Why me ?
Why me?
Wir haben lange überlegt. Kann man ein Magazin „L. Fritz“ nennen? Wahrscheinlich nicht. Aber wir machen es trotzdem. Denn L. Fritz ist nicht irgendein Magazin. L. Fritz ist DAS Magazin der Photoszene Köln. Da lag es auf der Hand, es nach dem Mann zu benennen, der so viel für die Fotografie in dieser Stadt und weit darüber hinaus getan hat wie kaum ein Zweiter: L. Fritz Gruber (siehe Kasten).
Seinen Namen so offensiv vor uns her zu tragen, soll aber nicht nur eine Hommage, sondern auch eine Verpflichtung sein: Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Fotografie in Köln und darüber hinaus zu fördern. Wenn die Photoszene die Plattform für Fotografie ist, dann ist L. Fritz das Echolot, der Botschafter und der Werbeträger dieser Plattform. Aus diesem Grund liegt das bilinguale Magazin auch an den wichtigsten Orten für Fotografie kostenlos aus. In Köln und in ganz Europa.
Mit L. Fritz wollen wir unsere Leser informieren, unterhalten und fordern. Dabei spricht L. Fritz alle an, die am Medium Fotografie selbst interessiert sind.
Diese erste Ausgabe erscheint auf den Tag genau am 175. Geburtstag der Fotografie und vier Wochen vor dem Start des Photoszene-Festivals mit rund 80 Ausstellungen und zahlreichen Talks, Vorträgen, Workshops, Führungen, Reviews und Diskussionsrunden. Dass all dies im ersten Jahr nach dem Neustart der Photoszene überhaupt möglich geworden ist, verdanken wir ganz besonders unseren zahlreichen Unterstützern und Förderern wie dem Kulturamt der Stadt Köln und der RheinEnergie-Stiftung Kultur, unseren Partnern Pixum, der NetCologne, der KölnMesse/Photokina und dem Photoindustrieverband. Darüber hinaus bedanken wir uns bei unseren Kooperationspartnern The PhotoBook Museum, dem Museum für Angewandte Kunst Köln, der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, dem Museum Ludwig und dem Forum für Fotografie sowie unseren zahlreichen Projektpartnern für Ihr Vertrauen und Engagement.
Und natürlich danken wir von ganzem Herzen Renate Gruber, der Witwe von L. Fritz, die uns unterstützt, wo sie nur kann. Und die uns erlaubt hat, das Magazin so zu nennen, wie es heißt. Wir wissen das zu schätzen.
Damian Zimmermann mit Heide Häusler, Inga Schneider und Nadine Preiß damian.zimmermann@photoszene.de
Kein anderer Name ist in Köln so eng mit der Fotografie verbunden wie der von Leo Fritz Gruber. Geboren wurde er am 7. Juni 1908 in der Domstadt und studierte Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Zeitungswissenschaft, Völkerkunde und Sprachen. 1933 emigrierte er nach London und arbeitete dort als Werbeund Photokopie-Fachmann sowie für die Jahrbücher „Modern Photography“ und die Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“. Zurück in Köln gründete L. Fritz 1949 gemeinsam mit Bruno Uhl die Messe „photokina“, auf der er die legendären „Bilderschauen“ organisierte und bereits früh heute weltbekannte Fotografen ausstellte. 1951 initiierte er die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1977 legte die Sammlung Gruber mit über 1000 Arbeiten den Grundstock für die Fotografische Sammlung des neu gegründeten Museum
Ludwig. L. Fritz Gruber starb am 30. März 2005 im Alter von 96 Jahren. 2012 wurde ein Platz in der Kölner Innenstadt nach ihm benannt.
We thought about it a long while. Can you call a magazine “L. Fritz”? Probably not. But we’re doing it anyway. For L. Fritz is not just any magazine: L. Fritz is THE magazine of Photoszene Köln. It was obvious to name it after the man who did so much for photography in this city and far beyond like almost no other: L. Fritz Gruber (see box).
Carrying his name so aggressively before us, however, is not only meant to be a homage, but also an obligation: We see it as our task to promote photography in Cologne and beyond. If Photoszene is the platform for photography, L. Fritz is this platform’s echo sounder, ambassador and advertiser. For this reason the bilingual magazine is also being distributed for free at all the major photography locations. In Cologne and throughout Europe.
No other name in Cologne is as closely associated with photography as that of Leo Fritz Gruber. He was born in the cathedral city on 7 June 1908 and studied philosophy, German studies, art history, drama, journalism, ethnology and languages. In 1933 he emigrated to London and worked there as an advertising and photocopying specialist as well as for the “Modern Photography” annuals and the magazine “Gebrauchsgraphik”. Back in Cologne in 1949, together with Bruno Uhl L. Fritz founded the trade show “photokina”, at which he organized the legendary “picture shows” and, at that early stage, exhibited photographers who are world-famous today. In 1951 he initiated the founding of the German Photographic Society (DGPh); in 1977 the Gruber Foundation, with more than 1000 works, initiated the photographic collection of the newly established Museum Ludwig. L. Fritz Gruber died on 30 March 2005 at the age of 96. A square in Cologne’s city centre was named after him in 2012.
With L. Fritz we intend to inform, entertain and challenge our readers. At the same time L. Fritz is addressed to all who are interested in the medium of photography itself. This first issue is published on the exact day of photography’s 175th birthday and four weeks before the launch of the Photoszene Festival, which will comprise approximately 80 exhibitions and numerous talks, lectures, workshops, tours, reviews and discussion rounds. That all this is at all possible in the first year after the re-launch of Photoszene is a feat for which we most especially thank our numerous supporters and funders, such as the Culture Office of the City of Cologne and the RheinEnergie Culture Foundation, our partners Pixum, NetCologne, KölnMesse/Photokina and the German Photo Industry Association. Our thanks are extended in addition to our co-operation partners The PhotoBookMuseum, the Museum of Applied Art, Cologne, the Photographic Collection/SK Stiftung Kultur, Museum Ludwig and the Forum für Fotografie, as well as to our numerous project partners for their confidence and dedication.
And of course we wholeheartedly thank Renate Gruber, the widow of L. Fritz, who is supporting us wherever she can. And who has allowed us to give the magazine the name it bears. We truly appreciate this.
Damian Zimmermann with Heide Häusler, Inga Schneider and Nadine Preiß
damian.zimmermann@photoszene.de
In dieser Ausgabe von L. Fritz, dem Magazin der Photoszene, stellen wir die Highlights des Photoszene-Festivals 2014 vor. Die Veranstaltungen und Formate, die die Photoszene selbst durchführt, haben wir zur leichteren Orientierung mit diesem Logo gekennzeichnet.
In this issue of L. Fritz, the Photoszene magazine, we present the highlights of Photoszene-Festival 2014. For your guidance, we’ve identified events and formats realized by Photoszene itself with this logo.
Die neue Photoszene macht schon ziemlich viel Wirbel, hier läuft ja seit Monaten kontinuierlich die Arbeit mit verschiedenen Aktionen. Wo siehst du den Hauptunterschied zur bisherigen Photoszene?
Wir haben in den letzten Monaten eine Organisationsstruktur aufgebaut, die es uns langfristig ermöglichen soll, die Photoszene durch verschiedene Projekte bekannt zu machen. Dazu gehört natürlich auch das Vernetzen mit Akteuren hier vor Ort und der Aufbau eines Teams. Damit soll die Photoszene nicht nur ein Festival auf die Beine stellen können, sondern in der Kulturlandschaft Kölns als überinstitutionelle Plattform für Fotografie wahrgenommen werden. Das Photoszene-Festival ist das Herzstück, es ist aber nur ein Projekt von vielen.
Die Photoszene scheint ja schon sehr gut vernetzt zu sein: Pressekonferenz und Editionspräsentation in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Teilnehmertreffen in der Michael-Horbach-Stiftung, VIP-Empfang der Art Cologne im neuen Design-Hotel des Galeristen Michael Kaune – wie schwer ist es, ein solches Netzwerk zu flechten?
Jeder von uns bringt aufgrund seiner beruflichen Biografie sein eigenes nationales und internationales Netzwerk mit: Damian Zimmermann als Journalist, Nadine Preiß als Fotodesignerin und Künstlerin, Inga Schneider und ich aus der Galerie, Festival- und Museumsarbeit. Gleichzeitig war keiner von uns an eine Kölner Institution gebunden. Wir waren also freie Kräfte. Das hat es zunächst leicht gemacht, auf alle Akteure offen zuzugehen.
Das klingt alles sehr gut. Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr zu kämpfen?
So müde es klingt: Zunächst war es natürlich die finanzielle Situation. Der Verein der Photoszene hatte zum Zeitpunkt der Übernahme keinen einzigen Euro in der Kasse. Damit waren wir mit derselben Situation konfrontiert wie der
Die Vernetzer The Networker
Gegründet 1984 startet die Internationale Photoszene Köln in ihrem Jubiläumsjahr mit einem neuen Team und einem erneuerten Konzept. Dennis Herzog traf die Geschäftsführerin Heide Häusler zum Interview.
Founded in 1984, Internationale Photoszene Köln is embarking on its anniversary year with a new team and a renewed concept. Dennis Herzog met managing director Heide Häusler for an interview.
ehemalige Vorstand um Norbert Moos. Die zweite große Herausforderung ist die selbst gestellte Aufgabe, eine traditionelle Vereinigung in eine zeitgemäße Form zu bringen. Es geht um Profilarbeit, Imageaufbau, inhaltliche Positionierung. Eine sensible Aufgabe mit viel Diskussionsbedarf und Konfliktpotential.
Wie sah denn das inhaltliche Konzept aus, was wolltet ihr mit dem fehlenden Geld machen?
Natürlich haben wir zunächst auch an eigene Ausstellungen gedacht für das Photoszene-Festival, mit dem Budget war es aber schlicht nicht möglich und es war klar: Markus Schaden plant das gigantomanische Projekt des PhotoBookMuseums, die großen Museen arbeiten bereits an ihren eigenen Fotografieausstellungen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, in diesem Jahr verstärkt auf Struktur, Kommunikation, Vermittlung und Besucherführung, sowie Kooperation zu setzen. Das zeigt sich im Verbund der fünf Kooperationspartner des Festivals, ist aber dabei auch Leitbild für die Zukunft.
“Wir müssen den Umgang mit Bildern genauso lernen wie das Alphabet”
“We have to learn how to deal with photos exactly the way we learn the alphabet”
Was wünschst du der Photoszene für die nächsten Jahre?
Dass wir die Freude am Umgang mit der Fotografie im Strudelkampf um Struktur und Geldakquise nicht verlieren! Ich wünsche uns lebendige Kooperationen, den Austausch mit anderen jungen Formaten wie beispielsweise der Temporary Gallery. Fotografie ist ein Medium, das unsere Alltagsrealität durchzieht wie kaum ein anderes. Sie ist dabei immer auch Reflexion über die Welt. Grundsätzlich verfolgen wir mit der Photoszene die Idee, Plattform zu werden für den Diskurs mit dem fotografischen Medium, dabei ist die Fotografie selbst schon Plattform, die diverse Anknüpfungspunkte kennt. Wir leben nach Flusser in einem Fotouniversum, in dem die Kommunikation durch Bilder zusehends den Text ersetzt. Bilder sind bedeutende Flächen! Wir sind nicht die ersten, die fordern, den Umgang mit Bildern genauso zu lernen wie das Alphabet.
The new Photoszene is already causing quite a stir. We saw a festival every two years from the old one, but here work has already been going on continuously with various promotions for months. Where do you see the main difference from the Photoszene so far?
In recent months we’ve built up an organizational structure that is intended, in the long term, to allow us to publicize Photoszene through various projects. This also of course involves networking with stakeholders here locally and building up a team. This is not only going to enable Photoszene to set up a festival, but it is also going to raise its visibility in Cologne’s cultural landscape as a crossinstitutional platform for photography. The Photoszene Festival is the core, but it’s just one project among many.
Photoszene indeed seems to be very well networked already: Press conference and Edition presentation at the Photographic Collection/SK Stiftung Kultur, participant meetings at the Michael Horbach Foundation, VIP reception for Art Cologne at the new designer hotel of gallery owner Michael Kaune – how hard is it to weave a network like this?
Due to his or her professional life story, each of us is bringing along their own national and international network: Damian Zimmermann as a journalist, Nadine Preiß as a photo designer and artist, Inga Schneider and I from gallery, festival and museum work. At the same time none of us was tied to a Cologne-based institution, so we were
independent forces. This first of all made it easy to approach all stakeholders openly.
This all sounds great. What difficulties have you had to overcome?
As wearisome as it sounds – initially, of course, it was the financial situation. At the time of the takeover the Photoszene association had not one single Euro in the bank. That meant we were confronted with the same situation as the former management board led by Norbert Moos. The second big challenge is the self-appointed task of giving a traditional association a contemporary shape. It’s about profile work, image-making, content-related positioning. A sensitive task, requiring lots of discussion and holding lots of potential for conflict.
So how did the concept look in terms of content, what did you want to do with the missing money?
Naturally we thought about our own exhibitions for the Photoszene Festival at first, but with the budget we had that was simply not possible, and obviously, Markus Schaden was planning the gigantic PhotoBookMuseum project, the big museums were already working on their own photography exhibitions. That is why we opted, this year, to focus more strongly on structure, communication, mediation and visitor tours, as well as co-operation. This is evident in the alliance among the Festival’s five co-operation partners, but at the same time it is a forwardlooking model as well.
What do you wish for Photoszene in the years to come?
That we won’t lose the joy of dealing with photography in the whirling struggle for structure and funds acquisition! I hope we’ll have lively co-operations, dialogue with other young formats, like the Temporary Gallery for example. Photography is a medium that pervades our everyday reality like almost no other. At the same time it is always a reflection on the world as well. Basically, with Photoszene we’re pursuing the concept of becoming a platform for discourse concerning the photographic medium; at the same time, photography itself is already a platform that affords various points of contact. According to Flusser we are living in a photo universe, where communication through images is visibly replacing text. Images are meaningful surfaces! We are not the first to make the call for learning how to deal with images exactly the way we learn the alphabet.
Photoszene-Edition 2014
Als erstes Highlight hat die neue Photoszene eine Supporters-Edition mit Arbeiten von 19 bekannten und aufstrebenden deutschen Fotografen, die die Photoszene beim Aufbau unterstützen wollen, herausgebracht. Mit Auflagen zwischen 5 und 50 Exemplaren und Preisen von 280 bis 1140 Euro kann man die Edition über www.photoszene.de kaufen.
As an initial highlight the new Photoszene has brought out a Supporters Edition featuring works by 19 well-known and up-and-coming German photographers who want to lend their support as Photoszene takes shape. At runs of between 5 and 50 copies and prices from 280 to 1140 Euro the Edition can be purchased via www.photoszene.de.
(1)
Irina Ruppert Soldaten_0010, 2012
8 x 13 cm
Blattgröße / papersize: 21 x 30 cm
Auflage / print run: 10 EUR 360,–
(2) Frank Breuer Ohne Titel, Liège, 2010 44 x 26,2 cm
Blattgröße / papersize: 59,4 x 42 cm
Auflage / print run: 20 + 2 AP EUR 500,–
(3) Pepa Hristova
Rahime 1 56 x 70 cm
Auflage / print run: 10 EUR 1140,–
(4) Boris Becker Parkdeck, 2009 54 x 40 cm
Auflage / print run: 15 + 2 AP
EUR 595,–
(5)
Albrecht Fuchs
Rodney Graham, Vancouver, 2010
24 x 30 cm
Auflage / print run: 15 + 3 AP EUR 380,–
(6) Chris Durham Free Our Prisoners, 2009
24,7 x 32 cm
Blattgröße / papersize: 30 x 37 cm
Auflage / print run: 12 + 3 AP EUR 715,–
(7) Linn Schröder o.T. #08, o.T. #11 2013 je / each 22 x 27,3 cm im
Auflage / print run: 12 + 2 AP
EUR 750,–
(8) Michael Lange # 3662, 2011
Print auf 300 gr. satin
matte paper 76 x 35 cm
Auflage / print run: 25 + 2 AP
EUR 490,–
(9)
Matthias Jung Esldorf, 2013
42 x 50 cm
Blattgröße / papersize: 50 x 60 cm
Auflage / print run: 5
EUR 525,–
(10)
Boris Eldagsen Poem #75, 2012
20,5 x 27 cm
Auflage / print run: 10 EUR 715,–
(11)
Wolfgang Zurborn o.T., Shanghai 2006 40 x 30 cm
Auflage / print run: 15 EUR 475,–
(12)
Katja Stuke
Tiananmen Square, 2011 39 x 27,5 cm
Auflage / print run: 50 + 5 AP EUR 280,–
(13)
Anna Vogel
Smiling Barn Owl IX, 2013 35 x 44 cm
Auflage / print run: 10 + 2 AP EUR 980,–
(14)
Peter Bialobrzeski
Nail Houses, Shanghai 2010
24 x 30cm
Auflage / print run: 25 EUR 460,–
(15)
Tamara Lorenz
O.T. 2013 24 x 30 cm
Auflage / print run: 18 + 2 AP EUR 350,–
(16)
Petra Wittmar o.T. 2010
23,2 x 29,4 cm
Blattgröße / papersize: 30 x 40 cm
Auflage / print run: 10 + 2 AP EUR 400,–
(17)
Oliver Sieber Tokyo Visu, 2008 39 x 27,5 cm
Auflage / print run: 50 + 5 AP EUR 280,–
(18)
Tobias Zielony Köln, 2005/13 30 x 20 cm
Auflage / print run: 20 + 4 AP EUR 360,–
(19)
Andreas Gefeller CS 14, 2010
38 x 81 cm
Auflage / print run: 20 EUR 950,–
Die Bilder und die Wirklichkeit Pictures and Reality
Klaus HonnefSie sehen wie Spitzbuben und Galgenvögel aus. Sie tragen die Gesichter von tagesscheuem Gesindel. Die verschlagenen Blicke empfehlen Nähertretenden Vorsicht. Figuren wie sie bevölkern die sozialkritischen Romane von Charles Dickens und Émile Zola. Ihre Kleidung ist gleichwohl erlesen. Beste Stoffe. Seide und Satin. Prachtvolle Orden aus Gold und Edelstein schmücken sie. Doch nicht die Führungskräfte einer Familie aus dem kriminellen Milieu haben sich vor der Staffelei des Malers Francisco Goya eingefunden, sondern die königliche Familie Spaniens.
Der erste Eindruck täuscht nicht einmal. Nach allem, was wir wissen, nehmen sich die finsteren Typen aus den SeifenoperSerien des US-Fernsehens wie „Dallas“ oder „Dynasty“ gemessen am spanischen König Ferdinand VII. und seinem Bourbonenhof wie Chorknaben aus. Offenbar besaß Goya die Gabe des genauen Blicks. Fähig, den pompösen Glanz des höfischen Zeremoniells zu durchschauen und den falschen Schein zu durchdringen. So mag es gewesen sein. Goyas scharfer „Realismus“ ist deshalb in der Literatur zu Recht oft hervorgehoben und gefeiert worden.
Ob die optische Wiedergabe der Königsfamilie aber derart krass und entlarvend gemeint war, wie es uns im jetzigen Anblick erscheint, möchte ich mit einem dicken Fragezeichen versehen. Denn es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die hohen Herrschaften nichts dagegen gehabt haben, wie Schurken und „Scheiße in Seidenstrümpfen“ – ein geflügeltes Wort des Bischofs von Autun und langjährigen französischen Außenministers Talleyrand – dargestellt zu werden. Mit blanker Blindheit waren die spanischen Aristokraten nicht geschlagen, und die außerordentliche Kunstfertigkeit des Malers wäre kein Bonus gewesen, um ihm den Kopf zu retten. Vielmehr hätten sie, vermute ich, ihren geschätzten Hofmaler ohne Umschweife der Garotte überantwortet, wäre ihnen eine solche Absicht ins Auge gesprungen. Für die Vermutung, dass sie mit ihren Bildern aus der Hand Goyas zufrieden waren, gar, dass sich ihr Selbstbild von diesen kaum unterschied, spricht einiges, zumal die Porträts der Herrscherfamilie repräsentativen Charakter hatten. Nicht zuletzt fiel ihnen die Aufgabe zu, sich und ihresgleichen zu beeindrucken.
Ohne allzu tief in die historischen Verhältnisse der spanischen Monarchie am Anfang des 19. Jahrhunderts einzutauchen – das Beispiel zeigt, dass wir die Bilder früherer Epochen, auch wenn sie in einem uns weitgehend vertrauten Bildschema auftreten, mit anderen Augen betrachten als ihre Zeitgenossen. Ich meine es weniger im selbstverständlichen, im physiologischen Sinne, sondern in dem Sinne, dass unsere Wahrnehmung völlig anders trainiert ist als die Wahrnehmung derer, an die sich die Bilder damals richteten. Dass in anderen Worten nicht nur die Modi der Darstellung einem historischen Wandel unterliegen, sondern in gleichem Maße die Modi der visuellen Erfahrung. Was überspitzt ausgedrückt heißt, dass wir nicht sehen, was wir sehen, sondern was wir wissen.
Seit mindestens sechs Generationen entwerfen die Bilder des Mediums Fotografie – anlog und digital – unser Bild der sichtbaren Erfahrungswelt. Sie prägen deren Anschauung ebenso wie unser Verhältnis zu ihr und nicht weniger das Verhältnis zu uns selbst. Die daraus resultierenden Konsequenzen sind Gegenstand unzähliger Abhandlungen, diese verlieren sich aber im Reich der wissenschaftlichen Spekulation. Dabei dürfen wir die übrigen Modelle, der Erfahrungswelt und dem eigenen Ich zu begegnen, wie sie die Wissenschaften der Psychologie und Geschichte entworfen haben, nicht ausblenden. Beide im Übrigen Kinder des 19. Jahrhunderts wie die Fotografie. Eine psychologisch motivierte Interpretation seiner Porträts wäre Ferdinand und Konsorten denn auch ebenso völlig unverständlich gewesen wie eine kriminalistisch eingefärbte Sicht.
„Photography Changes Everything“, stellt der amerikanische Kurator und Kritiker Marvin Heiferman im jüngsten, von ihm initiierten
und herausgegebenen Buch lakonisch fest, und Forscher der meisten einflussreichen wissenschaftlichen Disziplinen der Gegenwart, von der Biologie bis zur Medizin, von der Astronomie bis zur Physik, von den Kommunikations- bis zu den Kunstwissenschaften bekräftigen seine These in knappen und präzisen Essays. Das Erstaunen darüber, wie sehr sich unsere Beziehungen zu den Phänomenen, die wir als Realität begreifen, im Vergleich zum Wirklichkeitsverständnis unserer Vorfahren umgewälzt haben, wächst bei der Lektüre des Buches von Seite zu Seite. Kaum ein Gebiet blieb unberührt. Vieles ist inzwischen so selbstverständlich, dass es einer gründlicheren Ausleuchtung bisher nicht für wert erachtet wurde.
Würden wir etwa aus gemalten und gezeichneten Bildern den Schluss ziehen, es sei „so gewesen“, wie diese Bilder es zeigen? Eine Fotografie erscheint uns erheblich „wirklichkeitsgetreuer“, „wahrer“, authentischer als ein Gemälde oder eine Zeichnung vom selben Motiv. Doch mit welchem Recht? Dabei vergegenwärtigt eine gezeichnete Version des betreffenden Motivs die entscheidenden Details bisweilen akkurater als eine Fotografie, und die Archäologen halten ihre Fundsachen unvermindert in beiden Bildformen fest. Ist die Fotografie deshalb „wirklichkeitsgetreuer“, weil das Motiv sich mithilfe des Lichts ins Bild förmlich eingebrannt hat und es dadurch „objektiviert“ hat? Weil eine Maschine statt eines künstlerischen Auges und Hand den Abbildprozess vollzogen hat? Warum empfinden wir andererseits Goyas Porträts der spanischen Herrscherfamilie als „realistischer“ denn die Herrschaftsbilder von Velázquez und Tizian? Womöglich, weil es uns zur Gewohnheit geworden ist, gemalte und gezeichnete Bilder in der Optik der fotografischen Linse anzusehen? Geeicht auf detailgesättigte Darstellung? Oder, weil das Medium Fotografie schon früh in der theoretischen Literatur mit dem Tod assoziiert wurde? Immerhin behauptete der „göttliche Aretin“, Tizians Bildnisse verliehen den Porträtierten ein ewiges Leben.
Wir sehen, was wir wissen
Warum billigen wir ferner den Bildern der „Schwarz-Weiß-Fotografie“ einen höheren Grad an Realismus zu als der tatsächlich „realistischeren“ Farbfotografie? Nur eine Frage des Alters der Betrachter? Wenn es ernst wird, bevorzugen massenhaft verbreitete Bilderblätter (und das Fernsehen) immer noch häufig das herbe Schwarz-Weiß. Dagegen gehört zu den artifiziellsten Gattungen des Kinos der (schwarz-weiße) „Film noir“ mit seinen nächtlichen Kulissen und den Lichtreflexen auf dem regennassen Straßenpflaster. Nichtsdestotrotz hat die Kritik stets seinen ungeschminkten Realismus gepriesen.
Die fotografischen Bilder haben sich tief ins komplexe Gefüge unserer Erinnerungen eingenistet. Womöglich verschwinden sie allmählich wieder, seit die Smartphone-Fotografie sie verflüssigt und flüchtig gemacht hat und einen völlig neuen Umgang mit dem Medium eröffnete. Angesichts der bezwingenden Bilder Walker Evans‘ vom Amerika der schweren Depression im Kielwasser der Weltwirtschaftskrise stellte sich der große Kurator John Szarkowski unwillkürlich die Frage, ob sich seine Erinnerungsbilder dieser Zeit dem eigenen Erleben oder den Fotografien von Evans verdanken? Geht über die Jahre der Depression in den USA die Rede, steigen unweigerlich seine und die Bilder der übrigen Fotografinnen und Fotografen im Auftrag der legendären Farm-Security-Administration vor unserem geistigen (!) Auge auf. Auch meine Erinnerungsbilder des Zweiten Weltkriegs und die ersten Nachkriegsjahre sind schwarzweiß gefärbt.
Nicht allein die Bilder unseres Gedächtnisses werden in einer Weise von Bildern fotografischen Ursprungs kolonisiert, dass eine Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer optischer Erfahrung schier unmöglich geworden ist. Erschwert natürlich durch den Umstand, dass wir praktisch blind den Mutterleib verlassen und das Sehen von Grund auf lernen müssen. Folgenreicher noch als die Besetzung unserer Erinnerung ist allerdings, welchen Einfluss die fotografischen Bilder auf unsere akute Wahrnehmung ausüben. Inwieweit greifen sie über diese Vermittlung in unsere Entscheidungen und Handlungen direkt ein? Ein bezeichnendes Beispiel liefern die People-Magazine mit den leeren Fotoshop-Gesichtern von der Stange. Dr. Frankenstein was here. Erschreckender als diese Einheitsgesichter ist, dass sie einen bizarren Trend befördert haben, der schon Teenager zum Glättungstechniker treibt. Knapp 230 Jahre später und auf eine solche Sicht der Dinge abgerichtet, hätte die spanische Herrscherfamilie ihren Hofmaler sofort dem Scharfrichter überantwortet.
Fotografie macht uns vertraut
Was haben die fotografischen Bilder mit uns angestellt? Was stellen sie mit uns an? Dass sie unser Gesichtsfeld, das Terrain des Sichtbaren enorm erweitert haben, leidet keinen Zweifel. Sowohl der Makroals auch der Mikrokosmos ist kein Buch mehr mit sieben Siegeln – viele der Siegel, natürlich nicht alle, hat die Fotografie gebrochen. Zahlreiche medizinische Operationen gelingen nach Bildern besser als nach unmittelbarem Augenschein. Wir sind mit Neil Armstrong auf dem Mond herumgestapft und haben die Oberfläche des geheimnisvollen Planeten Mars überflogen. Zunächst aber haben uns die fotografischen Bilder „unsere eigene“ Welt vor Augen geführt, bevor wir sie physisch, wenn auch bloß vorübergehend in Besitz nehmen konnten. Paris, Venedig, London und New York, San Francisco und Shanghai – ihr fotografisches Bild hat unsere Sicht geformt, ehe wir sie sahen.
Das Gesicht Ferdinands VII. war nur dem inneren Zirkel des Hofs und den Höfen der Fürstentümer bekannt, mit denen Spanien Kontakte hatte. Die meisten Herrschaftsrepräsentanten unserer Zeit sind Hausgenossen und vertrauter als das Gros der Verwandten.
Auch das Medium Fotografie und die moderne Demokratie sind gemeinsam herangewachsen. Dabei hat die Fotografie immer nachhaltiger in unser Verhältnis zur Politik eingegriffen und die Politik allmählich auf die Ebene des Show-Business verschoben. Den Reichspräsidenten Ebert brachte die „Berliner Illustrirte“ noch unbeabsichtigt um seinen soliden Ruf, als sie ihn auf einem Cover in Badehose abbildete. Der russische Präsident Putin zieht aus ähnlichen Fotografien seine Popularität wie Dekaden vorher ein junger USPräsident. Und bei jedem Wahlkampf grinsen uns die alterslosen Retortengesichter derer an, die um unsere Wählergunst werben. Der fotografische Glamour hat sich ihrer Gesichter bemächtigt; erster Schritt auf dem Weg zum Verlust der Glaubwürdigkeit.
Nachdem wir alles wissen über die Intentionen der Fotografinnen und Fotografen, manches über die Intention der Bilder, was auch nicht identisch ist, etliches über die Intention des Mediums, ist es langsam an der Zeit, dass wir, an die sich sämtliche der genannten Kräfte adressieren, auf die Bühne der Reflexion gelangen. Was tun die fotografischen Bilder eigentlich mit uns, wenn wir die sichtbare Welt durch das Fenster der Fotografie sehen?
They look like scoundrels and good-for-nothings. They wear the faces of daylight-shunning rabble. The dishonest gazes advise caution to those who step nearer. Figures like them populate the sociocritical novels of Charles Dickens and Émile Zola. Their clothing is nonetheless select. The best fabrics. Silk and satin. They are adorned with splendid orders in gold and precious stone. Yet it is not the heads of a criminal-class family who have gathered before the easel of painter Francisco Goya, but the royal family of Spain.
The first impression never deceives. Everything we know tells us that the shady types from US soap operas like “Dallas” or “Dynasty” look like choirboys, by the standards of Spanish King Ferdinand VII and his Bourbon court. Obviously, Goya had the gift of an accurate eye, capable of seeing through the pompous gloss of courtly ceremony and cutting through its bogusness. This may have been so. Goya’s sharp “realism” has therefore been rightly frequently emphasized and celebrated in literature.
However, I would like to place a fat question mark against whether the optical reproduction of the royal family was intended to be as crass and unmasking as it seems to us from the current perspective. For it is fairly unlikely that the high rulers had no objections to being portrayed as rogues and “shit in silk stockings”, as the Bishop of Autun and long-serving French foreign minister Talleyrand put it. The Spanish aristocrats were not blind, and the painter’s extraordinary artistic skill would have been no help to him in saving his neck. Rather, I assume, they would have handed over their esteemed court painter to the garrotte without further ado if such an intention had been obvious to them. There is much in favour of the assumption that they were satisfied with their pictures by Goya’s hand, even that their self-image barely differed from these, particularly as the portraits of the ruling family were of a prestigious nature. Not the least of the pictures’ tasks was to impress them and people like them.
Without plunging all too deeply into the historical relations of the Spanish monarchy at the beginning of the 19th century – this example demonstrates that we view pictures from earlier periods, even when they appear in a pictorial scheme that is largely familiar to us, through different eyes than their contemporaries did. I mean this not so much in the natural, physiological sense, but in the sense that our perception is trained in a completely different way to the perception of those to whom the pictures were addressed at the time. That, in other words, not only are modes of representation subject to historical change, but, to an equal extent, modes of visual experience are as well. Which means, to put it exaggeratedly, that we do not see what we see, but what we know.
For at least six generations, pictures by the medium of photography – analogue and digital – have been drafting our image of the visible empirical world. They shape the way we view the world just as much as our relationship to it and, no less, our relationship to ourselves. The consequences that arise from this are the object of countless treatises, but these lose themselves in the realm of scientific speculation. At the same time, we must not blank out the other models for encountering the empirical world and one’s own Self, as devised by the sciences of psychology and history. Both of these, by the way, like photography, are children of the 19th century. A psychologically motivated interpretation of his portraits, then, would have been just as incomprehensible to Ferdinand and consorts as a criminologically-tinted view.
“Photography Changes Everything,” the American curator and critic Marvin Heiferman observes laconically in the latest book initiated and edited by him, and researchers in today’s most influential scientific disciplines, from biology to medicine, from astronomy to physics, from communication studies to art studies are reinforcing his hypothesis in concise and precise essays. In reading the book, astonishment over how radically our relationships to the phenomena
that we understand to be reality have been revolutionized, compared with our ancestors’ understanding of reality, grows from page to page. There is barely a topic left untouched. Much has by now become so natural that, hitherto, it has not been deemed worthy of more thorough illumination.
For example, would we draw the conclusion from painted and drawn pictures that things were “the way” these pictures show them? A photograph seems to us to be considerably “more realistic”, “truer”, more authentic than a painting or a drawing of the same motif. But how legitimate is this? A drawn version of the motifs concerned sometimes visualizes the crucial details more accurately than a photograph does, and archaeologists record their finds to no diminished effect in both picture forms. Is photography “more realistic” because the motif has been literally burnt into the picture with the aid of light and has thereby “objectified” the image? Because a machine, instead of an artist’s eye and hand, has completed the depictive process? Why do we find, on the other hand, Goya’s portraits of the Spanish ruling family more “realistic” than the ruler pictures of Velázquez and Titian? Is it possibly because it has become customary to us to view painted and drawn pictures from the viewpoint of the photographic lens? Calibrated to detail-saturated portrayal? Or is it because, in theoretical literature, the medium of photography became associated with death at any early stage? The “divine Aretino” claimed that Titian’s portraits conferred upon the sitters eternal life, after all.
Photography gets us acquainted
Why, further, do we allow the images of “black-and-white photography” a higher degree of realism than we do (the in fact “more realistic”) colour photography? Is it just a question of the beholder’s age? When things get serious, mass-circulation magazines (and television) often still prefer austere black-and-white. On the other hand, one of the most artificial genres of the cinema is the (blackand-white) “film noir”, with its nocturnal backdrops and light reflexes on paving wet from rain. Nevertheless, critics have always prized its unadorned realism.
Photographic images have woven themselves deep into the complex fabric of our recollections. It may be that they are gradually vanishing again, now that smartphone photography has liquefied them and rendered them fleeting and opened up a wholly new way of dealing with the medium. In the face of Walker Evans’s subduing images of America during the Great Depression in the wake of the global economic crisis, the great curator John Szarkowski instinctively asked himself a question: Were his visual memories of this time thanks to his own experience or to Evans’s photographs? If talk turns to the years of Depression in the USA, his and the images by other photographers on behalf of the legendary Farm Security Administration are called inevitably to our mind’s (!) eye. My visual memories of the Second World War and the first post-war years are also tinted black-and-white. Not only the images in our memory become colonized by images of photographic origin in such a manner that any differentiation between direct and indirect optical experience has become a matter of sheer impossibility. A matter made more difficult, of course, by the fact that we leave the womb virtually blind and are obliged to learn to see from scratch.
Still more heavily consequential than the cast of our memory, however, is the influence that photographic images exercise over our acute perception. To what extent do they intervene via this mediation
directly in our decisions and deeds? One telling example is supplied by celebrity magazines with their blank off-the-peg Photoshop faces. Dr Frankenstein was here. What is more frightening than these uniform faces is that they have encouraged a bizarre trend that is driving even teenagers to anti-wrinkle techniques. Not quite 230 years later, attuned to a similar view of things, the Spanish ruling family would have handed over their court painter to the executioner straight away. What did photographic images do to us? What are they doing to us? That they have expanded our range of vision, the terrain of the visible, enormously, there can be no doubt. Both the macro- and the microcosm are no longer a book with seven seals – many of the seals, naturally not all of them, have been broken by photography. Numerous medical operations are more successfully aided by images than by the naked eye. We have stomped around on the moon with Neil Armstrong and flown over the surface of the mysterious planet Mars. Above all, though, photographic images showed us “our own” world before we were able to take possession of it physically, if only merely temporarily. Paris, Venice, London and New York, San Francisco and Shanghai – their photographic image shaped our vision before we saw them.
The face of Ferdinand VII was known only to the inner circle of the court and to the courts of the principalities with which Spain had contact. Most representatives of our era’s ruling class are housemates and more familiar than the vast majority of our relatives. Also, the medium of photography and modern democracy grew up together. Along the way photography has intervened more and more enduringly in our relationship to politics and gradually shifted politics into the realm of show business. German President Ebert suffered an unwitting blow to his robust reputation when the “Berliner Illustrirte” featured him on a cover in his swimming trunks. Russian President Putin draws his popularity from similar photographs, as did a young US president decades before him. And, during every election campaign, we are grinned at by the ageless fake faces of those courting our electoral favour. Photographic glamour has usurped their faces; the first step on the way to credibility loss.
Now that we know everything about the intentions of the photographers, a certain amount about the intention of the pictures (which is not the same thing at all), quite a lot about the intention of the medium, the time is slowly approaching for us, the objects of all these abovementioned forces, to take to the stage of reflection. What are photographic images actually doing to us, if we are seeing the visible world through photography’s window?
Klaus HonnefZiemlich schräg Pretty weird
Das Museum Ludwig widmet sich mit „Das Museum der Fotografie. Eine Revision“ erstmals intensiv der eigenen Sammlung Erich Stenger.
With “The Museum of Photography. A Revision” Museum Ludwig is intensively devoted to its own Erich Stenger collection for the first time.
Auf den ersten Blick kann man Erich Stenger als Messie bezeichnen, als eine Art fotografischen Allesfresser, so umfangreich und vielfältig ist seine Sammlung. Aber eben auch „ziemlich schräg“, wie die Kuratorin der Ausstellung Miriam Halwani anmerkt. Denn der 1878 geborene und 1957 verstorbene Fotochemiker wollte schlichtweg alles haben, was die zahlreichen Facetten dieser faszinierenden Technik belegen konnte, und trug alles ordentlich in Tabellen und Diagramme ein. Sein Ziel war eine Art Atlas der Fotografie – da war Stenger ganz ein Kind des 19. Jahrhunderts und ein Pionier zugleich. Nur als Kunst konnte und wollte er die Fotografie nicht akzeptieren.
Doch reicht all das aus, um daraus ein eigenes Museum der Fotografie zu machen? Stenger war davon überzeugt. Halwani tut ihm jetzt den Gefallen, indem sie dieses „Museum im Museum“ zumindest in Teilen aufbaut. Dabei zeigt sie gleichzeitig, dass die Sammlung Stenger mit seinen Dutzenden engstirnigen Kategorien wie Tier-, Pflanzen-, Mikro-, Flugzeug-, Unterwasser-, Pass- und museale (sic!) Fotografie besser als großartiges Archiv dient, um andere Themenausstellungen zu bereichern, nicht aber, um selbst zum Thema einer Museumsausstellung zu werden. Dabei ist die Schau jedoch äußerst unterhaltsam und lehrreich. Und dient gleichzeitig als wunderbare Illustration zu Marvin Heifermans Statement „Photography changes everything“.
175 years of photography
DER VERGESSENE MORD THE FORGOTTEN MURDER
Im Rahmen des Photoszene-Festivals kommt Philip Glass‘ Kammeroper „The Photographer“
über Eadweard Muybridge in die Kölner Philharmonie.
As part of the Photoszene Festival, Philip Glass’s chamber opera “The Photographer”, about Eadweard Muybridge, comes to the Kölner Philharmonie.
Daniel KothenschulteMan könnte das „Mixed Media“-Stück „The Photographer“, Philip Glass‘ und Rob Malaschs Annäherung an das Leben des Fotografen Eadweard Muybridge, auch eine Pferdeoper nennen. Es war eine alte Frage der Zoologie, die den Amerikaner die Möglichkeiten der Chronofotografie erweitern und die Grundlagen des Films legen ließ. Im Jahre 1872 engagierte ihn der kalifornische Geschäftsmann Leland Stanford, um einen Expertenstreit zu klären: Gibt es einen Augenblick, indem ein Pferd im Galopp mit allen Hufen in der Luft schwebt? Stanford hatte darauf gewettet. Doch bevor Muybridge sechs Jahre später das Beweisfoto liefern konnte, stand er wegen Mordes an seiner untreuen Ehefrau vor Gericht. Gerne gab er sich geständig, denn das war damals noch erlaubt – als letzter Amerikaner wurde Muybridge 1874 wegen „justifiable homicide“ freigesprochen.
Philip Glass, der schon mehrere Horrorfilme vertonte, hat ein Herz für mörderische Geschichten. Aber wer den seriellen Kompositionsstil seiner Minimal Music kennt, ahnt schnell, was ihn an Muybridges „Animal Locomotion“-Bildserien besonders reizte: Die Klarheit der Reihung und der nüchternanalytische Blick auf die Wunder des Lebens finden in seinem Werk eine musikalische Entsprechung. Doch damit nicht genug: Der dreiaktige Fotokrimi folgt in der Aufführung des Berliner Ensembles KNM und des Choreographen Shang-Chi Sun auch den weiteren Ebenen der visionären multi-medialen Konzeption von 1982: Akt I erzählt die Ereignisse als Schauspiel, Akt II vertont die projizierten Muybridge-Bilder als Konzert für Violine und Ensemble und der Schlussakt schließlich präsentiert, zu Glass’ meisterhaftem Furioso, das Geschehen noch einmal als Ballett.
Es soll ein Foto seines Sohnes im Besitz des Rivalen gewesen sein, das Muybridge an der eigenen Vaterschaft zweifeln und einen Mord begehen ließ. So verfiel er dem Wahrheitsversprechen des Mediums. Heute scheint es ihn wiederum zu widerlegen: Auf einer späteren Aufnahme sieht ihm der verschmähte Filius verblüffend ähnlich.
Das Museum Ludwig öffnet für die Konzertbesucher seine Doppelausstellung „Unbeugsam: Dokumentarische Fotografie um 1979“ und „Das Museum der Fotografie eine Revision“, ergänzt um den gesamten Muybridge-Bestand des Hauses.
The Photographer 14. September 2014, 20 Uhr / 8 p.m. Philharmonie Köln 25 Euro
The “mixed media” work “The Photographer”, Philip Glass’s and Rob Malasch’s take on the life of the photographer Eadweard Muybridge, could also be called a horse opera. It was an old question of zoology that prompted the American to widen the possibilities of chronophotography and lay the foundation of film. In 1872 he was recruited by the Californian businessman Leland Stanford in order to clarify a dispute among experts: Is there a moment when a galloping horse has all four hoofs in the air? Stanford had placed a bet on this. Yet before Muybridge, six years later, was able to deliver the photographic proof, he stood on trial
At first glance Erich Stenger can be described as a hoarder, as a type of photographic omnivore, his collection is so comprehensive and diverse. But also “pretty weird”, as the exhibition’s curator Miriam Halwani comments. For the photochemist (1878-1957) simply wanted to have everything that could show off the numerous facets of this fascinating technology, and entered it all neatly in tables and diagrams. His aim was a sort of atlas of photography – in that respect Stenger was wholly a child of the 19th century and a pioneer at the same time. There was only one form in which he could not and would not accept photography: as art.
Das Museum der Fotografie. Eine Revision
The Museum of Photography. A Revision Museum Ludwig bis 5. Oktober 2014 until 5 October 2014 www.museum-ludwig.de
for the murder of his unfaithful wife. He gladly confessed, for back then that was still allowed – in 1874, Muybridge became the last American to be freed on account of “justifiable homicide”.
Philip Glass, who has provided the soundtrack to several horror films, relishes murderous stories. However, those familiar with the serial composition style of his Minimal Music will quickly gather what particularly drew him to Muybridge’s “Animal Locomotion” picture series: its clarity of sequence and sober analytical gaze at the wonders of life find their musical match in his work. Yet this is not all: the three-act photo murder story, as performed by the Berlin-based ensemble KNM and the choreographer Shang-Chi Sun, also follows the multiple layering of the visionary multi-media concept of 1982: Act I narrates the events in play form, Act II provides a soundtrack for the projected Muybridge pictures in the form of a concert for violins and ensemble, and the closing act, finally, accompanied by Glass’s masterly furioso, presents the proceedings once again as a ballet.
It was allegedly a photo of his son in his rival’s possession that moved Muybridge to doubt his own paternity and commit a murder. He fell under the spell of the medium’s promise of reality. Today, however, it appears to prove him wrong: in a later shot, the spurned son and heir looks astonishingly like him. Museum Ludwig is opening its twin exhibition “Intractable and Untamed: Documentary Photography around 1979” and “The Museum of Photography: A Revision”, supplemented by the museum’s entire Muybridge collection, to concert-goers.
But is all that enough for turning it into a dedicated museum of photography? Stenger was convinced that it was. Halwani is now doing him a favour by constructing this “museum within a museum”, at least in parts. At the same time she demonstrates in doing so that the Stenger collection, featuring his dozens of blinkered categories such as animal, plant, micro, aeroplane, underwater, mountain and museum (sic!) photography, is put to better use as a terrific archive for enriching other themed exhibitions than as the theme of a museum exhibition itself. At the same time, though, the show is extremely entertaining and educational. And simultaneously it serves as a wonderful illustration to go with Marvin Heiferman’s statement, “Photography changes everything”.
Dark Room Red Light
Das Kölner Kontrastlabor im PhotoBookMuseum stellt live und vor Publikum Editionen von Oliver Abraham, Boris Becker und Bettina Gruber her.
Es soll Menschen geben, die noch nie in einer Dunkelkammer waren. Sie sind noch nie in dieses rote Licht abgetaucht, haben noch nie Entwickler, Stoppbad und Fixierer in eigentümliche Plastikschalen gegossen und haben noch nie diesen speziellen sauren Geruch inhaliert. Diese Menschen kennen Fotografien nur als Fertigprodukt –eingetütet an einer Drogerie-Verkaufstheke oder aus einem Tintenstrahldrucker rutschend. Die Magie, die die Entstehung einer analogen Fotografie umgibt, ist ihnen fremd. Und sie wird es wahrscheinlich auch für immer bleiben, denn die heimische Dunkelkammer im Badezimmer oder Keller verliert zunehmend an Bedeutung und analoge Labore gibt es auch kaum noch.
Aus diesem Grund bietet das Kontrastlabor, das seit 1986 auf Fotokunst spezialisiert ist, eine außergewöhnliche Gelegenheit. Zuschauer können in einer eigens dafür gebauten Dunkelkammer im PhotoBookMuseum live dabei sein, wie die drei Fotografen Oliver Abraham, Boris Becker und Bettina Gruber eine Edition von Silbergelatineprints herstellen lassen – und wie ein Negativ so zum Positiv wird.
Der Moment des Übergangs vom Anwesenden zum Bildhaften hat die Kunst seit der Renaissance unaufhörlich im Sinne einer Reflexion des eigenen Kerns beschäftigt. Die Erfindung der Camera Obscura beteiligte sich an dieser Auseinandersetzung, indem sie ein direktes Abbild des Wirklichen ohne jeglichen mimetischen Umweg erschuf. Martin Streit verknüpft mit seiner begehbaren Camera Obscura aus zwei übereinanderliegenden Seecontainern die Magie dieses Moments mit der Mystik des Kölner Doms, der längst den Status seines Zwecks als Gotteshaus überwunden hat und zu einer Ikone in einem wesentlich weiteren Sinne wurde: Sein Anblick ist den meisten Kölnern ein gänzlich unreligiöses Heiligtum, da er die ganze Stadt symbolisch in sich vereint.
In Streits Lichtkammer werden die Besucher in mehrfacher Hinsicht zu Zeugen einer Metamorphose. Die Übersetzung des Räumlichen in eine zweidimensionale Projektion repräsentiert die Grundlage des Prinzips Fotografie. Das Abbild jedoch ist hier noch lebendig, erzeugt sich simultan zur Wirklichkeit in jedem Moment neu. Die Projektion „Unplugged“ befindet sich also stets auf dem wackeligen Scheitelpunkt zwischen der Realität und ihrer Abbildung – und stellt sie im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf.
Termine / Dates
19. September,
17-22 Uhr / 5-10 p.m.
20. September, 11-21 Uhr / 11 a.m.-9 p.m.
21. September, 11-19 Uhr / 11 a.m.-9 p.m. Vom 19. August bis 3. Oktober ist die Installation bei Rotlicht zu besichtigen. / From 19 August until 3 October the installationcan be visited by red safelight.
Cologne’s Kontrastlabor at the PhotoBookMuseum
Featuring works by Oliver Abraham, Boris Becker and Bettina Gruber
It seems that there are people who were never in a darkroom. They were never immersed in this red light, have never poured developer, stop bath and fixer into funny plastic dishes and have never inhaled this specific acidic odour. These people are only familiar with photographs as a finished product – pouched at a drugstore sales counter or sliding out of an inkjet printer. The magic that surrounds the creation of an analogue photograph is foreign to them. And it will probably stay that way forever, as the home darkroom in the bathroom or basement is increasingly becoming less important and analogue laboratories barely still exist. For this reason Kontrastlabor, which has been specializing in photo art since 1986, is offering an unusual opportunity. In a darkroom specially built for the purpose at the PhotoBookMuseum, viewers will be live on scene to watch as the three photographers Oliver Abraham, Boris Becker and Bettina Gruber have an edition of silver gelatine prints made – and as a negative thus becomes a positive.
CAMERA OBSCURA
Lichtkammer
auf der Domplatte
30. August – 28. September
täglich / daily 11-19 Uhr / 10 a.m.-8 p.m. Der Eintritt ist frei / Admission free
The moment of the transition from the present to the pictorial has incessantly preoccupied art since the Renaissance in the sense of a reflection on its own core. The invention of the camera obscura took part in this confrontation by creating a direct reproduction of what was real without mimetic detours of any kind. With his walk-in camera obscura made up of two sea containers on top of each other, Martin Streit combines the magic of this moment with the mysticism of Cologne Cathedral, which long ago overcame the status of its purpose as a house of God and became an icon in a considerably broader sense: most Cologne residents view it as an entirely irreligious sanctuary, as it symbolically unites within itself and represents the whole city. In Streit’s Light Chamber visitors are witness to a metamorphosis in multiple respects. The translation of the spatial into a twodimensional projection represents the basis of the photographic principle. In this case, however, the reproduction is still alive, is re-generated every moment simultaneously with reality. The “unplugged” projection is therefore constantly located on the rickety cusp between reality and its depiction – and turns it, in the truest sense of the word, on its head.
Keine Zeit für Mätzchen No time for antics
Damian ZimmermannIch weiß nicht, wie viele Fotos es von mir gibt. Gute und schlechte. Lustige und ernste. Schnappschüsse und Inszenierungen. Von Freunden und Fremden. Doch kein Bild hat mich jemals so gefesselt wie jenes, das Stefan Sappert mit seiner Kollodium-Nassplatten-Fotografie von mir gemacht hat. Es ist ein sehr altes, geradezu anachronistisches Verfahren und war in der Anfangszeit der Fotografie zwischen 1850 und 1880 die meistverbreitete Aufnahmetechnik. Eigentlich ist es gar keine Fotografie im üblichen Sinne, denn es gibt kein Negativ. Es gibt nur ein fragiles, direkt vor Ort entwickeltes Original auf einer Glasscheibe – entstanden während einer achtsekündigen Belichtungszeit, in der mein Hinterkopf mit einer Klammer fixiert wurde, damit das Foto nicht verwackelt. So paradox es klingt: Aber bei acht Sekunden hat man keine Zeit für Mätzchen: Lachen und Posieren entfallen, also bleibt nur der klare und vor allem starre Blick in die Kamera. Es ist ein Blick, den sonst niemand zu sehen bekommt. Es ist der Blick, mit dem ich mich selbst anschaue, wenn ich vor dem Spiegel stehe. Ein Blick der Abwesenheit und der vollkommenen Präsenz zugleich. Perfekt und voller Fehler.
Am 19. September stellt Stefan Sappert die fast vergessene Technik des Kollodium-Nassplatten-Verfahrens während der Veranstaltung „Silber und Bytes – 175 Jahre Fotografie“ im Museum für Angewandte Kunst Köln vor. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, sich von dem Österreicher porträtieren zu lassen. Außerdem bietet Sappert die seltene Gelegenheit, in einem eintägigen Workshop das KollodiumNassplatten-Verfahren zu erlernen. Informationen gibt es unter www.photoszene.de
I don’t know how many photos of me there are. Good and bad ones. Happy and serious ones. Snapshots and poses. By friends and strangers. But no picture has ever captivated me as much as the one Stefan Sappert took of me using his collodion wet plate photography. This is a very old, almost anachronistic method and was the most widespread recording technique during the early years of photography between 1850 and 1880. Actually, it’s not photography at all in the usual sense, as there’s no negative. There is only a fragile original, developed directly on the spot on a glass plate – created during an eight-second exposure time, during which the back of my head was fixed with a clamp so that the photo didn’t wobble. As paradoxical as it may sound: but with eight seconds you have no time for antics: laughing and posing are no option, so there just remains the clear and above all rigid gaze into the camera. It is a gaze that nobody else gets to see. It is the gaze with which I look at myself when I stand in front of the mirror. A gaze of absence and of complete presence at the same time. Perfect and full of shortcomings.
On 19 September Stefan Sappert will be presenting the nearly-forgotten technique of collodion wet plate photography during the event, “Silber und Bytes – 175 Jahre Fotografie” at the Museum of Applied Art Cologne. Afterwards visitors will have the chance to have their portraits taken by the Austrian. In addition, Sappert will be offering the rare opportunity to learn the collodion wet plate method during a one-day workshop. Information is available at www. photoszene.de
I don’t know how many photos of me there are.
Das kann noch nicht alles sein That can’t be all of it
Diese eine Frage kommt fast immer sofort, sobald man jemandem erzählt, dass Markus Schaden ein eigenes Fotobuchmuseum in Köln eröffnen will: „Ja, hat er denn so viele Bücher?“ Um sie gleich zu Beginn zu beantworten: Nein, hat er nicht. Aber die braucht der ehemalige Fotobuchhändler auch nicht. Denn seine Idee eines Museums speziell für und vor allem ÜBER Fotobücher hat kaum etwas mit den gängigen Präsentationsformen der etablierten Ausstellungshäuser zu tun. „Ich will keine Schneewittchensärge, vor denen ehrfürchtige Besucher auf zwei aufgeschlagene Doppelseiten in einer Glasvitrine starren müssen“, sagt der 48-Jährige. Für ihn hat der aktive Umgang
mit dem Medium Fotobuch oberste Priorität. Das bedeutet natürlich auch, dass die Bücher in die Hand genommen werden dürfen und sollen. Aber eben nicht nur: Schaden will die besondere Qualität des Mediums individuell herausarbeiten. Denn genau daran krankt es seiner Meinung nach bislang: Um ein Werk nicht zu zerstören, brächten Kuratoren die in einem Buch abgebildeten Fotos meist als gerahmte Ausdrucke an die Wand. Das habe zur Folge, dass in einer Ausstellung nicht mehr die Geschichte und der Erzählfluss im Vordergrund stehen, sondern der einzelne Abzug dominiert. Das mag bei einem Fotografen wie Andreas Gursky vielleicht sinnvoll sein – nicht
Die ersten Container wurden in die große Halle geliefert, die von Markus Schaden (unten) vom 19. August bis 3. Oktober in The PhotoBookMuseum verwandelt wird.
The first containers were delivered to the big hall which, from 19 August until 3 October, will be transformed into The PhotoBookMuseum by Markus Schaden (below).
The PhotoBookMuseum in der Kupferhalle des Carlswerks Schanzenstraße 6-20, Köln-Mülheim 19. August bis 3. Oktober 2014. www.thephotobookmuseum.com
jedoch für die große Masse der Fotografen und schon gar nicht bei den Künstlern, die in Büchern denken. „Wir müssen darüber nachdenken, ob das Ausstellen von Prints allein tatsächlich schon das Ende der Fahnenstange ist“, sagt Schaden, denn für ihn steht fest: „Das Fotobuch als Ganzes ist das eigentliche Kunstwerk.“
Ein Dilemma, natürlich, denn oft genug sieht man in Ausstellungen aus dem Zusammenhang gerissene Fotografien, die im Buch eine völlig andere Kraft entwickeln. Um dies zu ändern, müssen die gängigen Präsentationsformen jedoch grundlegend überdacht und ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden – schließlich ist ein Fotobuch weit mehr als bloß die Summe aller darin enthaltenen Fotografien.
In einer ehemaligen Kupferhalle aus den 1950er-Jahren inmitten eines alten Industriegeländes im rechtsrheinischen Köln will Schaden seine Vision dieses Fotobuchmuseums für zunächst 43 Tage erlebbar machen. Mehr als 25 verschiedene Ausstellungen sollen auf den 6000 Quadratmetern zu sehen sein. Aufgeteilt ist das Museum dabei in mehrere „Sektionen“.
Da sind zum einen die PhotoBookStudies, ein von Schaden selbst entwickeltes und erstmals in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) umgesetztes Konzept zur Visualisierung der Einfluss-, Entstehungs- und Editionsgeschichte einzelner Fotobücher. Dafür nehmen der international gefragte Experte und sein Team ein Buch buchstäblich auseinander und kleben alle Seiten der Reihe nach auf eine (meist schwarze) Wand. Das ist die Ausgangssituation, von der aus dann Dutzende Links und Pfeile auf die Hintergründe des jeweiligen Buches verweisen, sodass am Ende eine Art Moodboard oder Riesen-Mindmap aus Papier, Kleber und Kreide entsteht.
Im August wird unter anderem die erste, 40 Meter lange Studie zu Ed van der Elskens „Liebe in Saint-Germain des Prés“ zu sehen sein, aber auch eine zu Anders Petersens Klassiker „Café Lehmitz“: Dafür
bauen Schaden und sein Team einen großen Kubus in die Halle. An der Außenwand zeichnet die PhotoBookStudy die Geschichte des Buches nach, im Inneren wird das halbe Café Lehmitz selbst zu sehen sein – als originalgetreuer 1:1-Nachbau in Schwarzweiß, in dem eine richtige Bar untergebracht wird. Andere Studien beschäftigen sich mit Werken von Stephen Shore, Todd Hido, Susan Meiselas und Daido Moriyama.
Die zweite Sektion nennt sich PhotoBookHistory. Darin rekonstruiert Schaden beispielsweise die Ausstellung „Köln 5 Uhr 30“, die der Kölner Fotograf Chargesheimer 1970 auf der Photokina als begehbare Installation seines legendären Buches präsentiert hat. Und auch der jüngst erschienene dritte Teil der Fotobuch-Bibel „The Photobook: A History“ von Martin Parr und Gerry Badger wird ausführlich behandelt.
Eine weitere Sektion ist den NewDocuments gewidmet. Diese behandelt die Konzeptionen von aktuellen, preisgekrönten Fotobüchern wie „The Pigs“ von Carlos Spottorno und „Afronauts“ von Christina de Middel. Als Ausstellungsarchitektur werden dafür Schiffscontainer genutzt, denn eine weitere Idee des PhotoBookMuseums ist es, die einzelnen „Module“ (oder auch alle auf einmal) per Schiff auf Reisen schicken zu können. Veranstalter in Arles, Vevey, St. Petersburg, Los Angeles, Istanbul, Johannesburg und Jakarta haben bereits Interesse an Kooperationen signalisiert.
Freilich: Langfristig will Schaden, dass sein PhotoBookMuseum eine dauerhafte Basis erhält, von wo aus es als Labor, Archiv, Studienort, Infobörse, Kontakthof, Ausstellungs- und Veranstaltungsraum agieren kann. Bis dahin wird das Museum – um im Fotobuch-Jargon zu bleiben – eine Art Dummy bleiben. Inhaltlich und gestalterisch bereits auf höchstem Niveau, aber noch ohne ISBN.
There’s this one question that nearly always comes out straight away when someone’s told that Markus Schaden wants to open his own photobook museum in Cologne: “So he’s got that many books, then?”
First of all, in answer to that question: No, he hasn’t. But the former photobook dealer doesn’t need them, either – as his concept of a museum specifically for and above all ABOUT photobooks has almost nothing to do with the conventional presentation forms at the established exhibition venues. “I don’t want Snow White’s coffins with awe-struck visitors standing in front of them, having to stare at two open double pages in a glass case,” says the 48 year old. For him, top priority goes to actively dealing with the photo book as a medium. This also means, of course, that the books are allowed to be, and are meant to be, picked up, but that’s not all of it: Schaden wants to bring out the medium’s particular quality book-by-book.
For in his opinion, precisely this has been ailing the medium up to now: in order not to destroy a work, he says, curators usually put photos illustrated in a book on the wall as framed prints. According to him, the result of this is that the story and the narrative flow are no longer at the forefront in an exhibition, but the individual print dominates. This may perhaps make sense with a photographer like Andreas Gursky – but it doesn’t for the vast majority of photographers and it definitely doesn’t at all for artists who think in books. “We need to think about whether exhibiting prints really is as far as we can get,” says Schaden, for he is certain about one thing: “The photobook in its entirety is the real work of art.”
This is, of course, a dilemma, as photographs torn out of context (while they unfold a power that’s entirely their own, left in books) are seen at exhibitions often enough. In order to change this, the conventional presentation forms need to be fundamentally reassessed, Schaden says, and a paradigm shift needs to be instigated – after all, a photobook is far more than just the sum of all the photographs it contains.
In a former copper smelting hall from the 1950s in the middle of a former industrial park to the right of the Rhine in Cologne, Schaden intends to bring his vision of this photobook museum to life for 43 days at first. More than 25 different exhibitions are to be put on show on the 6000 square metres. The museum is divided into several “sections”.
First, there are the PhotoBookStudies, a concept developed by Schaden himself and realized for the first time in collaboration
with the Academy of Media Arts in Cologne (KHM) in order to visualize the history – influence, creation, and publication – of individual photobooks. For this the internationally sought-after expert and his team literally take a book apart and glue all pages, in order, onto a (usually black) wall. This is the starting point from which dozens of links and arrows refer to the back-story of the respective book, so that a type of mood board or a giant mind map made up of paper, glue and chalk is created.
In August, among other features, the first 40-metre long study on Ed van der Elsken’s “Liebe in Saint-German des Prés” will be on show, but there will also be one on Anders Petersen’s classic “Café Lehmitz”: for this, Schaden and his team are installing a large cube in the hall. On the outer wall the PhotoBookStudy will trace the history of the book; on the inside, half of Café Lehimitz itself will be on show – as a true-to-the-original 1:1 copy in black and white, in which a real bar will be accommodated. Other studies will deal with works by Stephen Shore, Todd Hido, Susan Meiselas and Daido Moriyama.
The second section is called PhotoBookHistory. In this, Schaden is reconstructing, for example, the exhibition “Köln 5 Uhr 30”, which Cologne-based photographer Chargesheimer presented at Photokina in 1970 as a walk-in installation of his legendary book. And the latest, third part of the photobook bible “The Photobook: A History” by Martin Parr and Gerry Badger will also be dealt with in detail.
A further section is dedicated to the NewDocuments. This deals with the concepts of current award-winning photobooks such as “The Pigs” by Carlos Spottorno and “Afronauts” by Christina de Middel. Ship containers are being used as the exhibition architecture for this, as another of the PhotoBookMuseum’s ideas is to be able to ship off the individual “modules” (or even all of them at once).
Organizers in Arles, Vevey, St. Petersburg, Los Angeles, Istanbul, Johannesburg and Jakarta have reportedly already indicated an interest in partnerships.
It does have to be said that, in the long term, Schaden wants his PhotoBookMuseum to be given a permanent base, from which it can act as a laboratory, archive, place of study, information exchange, contact hub, exhibition and event space. Until then, the Museum – to stick with photobook jargon – will remain a kind of dummy: already at top standard in terms of content and design, but still without an ISBN.
„Photobook_Kids“ widmet sich Kinderbüchern mit Fotografie – ein Aspekt des Fotobuchs, der noch wenig Beachtung gefunden hat. Auffällig ist, dass fotoillustrierte Kinderbücher vor allem in den 1960er bis 1980er Jahren entstanden sind. Edward Steichens First Picture Book (1930) mit Texten von Mary Steichen Calderone und John Updike oder Hans Limmers Mein Esel Benjamin (1968) mit Fotografien von Lennart Osbeck gehören zu den Klassikern des Genres. Seit den 1980ern „wurde die Fotografie im Kinderbuch wieder nach und nach von der Zeichnung abgelöst,“ stellen die Kuratorinnen Verena Loewenhaupt und Thekla Ehling fest. Dabei können Kinderbücher mittels Fotografie interessante Dinge und Lebenswelten zeigen, die in der Ferne liegen. Sie zeigen aber auch, dass es vor der eigenen Türe, im Alltäglichen, viel zu entdecken gibt, wenn wir nur genau hinsehen.
Photobook_Kids
“Photobook_Kids” is dedicated to children’s books that feature photography – an aspect of the photobook that has gained little notice as yet. It is striking that children’s books illustrated with photos were created primarily in the 1960s to 1980s. Edward Steichen’s First Picture Book (1930) with texts by Mary Steichen Calderone and John Updike, or Hans Limmer’s Mein Esel Benjamin (1968) with photographs by Lennart Osbeck are among the genre’s classics. From the 1980s onwards “photography in children’s books was gradually replaced by drawings again,” curators Verena Loewenhaupt and Thekla Ehling note. At the same time, by use of photography, children’s books can show interesting things and environments that are a long way away. However, they also show that right outside the front door, in everyday life, there is lots to explore if we just take a closer look. Getting visitors actively involved, “Photobook_Kids” intends to convey directly how this genre shapes our view of the world. At its focus will be the children’s photobook series by the internationally active photojournalist Dominique Darbois: Les enfants du monde (Children of the World) was published from 1952 until 1978 at Fernand Nathan publishers in Paris and was translated into several languages. Parana le petit Indien was the first of the twenty books. Based on the story of a child, usually from a far-distant country outside Europe, the idea was to teach young readers about foreign life worlds. The idiosyncratic graphic design was provided by Pierre Pothier.
The topic’s diversity becomes clear in the Reading Room. Various photographic techniques and visitors’ own photobook designs can be tried out in the photobook laboratory. Workshops will invite children and young people to take an active look at their world.
„Photobook_Kids“ will über einen aktiven Zugang unmittelbar erlebbar machen, wie dieses Genre unseren Blick auf die Welt prägt. Im Mittelpunkt steht die Kinderfotobuchreihe der international aktiven Fotojournalistin Dominique Darbois: Les enfants du monde (Kinder der Welt) erschien von 1952 bis 1978 beim Pariser Verlag Fernand Nathan und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Parana, der kleine Indianer war das erste der zwanzig Bücher. Anhand der Geschichte eines Kindes, meist aus einem fernen außereuropäischen Land, sollten dem jungen Leser fremde Lebenswelten vermittelt werden. Pierre Pothier gab der Buchreihe eine eigenwillige grafische Gestaltung. Die Vielfalt des Themas wird im Reading Room deutlich. Verschiedene fotografische Techniken und die Konzeption eines eigenen Fotobuchs können im Fotobuch-Labor ausprobiert werden. Workshops laden Kinder und Jugendliche zu einem aktiven Blick auf ihre Welt ein.
Photography Prize eingebracht. Damit ist es ein erfolgreiches Beispiel für den Trend, Fotobücher im Selbstverlag herauszugeben als Alternative zu den großen Verlagen, die häufig eine hohe finanzielle Beteiligung fordern und weniger kreative Freiheit ermöglichen.
Jiang Jian: Archives
Christina de Middels Fotobuch „The Afronauts“ (2012) handelt von dem Raumfahrtprogramm, das der Lehrer Edward Makuka Nkoloso (beflügelt von der Unabhängigkeit Sambias 1964) verfolgte: Die 16-jährige Matha Mwambwa sollte mit zwei Katzen den Wettlauf ins All für Sambia entscheiden. Doch das Projekt scheiterte mangels Unterstützung von Regierung und UN - und weil Matha schwanger wurde.
Diese historische Begebenheit nahm die spanische Fotografin als Ausgangspunkt. Für Gestaltung und Herstellung arbeitete sie mit dem Grafikdesigner Ramón Pez und der Fotografin Laia Abril zusammen. Entstanden ist ein 88 Seiten umfassendes
Christina de Middel’s photobook “The Afronauts” (2012) deals with the space travel programme pursued by teacher Edward Makuka Nkoloso, inspired by Zambia’s independence in 1964: 16-yearold Matha Mwambwa was to clinch the space contest for Zambia along with two cats. However, the project failed for lack of support from government and UN, and as Matha became pregnant. This historical occurrence served as the Spanish photographer’s starting point. She worked on design and production together with graphic designer Ramón Pez and photographer Laia Abril. The outcome is an 88-page photobook in which facts and fiction are superimposed: de Middel’s staged colour photographs are supplemented by black-and-white pictures from 1964 along with drawings, maps, letters and a facsimile newspaper clipping. De Middel therefore plays with the promise of reality made by photography and written items: “I used these documents
Cristina de Middel: The Afronauts
Fotobuch, in dem sich Fakten und Fiktion überlagern: Inszenierte Farbfotografien de Middels werden ergänzt durch Schwarzweiß-Fotos von 1964 sowie Zeichnungen, Karten, Briefe und einen faksimilierten Zeitungsausschnitt. De Middel spielt so mit dem Realitätsversprechen der Fotografie und Schriftstücke: „Ich nutzte diese Dokumente, um die Vorstellung von etwas zu unterstützen, das real ist, aber unglaublich.“
Die Auflage von 1000 Stück im Selbstverlag für 28 Euro war schnell vergriffen und wird aktuell für bis zu 2000 Dollar gehandelt. Zum Erfolg beigetragen hat sicher auch, dass der Fotobuch-Guru Martin Parr fünf Exemplare gekauft haben soll und das Buch im dritten Band von „The Photobook. A History“ (mit Gerry Badger) erwähnt. „The Afronauts“ hat de Middel 2013 den ICP Infinity Award des New Yorker International Center of Photography und eine Nominierung für den Deutsche Börse
that would support the idea of something that is real but unbelievable.”
The self-published print run of 1000 pieces for 28 Euro was sold out quickly and is currently being traded for up to 2000 Dollars. A contributing success factor was certainly the rumour that photobook guru Martin Parr bought five copies, and he mentions the book in the third volume of “The Photobook. A History” (with Gerry Badger). “The Afronauts” gained de Middel the ICP Infinity Award from New York’s International Center of Photography and a nomination for the Deutsche Börse Photography Prize. It is therefore a successful example of the trend for producing self-published photobooks as an alternative to the big publishers, who often demand extensive financial participation and provide less scope for creative freedom.
Seit einigen Jahren stürzen sich westliche Fotografen auf die chinesische Kultur und halten mit ihren Bildern den Alltag eines Landes im scheinbaren Dauer-Umbruch fest. Die Sicht der Chinesen auf ihr eigenes Land wird eher selten im Westen wahrgenommen. Umso bedeutender ist die Entdeckung des Werks von Jiang Jian. Der heute 61-Jährige war Solo-Violinist im Henan Orchestra, bevor er sich 1984 entschloss Fotograf zu werden. In „Scenes“ dokumentierte er die Häuser der armen Landbevölkerung, mit „Masters“ rückte er schließlich die Landbevölkerung selbst ins Zentrum seiner Bilder. Seine Serie „Archives on Orphans“ zeigt uns Ganzkörperporträts von Waisenkindern vor schwarzem Hintergrund. Seine Bilder erinnern nicht nur formal-ästhetisch an die Fotos August Sanders – auch sein Interesse an den Menschen ist dem Sanders nicht unähnlich und macht ihn so zum fotografierenden Soziologen und gesellschaftlichen Archivar.
For a number of years western photographers have been all over Chinese culture and, with their pictures, recording the everyday life of a country in apparent permanent upheaval. The Chinese people’s view of their own country, on the other hand, is rather seldom perceived in the West. The discovery of the oeuvre of Jiang Jian is all the more important. The now 61-year-old grew up during the Cultural Revolution, became solo violinist in the Henan Orchestra before deciding, in 1984, to become a photographer. In “Scenes” in the mid-1990s he documented the houses of the impoverished rural population, with “Masters” he then placed the rural population itself at the focus of his pictures. Finally, his series “Archives on Orphans” shows us full-length portraits of orphans against a black background. His pictures are not only formally and aesthetically reminiscent of those of August Sander – his interest in people makes him a photographing sociologist and a social archivist.
Ed van der Elsken: Love on the Left Bank
Jennifer CrowleyEd van der Elsken (1925–1990) gilt als einer der großen Straßen- und Reportagefotografen der 1950e-r bis 1970er-Jahre, sein Fotobuch Love on the Left Bank als Inkunabel des Genres und erste Fotonovelle. Beeinflusst von Bildmagazinen wie Picture Post und Fotobüchern wie Weegees Naked City oder Brassaïs The Secret Paris entstanden ab 1950 intime Bilder in den Cafés und Kellerlokalen von Saint-Germain des Prés. Die australische Tänzerin Vali Myers verschaffte ihm Zugang zu dieser Subkultur und wurde als Ann zur Hauptprotagonistin des Buches. Love on the Left Bank erzählt in neun Kapiteln die fiktive Geschichte einer unerfüllten Liebe im Paris der 1950er-Jahre aus der Ich-Perspektive – so verschmilzt der Fotograf mit dem männlichen Protagonisten Manuel. Das Buch entstand auf Rat von Edward Steichen, der die Fotografien 1953 in Paris sah, und mit Unterstützung der Foto-grafin Ata Kandó, van der Elskens Frau. In Zusammenarbeit mit dem Grafiker Jurriaan Schrofer entstand das für die Zeit äußerst innovative Layout, das ganzseitige Bildseiten im Anschnitt mit kleinformatigen Bildfolgen und Blindseiten kombiniert. Ebenso ungewöhnlich war die Direktheit der Bilder und der dazu gleichwertige erzählende Text van der Elskens. Die kurzen Bildlegenden greifen Textpassagen auf, wodurch parallele Erzählstränge entstehen, die doch zusammen gehören. 1956 erscheint das Buch in den Niederlanden bei De Bezige Bij und in Deutschland sowie eine „entschärfte Edition“ in England, wie die PhotoBookStudy verrät. 1999 erscheinen Reprints in England, Japan, den Niederlanden und Deutschland (hier im Schaden Verlag).
Markus Schaden, Frederic Lezmi und Nina Poppe haben Love on the Left Bank einer umfassenden Studie unterzogen, um die Historie der Entstehung und Editionen nachzuvollziehen. Dafür haben sie die unterschiedlichen Dummies und Ausgaben gesichtet sowie über die politischen Zirkel der Protagonisten und die Schauplätze der Fotografien recherchiert. Als Photo BookStudy wird das Buch mit den Rechercheergebnisse in Form von zusätzlichem visuellen Material und Notizen auf eine schwarze Wand aufgebracht, ohne dass die Dramaturgie der Bildstrecke und damit der Kern des Mediums verloren geht. Als PhotoBookStudy #1 wurde dieser Prototyp der „visuell aufbereiteten Sekundärliteratur“ , wie Markus Schaden das Konzept beschreibt, erstmals auf der Photokina 2010 präsentiert.
Ed van der Elsken (1925-1990) is regarded as one of the great street and reportage photographers of the 1950s1970s, his photobook Love on the Left Bank as the genre’s incunabulum and the first photo novella. Influenced by picture magazines such as Picture Post and photobooks such as Weegee’s Naked City or Brassaï’s The Secret Paris of the 30s, intimate pictures were taken in the cafés and cellar restaurants of Saint-Germain des Prés from 1950 onwards. The Australian dancer Vali Myers gained him access to this sub-culture and, as Ann, became the book’s main female protagonist. In nine chapters, Love on the Left Bank tells the fictional story of an unfulfilled love in 1950s Paris from the first-person perspective – the photographer thus merges with the male protagonist, Manuel.
The book was created on the advice of Edward Steichen, who saw the photographs in Paris in 1953, and with the support of photographer Ata Kandó, van der Elsken’s wife. Its layout – which was extremely innovative for the time – was created in collaboration with the graphic designer Jurriaan Schrofer, and combines full pages with bleed with small-sized image sequences and blank pages. The immediacy of the pictures, which were accompanied by van der Elsken’s equally important narrative text, was just as unusual. The brief captions reprise text passages, creating parallel – yet matching – narrative strands as a result. In 1956 the book was published in the Netherlands at De Bezige Bij and in Germany, along with a “defused edition” in England, as the PhotoBookStudy reveals.
1999 saw the publication of reprints in England, Japan, the Netherlands and Germany (in this case at Schaden Verlag).
Markus Schaden, Frederic Lezmi and Nina Poppe subjected Love on the Left Bank to thorough examination in order to trace the history of its creation and editions. To do this they viewed the various dummies and editions and researched the protagonists’ political circles and the photographs’ locations. As a PhotoBookStudy the book is affixed to a black wall with the research findings in the form of additional visual material and notes, without loss of the dramaturgy of the picture gallery and hence of the medium’s core. This prototype of “visually processed secondary literature”, as Markus Schaden describes the concept, was presented for the first time at Photokina 2010 as PhotoBookStudy #1
Chargesheimer. Köln 5 Uhr 30
Damian Zimmermann1970 veröffentlichte der Kölner Fotograf Chargesheimer sein letztes und berühmtestes Fotobuch: „Köln 5 Uhr 30“. Es zeigt seine Heimatstadt, wie man sie bis dahin noch nicht gesehen hatte: Scheinbar nüchtern-dokumentarisch fotografiert, sehen wir seinen düster-depressiven Blick auf eine menschenleere und von Nachkriegsbausünden verschandelte Stadt. „Köln 5 Uhr 30“ ist ein kritischmelancholischer Abgesang auf ein liebenswertes und zugleich sehr, sehr hässliches Köln.
1970 zeigte Chargesheimer „Köln 5 Uhr 30“ in einer Ausstellung auf der Photokina – als begehbare Installation. Das Projekt war allerdings zum Scheitern verurteilt, denn von den menschenleeren Straßenansichten war beim Messe-Trubel und vielen Tausend Besuchern nichts zu sehen. 44 Jahre später wagt nun Markus Schaden einen zweiten Versuch, indem er die Photokina-Ausstellung mit großformatigen Neuabzügen rekonstruiert. Um zu große Menschenmengen zu verhindern und gleichzeitig für eine authentische Köln-Atmosphäre zu sorgen, wird „Köln 5 Uhr 30“ abgeschottet im Kellergeschoss des PhotoBookMuseums zu sehen sein. Da weiß man jetzt nicht, ob man der Ausstellung viele oder nur wenige Besucher wünschen soll.
In 1970 the Cologne-based photographer Chargesheimer published his final and most famous photobook: “Köln 5 Uhr 30”. It features his home city the way no-one had ever seen it before: in apparently sober documentary style, his photographs show us his darkly depressive look at the city, deserted and disfigured by post-war construction sins. “Köln 5 Uhr 30” is a critically melancholic farewell to a lovely and simultaneously very, very ugly Cologne.
In 1970 Chargesheimer showed “Köln 5 Uhr 30” in an exhibition at Photokina – in walk-in installation form. The project was doomed to failure, however, as with the trade show bustle and many thousands of visitors nothing could be seen of the deserted street views. 44 years later, Markus Schaden is now venturing a second attempt by recreating the Photokina exhibition using large-format reprints. In order to prevent excessively large crowds and at the same time ensure an authentic Cologne atmosphere, “Köln 5 Uhr 30” will be on show in the basement of the PhotoBookMuseum. Nobody’s quite sure whether lots, or just a handful, of visitors are desired.
Die Photoszene, das PhotoBookMuseum, die Galerie Lichtblick und Pixum haben alle Kölner eingeladen, uns ihre ganz persönliche Sicht auf ihre Stadt zu schicken. Einzige Voraussetzung: Die Fotos mussten (als Hommage an „Köln 5 Uhr 30“ von Chargesheimer) morgens gegen 5 Uhr 30 fotografiert werden – also dann, wenn die Sonne langsam aufgeht, die Stadt aber noch schläft. Eine Jury, bestehend aus Markus Schaden, Wolfgang Zurborn und Tina Schelhorn, hat die besten Bilder ausgewählt. Sie wurden in einem Pixum Fotobuch sowie auf unserer Website veröffentlicht. (dz)
CHARGES HEIMER RELOADED
Photoszene, the PhotoBookMuseum, Galerie Lichtblick and Pixum invited all Cologne residents to send us their entirely personal view of their city. There was one condition: The photos (in homage to “Köln 5 Uhr 30” by Chargesheimer) had to be taken in the morning at about 5.30 a.m. – so when the sun is slowly rising, but the city is still asleep. A jury selected the best pictures. These have been published in a Pixum photobook and on our website. (dz)
JULE SCHAFFER
DOUBLE ELEPHANT
Die Galerie Thomas Zander zeigt die legendären Portfolios von Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans, Lee Friedlander und Garry Winogrand aus dem Jahr 1973.
Galerie Thomas Zander shows the legendary portfolios of Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans, Lee Friedlander and Garry Winogrand from 1973.
Lee Friedlander kann nicht nur fotografieren, er ist auch ein exzellenter Kurator: In der Galerie Thomas Zander werden vier Portfolios von Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans, Garry Winogrand und Friedlander selbst gezeigt, welche dieser 1973-74 für die Double Elephant Press in New York zusammenstellte. „Double Elephant“, ursprünglich eine britische Bezeichnung für Papiergröße und Art der Bindung, wurde laut Verlagsgründer Burt Wolf über die Jahrhunderte zum Synonym für höchste Qualität in Material und Ausführung und gab so der Double Elephant Press ihren Namen. Die Qualitätsmaßstäbe lassen sich auf die hochkarätige Ausstellung übertragen, die einige Fotografie-Inkunabeln präsentiert und eine kleine Geschichte jener Dokumentarfotografie des 20. Jahrhunderts entwirft, welche die Welt als „ultimate source of wonder and fascination“ (John Szarkowski) begreift:
Walker Evans Aufnahmen prägten seit den 1930er-Jahren nachhaltig das Bild der amerikanischen Gesellschaft. Mit Striking Worker, Murdered, 1934 oder Optical Parable, 1931 zeigt Manuel Álvarez Bravo sowohl politische als auch poetisch-surreale Momentaufnahmen Mexikos. Die nächste Generation betrat 1967 mit der von John Szarkowski kuratierten Ausstellung New Documents die große Bühne: Friedlander entdeckte die Stadt als Raum, in dem sich die Bilder spiegelnd überlagern, und legt subtile Symbole der amerikanischen Kultur offen. Das bekannte Foto eines Paares mit bekleideten Äffchen im Arm zeigt exemplarisch, wie Winogrand mit der Kamera kuriose Alltagsmomente einzufangen wusste.
Die Portfolios werden als Meilensteine präsentiert, ein treffender Begriff für die Fotografen und viele der Bilder in der Ausstellung, wie beispielsweise Friedlanders Selbstportrait als Schatten auf dem Pelzmantel einer Frau (New York City, 1966). Die Mappen in Gänze scheinen bislang weniger bekannt und ihre Präsentation als erste limitierte und signierte Portfolios in der Geschichte der Fotografie ist zumindest diskussionswürdig. Vertiefte Einblicke verspricht eine für Herbst geplante Publikation: „Double Elephant“ erscheint bei Steidl – ein Geschenk an Lee Friedlander, der dieses Jahr 80 wird, und an uns.
Double Elephant
Galerie Thomas Zander
6. September – 1. November 2014
Not only can Lee Friedlander take photographs, he is also an excellent curator: at Galerie Thomas Zander four portfolios by Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans, Garry Winogrand and Friedlander himself are on show, having been put together by the latter in 1973-74 for the Double Elephant Press in New York. “Double Elephant”, originally an british description for paper size and a type of binding, became synonymous over the centuries, says publishing house founder Burt Wolf, with the highest quality in material and design: which is why he gave the Double Elephant Press its name. These quality benchmarks can be transposed onto this worthwhile exhibition, which presents a few photography incunabula and a short history of that 20th-century documentary photography which understands the world as an “ultimate source of wonder and fascination” (John Szarkowski):
From the 1930s onwards, Walker Evans’s shots lastingly shaped the profile of American society. With Striking Worker, Murdered, 1934, or Optical Parable, 1931, Manuel Álvarez Bravo shows both political and poetically surreal snapshots of Mexico. The next generation took to the big stage in 1967 with the exhibition, curated by John Szarkowski, New Documents: Friedlander discovered the city as a space in which images are reflectively overlaid, and unlocks subtle symbols of American culture. The well-known photo of a couple holding a clothed monkey exemplarily demonstrates that Winogrand knew how to capture curious everyday moments on camera.
The portfolios are presented as milestones, an appropriate concept for the photographers and many of the pictures in the exhibition, like for example Friedlander’s self-portrait as shadows on a woman’s fur coat (New York City, 1966). The portfolios in their entirety appear little known so far and their presentation as the first limited and signed portfolios in the history of photography is at least worthy of discussion. In-depth insights are promised by a publication scheduled for the autumn: “Double Elephant” is coming out at Steidl – a gift to Lee Friedlander, who turns 80 this year, and to us.
Alle Ausstellungen des Photoszene-Festivals / All exhibitions of the Photoszene-Festival
Vom 16. bis 21. September macht der Deutsche Fotobuchpreis 2014 Halt beim Photoszene-Festival und wird im Museum für Angewandte Kunst Köln präsentiert. Seit 2003 zeichnet der Landesverband Baden-Württemberg des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels die besten Fotobücher mit dem „Deutschen Fotobuchpreis“ aus. Prämiert werden dabei die „besonderen Leistungen von Fotografen, Verfassern und Herausgebern, die eine fotografische Aufgabenstellung besonders gut gelöst bzw. präsentiert haben.“ Teilnehmen dürfen Bücher von Verlagen aus dem deutschsprachigen Raum, die eine Mindestauflage von 500 Exemplaren haben. Dabei wird in den vier Kategorien „konzeptionell-künstlerische Fotobildbände“, „Coffee Table Books“, „Fotogeschichte“ und „Fotolehr-buch“ unterschieden, in denen jeweils Preise in Gold und Silber verliehen werden. Zusammen mit allen nominierten Titeln werden die insgesamt über 200 Bücher anschließend weltweit ausgestellt. (dz)
Wir
Fotografie gilt als Leitmedium unserer Zeit. Doch es gibt kaum eine Diskussionsund Streitkultur ÜBER die Fotografie, wie es in der Literatur, der Musik oder dem Film selbstverständlich ist. Angelehnt an das „Literarische Quartett“ besprechen Damian Zimmermann (Photoszene), Markus Schaden (Schaden.com), Wolfgang Zurborn (Lichtblick School) sowie Oliver Rausch und Frank Dürrach (beide Fotoakademie-Koeln) live und vor Publikum vier Fotobücher und diskutieren sich mal liebevoll und wohlwollend, mal gemein und bösartig die Köpfe heiß. Die Veranstaltungen werden aufgezeichnet und anschließend online gestellt. Die erste Folge wird am 21. September 2014 im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) stattfinden. (dh)
From 16 until 21 September the German Photobook Award 2014 will be stopping off at the Photoszene Festival and presented at the Museum of Applied Art, Cologne. Since 2003 the German book trade association of Baden-Württemberg (Landesverband Baden-Württemberg des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) has been honouring the best photobooks with the “German Photobook Award”. Accolades go to the “special achievements of photographers, authors and publishers who have solved or presented a photographic challenge particularly well.” Participation is open to books by publishers in the German-speaking region that have a minimum circulation of 500 copies. There are four different categories: “conceptual / artistic photobooks”, “coffee-table books”, “photo history”, and “photo textbook”, and gold and silver awards are handed over in each. Together with all nominated titles the total of more than 200 books are then exhibited worldwide. (dz)
Photography is regarded as the defining medium of our times. Yet debating and disputing culture ABOUT photography, the way it is taken for granted in literature, music, or film, is almost non-existent. Affectionately and well-meaningly one moment, meanly and maliciously the next, and drawing inspiration from the “Literary Quartet” debates, Damian Zimmermann (Photoszene), Markus Schaden (Schaden. com), Wolfgang Zurborn (Lichtblick School) and Oliver Rausch and Frank Dürrach (both from Fotoakademie-Koeln) will be in heated conversation about four photobooks, live and in front of an audience. The events will be recorded and then put online. The first instalment will take place on 21 September 2014 at the Museum for Applied Art, Cologne (MAKK). (dh)
Unsere Gesellschaft neigt dazu, jene Mitglieder, die in den Funktionalismus des modernen Lebens nicht recht reinpassen wollen, als Problemfälle abzustempeln, ohne gleichzeitig im Rückschluss die Gelegenheit für eine selbstkritische Reflexion über die eigene Funktionalität zu nutzen. Fabian Weiss´ Fotoserie der Wolfskinder liefert einen Anstoß dies nachzuholen. Der Fotograf begab sich auf eine Reise in die Landschaft der Jugendarbeit in Deutschland und dokumentierte den Alltag innerhalb der verschiedenen Institutionen. Im Zuge dessen entstand ein vielseitiges Portrait, das tiefe Einblicke in beide Richtungen erlaubt – in die Befindlichkeiten der gezeigten Jugendlichen, aber auch in die Denkmuster und Umgangsstrategien, auf die unsere Hilfsangebote aufbauen. Weiss
möchte dabei unter anderem die entstehenden Prozesse nachzeichnen, die jene Jugendliche durchlaufen, nachdem sie mit dem sehr eindimensionalen Terminus “schwersterziehbar” stigmatisiert wurden. Seine Fotografien entwickeln dabei bisweilen eine sehr intime Poesie über einen hochzerbrechlichen Zustand: Die gesellschaftliche Absicht einer sozialen Wandlung seitens der Jugendlichen geht zwangsläufig immer an die Substanz der persönlichen Identität. Weiss´ einfühlsame Arbeit begleitet die Protagonisten bei dem Versuch, neue Züge an sich selbst zu finden, ohne dabei etwas von sich zu verlieren. Dass dies nicht leicht ist, beweist die erst in der seriellen Betrachtung sichtbar werdende Kollision von Momenten des Glücks und der Einsamkeit.
Mit seinen Fotos ist Fabian Weiß ganz nah dran an den Jugendlichen und ihren persönlichen Erlebnissen in den unterschiedlichen Therapieformen – sei es Sport, die Arbeit auf einem Bauernhof oder im „Spinnen-Netz“, über das sie von den anderen Jugendlichen getragen werden müssen, ohne das Netz zu berühren.
With his photos Fabian Weiß gets right up close to the young people and their personal experiences during the different forms of therapy – be it sport, working on a farm or in the “spider’s web”, over which they must be carried by other young people without touching the net.
Our society tends to brand those of its members who do not quite fit in with the functionalism of modern life as problem cases, without at the same drawing from this the opportunity to reflect self-critically on its own functionality. Fabian Weiss’s photo series Wolfskinder delivers a prompt to put this right. The photographer went on a journey into the landscape of youth work in Germany and documented everyday life at the various institutions. In the course of this a diverse portrait arose that enables deep insights in both directions – into the states of mind of the young people shown, but also into the thought patterns and tactical strategies on which our offers of help are based. In the process Weiss wishes, among other things, to portray the emerging processes
these young people go through once they have been stigmatized with the highly one-dimensional term “extremely difficult to educate”. Along the way his photographs occasionally develop a very intimate poetry on a highly fragile state: The societal purpose to socially transform the young people necessarily makes more and more incursions into the substance of personal identity. Weiss’s empathetic work accompanies the protagonists in their attempt to discover new traits in themselves without losing anything of themselves in the process. That this is not easy is proven in the collision, visible only when the photographs are examined serially, between moments of happiness and moments of loneliness.
TAMARA LORENZ
Analytisch und doch sehr sinnlich: Ähnlich wie in der Mathematik untersucht Tamara Lorenz selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster.
Analytical and yet highly sensory: As in mathematics, Tamara Lorenz examines self-created abstract structures for their properties and patterns by means of logic.
An die Wand und aneinander gelehnte Holzlatten – fragile Konstruktionen, die jeden Moment zusammenzufallen drohen: Mit ihrem Werkkomplex „Pragmatische Prinzipien“ schafft Tamara Lorenz 2005 Kompositionen für die Kamera, die die Gravitation außer Kraft zu setzen scheinen. Tragende Elemente wirken schwebend und fallende funktionieren als Stützen.
Ihre jüngsten Fotografien (o.T., 2013) verbinden Analytik mit sinnlichem Interesse, unterscheiden sich aber durch ihre starke Farbigkeit von den früheren Arbeiten. Ihr Aufbau erinnert an die geometrischen Arbeiten von Malewitsch. Man vergisst kurzzeitig, dass es sich um Fotografien handelt. Licht wird bei ihren analogen Fotografien so eingesetzt, dass Flächen plötzlich räumlich erscheinen. Räumlichkeit wird ausgespielt gegen die Fläche: Ganz nach subjektiver Wahrnehmung scheint sie mal nach vorne, mal nach hinten zu klappen. Auf diese Weise erreicht Tamara Lorenz geradezu einen Trompe-l’œil-Effekt, der Dreidimensionalität vortäuscht und den Betrachter aus einer vermeintlich allwissenden und objektiven Rolle enthebt.
Ähnlich wie in der Mathematik untersucht Tamara Lorenz selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster. Ihre Ideen von Realitäten werden eingefasst in geometrische, künstliche Schablonen. Die Untersuchung von wahrgenommenem (konstruiertem) Bild und Realität spielt dabei eine zentrale Rolle – analog zur Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus, dem zufolge jede Wahrnehmung vollständig subjektiv ist.
Seit etwa 2001 stellt Tamara Lorenz, die 2006 das Chargesheimer Stipendium der Stadt Köln erhalten hat, selbst gebaute Objekte in den Fokus. Ihr Interesse gilt dem bildnerischen Prozess, doch dabei beschränkt sie sich nicht auf das Medium Fotografie. Die Objekte an sich und vor allem die Videoarbeiten greifen auf, was ein Foto nicht vermag – sie decken Schwachstellen auf und entlarven Funktionen, die in der Fotografie verschleiert bleiben. Vertonung und Perspektivenwechsel stellen die Objekte im Video in einen neuen erweiterten Sinnzusammenhang. Im Gegensatz zum Video geht es ihr bei der Fotografie um den Wunsch, den perfekten Moment festzuhalten.
Wooden slats leaning against the wall and against one another – fragile constructions that threaten to collapse at any moment: With her complex of works “Pragmatic Principles”, in 2005 Tamara Lorenz created compositions for the camera that seem to defy gravity. Supporting elements seem to be floating and falling ones function as props.
Her latest photographs (untitled, 2013) combine analytics with sensory interest, but with their pronounced colourfulness they differ from the earlier works. Their structure is reminiscent of works by Malevich. One forgets for a moment that these are photographs. Light is used in her analogue photographs in such manner that surfaces suddenly appear spatial. Three-dimensionality is played off against the surface: entirely depending on subjective perception, the surface appears to flap now forwards, now back. In this manner Tamara Lorenz virtually achieves a trompe-l’oeil effect, which fakes three-dimensionality and relieves the beholder of a supposedly all-knowing and objective role.
As in mathematics, Tamara Lorenz examines self-created abstract structures for their properties and patterns by means of logic. Her notions of realities are enclosed in geometric, artificial templates. Examination of perceived (construed) image and reality plays a central role at the same time – analogously to the epistemology of Radical Constructivism, according to which all forms of perception are completely subjective.
Since about 2001 Tamara Lorenz, who received the Chargesheimer Fellowship of the City of Cologne in 2006, has been putting self-built objects at the focus. Her interest lies in the artistic process, but she does not limit herself to the medium of photography at the same time. The objects in themselves and in particular the video works take up what a photo is not able to do – they uncover weak points and reveal functions that remain veiled in photography. Sound on vision and perspective change place the objects in the video in a new widened sensory context. In contrast to video, her concern in photography is the desire to record the perfect moment.
JIM DINE
Der Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker Jim Dine widmet sich seit den 1990er Jahren auch der Fotografie. Ein immer wiederkehrendes Motiv sind Werkezeuge, für die er sich seit seiner Kindheit interessiert und die auch ein wichtiger Teil seiner Arbeiten sind.
The painter, graphic artist, sculptor and lyricist Jim Dine has been devoted to photography as well since the 1990s. A recurring motif of his are tools, which he has been interested in since childhood and which are also an important part of his works.
TEXT: FRANCESCA VALENTINI
Schraubenschlüssel, Farben, Zangen, Bilder und deren Fragmente. Der US-amerikanische Künstler Jim Dine, geboren 1935, hat die Kamera auf seine Werkzeuge gerichtet. In den dabei entstandenen etwa 80 großformatigen Schwarz-Weiß- und Farbfotografien sowie Heliogravüren will er die enge Verbundenheit zu den Instrumenten ausdrücken, die er seit dem Beginn seiner facettenreihen künstlerischen Laufbahn in seinem Werk eingesetzt hat. Gerade wegen ihrer ästhetischen Bedeutung setzte Dine seit Anfang der 1960er-Jahre Werkzeuge auch als Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit selbst ein.
Dabei wurde Dine früh geprägt: Sein Vater besaß einen Malerei- und Klempnerbedarf, sein Großvater führte einen Eisenwarenladen. Dessen Keller prägte ihn am meisten – „ein dunkler, wundervoller Ort, der nach Hanf und Eisen roch“ –, wo eine gefährliche Rohrtrennmaschine auf ihn wie „eine große visuelle Symphonie“ wirkte. Die in Köln gezeigten Fotografien stammen aus der Zeit zwischen 2001 und 2013. Sie stellen für Dine eine Metapher seines gesamten Lebens sowie seiner künstlerischen Laufbahn dar.
Wrenches, colors, pliers, pictures and their fragments…. Focusing his camera lens on his tools, American artist Jim Dine, born in 1935, reveals in around eighty large-format black-and-white and color photographs as well as heliogravoures the intimate relationship that binds him with the implements he has deployed in his work from the beginning of his multifaceted artistic career. It is precisely because of their aesthetic significance that Dine has also been using tools as a component of his artistic work itself since the beginning of the 1960s.
Dine was influenced early on: his father owned a painter’s and plumber’s supplies store, his grandfather ran an ironmongery. The basement of this had the biggest influence on him – “a dark, wonderful place, smelling of hemp and iron” – where a dangerous pipe separation machine had an effect on him “like a big visual symphony.”
The photographs on show in Cologne were executed between 2001 and 2013. In Dine’s view, they form a metaphor for his whole life and for his artistic career.
UWE MÜLLER
Mit „I’m here“ lässt Uwe Müller Obdachlose im wahrsten Sinne des Worte aus dem Schatten ihres Daseins heraustreten.
With “I’m here” Uwe Müller has homeless people step out of the shadows of their existence in the truest sense of the word.
Was machen Armut und Obdachlosigkeit mit einem Menschen? Wie verändert sich sein Wesen, wenn die wichtigsten Säulen der menschlichen Identität wie soziale Beziehungen und materielle Sicherheit ins Schwanken geraten oder gänzlich wegbrechen? Das waren die Ausgangsfragen für Uwe Müller, Absolvent der Ostkreuzschule und der Fotoakademie-Koeln, als er begann, Obdachlose zu porträtieren. Direkt und ungeschönt treten sie im wahrsten Sinne des Wortes aus der Dunkelheit heraus. Müllers Blitzlicht wirkt gnadenlos und schmeichelhaft zugleich. Es verleiht den Männern und Frauen die Aura barocker Herrscherporträts –höchst zerbrechlicher Herrscherporträts, denn dass sie den direkten Blick des Betrachters meiden, hat kaum etwas mit Stolz, sondern eher mit Unsicherheit zu tun. Die übliche Situation, dass man auf der Straße dem Blick dieser Menschen ausweicht, wird hier umgedreht. Der Betrachter wird zum Voyeur im positiven Sinne.
What do poverty and homelessness do to a person? How does his or her essence change when the most important pillars of human identity, like social relationships and material security, topple or crumble entirely away? These were the starting questions for Uwe Müller, a graduate of the Ostkreuz School and of the Fotoakademie-Koeln, when he began to make portraits of the homeless. Directly and unprettified, they step out of the darkness in the truest sense of the word. Müller’s flash has a simultaneously merciless and flattering effect. It lends the men and women the aura of baroque ruler portraits – highly fragile ruler portraits, for the fact that they shun the beholder’s direct gaze is hardly to do with pride, but rather with insecurity. The normal situation – where one avoids the gaze of these people on the street – is reversed here. The beholder becomes a voyeur in the positive sense.
“Ich mag keine zu Professionellen. Solche, die das nur ab und zu machen, bringen mehr Leistung. Gestern hat die danach gesagt: ‚Das war der schönste Sex meines Lebens‘. 50 Euro. Da stimmt das Preis-Leistungsverhältnis.”
Günther, 55, Gastwirt, geschieden, 1 Sohn
“I don’t like the ones who are too professional, I prefer those who make it only now and then. They perform better. My last one said afterwards: ‘That was the best sex in my life’. 50 Euros. The price-performance ratio is simply right.”
Guenther, 55, divorced, pub owner, 1 son
Bettina Flitner
Charakteristisch für Bettina Flitners Arbeit sind serielle Fotoessays, in denen sie Bild und Text miteinander kombiniert und ihre Protagonisten zu Wort kommen lässt: Rechtsradikale genauso wie Menschen nach dem Mauerfall. Bei der Photographer’s Night im Rahmen des Photoszene Festivals 2012 war der Ressortleiter der Stern-Bildredaktion, Andreas Trampe, so begeistert von Flitners Herangehensweise, dass er ihr spontan einen Auftrag anbot. Daraus entstand ihre Porträtserie über Freier.
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Damian Zimmermann traf sie zum Interview in ihrem Atelier.
Andreas Trampe bietet dir an, dass du eine Serie für den Stern fotografieren kannst, und du schlägst ihm nackte Männer vor, die auf der Bettkante sitzen und erzählen, warum sie gerne in den Puff gehen. Wie war seine Reaktion?
Er fand das gleich sehr interessant. Aber er hat auch sofort gesagt: „Das schaffst du nie, die lassen sich niemals fotografieren.“
Dann hat es aber doch geklappt im Stuttgarter Großbordell „Paradise“.
Ja, der Besitzer Jürgen Rudloff wirbt ja sehr gerne für seine Häuser, auch in diversen Talkshows, sogar einen „Pressesprecher“ hat er. Ich habe ihn gefragt und er hat schnell zugesagt.
Ganz neu ist das Thema für dich nicht – bereits 1994 hast du eine Serie über Sextouristen in Thailand fotografiert. Damals allerdings noch als Reportage ohne Text neben den Bildern. Warum hast du dich für „Freier“ für eine andere Bildsprache entschieden?
Weil mich die Gründe interessiert haben, warum manche Männer ins Bordell gehen. Und das kann man nicht durch reine Beobachtung erfahren, sondern man muss sie fragen. Vor Ort hatte ich tatsächlich überlegt, zusätzlich situative Bilder von der Atmosphäre an der Bar zu machen, aber das war nicht möglich. Absolutes Fotografierverbot.
Du hättest deine vorher geplante Bildsprache also während deines Aufenthaltes gar nicht mehr in Richtung Reportage ändern können?
Richtig. Manchmal hat man ja vorher eine Idee, und dann ist alles ganz anders. Aber bei der Freier-Serie war wirklich alles so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Mal abgesehen davon, dass du in deinen Serien gerne Bild-TextKombinationen wählst, lässt du auch Menschen zu Wort kommen, die normalerweise nicht zu Wort kommen. Siehst du das als deine Aufgabe: dass das Unausgesprochene ausgesprochen wird?
Genau. Ich finde, es gibt nichts Gefährlicheres, als wenn unausgesprochene Aggressionen oder Spannungen im Untergrund lauern. Egal, ob es Rechtsradikale oder Frauen mit Tötungsfantasien sind. Alles, was man ausspricht, wird ja greifbar. Und dann liegt es vor einem und man kann es sich genauer ansehen. Und sich seine eigene Haltung dazu klar machen. Verständlich, dass diese Arbeitsweise oft große Emotionen auslöst. Zum Beispiel bei der Arbeit „Ich bin stolz, ein Rechter zu sein“ über rechtsradikale
Jugendliche. Auf der Art Cologne kam es zu heftigen Diskussionen. Viele fanden, ich hätte drunter schreiben müssen, dass ich dagegen bin.. Aber genau darum ging es ja: Man muss sich seine eigenen Gedanken machen. Eine Frau aus Israel, sagte zu mir: „Das ist eine absolute Unverschämtheit, dass Sie die so zu Wort kommen lassen.“ Nach vier Stunden kam sie zurück und sagte: „Ich habe jetzt verstanden, was Sie machen und warum.“ Das passiert nicht immer, aber wenn es passiert, dann ist es großartig.
Es ist ja ein Dauerthema der Fotografie, dass man sich fragt, wieviel kann ein Foto alleine eigentlich transportieren? Die Texte geben deinen Fotos den Feinschliff.
„Warum ich für Sex bezahle? Frauen gehen mir oft auf den Sack. Sie machen Stress. Dafür zu zahlen, das hat was. Ins Gesicht abspritzen kostet 50 extra. Eigentlich ist das Macht. Man kann mit der Frau machen, was man will.“
Christian, 23, Kaufmann, Single
“Why I pay for sex? Women are often a pain in the ass. If I want to fuck I go here - and I leave. That’s it. A girlfriend often bores me after a short time. And to pay for sex has that certain something. In a way, that’s power. You own the woman. You can do with her whatever you want.”
Christian, 23, forwarding merchant, single
Es ist dieser Luftzug zwischen Text und Bild, den ich interessant finde. Diese zweite Dimension kann die Bildaussage verstärken oder man kann auch eine gegenläufige Spannung erzeugen. Wenn der Freier da so behäbig auf dem Bett sitzt und sagt „Da stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis“, da muss man dann irgendwie auch lachen.
Wenn du eine Serie konzipierst und weißt, dass du auf jeden Fall mit Text arbeiten wirst, baust du die Bilder dann anders auf, weil du ja weißt, es kommt eh noch Text dazu?
Ja. Tue ich. Wenn ich keinen Text habe, muss das Bild selbst alles übernehmen. Bei BildText-Kombinationen kann das Bild klarer sein und muss weniger Beziehungen einfangen zwischen den Menschen. Bei meiner „Reportage aus dem Niemandsland“ würden einzelne Bilder auch alleine funktionieren, weil da immer auch noch viel Umgebung zu sehen ist. Trotzdem bekommen sie durch die Texte noch so eine Unterschleife. Manchmal habe ich die Menschen nach dem Gepräch auch noch einmal neu fotografiert, als ich einen Text zu ihnen hatte. Zum Beispiel die Frau, die für ihre Beerdigung spart, die habe ich dann auf die Treppe vor den Abgrund gestellt.
Für „Ich bin stolz, ein Rechter zu sein“ bist du dafür angefeindet worden, dass du den Leuten ein Forum für ihre kruden Ansichten bietest. Hast du solche Reaktionen auch bei anderen Serien erlebt?
Ja. Aber die Freier sind zum Beispiel offener aufgenommen worden als ich dachte. Mir haben auch einige Ex-Freier geschrieben, die dankbar waren, dass ich das Thema zur Diskussion gestellt habe. Bei den Rechten bin ich viel mehr angefeindet worden von Leuten, die sagten: „Das darf man nicht zeigen.“
Wenn man aber auch bei schwierigen Themen offen den Menschen gegenüber ist –selbst, wenn es manchmal schwer fällt –, und dabei trotzdem eine Haltung hat, dann kann man sehr viel erfahren und auch zeigen.
Bettina Flitner ist während des Photoszene-Festivals mit gleich zwei Ausstellungen vertreten: In der Laif Galerie sind ihre „Freier“ zu sehen, im Kulturforum in Herz Jesu zeigt sie ihre „Reportage aus dem Niemandsland“. Außerdem präsentiert sie vom 18. Januar bis 18. April 2015 in den Kunsträumen der Michael-Horbach-Stiftung eine Gesamtschau mit Arbeiten aus den vergangenen 25 Jahren.
Bettina Flittner
Bettina Flitner is represented with not one, but two exhibitions during the PhotoszeneFestival: At Laif Galerie her “Freier” can be seen, while at the Kulturforum in Herz Jesu she is showing her “Reportage aus dem Niemandsland”. In addition, from 18 January until 18 April 2015 in Stuttgart in the art galleries of the Michael Horbach Foundation she will be presenting a synopsis featuring works from the past 25 years. www.bettinaflitner.de
Characteristic of Bettina Flitner’s work are serial photo essays in which she combines image and text and gives her protagonists a voice: far-right extremists and people after the fall of the Wall alike. At Photographer’s Night as part of Photoszene Festival 2012 the department head of the Stern picture editing team, Andreas Trampe, was so enthused by Flitner’s approach that he offered her an assignment on the spot. The result of this was her series of portraits of punters. - - - - - -
Damian Zimmermann met her for an interview in her studio.
Andreas Trampe offers you the chance to photograph a series for Stern, and you suggest naked men who sit on the edges of beds and talk about why they enjoy visiting brothels. How did he react?
His immediate reaction was interest. But he also said straight off: “You’ll never manage that, they’ll never agree to be photographed.”
But then it worked out after all at the big Stuttgart brothel “Paradise”.
Yes, the proprietor Jürgen Rudloff is always happy to promote his establishments, on various talk shows as well, he even has a “press spokesman”. I asked him and he quickly agreed.
The topic’s not entirely new to you – back in 1994 you photographed a series about sex tourists in Thailand. But still in reportage form at the time, with no text next to the pictures. Why did you opt for a different visual language for “Johns“?
Because I was interested in the reasons why some men visit brothels. And you can’t find that out just by observing, you have to ask them. Once I was there I did actually think about taking situational pictures of the atmosphere at the bar as well, but that wasn’t possible. Total photography ban.
Aus dem Osten? Nee. Wir wohnen seit 30 Jahren in Kreuzberg. Wir waren noch nie drüben. Da gehen wir auch jetzt nicht hin. Was sollen wir denn da?
From the East? Not us. We’ve been living in Kreuzberg for 30 years now. We’ve never been to the other side. No intention of going there now either. What should we do there?
So you couldn’t have switched your previously planned visual language back to reportage during your stay?
That’s right. Sometimes, yes, you do have an idea beforehand, and then it’s all totally different. But with the punters series everything really was the way I’d had in mind.
Leaving aside the fact that you enjoy choosing image/text combinations in your series, you also give a voice to people who don’t normally have one. Do you see that as your task: to get the unsaid said?
I do. I think there’s nothing more dangerous than when unexpressed aggressions or tensions lurk in the underground. No matter whether it’s far-right extremists or women who dream of killing. After all – everything that’s said out loud becomes tangible. And then you have it in front of you and you can take a closer look at it. And take your own clear stance on it. It’s understandable that this way of working often causes big upsets. With the work, “I’m proud to be a right-winger” about extreme-right youths, for example. It caused violent debates at Art Cologne. Many people thought I should’ve written underneath that I’m against it. But that was precisely the point: you need to form your own opinion. A woman from Israel said to me: “It’s absolutely outrageous that you’re giving them a voice this way.” After 4 hours she came back and said: “Now I understand what you’re doing, and why.” That doesn’t always happen, but when it does happen, it’s great.
There’s this constant theme with photography, you ask yourself: How much can one photo actually convey by itself? The texts give your photos the finishing touch.
It’s this puff of air between text and image that I find interesting. This second dimension can amplify the image’s
Was? Sie sind nicht verheiratet? Also alleinstehend. Wie meine Mutter. Wir werden jetzt alle arbeitslos, sagt sie.
What? You’re not married? You are a single parent then. Like my mother. She says we’re all going to be out of work.
statement or you can also generate a contrary tension. When the punter sits there so sedately on the bed and says, “The price/performance ratio’s right”, somehow you just have to laugh.
When you’re devising a series and you know that you are definitely going to be working with text, do you then structure the pictures differently because you know there’s going to be a text added?
Yes. I do. If I don’t have a text, the image itself has to take on everything. With image/text combinations the image can be clearer and doesn’t have to capture so many relationships between people. With my “Reportage from no man’s land” individual images would also work on their own, because there’s still plenty of surroundings to be seen as well. Nevertheless, the texts give them a kind of sub-loop, too. Sometimes I’ve even photographed people again after the interview once I had a text on them. For example, the woman who’s saving for her funeral, I then posed her on the stairs, facing the abyss.
For “I’m proud to be a right-winger” you earned yourself enemies for offering people a forum for their crude views. Have you experienced reactions like that for other series as well?
Yes. But the punters, for example, were more openly accepted than I’d thought. A few ex-punters even wrote to me, grateful that I’d put the topic up for discussion. With the right-wingers I earned myself many more enemies in people who said: “That shouldn’t be shown”. But when you’re open towards people, even with difficult topics – even if it’s difficult sometimes – and nevertheless have a stance, you can learn, and also show, a lot.
Ich hab´ 500 Mark im Monat. Früher hat das Essen 30 Pfennige gekostet, jetzt kommt´s aus dem Westen und kostet ab nächste Woche 4 Mark. Dann hör´ ich auf zu essen und spar´ auf die Beerdigung.
I get 500 marks a month. A meal used to cost me 30 pfennigs, now it comes from the West and as of next week it’ll cost 4 marks. I’ll stop eating and start saving for my funeral.
Klaus Benden
Als Klaus Benden aufhörte amerikanische Pop Art-Kunst zu sammeln, fragte er sich, wie es weitergehen sollte. Schließlich ist Sammeln auch ein bisschen wie eine Sucht. Allerdings wollte sich der Kölner Galerist nicht thematisch festlegen. Also sammelte er einfach, was ihm gefiel. Und ihm gefiel viel, denn mittlerweile ist seine neue Sammlung auf 550 Arbeiten angewachsen. Rund ein Viertel davon ist Fotografie oder Kunst, die er dem Medium Fotografie zuordnet – wie die Zeichnungen von Franz Burkhardt. Der stellt seine zynisch-erotischen Bilder in altmodisch-kitschigen Bilderrahmen auf Kaminattrappen wie Familien die Fotos ihrer Verwandten. Aber natürlich sammelt Benden auch „richtige“ Fotografien, zum Beispiel die von Robert Mapplethorpe, Jürgen Klauke, Wolf Vostell, Ulrich Tillmann, Anna Virnich, Horst Adameit und Iriana Polin. Nun präsentiert er seine Fotosammlung nicht nur erstmals der Öffentlichkeit, sondern zudem auch an einem sehr außergewöhnlichen Ort – nämlich in einem leerstehenden Kinderkrankenhaus aus dem Jahr 1914. (dz)
Gebäude des ehemaligen Kinderkrankenhauses / Former children’s hospital building Pallenbergstrasse 24 50737 Köln
19. September, 17h / 5 p.m., bis / until 21. September 2014
Am 21. September um 15 Uhr bietet Klaus Benden eine Führung an. / On 21 September at 3 p.m. Klaus Benden will be leading a tour.
When Klaus Benden stopped collecting American Pop Art, he wondered what he could move on to next. Collecting is somewhat addictive, after all. The Cologne gallery owner did not want to pin himself down to one theme, though – so he simply collected what he liked. And he liked a lot, as his collection has now grown to 550 works. Around a quarter of these are photographs or artworks that he places under the category of photography – like the drawings of Franz Burkhardt. Burkhardt puts his cynical, erotic pictures in oldfashioned kitsch picture frames on mantelpieces, the way families do it with photos of their relatives. But Benden also collects “proper” photographs too, of course, for example those by Robert Mapplethorpe, Jürgen Klauke, Wolf Vostell, Ulrich Tillmann, Anna Virnich, Horst Adameit and Iriana Polin. Now he is not only presenting his photo collection to the public for the first time, but he is also doing it at a very unusual location – namely in an unoccupied children’s hospital from 1914. (dz)
Das Leiden anderer betrachten Regarding the Pain of others
Die Photographer’s Night geht der Frage nach, was Reportagefotografie heute noch bewirken kann. The Photographer’s Night will pursue the question of what reportage photography can still achieve today –and how it needs to be appropriately presented.
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Im April dieses Jahres wurde die deutsche Kriegsfotografin Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen. Nur einen Monat später starb ihre französische Kollegin Camille Lepage in der Zentralafrikanischen Republik. Zur gleichen Zeit erschien das Fotobuch „War Porn“ von Christoph Bangert – es zeigt, was wirklich auf den Festplatten von Kriegsfotografen schlummert, was wir aber nie zu sehen bekommen, weil Magazine sie nicht abdrucken: Leichen auf Müllhalden, an denen Hunde bereits gefressen haben; tote und schwerverletzte Kinder; Brand-, Tsunami- und Minenopfer. Die diesjährige Photographer’s Night geht der Frage nach, was Reportagefotografie und moderner Fotojournalismus heute noch bewirken können, ob es überhaupt moralisch zu rechtfertigen ist, Fotografen in Krisengebiete zu schicken und welche Präsentationsformen adäquat für solch mitunter hochkomplexen Inhalte sind. Die Fotografen Christoph Bangert, Daniel Etter, Dominic Nahr und Gerd Ludwig werden ihre Arbeiten und Positionen vorstellen und versuchen in einer Diskussionsrunde Antworten auf diese Fragen zu finden. Durch den Abend führt der Journalist und Rundfunkmoderator Jörg Biesler. (dz)
Photographer’s Night Museum für Angewandte Kunst Köln
18. September 2014, Einlass 19.45 Uhr / admission 7.45 p.m. Beginn 20.15 Uhr / start 8.15 p.m. Tickets (19 Euro plus 3,50 VVK-Gebühr / advance sales fee) unter www.photographersnight.de und / and Telefon 0221 - 801 68 68
In April this year the German war photographer Anja Niedringhaus was shot in Afghanistan. Just one month later her French colleague Camille Lepage died in the Central African Republic. At the same time the photobook “War Porn” was published by Christoph Bangert – it shows what really slumbers on war photographers’ hard drives, which we will never get to see because magazines do not publish them: corpses on garbage dumps, already partially devoured by dogs; dead and seriously injured children; fire, tsunami and mine victims.
This year’s Photographer’s Night will pursue the question of what reportage photography and modern photojournalism can still achieve today, whether it is at all morally justifiable to send photographers into war zones, and what forms of presentation are appropriate for such sometimes highly complex content. The photographers Christoph Bangert, Daniel Etter, Dominic Nahr and Gerd Ludwig will present their works and positions and attempt, in a joint discussion round, to find answers to these questions. The journalist and radio presenter Jörg Biesler will be the evening’s guide. (dz)
Unbeugsam und ungebändigt Intractable and Untamed
Jennifer CrowleyDie Annahme, dass Fotografie die Realität abbilde, begleitet das Medium von Anfang an – genauso wie die Frage, ob sie Kunst sein könne oder nicht. Als explizit „dokumentarisch“ werden Fotografien jedoch erst ab 1928 bezeichnet, in Abgrenzung zur „Kunstfotografie“ jener Zeit. Auch der französische Fototheoretiker Roland Barthes war fasziniert von dem fotografischen Bild als Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Sein „es ist so gewesen“ zur Beschreibung des Wesens der Fotografie im Essay „Die helle Kammer“ von 1979 ist legendär.
Die Ausstellung stellt die Frage, ob man heute an Roland Barthes anknüpfen kann, wobei die Zweiteilung von Fotografie in Kunst oder Abbild der Realität mittlerweile (scheinbar) aufgehoben ist: „In Zeiten umfassender gesellschaftlicher Umbrüche wird die Fotografie zu einem wichtigen Medium. Denn als Abbild der Wirklichkeit besitzt sie eine unmittelbare Wirkung, die Roland Barthes ‚ungebändigt‘ nannte. Es ist dieser direkte Realitätsbezug, der das Dokumentarische als künstlerische Haltung in Umbruchzeiten bedeutsam macht – ‚das Erwachen der unbeugsamen Realität‘ in Barthes Worten. Das gilt zum Beispiel für die Jahre um 1979 –der Beginn der sogenannten Krisenjahrzehnte, deren Auswirkungen die weltweiten ökonomischen und politischen Verhältnisse bis heute prägen,“ erläutert die Kuratorin der Ausstellung, Barbara Engelbach.
Gezeigt werden 13 Fotografen und Künstler, die sich über längere Zeit mit einem Thema auseinandersetzten, sodass im Mittelpunkt der Ausstellung nicht das foto-
grafische Einzelbild, sondern die Serie steht. Die Projekte entstanden von Deutschland über die USA bis Südafrika, Indien und Japan und reflektieren immer auch die sozialpolitische Situation – manche sind geradezu aus einer politischen Notwendigkeit heraus entstanden, wie David Goldblatts “The Transported of KwaNdebele” von 1983/84. Eine Bestandsaufnahme der Menschen ihrer Zeit zeigen hingegen Derek Bennetts „Stille Zwiesprache“ und Thomas Ruffs „Porträts“. Mit dem Lebensraum des Menschen, dessen Bedingungen und Veränderungen befassen sich Joachim Brohms „Ruhrlandschaften“ und Miyako Ishiuchis „Apartment“. Den Mensch in seinem Umfeld thematisieren Robert Adams „Our Lives and Our Children“ oder Boris Mikhailovs „Rote Serie“ und „Series of Four“. Weitere Positionen stammen von Candida Höfer, Karl C. Kugel, Gabriele und Helmut Nothhelfer, Raghubir Singh, Ute Klophaus und Sanja Iveković.
The assumption that photography depicts reality has accompanied the medium from the start – just like the question of whether it can, or cannot, be art. Photographs were not described as explicitly “documentary” until 1928 onwards, though, in delimitation from the “artistic photography” of that time. The French photo theoretician Roland Barthes was also fascinated by the photographic image as a link between present day and past. His “the thing has been there”, formulated as he described photography’s essence in the essay “Camera Lucida” of 1979, is legendary.
The exhibition poses the question of whether it is possible, today, to draw a link to Roland Barthes now that the division of photography into either art or depiction of reality has been (apparently) abolished: “Photography becomes an important medium in times of widespread societal upheavals. This is because, as a depiction of reality, it
Unbeugsam und ungebändigt: Dokumentarische Fotografie um 1979 Museum Ludwig bis / until 5. Oktober 2014
is invested with an immediate effect that Roland Barthes called ‘untamed’. It is this direct reference to reality that makes the documentary significant as an artistic approach in times of upheaval – ‘the awakening of intractable reality’, in Barthes’s words. This applies for the years around 1979, for example – the beginning of the so-called crisis decades, the impacts of which are shaping global economic and political relations to this day,” explains the exhibition’s curator, Barbara Engelbach.
On show are 13 photographers and artists who have been dealing with one theme for a lengthy period, so that the exhibition’s focus lies not on the single photographic frame but on the series. The projects were realized in a range of countries, from Germany through the USA to South Africa, India and Japan, and always reflect the socio-political situation – some of them were virtually born out of political necessity, like David Goldblatt’s “The Transported of KwaNdebele” of 1983/84. An inventory of people of their time, by contrast, is shown by Derek Bennett’s “Stille Zwiesprache” (A Silent Dialogue) and Thomas Ruff’s “Porträts”. Man’s habitat, its conditions and changes are dealt with by Joachim Brohm’s “Ruhrlandschaften” (Ruhr Landscapes) and Miyako Ishiuchi’s “Apartment”. Man in his environment is the topic of Robert Adam’s “Our Lives and Our Children” or of Boris Mikhailov’s “Rote Serie” (Red Series) and “Series of Four”. Further positions are Candida Höfer, Karl C. Kugel, Gabriele and Helmut Nothhelfer, Raghubir Singh, Ute Klophaus and Sanja Iveković.
Zwischen den Klischees Between the clichés
Afrika ist ein geographisch wie kulturell und politisch in höchstem Maße diverser Kontinent. Unser westliches Afrika-Bild kennt hingegen meist nur zwei generalisierende Klischees: der Sehnsuchtsort und die apokalyptische Dauerkrise. Thomas Dorns Portraitserie deckt die Vielfältigkeit des Kontinents am Beispiel der musikalischen Traditionen auf. Ein Schwerpunkt der Ausstellung aber liegt auf Südafrika: Per-Anders Petterssons Arbeit kann dabei als Folgenanalyse des Endes der Apartheid gelesen werden. Diese scheint wiederum für Obie Oberholzers Diskurs über südafrikanisches Glück, der einen scharfen Kontrapunkt zu Grarups Dokumentation über die kriegsgebeutelte somalische Gesellschaft bildet, kaum mehr eine Rolle zu spielen. Und Peter Bialobrzeski beweist mit seiner Serie von Slumhütten-Interieurs, dass das Bedürfnis nach einer Gestaltung des Lebensraums unabhängig von dessen Beschaffenheit existiert. Dieser Ansatz korrespondiert wiederum mit Christian Lutz, der die kontrastierenden Bilder des Profits und der Schäden der nigerianischen Ölindustrie in einer filmischen Ästhetik widergibt und somit gleichzeitig die Unnahbarkeit der Vorgänge in seine Darstellung integriert. (jt)
Views on Africa
Laif in den Kunsträume der Michael Horbach Stiftung 20. September – 19. Oktober 2014
Africa is a maximally diverse continent, both culturally and politically. Our image of Africa in the west, however, usually includes just two generalizing clichés: the yearned-for land and the apocalyptic enduring crisis. Thomas Dorn’s portrait series discloses the continent’s diversity using the example of musical traditions. One focus of the exhibition, though, lies on South Africa: Per-Anders Pettersson’s work can be read along the way as an analysis of the consequences of the end of apartheid. This appears, in turn, barely relevant for Obie Oberholzer’s discourse on South African happiness, which forms a sharp counterpoint to Grarup’s documentation on war-plundered Somalian society. And Peter Bialobrzeski proves with his series of slum hut interiors that there exists a need to design living space regardless of its characteristics. This approach corresponds in turn with Christian Lutz, who depicts the contrasting images of profit and harm of the Nigerian oil industry in a filmic aesthetic and thereby simultaneously incorporates the unapproachability of the proceedings into his portrayal. (jt)
Nicht nur ein Chronist Not just a chronicler
Thomas Hoepker
In Amerika – 1963-2013 in focus Galerie
9. September – 26. Oktober 2014
Am 19. September, 18 Uhr, Führung mit Thomas Hoepker und Book-Signing / 19 September at 6 p.m.: Thomas Hoepker will lead a tour though his exhibition and sign books
Als Thomas Hoepker 1963 für eine Reportage die USA bereiste, wurde er mit Bildern konfrontiert, die so gar nicht seiner Vorstellung vom amerikanischen Traum entsprachen. Statt einer glänzenden Konsumwelt entdeckte er die Schattenseiten eines Landes, das von den Folgen ökonomischer und rassischer Ungleichheit gekennzeichnet war. Dabei galt seine Aufmerksamkeit vor allem den Menschen am gesellschaftlichen Rand. Für Hoepker ist die Fotografie zuallererst ein Kommunikationsmittel. Er mag nicht nur Chronist sein. Im Idealfall sollen seine Bilder auch provozieren und etwas bewegen.
Thomas Hoepker, geboren 1936, arbeitete als Bildjournalist für den Stern und Geo, bevor er als erster Deutscher überhaupt Mitglied von Magnum wurde. In New York, wo er seit 1976 lebt, fotografierte er am 11. September 2001 junge Leute, die sich scheinbar unbeschwert unterhalten, während im Hintergrund schwarzer Rauch aus den Türmen des World Trade Centers aufsteigt. Das Foto wurde ebenso zu einer Ikone der Fotogeschichte wie seine grandiosen Aufnahmen des jungen Boxers Muhammad Ali. (wec)
When Thomas Hoepker travelled to the USA for a reportage in 1963, he was confronted with images that did not match his notion of the American dream at all. Instead of a gleaming consumer world he discovered the dark side of a country characterized by the consequences of economic and racial inequality. At the same time his attention was particularly focused on people on society’s margins. In Hoepker’s eyes, photography is first and foremost a means of communication. He does not intend to be a mere chronicler. Ideally, he wants his pictures to provoke as well, and get things moving.
Thomas Hoepker, born in 1936, worked as a photo journalist for Stern and Geo before becoming the first German ever to become a member of Magnum. In New York, where he has lived since 1976, on September 11, 2001 he photographed young people who are apparently having a carefree chat while, in the background, black smoke rises out of the towers of the World Trade Center. The photo has become just as much an icon of photographic history as his splendid shots of the young boxer Muhammad Ali. (wec)
Der Blick von unten Looking up from below
Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie um 1930
The Eye of the Worker.
Workers’ photography around 1930
Käthe Kollwitz Museum
bis / until 12. Oktober 2014
Der Begriff Arbeiterfotografie ist ein Anachronismus. Er klingt stark nach Sozialismus, Klassenkampf und Proletariat – kein Wunder, schließlich ist die Arbeiterfotografie eng mit der Arbeiterbewegung verbunden. Das klingt für heutige Ohren tendenziell etwas zu verkrampft, etwas zu politisch und vor allem etwas zu einseitig gefärbt. Doch genau das ist die große Stärke: Während alle von Bilderfluten und der Demokratisierung eines Mediums reden, setzte genau dies bereits vor 100 Jahren durch den riesigen Aufschwung der privaten wie der industriellen Bildproduktion ein. Die Arbeiterfotografie entstand dabei als eine Amateurbewegung und stellte eine visuelle Selbstermächtigung einer von der Fotografie bis dato weitgehend ausgeschlossenen gesellschaftlichen Gruppe dar. Also richtete man die Kamera auf die eigene Lebenswirklichkeit. Die Ausstellung präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse zur Arbeiterfotografie aus der Weimarer Republik am Beispiel Sachsens. Zudem ist ein wunderbarer, reich illustrierter Katalog im Spector Verlag erschienen. (dz)
Workers’ photography is an anachronistic concept. It sounds a lot like socialism, class war and proletariat – no wonder, as workers’ photography is closely associated with the workers’ movement after all. To today’s ears it tends to sound somewhat too cramped, somewhat too political and above all too biased. But precisely this is the big strength: while everyone’s talking about image inundations and the democratization of a medium, exactly this began 100 years ago already, as a result of the enormous upsurge in both private and industrial image production. Workers’ photography arose in the process as an amateur movement and constituted a form of visual self-empowerment of a social group which had been largely excluded from photography so far. So – the camera was pointed at workers’ own life reality. The exhibition presents current research findings on workers’ photography from the Weimar Republic using the example of Saxony. A wonderful, abundantly illustrated catalogue has been published at Spector Verlag in addition. (dz)
Malerisch Painterly
Robert Polidori. Exteriors and Interiors
Galerie Karsten Greve
5. September – 8. Dezember 2014
Oberflächlich betrachtet ist Robert Polidori ein Architekturfotograf. Doch seine Bilder zeigen uns nicht die typische Schönheit und Perfektion von Gebäuden, sondern deren Zerfall. Letztlich steht bei Polidori die Architektur sinnbildlich für den Menschen und wie er sich selbst und andere zerstört. In der aktuellen Ausstellung sehen wir Aufnahmen, die der Kanadier in unkontrolliert wachsenden Slums, den cités sauvages, in Indien und Brasilien aufgenommen hat: Wirken die aus Einzelbildern zusammengesetzten Riesenpanoramen auf Alutafeln noch etwas bemüht, entfalten die Innenaufnahmen aus Beirut eine abstrakt-malerische Qualität auch Dank der hohen Farbraumwiedergabe des Papiers, das Polidori hier erstmals einsetzt. Ergänzt wird die Ausstellung um Arbeiten aus Tschernobyl und Versailles.
(dz)
Viewed superficially, Robert Polidori is an architecture photographer. Yet his pictures show us not the typical beauty and perfection of buildings, but their decay. Ultimately, with Polidori, architecture symbolizes man and the way he destroys himself and others. In the current exhibition we see shots taken by the Canadian in slums that are growing out of control, cités sauvages, in India and Brazil: if the giant panoramas put together out of individual pictures on aluminium boards look a little forced, the interior shots from Beirut unfold an abstract, painterly quality thanks also to the high colour space reproduction of the paper that Polidori uses here for the first time. The exhibition is completed by works from Chernobyl and Versailles. (dz)
Von Angesicht zu Angesicht
Face to Face
Markus Brunetti
Facades. Kathedralen, Kirchen, Klöster in Europa
Facades, Cathedrals, churches, abbeys in Europe
Museum für Angewandte Kunst Köln
bis / until 14. Dezember 2014
Als Pilger des 21. Jahrhunderts reist Markus Brunetti seit neun Jahren durch Europa, um die Fassaden von Kathedralen, Kirchen und Kapellen fotografisch zu verewigen. Nie hätten die Baumeister der Vergangenheit sich vorstellen können, dass die Technologie des 21. Jahrhunderts es möglich macht, die imposanten Fassaden ihrer Gebäude, die ursprünglich entworfen worden waren, um den Blick der Gläubigen stets nach oben zu lenken, nun in einem völlig frontalen Gesichtspunkt aufzunehmen.
Durch die Fotografien Markus Brunettis ist der Betrachter in der Lage, den faszinierendsten und majestätischsten liturgischen Gebäuden des Kontinents von Angesicht zu Angesicht entgegen zu treten und jedes einzelne Detail dieser Bauten wahrzunehmen. Brunetti hat die Fassaden ausschließlich an eintönig bewölkten Tagen aufgenommen. Der graue Hintergrund und die abgemilderte Helligkeit heben die Farben und die Materialität der Fassaden hervor und tragen zur Präzision und grafischen Qualität der Fotografien bei. Damit erinnern die Fotografien sicherlich an die bahnbrechenden Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, unterscheiden sich allerdings allein schon ihrer Druckgröße wegen: Brunettis Abzüge, die in der großen Halle des Museums von der Decke herab hängen, sind bis zu 3 mal 1,5 Meter groß. Ein bisschen müssen die Betrachter die Köpfe also doch noch nach oben strecken! (fv)
A21st-century pilgrim, Markus Brunetti has been travelling through Europe for more than nine years in order to immortalize in photos the facades of cathedrals, churches and chapels. Never could the builders of past times have imagined that 21st-century technology now make it possible to record the imposing facades of their buildings, originally designed to draw believers’ gaze ever upwards, in a fully frontal aspect.
Due to Markus Brunetti’s photographs, for the first time the beholder is able to step up to the continent’s most fascinating and majestic liturgical buildings face to face and perceive every single detail of these edifices. It is worth mentioning beyond the frontal aspect realized by Brunetti that the photographer records the selected facades exclusively on overcast days. The grey background and muted daylight bring out the facades’ colours and materiality and contribute to the photographs’ precision and graphical quality. The photographs thereby certainly recall the ground-breaking works by Bernd and Hilla Becher, but differ from these merely on account of their print size: Brunetti’s prints, which hang from the ceiling in the museum’s main hall, are up to 3 x 1.5 metres large. Beholders will therefore need to crane their necks upwards a bit after all! (fv)
Kunst hat Recht(e)
Wolfgang Lorentz über das BGH-Urteil im Fall Beuys/Tischer
Sind Fotografien von Kunstperformances selbst Kunstwerke? Darf die Veröffentlichung solcher Fotografien von den Künstlern verboten werden, weil sie einen umgestalteten Eingriff in das Original-Werk darstellen? Der Bundesgerichtshof hat zu Gunsten der Fotografen entschieden – zumindest dann, wenn sie eine eigene schöpferische Leistung erbringen. Dabei muss es sich immer um eine erkennbare Umgestaltung des Originalwerks handeln.
Nach diesem Urteil können Fotografen aufatmen. Für sie besteht in Zukunft die Möglichkeit, durch Fotografieren schützenswerter Performances, selbstständige (schützenswerte) Werke zu schaffen, wenn die Fotos fremder Performances eine eigene kreative Gestaltung des Fotografen und daher eine freie Benutzung sind. Danach ist kein Einverständnis des performenden Künstlers erforderlich.
Die Witwe Eva Beuys konnte in der letzten Instanz nicht verbieten, die Fotoserie von Manfred Tischer im Museum Schloss Moyland auszustellen. Auf Wunsch von Beuys fotografierte er dessen vor 50 Jahren im Fernsehen live ausgestrahltes Happening „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“. Die Witwe sah in der Serie eine unzulässige Bearbeitung des Happenings. Tischer hätte das Happening fotografisch umgestaltet. Die Ausstellung ohne ihr Einverständnis sei eine unzulässige Vervielfältigung und Verwertung. Was geschieht mit einer künstlerischen Aktion, wenn sie in ein anderes Medium überführt wird? Diese Frage ist nun vom BGH beantwortet worden.
Art’s right to have rights
Wolfgang Lorentz on the Federal Supreme Court verdict in the Beuys/Tischer case
Are photographs of art performances themselves works of art? Can the publication of such photographs be prohibited by the artists because they constitute a reworked intervention into the original work? The German Federal Supreme Court has decided in favour of the photographers – at least when they put in their own creative effort. There must always be a recognizable reworking of the original work at the same time.
Wolfgang Lorentz, Jahrgang 1961, ist Wirtschaftsjurist aus Köln und Autor des Buches „Kunst hat Recht(e)“, erschienen im Sramek Verlag.
Photographers can breathe easy after this verdict. In the future it will be possible for them to create independent (copyrightable) works by photographing copyrightable performances if the photos of third-party performances are the photographer’s own creative design and therefore a free form of use. Accordingly, no consent by the performing artist is required.
Wolfgang Lorentz
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Wolfgang Lorentz, born in 1961, is an economic jurist from Cologne and author of the book, “Kunst hat Recht(e)”, published at Sramek Verlag.
Der BGH vergleicht im Rahmen des „Gesamteindrucks“ einerseits das Happening und andererseits die Fotoserie als dessen Dokumentation. Er stellt klar, dass eine urheberrechtliche Bearbeitung immer auch eine Vervielfältigung ist und dass die abhängige Bearbeitung/Umgestaltung eine von einem anderen Werk abhängige Schöpfung ist. Da die Fotos das Happening ohnehin nicht in seiner Gesamtheit erkennen lassen, liegt eine Umgestaltung in ein eigenständiges Werk vor. Hierzu war das Einverständnis der Witwe nicht erforderlich. Die Fotos dürfen wieder ausgestellt werden.
At the court of last instance the widow Eva Beuys was unable to prohibit Museum Schloss Moyland from exhibiting the photo series by Manfred Tischer. At the request of Beuys he photographed the latter’s happening, broadcast live on television 50 years ago, “Marcel Duchamp’s Silence is Overrated”. Beuys’s widow saw in the series an impermissible edit of the happening. Tischer had photographically reworked the happening, she claimed. The exhibition without her consent was impermissible reproduction and exploitation. What happens to an artistic performance when it is transferred to another medium? This question has now been answered by the Federal Supreme Court. Making the “overall impression” its context, the Federal Supreme Court performs a comparison between the happening on the one hand, and the photo series as its documentation on the other. The court clarifies that editing under copyright is always a duplication as well and that the dependent edit/reworking is a creation dependent on another work. As the photos do not provide a recognizable glimpse of the whole happening anyway, this is a case of reworking into an autonomous work. The widow’s consent was not required for this. The photos may be exhibited again.
IMPRESSUM / IMPRINT
Photoszene-Magazin L.Fritz
Chefredaktion / editor-in-chief
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Redaktion / editor
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Redaktionsassistenz / assistant editor
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Mitarbeiter dieser Ausgabe / people who helped to make this issue
Jennifer Crowley, Dennis Herzog, Klaus Honnef, Daniel Kothenschulte, Wolfgang Lorentz, Nadine
Preiß, Jule Schaffer, Jana Strippel, Francesca Valentini, Markus Weckesser
Konzeption / conception
Heide Häusler, Nadine Preiß, Inga Schneider,
Damian Zimmermann
Lektorat / copy-editing
André Schütte, Antonia Loick
Übersetzung dt-engl / translation ger-engl
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Grafische Gestaltung / graphic design
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Druck & Vertrieb / print & distribution
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Geschäftsführung / managing director Heide Häusler, Inga Schneider
Assistenz / assistance
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Diese Ausgabe erscheint im Rahmen des Photoszene-Festivals 2014 / This issue has been published as part of the Photoszene-Festival 2014
© 2014
Internationale Photoszene Köln gemeinnützige Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) i.G., die Fotografen und Autoren.
Covermotiv: Chargesheimer, „L. Fritz Gruber“, Köln 1955, Museum Ludwig, Fotografische Sammlung, ML/F 1993/150
Mit freundlicher Genehmigung des Museum Ludwig
Japanisches Kulturinstitut / (The Japan Foundation)
Das Herz Japans –Die Erneuerung des shintoistischen Großschreins von Ise
Sanijiro Minamikawa
5. Sept – 8. Nov
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ammann // gallery
Hélèn Hélène Binet
Historical Architecture with a Modern Viewe Binet –Historical Architecture with a Modern View
4. Sept – 8. Nov
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in focus Galerie
In Amerika – 1963–2013
Thomas Hoepker
09. Sept – 26. Okt
www.infocusgalerie.de
Caritas Krankenzentrum St. Heribert
Alle guten Dinge sind Drei nah, berührend & verbunden Das Kölner Dreigestirn.
Joachim Rieger
12. – 25. Sept
www.fotografiejoachimrieger.de
Galerie Lichtblick
Ladies Only #1
Aline Smithson, Beatrix Reinhardt, Joanna Black, Karen Glaser, Laura Hynd, Melissa Moore, Sanne de Wilde, Viktoria Sorochinski, Wendy Sacks
23. Aug - 21. Sept
www.lichtblick.net
schaelpic photokunstbar Catacombe dei Cappuccini
Fotoakademie-Koeln
schaelpic photokunstbar Catacombe dei Cappuccini
Martin Claßen
Martin Claßen
Kölner SchulePositionen Deutscher Subjektivität
12. Sept. – 31. Okt. 2014
12. Sept - 31. Okt
30. Aug – 30. Sept
www.schaelpic.de
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Galerie Karsten Greve
Robert Polidori. Exteriors and Interiors
Robert Polidori
05. Sept - 08. Dez
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Jetztzeit Club / Studi Tobias Vollmer
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Nadine Targiel, Florian Müller, Michael Streckbein, Tobias Vollmer
19. – 21. Sept
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