TagesSatz 2011/05

Page 16

D E R S T O L P ERSTEIN

Von der Materie keine Ahnung

sei. So machen wir einen Termin an einem Wochentag aus. Da ich das Gefühl habe, dass man mit der Frau am Telefon ganz gut reden kann, lasse ich mir von ihr den Weg von der Straßenbahnhaltestelle zu ihrer Einrichtung beschreiben: „Ganz einfach: Wenn Sie die Friedrich-Ebert-Straße langgehen, biegen Sie rechts in die Friedrich-Engels-Straße ein, und da sehen Sie es schon.“ „Eben nicht“, antworte ich, „denn ich bin blind.“ „Oh Entschuldigung, das wusste ich nicht. Dürfen wir Sie denn irgendwo abholen?“ Trotz des anfänglichen Schreckens gelingt es uns gut, uns zu einigen, dass man mich zu einer festen Uhrzeit auf der Straße in Empfang nehmen wird. Wir beide sind froh, dass wir die anfänglichen Probleme doch noch gemeinsam lösen konnten und legen beruhigt den Hörer auf.

Hilfen für Sie anbieten.“ Skeptisch gebe ich zu bedenken, dass ich doch erst Ende letzten Jahres an einer Coaching-Maßnahme teilgenommen habe. „Das stimmt“, antwortet er, „aber hier hilft man Menschen, die nicht nur aufgrund ihres Alters über fünfzig, sondern plus einem weiteren Grund, also bei Ihnen die Behinderung, erhöhte Probleme haben, Arbeit zu finden. Und da“, betont er voller Enthusiasmus, „ist das Programm 50 Plus für Sie doch genau das Richtige.“ Im März soll der erste Termin stattfinden. Ich warte also voller Neugier und Skepsis auf die Einladung durch das Coaching-Center.

Am nächsten Tag klingelt bei mir das Telefon. Am Apparat ist der Leiter des Coaching-Centers persönlich. Was verschafft mir die Ehre, frage ich mich mit großem Erstaunen. „Sie sind uns von der Arbeitsförderung Kassel (AFK) für eine Coaching-Maßnahme im Rahmen des Programms „50 Plus“ vermittelt worden“, beginnt er seine Ausführungen. „Doch leider mussten wir gestern zufällig bei einem Telefongespräch mit Ihnen erfahren, dass Sie blind sind. Von daher sind die Coaching-Maßnahmen, die von uns angeboten werden, für Sie natürlich nicht geeignet.“ Der gestern ausgemachte Termin würde also ausfallen. Er habe die AFK auch schon schriftlich davon in Kenntnis gesetzt. Ich solle mich dort in ein paar Tagen melden, um mit ihnen das weitere Vorgehen abzustimmen. Für meine Zukunft wünscht er mir alles Gute und beendet das Gespräch.

Andrea Tiedemann

* GLOSSE VON STROMBOLI

I

m Januar muss ich mich mal wieder bei meinem Sachbearbeiter im Jobcenter persönlich rückmelden. Was wird das heute wieder geben, frage ich mich mit gemischten Gefühlen? Schließlich hat bisher noch keine der Maßnahmen, die ich durchlaufen musste, zum Erfolg, also zu einer Arbeitsstelle, geführt. Gelangweilt, aber auch unruhig setze ich mich ihm gegenüber auf einen Stuhl. Er blättert in seinen Unterlagen und meint dann: „Heute habe ich etwas ganz Besonderes für Sie: Sie sind doch über fünfzig Jahre und finden schon allein aufgrund Ihres Alters keine Arbeit mehr. Ich habe hier ein Programm, das sich genau an diese Menschen richtet und versucht, ihnen zu helfen. Die Maßnahme heißt „50 Plus“ und setzt sich aus regelmäßig stattfindenden Einzelgesprächen in einem Coaching-Center über mehrere Monate zusammen. In den Gesprächen kann man gezielt Ihre Wünsche und Bedürfnisse kennenlernen und spezielle

Im Februar laden sie mich schriftlich zum ersten Gesprächstermin in ihre Räumlichkeiten ein. Was ist denn das, frage ich mich besorgt? Ist das nicht ein Samstag? Um da sicherzugehen, rufe ich im Center an und frage, ob man bei ihnen auch am Samstag Termine anbieten würde. Die Dame am Telefon prüft das und meint dann, dass da wohl der Sekretärin ein Fehler unterlaufen 16

*

TagesSatz

* 05/11


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.