IMAGINE 03/11 Volume 3

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AIR, ROAD & SEA

«Zur See muss ich mich wieder aufmachen, zur einsamen See und dem Firmament, und ich bitte einzig um ein grosses Schiff und einen Stern, der es lenkt …» John Masefield, «Seefieber»

mehr in die Takelage aufentern muss – all das funktioniert auch mit reiner Muskelkraft. Ich erfahre am eigenen Leib, gemeinsam mit rund 15 anderen, krebsrot angelaufenen Leidensgenossen am Rande des Kollaps, mit denen ich wie von Sinnen im Gleichtakt an einem scheinbar endlosen Tau zerre, wie anstrengend es ist, ein Segel manuell aufzuziehen. Spätestens danach sind alle sozialen Barrieren an Bord gefallen. Wir sind das Schiff!

rotem Grund im Wind. Gänsehautfeeling garantiert. Unsere Route führt über Calvi an der Nordwestküste Korsikas, die sardische Millionärsenklave Porto Cervo und die Inselhauptstadt Cagliari sowie die beiden sizilianischen Häfen Trapani und Porto Empedocle nach Valletta. Doch das spielt im Grunde keine Rolle. Natürlich bietet das Cruise-Team in jedem Hafen Landausflüge an oder man erkundet auf eigene Faust die nähere Umgebung – doch darum geht es vielen Passagieren nicht. Der Weg ist das Ziel oder wie Kapitän Müller erklärt: «Die Welt fährt an uns vorbei.» Ausserdem bietet die das Schiff jede Menge Möglichkeiten, authentisches Seefahrerflair zu erleben. So sind Passagiere auf der offenen Brücke der «Star Flyer» jederzeit willkommen – bei grossen Kreuzfahrtschiffen gleicht dieser Bereich dagegen einer Hochsicherheitszone. Ein Plausch oder eine Tasse Tee mit dem Kapitän oder einem der wachhabenden Offiziere: kein Problem.

Übrigens: Auch wenn die «Star Flyer» ein sogenanntes Dieselaggregat besitzt – wann immer möglich wird komplett auf die Maschine verzichtet und das Schiff bewegt sich ausschliesslich von der Kraft des Windes angetrieben fort – doch der ist, wie Kapitän Müller weiss, gerade im Mittelmeer unberechenbar: «Das Meer ist hier wie eine Katze auf dem Sofa, du kannst sie den ganzen Tag streicheln und plötzlich springt sie dir ins Gesicht.» Und wir bekommen auch gleich den Beweis: Beim Auslaufen aus dem Hafen von Cagliari reisst in einer extrem starken Böe eines unserer Bugsegel. Am nächsten Tag liegt es ausgebreitet auf dem Oberdeck, daneben eine monströse Adlernähmaschine, an der unser russischer Segelmacher den Riss in mühevoller Kleinarbeit Stich für Stich wieder zusammenflickt. Egal wo die «Star Flyer» einläuft:

Wer mag, kann – unter Anleitung des Steuermanns – selber das Ruder übernehmen, sich erklären lassen, wie man Seekarten liest, oder lernen, mit Hilfe von allerlei Gerät die Position ganz ohne GPS zu bestimmen. Selbst wenn heute motorgetriebene Seilwinden das Hissen und Einholen der Segel übernehmen und niemand

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