A&W Architektur & Wohnen - Patalab's The Gables

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Ausgabe 5/2016 Oktober – November D 8,90 € · A 9,50 € · CH sfr 16,50 · Benelux 10,30 € · E 11,90 € · I 11,90 € · SLO 11,90 € · P (cont) 11,90 € · SK 11,90 €

BLICKFÄNGER Neue Tapeten mit starken Mustern ZEITREISE Polens romantische Parks und Schlösser AVANTGARDE Architektur-Labor Rotterdam COMEBACK Wie altes Handwerk das Design erobert

UMBAUEN & MODERNISIEREN

Mehr Raum. Mehr Licht.

Mehr Leben!

with English summaries con riassunti in italiano •


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Einheitliches Fassadenmaterial lässt das Ganze wie aus einem Guss erscheinen.

1 Das maßgefertigte XXL-Sofa wurde in den Boden eingelassen, der Metalllüster nimmt seine Formen auf. 2 Die zentrale Treppe strukturiert das ganze Haus. 3 Ein Kleid aus schimmernden Ziegeln sorgt für den Zusammenhalt des einst heterogenen Ensembles. Das niedrige Haupthaus (r.) bekam einen kleinen Giebel.

2 TEXT Kristina Raderschad FOTOS Sabrina Rothe

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A Cinderella Story

Im Londoner Stadtteil Primrose Hill gelang Patalab Architecture ein Paradebeispiel innerstädtischer Aufwertung: Aus einer ehemaligen Hinterhofwerkstatt wurde das luxuriöse Domizil eines jungen Geschäftsmannes.

DIE LAGE Gut versteckt im Nobelviertel

Wer in Primrose Hill lebt, hat meist guten Grund, sich hinter Zäune, Hecken oder schmiedeeiserne Hoftore zurückzuziehen. Das malerische Viertel mit seinen viktorianischen Stadthäusern und verschlafenen Gärten im Norden von London ist eine beliebte Wohngegend der Reichen und Berühmten. Auch der junge Immobilienentwickler, der sich hier ein Konglomerat von heruntergekommenen Gewerbebauten in einem Hinterhof gekauft hatte, schätzt den Rückzug ins Private. Auf dem verwinkelten Grundstück in zweiter Reihe sollte nicht nur sein eigenes Wohnhaus mit drei Schlafzimmern Platz finden, sondern zusätzlich auch zwei autarke Single-Apartments zur Vermietung. Vor neugierigen Blicken geschützt und absolut anonym, dabei gleichzeitig hell, offen und mit einem Ausblick auf die Stadt – so wünschte er sich das Domizil. Und wandte sich an Uwe Schmidt-Hess. Der 114 A & W 5/16

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deutsche Architekt, der in Weimar, Oxford und auch London studierte, hatte hier 2008 das Büro Patalab Architecture gegründet. Ein Bekannter des Bauherrn hatte Schmidt-Hess empfohlen, er war mit dessen Modernisierung seines Londoner Townhouse hochzufrieden gewesen. Spannungsvolle Räume, maßgeschneidert für die Bedürfnisse ihrer Bewohner, sowie ein virtuoser Umgang mit Materialien und Oberflächen zeichnen die Projekte von Patalab Architecture aus – seien es Umbauten oder Neubauten. DIE HERAUSFORDERUNG Aus vielem eins machen

„Architektur mit Charakter, Gebäude mit einer starken eigenen Identität zu schaffen, das ist unser Anspruch“, sagt Uwe Schmidt-Hess. „Das war auch bei diesem Projekt die gestalterische Prämisse.“ Allerdings fand er dabei vollkommen unterschiedliche Gebäude vor: eine Flachdachgarage, ein

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2 1 Die Holzhülle macht die Betontreppe wohnlich. 2 Der Essplatz liegt in der alten Garage, die durch den Einbau eines großen Oberlichts bewohnbar wurde. 3 Die Böden der Schlafzimmer sind aus geölter Eiche. 4 Vom Klavier aus blickt man entlang der verkleideten Treppe auf eine alte Jukebox – sie ist der Partyhit.

Werkstattgebäude mit aufgesetzter Wohneinheit, ein- und zweigeschossige Nebengebäude mit Treppenaufgängen. DIE IDEE Ein Kleid aus schimmernden Ziegeln

All diese Elemente fasste der Architekt mithilfe einer neuen einheitlichen Außenhaut aus Ziegeln zusammen. Dazu kam ein aufgesetzter, leicht asymmetrischer Giebel auf dem heutigen Haupthaus, der zusammen mit dem vorgefundenen dem Projekt seinen Namen gab: „The Gables“ – die Giebel. „Die Entscheidung für eine einheitliche Fassadenverkleidung lässt das Ganze wie aus einem Guss erscheinen“, erklärt Uwe Schmidt-Hess. „Die Aufdopplung hat außerdem den Nebeneffekt, dass das Gebäude nun perfekt gedämmt ist.“ Dass die Wahl auf Ziegel fiel, legte die Nachbarbebauung nahe. Je nach Lichteinfall schimmert die metallische Glasur der neuen Außenhaut in verschiedenen Nuancen zwischen Graubraun und Bronze; im Zusammenspiel mit bronzenen Fensterrahmen verleiht sie der Architektur eine qualitätvolle, fast luxuriöse Anmutung, die gut zu der Adresslage passt. 116 A & W 5/16

Es ist unser gestalterischer Anspruch, Gebäude mit einer starken, eigenen Identität zu schaffen.

DER INNENRAUM Die Treppe als zentrales Möbelstück

Radikal entkernt und um Oberlichter und Fenster ergänzt, erscheint das Haupthaus heute als helles Domizil. 250 Quadratmeter Wohnfläche verteilen sich über drei Ebenen. Die ursprüngliche Kubatur, Außenwände und Zwischendecken blieben erhalten. Um mehr Raumhöhe zu gewinnen, ließ der Architekt den Boden im Erdgeschoss um einen knappen Meter abtragen. Er installierte eine neue Grundplatte mit Dämmung, Fußbodenheizung und einem polierten Kunstharzboden. Der Clou der Neugestaltung und wesentliches innenarchitektonisches Element ist eine mittig eingeschobene Treppenskulptur aus Beton. Ein Schreiner fasste sie fast ganz mit einer dunkel gebeizten Eichenholzlattung ein, sodass sie wie ein überdimensionales Möbelstück wirkt. Auf drei Seiten dieser Struktur fließen im Erdgeschoss die Bereiche Kochen, Essen, Wohnen und Bibliothek ineinander. Um diese Funktionen innerhalb des Einraums zu verorten, spielt der Architekt mit Raumhöhen und Schrägen: Der Wohnbereich vor dem Kamin wurde noch einmal 45 Zentimeter tiefer

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Deta ils

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DER ARCHITEKT Uwe Schmidt-Hess (geb.1977) studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar, an der Oxford Brookes University und zuletzt am University College London (UCL). In der englischen Hauptstadt gründete er 2008 das Büro Patalab Architecture, beschäftigt mittlerweile acht Mitarbeiter und hat im Großraum London zahlreiche Umbauten, Modernisierungen und Erweiterungen von Wohn- und Bürogebäuden realisiert. Gerade wurde auch ein Wohnhaus in Berlin fertiggestellt. Dort sind derzeit außerdem der Um- und Ausbau von 50 Apartments sowie die Umwandlung eines alten Fabrikgebäudes zu Büros in Bearbeitung. DIE KONSTRUKTION Umbau eines Gewerbekonglomerats aus den 1950er-Jahren (Bürogebäude und Autowerkstatt) zu einem Wohnhaus mit rund 250 Quadratmetern Wohnfläche sowie zwei Apartments von je 60 Quadratmetern. Die vorgefundenen einfachen Backsteinwände wurden gedämmt und mit einer Ziegelfassade aufgedoppelt, die Holzbalkendecken mit Stahlträgern verstärkt. Das alte Sichtmauerwerk im Innenraum erhielt einen weißen Anstrich. Der Boden besteht aus mit Kunstharz versiegeltem Estrich. Bauzeit: Herbst 2012 bis Frühling 2014. Baukosten: etwa 1,7 Mio. Euro. Erdgeschoss 1 Eingang 2 Treppe 3 Küche 4 Essplatz 5 Hauswirtschaft 6 Wohnlandschaft 7 Arbeitsplatz 8 WC 9 Single-Apartment

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Obergeschoss 10 Masterbedroom 11 Bad 12 Gästezimmer 13 Single-Apartment

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gelegt, sodass die Sitzfläche des maßgefertigten XXLSofas nun bündig zum übrigen Fußbodenniveau verläuft. Die dynamische Linienführung der Sofalandschaft richtet das Möbel Richtung Essplatz aus und soll so beide Bereiche optisch miteinander verzahnen. Ein vom Londoner Produktdesigner Philippe Malouin entworfener Messinglüster nimmt die futuristische Formensprache des Sofas auf. DAS LEBENSGEFÜHL Die große Freiheit

Kochen in der offenen Küche, von der ein großes Fenster zum Hof geht. Pokerabende am Esstisch, wo farbenfrohe Arbeiten der britischen Künstlerin Phoebe Unwin die Wand schmücken (der Hausherr entdeckte sie in einer Londoner Galerie; sie passen exakt auf die vorhandene Fläche). Dazu der Sound von Elvis, Otis Redding, Buddy Holly, Ben E. King oder Roberta Flack aus einer Sixties-Jukebox – gefunden auf

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eBay und schwer wie ein Auto –, so lebt der Bauherr, der kürzlich seinen vierzigsten Geburtstag feierte, in seinem neuen Zuhause in Primrose Hill. Im Obergeschoss finden sich neben seinem Schlafzimmer mit Ankleidebereich und Bad noch zwei weitere Schlafräume mit eigenen Bädern. Es ist also reichlich Platz für Gäste und Familie. Das Flachdach über der ehemaligen Garage wurde begrünt – „das war eine Auflage der Behörden, mit dem Ziel, das Mikroklima in der Stadt zu verbessern“, so der Architekt. Dabei sollen möglichst viele Grünflächen helfen – und das war auch ganz im Sinne des Bauherrn. Eine schmale Treppe führt hinauf auf das Dach des Schlaftraktes, wo eine kleine private Terrasse wie ein Adlernest über dem dichten urbanen Ensemble thront. Es sind nur wenige Quadratmeter. Aber sie bieten Luft, Licht und einen Blick über die Umgebung – und das mitten in London, am Regent’s Park. Was für ein Luxus! p Mehr im Register ab Seite 194

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