant mit internationaler Küche. Doch heute kommt Matthew allein, um eine Reitstunde zu nehmen. Vielleicht aber auch, um sich unserer Neugierde für eine Stunde zu entziehen. Als wir gegen 21:00 Uhr den 25. Stock des China World Tower verlassen, brennt in Matthews Büro noch Licht. Seine Agusta wird ihn gegen Mitternacht bei wenig Verkehr in nur sieben Minuten zur Wohnanlage tragen. Noch eine Stunde schreitet er dann seine Tiergehege ab, wird hier und dort Futter ausstreuen – und überlegen, wie er seinen Supersportwagen REN auf Diät setzen kann. Der Dreisitzer soll zur Kleinserienreife unbedingt weniger als eine Tonne wiegen! Auch dies ein Entwicklungsziel, das konventionelle Autobauer aus den Augen verloren hätten, wie Matthew anmerkt. Der Visionär Matthew Jin will dieses sogar mit seinem Elektromobil erreichen, das Batterien, Range Extender und einen Antriebsstrang mit rekuperierfähiger Hochleistungsbrems­anlage mitführt. Xinzhong Jin lächelt, wie nur ein stolzer Vater lächeln kann: «Meinem Sohn liegt kein Ziel zu fern!» Nächste Woche fährt Matthew wieder nach Monza. Der Erfinder, Pragmatiker, Konformist und Visionär ist der optimalen Kraftverteilung auf die vier Räder seines REN-Dreisitzers auf der Spur. Zunächst aber wird der Tierfreund schlafen: «Wenn ausgewählte Facetten des menschlichen Naturells ruhen, kann man alle Kraft den aktiven Seiten widmen.» Philosoph ist er auch noch.


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