PRESTIGE Germany Volume 2

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DRIVE STYLE

Marinisierte Automobilmotoren «Die Geschwindigkeitsanforderungen sind allerdings in den weitesten Grenzen verschieden. Das kleine 6-Meter-Autoboot für bescheidenste Ansprüche ­besitzt oft nur einen 5 bis 6 PS leistenden Zweitaktmotor, welches einer Geschwindigkeit von ungefähr 10 bis 12 Kilometer pro Stunde entspricht. Das Luxusautoschnellboot in Wellenbinderform leistet mit einem 60-PS-Motor etwa 35 km / h; welche Geschwindigkeit sich mit einem 100-PS-Motor auf ­45 km / h erhöht. In den Vereinigten Staaten bringen die meisten Yachtwerften Serien von Autoschnellbooten heraus, die normal mit 150 bis 250 PS leistenden, leichten Spezialbootsmotoren ausgerüstet sind, die somit wohl aohne Frage als Übergangstyp zum Rennboot angesehen werden können. (…) Das Autoboot ist, wie bereits der Name sagt, ein Selbstfahrer; denn vom Steuersitz sind alle Elemente des Motors aus bedienbar, bzw. kontrollierbar. Es ist am günstigsten mit zwei Personen belastet, die dritte und vierte Person machen sich schon etwas geschwindigkeitsvermindernd bemerkbar. Typisch für Autoboote ist die Aufstellung des Motors unter dem langen Vordeck, dessen nach achtern abschliessende Schottwand etwas hinter halber Länge mittschiffs steht. Für die Gewichtsverteilung ist diese Motoraufstellung sehr günstig, da hierbei der Gesamtschwerpunkt der Motoranlage, des Rumpfes, des Brennstoffbehälters und der Besatzung von zwei Mann genau im Verdrängungsschwerpunkt liegt.» Der verbale Begriff Autoboot entwickelte sich einerseits durch die an den ­Automobilbau angelehnte Gestaltung der Armaturenbretter mit ent­ sprechender Instrumentierung und anderseits durch den Einbau von Automobillenkrädern. Hauptgrund war jedoch die Verwendung von – gegenüber konventionellen Schiffsmotoren leichteren und drehfreudigeren – Automobilmotoren, die für den neuen Einsatzzweck marinisiert wurden: Kühlwasser wurde hierzu aussenbords über ein gefiltertes Seeventil angesaugt, während die Abgassammelleiste in doppelwandiger Ausführung eine Wasserumspülung aufwies, die über einen Abgasschlauch wieder nach Aussenbord führte. Die Leistung reduzierte sich automatisch, da die Motorkraft durch den Propeller permanent abgefordert wird. Werkseitig angeboten wurden diese seetauglichen Aggregate unter anderen von Selve (Dreiliter-Kompressor mit 70 PS), Maybach, Mercedes-Benz, ­Brennabor, BMW und Horch, die alle ihre eigene Geschichte zu diesem ­Geschäftsfeld hatten. Maybach beispielsweise kam erstmals ab 1915 mit der Schifffahrt in Berührung. In den 1920er-Jahren wurden die für Omnibusse

Autoboot der Schweizer Werft Faul in Horgen: eine 21 km/h schnelle «Backdeck Runabout» mit 20-PS-Kermath-Vierzylinder von 1926.

entwickelten Sechszylindermotoren nun – in beschrieben modifizierter Boots­ausführung – auch in Barkassen, Motorbooten und sonstigen kleinen Wasserfahrzeugen eingesetzt. Motorisiert mit ­ dem 100 PS starken, auf 1000 / min untersetzten Maybach-Motor Typ S5 waren Geschwindigkeiten von knapp 30 km / h möglich. Die jeweils 560 kg schweren Aggregate S5, S6 und S7 unterschieden sich bei gleichem Hubraum von 6995 cm³ hauptsächlich durch gestaffelte Motor- bzw. Wellendrehzahlen, je nach Untersetzung des Wendegetriebes. Die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten des May­ bach S5 reichte von Feuerlöschbooten bis hin zu Motoryachten und mittelgrossen Autobooten. Sogar der mächtige VL-Zwölfzylinder, mit dem ­ auch das Luftschiff «Graf Zeppelin» angetrieben wurde, kam auf den Privatyachten New Yorker Millionäre zum Einsatz, um möglichst rasch und bequem zu ihren Landsitzen zu kommen.

Andere Länder, andere Sitten In westeuropäischen Metropolen mit Meer- oder Seeanschluss, beispielsweise Berlin, wurden an den Villen mit Uferlage in jener Zeit spezielle Wassergaragen errichtet – zehn Meter lang, aber nur zwei Meter breit. Die Proportionen entsprachen dem damals gängigen Bootstypus – schlank, elegant, offen und aus Holz oder Stahl gefertigt. Die typische Rumpfform der Autoboote war entweder ein Rundspant, ein Wellenbinder (für eher rauere Gewässer und zum Teil mit Flugzeugmotoren ausgestattet) oder der V-Spant für höhere Ge­ schwindigkeiten. Ihre Gesamtverdrängung betrug teilweise über zwei Tonnen. Ausgestattet wurden diese schnellen Boote mit Motoren verschiedenster Stärken, sodass Geschwindigkeiten von 12 bis über 50 km / h erreicht werden konnten, wobei die stärksten Boote schon in den Bereich der Schnellboote reichten. Autoboote mit einer festen Kajüte, die bei schlechtem Wetter Schutz boten und ­gegebenenfalls auch zur Übernachtung dienten, wurden als Limousinen bezeichnet, während ­solche, die über eine grosse wegklappbare Persen­ ning verfügten, als Kabriolett galten. Typisch war immer die weiter hinten angeordnete Kabine – der Motor sass ja vorne. Wenngleich Autoboote oft auch als Berliner Zigarren bezeichnet wurden, so war die Verbreitung dieses Bootstyps keineswegs auf die Gewässer rund um die deutsche Hauptstadt beschränkt. Auch auf dem Rhein, der Elbe, auf dem Bodensee sowie in allen schweizerischen Gewässern (dort auch mit Motoren von Hispano-Suiza, Kermath

The Luxury Way of Life | 121


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