Geschichte des Zweirads

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Zehnder, 1926, CH, 110 ccm, 2.5 PS, 60 km/h, Motor: 1 2T. Das Schweizer Volksmotorrad der 20er Jahre. Raimond Meury. Zehnder – Während des Ersten Weltkrieges fabrizierte die Firma Jakob Zehnder & Söhne Co. Rüstungsteile für die französische Armee. Mit dem Friedensschluss war die goldene Zeit für die Firma vorbei.1923 unternahmen Walter und Robert Zehnder eine Reise nach Deutschland, wo sie ein Motorrad erwarben. Das kleine Motorrad, das sie in die Schweiz brachten, konstruiert vom Münchner Konstrukteur Friedrich Gockerell, hatte einen 110-ccm-Zweitakt-Motor. Ab Spätherbst 1923 produzierten die Gebrüder Zehnder das Gockerell-Motorrad in Lizenz. Es war ein äusserst praktisches Gefährt zu einem Preis von 850 Franken, dass mit wenig Benzin auskam, minimale Pflege und Unterhalt benötigte, aber einen ausgezeichneten Motor besass, der von Kennern auf beachtliche Leistungen getunt wurde. Das Zehnder-Leichtmotorrad, im Volksmund liebevoll „Zehnderli“ genannt, hatte einen verstärkten Fahrrad-Rahmen, Bosch-Magnetzündung, ein Zweiganggetriebe und einen geräuschlosen Keilriemenantrieb zum Hinterrad, aber lediglich eine Klotzbremse auf die Riemenfelge am Hinterrad und Karbidbeleuchtung. Im Laufe der Jahre wurde das Leichtmotorrad überarbeitet, 1925 erschien ein Damenmodell mit

tiefem Durchstieg, 1927 ersetzte eine Kette den Keilriemen, auf Wunsch wurde ein Dreiganggetriebe eingebaut. Die Modelle des Jahres 1927 erhielten eine elektrische Beleuchtung. Die Fabrik beschäftigte fünfzig bis achtzig Arbeiter und Angestellte. 1925 begannen die Zehnderli unter verschiedenen Fahrern im Rennsport aufzutauchen. Bei der schweizerischen Zuverlässigkeitsfahrt 1925 errangen sie eine Goldmedaille, an Bergrennen bewährten sich die Maschinchen in der Klasse 125 ccm unter Fahrern wie Otto Graf, Ernst Zehnder, Walter Widmer oder Jean Jenny. 1926 und 1927 gewann Ernst Zehnder die renommierte Fernfahrt Paris-Nice. 1926 waren 169 Vertreter in der ganzen Schweiz tätig, die Jahresproduktion betrug bis zu 1’500 Einheiten. Fuhr man ein Zehnderli zu zweit, erreichte man schnell die Grenzen des kleinen Zweitakters. Im Mai 1928 erschien eine neue 250 ccm-Maschine mit eigenem Zweitaktmotor und einem Dreiganggetriebe von Hurth. Das Motorrad war aber eine unausgereifte Konstruktion. Dennoch fuhr Otto Zehnder am Klausenrennen 1929, gezeichnet von zwei Stürzen und „ungeachtet seiner Schmerzen, mit viel Bravour durchs Ziel“ (Das Motorrad, Nr. 34, 59

1929) und eroberte den zweiten Rang. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre war der Geschäftsgang alles andere als rosig, die Verkäufe der Zehnderli nahmen ab, die grossen Zehnder verkauften sich gar nicht. Am 11. Februar 1930 musste ein Gesuch zur Nachlassstundung eingereicht werden. Alfred Gautschi übernahm nun den Betrieb und nannte ihn Maschinenfabrik Gränichen AG (MAFAG). Die innovative Familie Zehnder, nun getrennt von ihrem ursprünglichen Betrieb, nahm die Produktion von Stahlrohrradiatoren für Zentralheizungen auf. Ihr Fabrikationsbetrieb existiert heute noch als Zehnder-Runtal AG und ist eine international tätige Industriefirma, führend in ihrem Bereich. Jakob Zehnder, der Gründer, verstarb 1939. Die Produktion der Zehnderli wurde von der MAFAG fortgesetzt und fand bis zum Zweiten Weltkrieg Abnehmer. Das Modell 1936 hatte zwei Trommelbremsen, auf Wunsch ein Zweiganggetriebe, eine Pressstahl-Vorderradgabel und einen Sportlenker; es erreichte nun eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h.


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